Zahnfleischentzündung (Gingivitis) – Ursachen

Pathogenese (Krankheitsentstehung)

Die Gingivitis ist eine Entzündung des Zahnfleischs (Gingiva), die primär durch eine bakterielle Besiedlung und Bildung eines Biofilms (Plaque) entlang des Zahnfleischsaums verursacht wird. Diese Erreger können sich bei unzureichender Mundhygiene ausbreiten und eine Immunreaktion im Zahnfleischgewebe hervorrufen.

Primäre Pathophysiologische Mechanismen

  • Bakterielle Besiedlung und Biofilmbildung
    • Biofilm (Plaque): Der bakterielle Biofilm, der sich bei unzureichender Zahnreinigung auf den Zähnen ansammelt, enthält eine Vielzahl pathogener Bakterien, die den Zahnfleischsaum besiedeln. Gramnegative Anaerobier wie Porphyromonas gingivalis, Treponema denticola und Tannerella forsythia sind häufig in diesem Biofilm zu finden und maßgeblich an der Entstehung von Gingivitis beteiligt.
    • Freisetzung bakterieller Toxine und Enzyme: Diese Bakterien setzen Toxine und Enzyme frei, die das umgebende Gewebe schädigen und das Immunsystem zur Abwehrreaktion anregen.
  • Entzündungsreaktion im Zahnfleisch
    • Die Immunantwort auf die bakteriellen Toxine führt zur Freisetzung von Entzündungsmediatoren wie Zytokinen und Prostaglandinen, die eine Schädigung des Zahnfleischgewebes und eine Ansammlung von Immunzellen verursachen.
    • Diese Entzündung führt zu den typischen Zeichen der Gingivitis: das Zahnfleisch wird gerötet, geschwollen und empfindlich.

Sekundäre Pathophysiologische Mechanismen

  • Bildung von Zahnfleischtaschen
    • Durch die Entzündung kommt es zu einer Vergrößerung des Saumepithels (Epithelsaum am Zahnfleisch), was zur Bildung von Zahnfleischtaschen führt. Diese Vertiefungen begünstigen die Ansiedlung weiterer Bakterien und verschlimmern die Entzündungsreaktion.
  • Verhärtung der Plaque zu Zahnstein
    • Der Biofilm verfestigt sich durch Mineralisation und bildet Zahnstein. Dieser Zahnstein wirkt reizend auf das Zahnfleisch und begünstigt die weitere Entzündung, da er das Entfernen der Plaque erschwert und als chronische Reizquelle fungiert.

Klinische Manifestation

Leitsymptome:

  • Rötung und Schwellung des Zahnfleischs (gingivale Hyperämie)
  • Blutung des Zahnfleischs bei Berührung oder während des Zähneputzens
  • Empfindlichkeit des Zahnfleischs bei Berührung oder beim Konsum bestimmter Nahrungsmittel
  • Halitosis (Mundgeruch) durch bakterielle Stoffwechselprodukte in der Plaque

Fortgeschrittene Symptome (bei anhaltender oder unbehandelter Gingivitis):

  • Zahnfleischtaschenbildung, die bei anhaltender Entzündung als Vorstufe zur Parodontitis dient
  • Zahnsteinbildung, die die Zahnreinigung erschwert und die Entzündung weiter aufrechterhält
  • Schmerzhafte Schwellungen oder eitrige Entzündungen in fortgeschrittenen Fällen

Zusammenfassung und klinische Relevanz

Die Gingivitis ist eine entzündliche Erkrankung des Zahnfleischs, die sich bei unzureichender Mundhygiene entwickelt und durch bakterielle Biofilmbildung gefördert wird. Eine unbehandelte Gingivitis kann durch die Bildung von Zahnfleischtaschen und Zahnstein in eine Parodontitis übergehen. Frühzeitige Intervention durch professionelle Zahnreinigung und verbesserte Mundhygiene sind entscheidend, um die Entzündung zu stoppen und das Fortschreiten der Erkrankung zu verhindern.

Ätiologie (Ursachen)

Biographische Ursachen

  • Hormonelle Faktoren – während der Pubertät (Pubertätsgingivitis) oder Gravidität (Schwangerschaft)

Verhaltensbedingte Ursachen

  • Ernährung
    • Mikronährstoffmangel (Vitalstoffe) – siehe Prävention mit Mikronährstoffen
  • Genussmittelkonsum
    • Alkohol
    • Tabak (Rauchen)
  • Drogenkonsum
    • Amphetamine (indirektes Sympathomimetikum): Ecstasy (3,4-Methylendioxy-N-Methylamphetamin, MDMA), Crystal Meth (Methamphetamin) oder Methylphenidat
  • Psycho-soziale Situation
    • Stress
  • Mangelnde Mundhygiene: nicht regelmäßig entfernter Zahnbelag

Krankheitsbedingte Ursachen

  • Allergische Erkrankungen
    • z. B. Reaktionen auf Nickel, Kunststoffe, Zahnpasten, Nahrungsmittelzusätze
  • Diabetes mellitus
  • Infektionen mit
    • spezifischen Bakterien
      • β-hämolysierenden Streptokokken (Streptokokkeninfektionen)
      • Neisseria gonorrhoe (Gonorrhoe; Tripper)
      • Spirochäten, Fusobakterien und P. intermedia (akute, nekrotisierende, ulceröse Gingivitis, ANUG)
      • Treponema pallidum (Syphilis)
    • spezifischen Mykosen (Pilzerkrankungen)
      • z. B. Candia ssp. (Candidose)
    • spezifischen Viren
      • Coxsackie-Virus (Hand-Fuß-Mund-Krankheit)
      • Cytomegalie-Virus (CMV)
      • Epstein-Barr-Virus (EBV; Auslöser der Mononukleose/Pfeiffersches Drüsenfieber)
      • Herpes simplex (Gingivostomatitis herpetica)
      • Herpes zoster (Zoster)
      • MKS-Viren (Maul- und Klauenseuche)
  • Leukämie (Blutkrebs)
  • Systemische Erkrankungen
    • Erythema exsudativum multiforme (Synonyme: Erythema multiforme, Kokarden-Erythem, Scheibenrose) – im oberen Korium (Lederhaut) auftretende akute Entzündung, die zu typischen kokardenförmigen Läsionen führt; man unterscheidet eine Minor- und eine Major-Form
    • Lichen planus – Lichen planus (LP) –  T-Zell-vermittelte Autoimmunreaktion gegen die basalen epithelialen Keratinozyten (hornbildende Zellen); häufig mit Erosionen (Hautdefekt) am Introitus vaginae (Scheideneingang) sowie im chronifizierten Zustand mit netzförmiger Hyperkeratose (Wickham-Streifen) einhergehend
    • Lupus erythematodes – Gruppe von Autoimmunerkrankungen, bei der es zur Bildung von Autoantikörpern kommt
    • Pemphigoid – Autoimmunerkrankung, die Blasenbildung auf der Haut hervorruf
    • Pemphigus vulgaris – seltene schwere Autoimmunkrankheit, bei der sich unterschiedlich große Bullae (Blasen) auf der Haut, der Mundschleimhaut und anderen Schleimhäuten bilden
  • Vitamin-C-Mangel

Medikamente

  • Anabolika – häufig als Doping-Mittel genutzte Medikamente, die den Muskelaufbau fördern
  • Calciumantagonisten – Medikamente, die bei Hypertonie (Bluthochdruck) eingesetzt werden wie Amlodipin oder Nifedipin
  • Hydantoine – Medikamente, die früher bei Epilepsie eingesetzt wurden; heute wird nur noch Phenytoin aus dieser Gruppe verwendet
  • Immunsuppressiva – Medikamente wie Ciclosporin (Cyclosporin A), die zur Unterdrückung des körpereigenen Immunsystems eingesetzt werden