Odontogene Tumoren – Einleitung

Unter odontogenen Tumoren werden Neubildungen zusammengefasst, die sich vorwiegend aus embryonalen Resten odontogener (an der Zahnbildung beteiligter) Gewebe entwickeln. Der Begriff umfasst eine Bandbreite von hamartomatösen (tumorartigen, gutartigen Gewebeveränderungen, die durch fehlerhaft differenziertes bzw. versprengtes Keimgewebe entstehen), nicht-neoplastischen Veränderungen über Dysplasien (abnorme Zellveränderungen) bis zu metastasierenden malignen Neoplasien (bösartige Neubildungen, die Tochtergeschwülste bilden).

Synonyme und ICD-10: ICD-10-GM C41.-: Bösartige Neubildung des Knochens und des Gelenkknorpels sonstiger und nicht näher bezeichneter Lokalisationen; ICD-10-GM D16.-: Gutartige Neubildung des Knochens und des Gelenkknorpels; ICD-10-GM D48.-: Neubildung unsicheren oder unbekannten Verhaltens an sonstigen und nicht näher bezeichneten Lokalisationen

Formen der Erkrankung

Bei der Mehrzahl der odontogenen Tumoren handelt es sich um benigne (gutartige) Neubildungen. Dennoch können auch maligne (bösartige) Tumoren wie Karzinome und Sarkome odontogenen Ursprungs sein. Aufgrund ihrer Genese aus Geweben, aus denen sich  normalerweise Zähne entwickeln, sind odontogene Tumoren ausschließlich in den Kieferknochen oder der bedeckenden Mucosa (dort als periphere Veränderung) lokalisiert.

Odontogene Tumoren an sich kommen selten vor. Da einige Formen extrem selten sind, wird im Folgenden nur auf  nicht ganz so selten vorkommende Erkrankungen eingegangen.

Benigne Neubildungen

  • Ameloblastome
    • Klassisches Ameloblastom – intraossär (innerhalb des Knochens), infiltrativ und destruktiv (zerstörend)
    • Weitere seltenere Ameloblastom-Varianten: Unizystisches Ameloblastom; Peripheres Ameloblastom (Synonym: Extraossäres Ameloblastom der Weichteile); Desmoplastisches Ameloblastom
  • Ameloblastisches Fibrom
    • selten
    • benigne
    • neoplastisch
    • häufig in Verbindung mit nicht durchgebrochenem Zahn
  • Adenomatoid odontogener Tumor (AOT) (früheres Synonym: Adenoameloblastom)
    • benigne
    • nicht neoplastisch
    • hamartomatös (tumorartige, gutartige Gewebeveränderungen, die durch fehlerhaft differenziertes bzw. versprengtes Keimgewebe entstehen)
    • intraossär oder peripher
  • Fibromyxom (Synonyme: Myxom, odontogenes Myxom)
    • relativ selten
  • Kalzifizierender epithelialer odontogener Tumor (KEOT) (früheres Synonym: Pindborg-Tumor)
    • selten
  • Kalzifizierende odontogene Zyste (Synonyme: Odontogene kalzifizierende Geisterzell-Zyste, odontogene kalzifizierende ghost cell-Zyste; früher: Gorlin-Zyste)
    • relativ selten (ca. 2 % aller odontogenen Tumoren)
    • Formen
      • Zystenform
      • Neoplasie (dann: epithelialer odontogener "ghost cell" Tumor) – zystisch oder solide
  • Odontome
    • oft in der Nähe eines retinierten Zahnes (ein Zahn gilt immer dann als retiniert, als festgehalten, wenn er nicht zum ungefähren Zeitpunkt seines physiologischen Durchbruchs in der Mundhöhle erscheint)
    • Zwei Varianten:
      • Komplexes Odontom
        • Alle zahnbildenden Gewebe sind vermischt enthalten
      • Verbundodontom (Synonyme: Zusammengesetztes Odontom, Compound-Odontom)
        • aus kleinsten rudimentären Zahngebilden bestehend
  • Odontogenes Fibrom
    • selten
    • unterschiedliche morphologische Varianten
  • Benignes Zementoblastom (Synonym: Echtes Zementom)
    • Neubildung ausgehend von den zementbildenden Zellen des Zahns
    • selten

Maligne Neubildungen

  • Odontogene Karzinome – sehr selten und differentialdiagnostisch schwer auseinanderzuhalten
  • Odontogene Sarkome – extrem selten

Epidemiologie

Geschlechterverhältnis

  • Klassisches Ameloblastom: 1 : 1
  • Desmoplastisches Ameloblastom: 1 : 1
  • Peripheres Ameloblastom: Männer doppelt so häufig betroffen wie Frauen
  • Unizystisches Ameloblastom: Männer : Frauen = 1,5 : 1
  • Ameloblastisches Fibrom: Männer : Frauen = 1,4 : 1
  • Adenomatoid odontogener Tumor (AOT): Frauen doppelt so häufig betroffen wie Männer
  • Fibromyxom: Männer : Frauen = 1 : 1,5
  • Kalzifizierende odontogene Zyste: Männer : Frauen = 1 : 1
  • Kalzifizierender epithelialer odontogener Tumor (KEOT): 1 : 1
  • Odontome: Männer häufiger betroffen als Frauen
  • Benignes Zementoblastom: Männer : Frauen = 1 : 1,2

Häufigkeitsgipfel

  • Odontogene Tumoren: Über 90 % zwischen dem 6. und 20. Lebensjahr klinisch manifest.
  • Klassisches Ameloblastom: Altersgipfel 40,2 Jahre. Männer werden im Schnitt vier bis fünf Jahre später betroffen als Frauen.
  • Desmoplastisches Ameloblastom: Vorwiegend im 4. und 5. Lebensjahrzehnt.
  • Unizystisches Ameloblastom: Durchschnittlich 16,5 Jahre bei impaktiertem Zahn; ohne Impaktion 35,2 Jahre.
  • Ameloblastisches Fibrom: 78 % vor dem 20. Lebensjahr diagnostiziert.
  • AOT: Hälfte aller Fälle zwischen 13 und 19 Jahren diagnostiziert; Rezidive sind unbekannt.
  • Fibromyxom: Mittleres Alter 28 Jahre.
  • Kalzifizierende odontogene Zyste: Meist in der 2. Dekade.
  • KEOT: Mittleres Alter liegt bei 37 Jahren.
  • Odontom:
    • Komplex: Diagnostik im Mittel mit 20 Jahren; 84 % vor dem 30. Lebensjahr.
    • Zusammengesetzt: Diagnostik im Mittel mit 17,2 Jahren.
  • Benignes Zementoblastom: Etwa zur Hälfte vor dem 20. Lebensjahr diagnostiziert.

Prävalenz (Krankheitshäufigkeit)

  • Odontogene Tumoren: Seltene Erkrankungen.
    • Odontome: Bis zu 73 % aller echten Fehlbildungen (Hamartome) im europäischen und nordamerikanischen Raum; ca. 6 % in Afrika und Asien.
    • Ameloblastome: Schwerpunkt in afrikanischem und asiatischem Raum (58 bis 63 %).
    • Ameloblastisches Fibroodontom: 0,3 bis 7 % aller odontogenen Tumoren weltweit; bis 2004 nur 94 beschriebene Fälle.
    • Benigne Zementoblastome: Inzidenz ca. eine Neuerkrankung pro 1.000.000 Einwohner pro Jahr.

Verlauf und Prognose

Verlauf

  • Odontogene Tumoren:
    • Oft asymptomatisch (Zufallsbefund).
    • Viele Formen wachsen langsam.
  • Klassisches Ameloblastom:
    • Langsames, lokal invasives und destruierendes Wachstum.
    • In der Regel nicht metastasierendes ("semimalignes") Wachstum.
    • Auch bei radikaler chirurgischer Vorgehensweise sind Rezidive möglich, häufiger im Oberkiefer als im Unterkiefer.
    • Rezidivquote bei Enukleation: 20 bis 90 %.
  • Unizystisches Ameloblastom:
    • Weniger aggressiver Verlauf als beim klassischen Ameloblastom.
    • Rezidivquote: 10 bis 25 %.
  • Ameloblastisches Fibrom:
    • Schmerzlos, langsam wachsend und expansiv.
    • Bei 75 % der Fälle mit nicht durchgebrochenen Zähnen in Verbindung.
    • Konservative Initialtherapie mit unvollständiger Entfernung kann zu vermeintlichen Rezidiven führen (bis zu 34,5 % der Fälle).
    • Maligne Transformation in ein ameloblastisches Fibrosarkom möglich.
  • Adenomatoid odontogener Tumor (AOT):
    • Langsames, progressives Wachstum.
  • Fibromyxom:
    • Schmerzloses, infiltrierendes und destruierendes Wachstum.
    • Rezidivrate: 25 %, oft aufgrund unvollständiger Entfernung des Primärtumors.
  • Kalzifizierender epithelialer odontogener Tumor (KEOT):
    • Lokal invasives Wachstum.
    • Rezidivrate: 14 %.
  • Odontome:
    • Schmerzlos und langsam wachsend mit begrenztem Wachstumspotential, das sich am Abschluss der Dentition orientiert.
    • Durchbruch eines retinierten Zahnes nach Entfernung des benachbarten Odontoms möglich.
    • Keine Rezidive.
  • Odontogenes Fibrom:
    • Niedrige Rezidivrate.
  • Benignes Zementoblastom:
    • Langsames Wachstum mit unbegrenztem Wachstumspotential.
    • Unsichere Rezidivrate, stagnierende Rezidive möglich.

Prognose

  • Klassisches Ameloblastom:
    • Trotz radikaler Chirurgie sind Rezidive häufig.
    • Bessere Prognose bei vollständiger Entfernung.
  • Unizystisches Ameloblastom:
    • Weniger aggressive Form, niedrigere Rezidivrate.
    • Gute Prognose bei vollständiger Entfernung.
  • Ameloblastisches Fibrom:
    • Gute Prognose bei vollständiger Entfernung.
    • Risiko der malignen Transformation erfordert engmaschige Nachsorge.
  • Adenomatoid odontogener Tumor (AOT):
    • Gute Prognose, langsames Wachstum.
    • Keine bekannten Rezidive.
  • Fibromyxom:
    • Gute Prognose bei vollständiger Entfernung.
    • Regelmäßige Nachsorge zur Überwachung von Rezidiven.
  • Kalzifizierender epithelialer odontogener Tumor (KEOT):
    • Gute Prognose bei radikaler Entfernung.
    • Regelmäßige Nachsorge aufgrund der Rezidivrate.
  • Odontome:
    • Sehr gute Prognose.
    • Keine Rezidive, vollständige Heilung nach Entfernung.
  • Odontogenes Fibrom:
    • Gute Prognose aufgrund niedriger Rezidivrate.
  • Benignes Zementoblastom:
    • Unsichere Prognose aufgrund der variablen Rezidivrate.
    • Regelmäßige Nachsorge erforderlich.