Karies – Ursachen

Pathogenese (Krankheitsentstehung)

Karies ist eine multifaktoriell bewirkte Erkrankung.
Erst, wenn die drei Hauptfaktoren zusammentreffen, kann Karies tatsächlich entstehen.

Die drei Hauptfaktoren sind:

1. Der Wirt: Das heißt in diesem Fall vor allem die menschliche Mundhöhle und ihre jeweiligen Eigenschaften, z. B.:

  • Zahnmorphologie
  • Zahnstellung
  • Chemische Zusammensetzung der Zahnhartsubstanzen
  • Speichelmenge
  • Speichelqualität
  • Immunologische Faktoren

2. Plaque: Plaque ist ein gelblich-weißer, strukturierter, zäher, filziger Zahnbelag (sogenannter Biofilm) aus Speichelbestandteilen, Nahrungsresten, lebenden und toten Bakterienzellen sowie deren Stoffwechselprodukten.

3. Substrat: Unter Substrat versteht man die Nahrungsmittel, welche den Bakterien den Nährboden geben. Die Zusammensetzung der Nahrung (hier: regelmäßiger Konsum fermentierbarer Kohlenhydrate), sowie deren Konsistenz und Einwirkzeit spielen dabei eine wesentliche Rolle.

Der Wirt

Es gibt große individuelle Unterschiede bei der Kariesentstehung und deren Fortschreiten. Unterschiedliche Zusammensetzung der Zahnhartsubstanzen, Mikrodefekte der Oberfläche oder Zahnfehlstellungen, die mit einer erhöhten Plaqueanlagerung einhergehen, sind wichtige Parameter. Allerdings ist auch der Speichel ein wichtiger Cofaktor bei der Kariesentstehung.

Speichel hat mannigfaltige Funktionen:

  • Spülfunktion und Selbstreinigung der Zähne
  • Andauung von Nahrung
  • Beschichtung der Mundhöhle und der Zähne
  • Pufferung von Säuren
  • (Re-)Mineralisation
  • Antibakterielle Aktivität

Es ist mittlerweile wissenschaftlich nachgewiesen:

  • Niedrige Speichelfließrate → Hoher Kariesbefall
  • Hohe Speichelfließrate → Niedriger Kariesbefall

Auch die Zusammensetzung und Fließrate von Speichel kann durch Allgemeinerkrankungen und Medikamente negativ beeinflusst werden (siehe Risikofaktoren).

Die Plaque

Die Plaque ist mit einer enorm hohen Anzahl an Bakterien angereichert. Unter ihnen sind vor allem zwei Bakterienarten nachgewiesenermaßen für die Entstehung von Karies verantwortlich: Streptococcus mutans und Laktobazillen. Diese Bakterien sind nicht von Geburt an in der Mundhöhle vorhanden. Sie müssen übertragen werden. Die Kinder werden in der Regel von den Eltern infiziert: Ablecken des Löffels oder Schnullers, Speichelübertragung. Das bedeutet: Wo keine oben genannten Bakterien, da keine Kariesentwicklung trotz Zuckeraufnahme.

Inzwischen gibt es Hinweise dafür, dass bei Kariespatienten in der klebrigen Substanz, die Streptococcus mutans bildet, um auf den Zähnen zu haften auch der Hefepilz Candida albicans vorhanden ist. Candida albicans soll auf die Virulenz (Infektionskraft) von Streptococcus mutans Einfluss nehmen können und damit die Pathogenität (Fähigkeit eines auf den Körper einwirkenden Einflussfaktors, eine Krankheit auszulösen) verändern. 

Beachte: Die heutige Lehrmeinung besagt, dass das vermehrte Auftreten potenziell pathogener Keime nicht als Ursache (kausaler Faktor) zu betrachten ist, sondern bereits als Teil des Kariesprozesses (ökologische Veränderung) verstanden werden muss. 

Das Substrat

Unter besonders kariogene (= kariesfördernde) Nahrung fallen:

  • Kurzkettige Kohlenhydrate
  • Saccharose
  • Glucose, Maltose, Fructose, Lactose
  • Stärke
    z. B. Zucker, Kartoffelchips, Weißbrot, zuckerhaltige Fruchtsäfte und Limonaden, zuckerhaltige Bonbons, Süßigkeiten, Dörrobst/Trockenobst

Achtung!
Bei kleinen Kindern führt das ständige Umspülen der Zähne mit zuckerhaltigen Getränken zu massiver Milchzahnkaries (sogenannte. Nursing bottle-Syndrom“).

Beachte: Auch sogenannte "zuckerfreie Fruchtsäfte" enthalten natürlichen Fruchtzucker (Fructose) und Fruchtsäure. Dabei spielt auch die Häufigkeit der Aufnahme, sowie natürlich die entsprechenden Mundhygienemaßnahmen eine wichtige Rolle.
Kariesentstehung: Durch die bakteriellen Stoffwechselvorgänge in der Plaque sinkt der pH-Wert im Mund drastisch ab, das heißt das Milieu wird saurer. Durch den Säureangriff werden aus den Zahnhartsubstanzen Mineralstoffe herausgelöst, was letztendlich den Zahn anfälliger („weicher“) macht.

Ätiologie (Ursachen)

Biographische Ursachen

  • Genetische Belastung durch Eltern, Großeltern (Mutationen in den Schmelz-Proteinen, die am sogenannten Wnt-Signalweg beteiligt sind → Entwicklung von Defekten im Zahnschmelz)
  • Anatomische Faktoren wie Fehlbildungen der Speicheldrüsen
  • Lebensalter – Die Kariesaktivität ist vorwiegend bei Teenagern und älteren Menschen erhöht.
  • Hormonelle Faktoren – Schwangerschaft

Verhaltensbedingte Ursachen

  • Ernährung
    • Kariogene Ernährung – unausgewogene Ernährung mit einem hohen Anteil an Kohlenhydraten (Einfach- und Mehrfachzuckern) wie z. B. Süßigkeiten, Kartoffelchips, zucker- und säurehaltige Getränke wie Obstsäfte (Weiteres siehe unter Ursachen)
    • Mikronährstoffmangel (Vitalstoffe) – nicht ausreichende Versorgung mit Fluorid (z. B. fluoridiertes Speisesalz) – siehe Prävention mit Mikronährstoffen
  • Genussmittelkonsum
    • Alkohol – Schädigung der natürlichen Mundflora
    • Tabak (Rauchen) – Schädigung der natürlichen Mundflora
      • Passivrauchen beeinträchtigt bereits die Milchzähne [1]
  • Drogenkonsum
    • Amphetamine (indirektes Sympathomimetikum): Ecstasy (3,4-Methylendioxy-N-Methylamphetamin, MDMA), Crystal Meth (Methamphetamin) oder Methylphenidat
  • Psycho-soziale Situation
    • Angst
    • Stress
  • Ungenügende Mundhygiene, die die Entstehung von Zahnbelag fördert

Krankheitsbedingte Ursachen

  • Akute bakterielle und virale Infektionen wie beispielsweise Angina, Diphtherie, Mumps, Pfeiffersches Drüsenfieber, Scharlach, HIV
  • Beeinträchtigung der Speicheldrüsen und -produktion
    • Fehlbildungen
    • Hormonelle Veränderungen
    • Medikamente (s. u.)
    • Schädigung durch Bestrahlungen im Kopf-/Halsbereich
    • Sjögren-Syndrom (Gruppe der Sicca-Syndrome) – Autoimmunerkrankung aus der Gruppe der Kollagenosen, die zu einer chronisch entzündlichen Erkrankung der exokrinen Drüsen, am häufigsten der Speichel- und Tränendrüsen, führt; typische Folgeerkrankungen bzw. Komplikationen des Sicca-Syndroms sind:
      • Keratokonjunktivitis sicca (Syndrom des trockenen Auges) aufgrund fehlender Benetzung von Horn- und Bindehaut mit Tränenflüssigkeit
      • erhöhte Kariesanfälligkeit durch Xerostomie (Mundtrockenheit) aufgrund verminderter Speichelsekretion
      • Rhinitis sicca (trockene Nasenschleimhäute), Heiserkeit und chronischer Hustenreiz sowie eine gestörte Sexualfunktion durch Störung der Schleimdrüsenproduktion des Respirationstraktes und der Genitalorgane
    • Sklerodermie – Gruppe verschiedener seltener Erkrankungen, die mit einer Bindegewebsverhärtung der Haut allein oder der Haut und inneren Organe (besonders Gastrointestinaltrakt, Lungen, Herz und Nieren) einhergehen
    • Tumoren
  • Chronisch atrophische Gastritis – chronische Magenschleimhautentzündung, die zu Gewebeschwund führt
  • Depression
  • Diabetes mellitus
  • Hormonelle Veränderungen durch
    • Allgemeine Erkrankungen
    • Gravidität (Schwangerschaft)
    • Medikamente
  • Molaren-Inzisiven-Hypomineralisation (MIH) – systemisch bedingte Strukturanomalie primär des Zahnschmelzes, die auf eine Mineralisationsstörung zurück zu führen ist; Lokalisation: an einem bis zu allen vier ersten bleibenden Molaren (sog. "Kreidezähne"); Prävalenz (Krankheitshäufigkeit): > 30 % der 12Jährigen
  • Morbus Boeck (Sarkoidose) – entzündliche Systemerkrankung, die vor allem die Lymphknoten, die Lunge und die Gelenke betrifft
  • Mundschleimhauterkrankungen
    • Gingivitis (Zahnfleischentzündung)
    • Infektiöse Veränderungen (z. B. oraler Herpes zoster) oder benigne oder maligne Tumoren)
    • Parodontitis (Entzündung des Zahnhalteapparates)
  • Primär biliäre Cholangitis (PBC, Synonyme: nichteitrige destruierende Cholangitis; früher primär biliäre Zirrhose) – relativ seltene Autoimmunerkrankung der Leber (betrifft in ca. 90 % der Fälle Frauen); beginnt primär biliär, d. h. an den intra- und extrahepatischen ("innerhalb und außerhalb der Leber") Gallenwegen, die durch eine Entzündung zerstört werden (= chronisch nichteitrige destruierende Cholangitis). Im längeren Verlauf greift die Entzündung auf das gesamte Lebergewebe über und führt schließlich zu einer Vernarbung bis hin zur Zirrhose; Nachweis antimitochondrialer Antikörper (AMA); PBC ist häufig assoziiert mit Autoimmunerkrankungen (Autoimmunthyreoiditis, Polymyositis, systemischer Lupus erythematodes (SLE), progressive systemische Sklerose, rheumatoider Arthritis); in 80 % der Fälle mit einer Colitis ulcerosa (chronisch-entzündliche Darmerkrankung) assoziiert; Langzeitrisiko für ein cholangiozelluläres Karzinom (CCC; Gallengangskarzinom, Gallengangskrebs) liegt bei 7-15 %
  • Systemischer Lupus erythematodes (SLE)systemische Autoimmunerkrankung aus der Gruppe der Kollagenosen, die die Haut und das Bindegewebe der Gefäße betrifft und so zu Vaskulitiden zahlreicher Organe wie Herz, Nieren oder Gehirn führt
  • Zustände oder Erkrankungen, welche die allgemeine körperliche Beweglichkeit und damit die Möglichkeit adäquater Zahnpflege einschränken, z. B.
    • Apoplex (Schlaganfall)
    • Demenz
    • Hohes Alter
    • Paresen (Lähmungen)
    • Parkinson-Syndrom

Medikamente (Bei Anwendung von salivationshemmenden (speichelhemmenden) Medikamenten über lange Zeiträume kommt es zu einer starken Destruktion der Zahnhartsubstanzen. Es sind circa 400 solcher Medikamente bekannt. Medikamente aus folgenden Gruppen können salivationshemmend wirken)

  • Antiadiposita, Anorektika
  • Antiarrhythmika
  • Anticholinergika
  • Antiepileptika, Sedativa
  • Antidepressiva
  • Antihistaminika
  • Antihypertonika
  • Antiparkinsonmittel
  • Antipsychotika (Neuroleptika)
  • Anxiolytika
  • Ataraktika
  • Diuretika
  • Hypnotika
  • Muskelrelaxantien
  • Sedativa
  • Spasmolytika

Röntgenstrahlen Bestrahlung bei Tumorerkrankungen

  • Bestrahlungen im Kopf-/Halsbereich und damit einhergehende Schädigungen der Zähne und Weichgewebe

Operationen

  • Tumoroperationen im Kopf-/Halsbereich und damit einhergehende Schädigungen der Zähne und Weichgewebe

Literatur

  1. Tanaka S et al.: Secondhand smoke and incidence of dental caries in deciduous teeth among children in Japan: population based retrospective cohort study. BMJ 2015; 351. doi.org/10.1136/bmj.h5397