Karies – Ursachen
Pathogenese (Krankheitsentstehung)
Karies ist eine multifaktorielle Erkrankung, die durch das Zusammenspiel mehrerer Faktoren entsteht. Die wesentlichen Hauptfaktoren umfassen den Wirt (Zahnbeschaffenheit und Speichel), die Plaque (bakterieller Biofilm) und das Substrat (ernährungsbedingte Kohlenhydrate). Die Interaktion dieser Faktoren über einen längeren Zeitraum führt zur kariösen Läsion (Zahnschaden).
Hauptfaktoren der Kariesentstehung
- Der Wirt
Die Eigenschaften des Wirts umfassen die anatomischen und physiologischen Gegebenheiten der Mundhöhle (Mundraum):- Zahnmorphologie (Form und Struktur der Zähne): Strukturen wie Fissuren und Grübchen begünstigen die Retention (Ansammlung) von Plaque und sind prädestiniert für kariöse Läsionen (Zahndefekte).
- Zahnstellung (Position der Zähne): Fehlstellungen erschweren die Reinigung und fördern die Plaqueanlagerung.
- Zusammensetzung der Zahnhartsubstanzen (Zahnoberflächengewebe): Unterschiedliche Anteile von Calcium (Bestandteil von Knochen und Zähnen) und Phosphat beeinflussen die Demineralisationsanfälligkeit (Verlust von Mineralien).
- Speichel: Speichel hat eine zentrale Rolle in der Prävention von Karies durch seine vielfältigen Funktionen:
- Spülfunktion: Mechanische Reinigung der Zahnoberflächen.
- Pufferkapazität (Ausgleich von Säuren): Neutralisierung säurebildender Stoffwechselprodukte aus der Plaque.
- Mineralisation (Einlagerung von Mineralien): Förderung der Remineralisierung (Wiederherstellung der Zahnsubstanz) durch Calcium- und Phosphationen.
- Antibakterielle Aktivität (Bekämpfung von Bakterien): Schutzmechanismen gegen bakterielle Besiedlung.
- Plaque
Plaque ist ein dichter Biofilm (mikrobieller Zahnbelag) aus Speichelbestandteilen, Bakterien und deren Stoffwechselprodukten. Dieser Biofilm bildet sich bevorzugt an schwer zugänglichen Stellen und ist stark an Bakterien angereichert, die für die Kariesentstehung eine Rolle spielen:- Streptococcus mutans und Laktobazillen: Diese Bakterien haben eine hohe kariogene Potenz (Fähigkeit zur Entstehung von Karies). Sie erzeugen durch den Abbau fermentierbarer Kohlenhydrate (Zuckerarten) organische Säuren, die die Zahnhartsubstanz (Zahnoberfläche) demineralisieren (Mineralien entziehen).
- Candida albicans: Der Hefepilz ist in der Plaque kariöser Zähne nachweisbar und könnte über die Veränderung der Plaquebesiedlung zur Virulenzsteigerung (Zunahme der Krankheitserreger) von Streptococcus mutans beitragen.
- Substrat
Die Zusammensetzung und Frequenz kohlenhydrathaltiger Nahrungsmittel spielen eine entscheidende Rolle in der Kariesentwicklung:- Fermentierbare Kohlenhydrate (zuckerhaltige Nahrungsmittel): Regelmäßige Aufnahme von Zucker und Stärke führt zu einem kontinuierlichen Angebot für Plaquebakterien. Dies fördert die Produktion von Säuren und führt zu einem kontinuierlichen pH-Abfall an der Zahnoberfläche.
- Nahrungsmittelqualität und Konsistenz (Beschaffenheit der Nahrung): Klebrige und zuckerreiche Lebensmittel haften länger auf den Zahnoberflächen und verlängern die Kontaktzeit von Säuren mit der Zahnhartsubstanz.
Pathophysiologischer Prozess
Die Karies entsteht durch die metabolischen Aktivitäten von Bakterien innerhalb des Biofilms:
- Säureproduktion (Säurebildung): Bakterien in der Plaque bauen Zucker zu organischen Säuren ab (z. B. Milchsäure).
- pH-Abfall (Absenkung des Säurewertes): Die entstehenden Säuren senken den pH-Wert (Säuregrad) innerhalb der Plaque.
- Demineralisation (Entzug von Mineralien): Sinkt der pH-Wert unter 5,5, kommt es zur Demineralisation des Zahnschmelzes. Mineralien wie Calcium (Bestandteil von Knochen und Zähnen) und Phosphat werden aus der Zahnhartsubstanz (Zahnoberfläche) gelöst, wodurch Läsionen (Schäden) entstehen.
- Remineralisation und Gleichgewicht (Wiederherstellung der Zahnhartsubstanz): In Speichelpausen kann der Speichel durch seine Pufferwirkung den pH-Wert anheben, was zur Remineralisation führt. Das Gleichgewicht zwischen Demineralisation und Remineralisation entscheidet über das Fortschreiten der Karies.
Klinische Manifestation
Leitsymptome
- Weiße oder bräunliche Flecken auf den Zähnen: Ein frühes Zeichen von Karies, das auf Demineralisation (Mineralverlust) der Zahnschmelzoberfläche hindeutet.
- Empfindlichkeit auf Süßes und Saures: Zähne reagieren empfindlich auf süße oder saure Speisen und Getränke, da die Zahnschmelzschicht (Schutzhülle des Zahns) geschädigt ist und Nervenreizungen schneller auftreten.
- Temperaturempfindlichkeit: Empfindlichkeit gegenüber heißen oder kalten Speisen und Getränken, da die isolierende Wirkung des Zahnschmelzes (Schmelzschicht) reduziert ist und Reize leichter auf die darunterliegende Dentinschicht (Zahnbein) und eventuell die Pulpa (Zahnnerv) übertragen werden.
Fortgeschrittene Symptome
- Schmerzen: Häufiges Anzeichen für eine tiefere Karies. Der Schmerz kann spontan auftreten und wird bei Kontakt mit Essen, Druck oder thermischen Reizen verstärkt.
- Karieshöhlen (Löcher in den Zähnen): Fortgeschrittene Karies zeigt sich als sichtbare Vertiefungen oder „Löcher“ im Zahn, die mit der Zeit größer werden und Schmerzen verstärken können.
- Verfärbung des Zahnes: In schweren Fällen kann die Karies zu Verfärbungen der betroffenen Zähne führen, häufig in Brauntönen, die sich nicht entfernen lassen.
Ohne Behandlung kann Karies bis zur Zahnpulpa (Zahnnerv) vordringen, was zu einer Pulpitis (Entzündung des Zahnnervs) führt und schließlich einen Zahnverlust zur Folge haben kann.
Zusammenfassung und klinische Relevanz
Die Karies ist eine durch Biofilm (mikrobiellen Zahnbelag) bedingte Erkrankung, die eng mit Ernährungsgewohnheiten und der Speichelqualität verknüpft ist. Die rechtzeitige Identifikation und Modifikation von Risikofaktoren, wie z. B. hoher Zuckerkonsum oder verminderter Speichelfluss, kann zur Prävention beitragen. Prophylaktische Maßnahmen, darunter regelmäßige Plaqueentfernung, Fluoridierung (Anwendung von Fluorid zur Härtung des Zahnschmelzes) und Ernährungsberatung, sind essenziell, um das Fortschreiten der Erkrankung zu verhindern und die Zahngesundheit langfristig zu erhalten.
Ätiologie (Ursachen)
Biographische Ursachen
- Genetische Belastung durch Eltern, Großeltern (Mutationen in den Schmelz-Proteinen, die am sogenannten Wnt-Signalweg beteiligt sind → Entwicklung von Defekten im Zahnschmelz)
- Anatomische Faktoren wie Fehlbildungen der Speicheldrüsen
- Lebensalter – Die Kariesaktivität ist vorwiegend bei Teenagern und älteren Menschen erhöht.
- Hormonelle Faktoren – Schwangerschaft
Verhaltensbedingte Ursachen
- Ernährung
- Kariogene Ernährung – unausgewogene Ernährung mit einem hohen Anteil an Kohlenhydraten (Einfach- und Mehrfachzuckern) wie z. B. Süßigkeiten, Kartoffelchips, zucker- und säurehaltige Getränke wie Obstsäfte (Weiteres siehe unter Ursachen)
- Mikronährstoffmangel (Vitalstoffe) – nicht ausreichende Versorgung mit Fluorid (z. B. fluoridiertes Speisesalz) – siehe Prävention mit Mikronährstoffen
- Genussmittelkonsum
- Alkohol – Schädigung der natürlichen Mundflora
- Tabak (Rauchen) – Schädigung der natürlichen Mundflora
- Passivrauchen beeinträchtigt bereits die Milchzähne [1]
- Drogenkonsum
- Amphetamine (indirektes Sympathomimetikum): Ecstasy (3,4-Methylendioxy-N-Methylamphetamin, MDMA), Crystal Meth (Methamphetamin) oder Methylphenidat
- Psycho-soziale Situation
- Angst
- Stress
- Ungenügende Mundhygiene, die die Entstehung von Zahnbelag fördert
Krankheitsbedingte Ursachen
- Akute bakterielle und virale Infektionen wie beispielsweise Angina, Diphtherie, Mumps, Pfeiffersches Drüsenfieber, Scharlach, HIV
- Beeinträchtigung der Speicheldrüsen und -produktion
- Fehlbildungen
- Hormonelle Veränderungen
- Medikamente (s. u.)
- Schädigung durch Bestrahlungen im Kopf-/Halsbereich
- Sjögren-Syndrom (Gruppe der Sicca-Syndrome) – Autoimmunerkrankung aus der Gruppe der Kollagenosen, die zu einer chronisch entzündlichen Erkrankung der exokrinen Drüsen, am häufigsten der Speichel- und Tränendrüsen, führt; typische Folgeerkrankungen bzw. Komplikationen des Sicca-Syndroms sind:
- Keratokonjunktivitis sicca (Syndrom des trockenen Auges) aufgrund fehlender Benetzung von Horn- und Bindehaut mit Tränenflüssigkeit
- erhöhte Kariesanfälligkeit durch Xerostomie (Mundtrockenheit) aufgrund verminderter Speichelsekretion
- Rhinitis sicca (trockene Nasenschleimhäute), Heiserkeit und chronischer Hustenreiz sowie eine gestörte Sexualfunktion durch Störung der Schleimdrüsenproduktion des Respirationstraktes und der Genitalorgane
- Sklerodermie – Gruppe verschiedener seltener Erkrankungen, die mit einer Bindegewebsverhärtung der Haut allein oder der Haut und inneren Organe (besonders Gastrointestinaltrakt, Lungen, Herz und Nieren) einhergehen
- Tumoren
- Chronisch atrophische Gastritis – chronische Magenschleimhautentzündung, die zu Gewebeschwund führt
- Depression
- Diabetes mellitus
- Hormonelle Veränderungen durch
- Allgemeine Erkrankungen
- Gravidität (Schwangerschaft)
- Medikamente
- Molaren-Inzisiven-Hypomineralisation (MIH) – systemisch bedingte Strukturanomalie primär des Zahnschmelzes, die auf eine Mineralisationsstörung zurück zu führen ist; Lokalisation: an einem bis zu allen vier ersten bleibenden Molaren (sog. "Kreidezähne"); Prävalenz (Krankheitshäufigkeit): > 30 % der 12Jährigen
- Morbus Boeck (Sarkoidose) – entzündliche Systemerkrankung, die vor allem die Lymphknoten, die Lunge und die Gelenke betrifft
- Mundschleimhauterkrankungen
- Gingivitis (Zahnfleischentzündung)
- Infektiöse Veränderungen (z. B. oraler Herpes zoster) oder benigne oder maligne Tumoren)
- Parodontitis (Entzündung des Zahnhalteapparates)
- Primär biliäre Cholangitis (PBC, Synonyme: nichteitrige destruierende Cholangitis; früher primär biliäre Zirrhose) – relativ seltene Autoimmunerkrankung der Leber (betrifft in ca. 90 % der Fälle Frauen); beginnt primär biliär, d. h. an den intra- und extrahepatischen ("innerhalb und außerhalb der Leber") Gallenwegen, die durch eine Entzündung zerstört werden (= chronisch nichteitrige destruierende Cholangitis). Im längeren Verlauf greift die Entzündung auf das gesamte Lebergewebe über und führt schließlich zu einer Vernarbung bis hin zur Zirrhose; Nachweis antimitochondrialer Antikörper (AMA); PBC ist häufig assoziiert mit Autoimmunerkrankungen (Autoimmunthyreoiditis, Polymyositis, systemischer Lupus erythematodes (SLE), progressive systemische Sklerose, rheumatoider Arthritis); in 80 % der Fälle mit einer Colitis ulcerosa (chronisch-entzündliche Darmerkrankung) assoziiert; Langzeitrisiko für ein cholangiozelluläres Karzinom (CCC; Gallengangskarzinom, Gallengangskrebs) liegt bei 7-15 %
- Systemischer Lupus erythematodes (SLE) – systemische Autoimmunerkrankung aus der Gruppe der Kollagenosen, die die Haut und das Bindegewebe der Gefäße betrifft und so zu Vaskulitiden zahlreicher Organe wie Herz, Nieren oder Gehirn führt
- Zustände oder Erkrankungen, welche die allgemeine körperliche Beweglichkeit und damit die Möglichkeit adäquater Zahnpflege einschränken, z. B.
- Apoplex (Schlaganfall)
- Demenz
- Hohes Alter
- Paresen (Lähmungen)
- Parkinson-Syndrom
Medikamente (Bei Anwendung von salivationshemmenden (speichelhemmenden) Medikamenten über lange Zeiträume kommt es zu einer starken Destruktion der Zahnhartsubstanzen. Es sind circa 400 solcher Medikamente bekannt. Medikamente aus folgenden Gruppen können salivationshemmend wirken)
- Antiadiposita, Anorektika
- Antiarrhythmika
- Anticholinergika
- Antiepileptika, Sedativa
- Antidepressiva
- Antihistaminika
- Antihypertonika
- Antiparkinsonmittel
- Antipsychotika (Neuroleptika)
- Anxiolytika
- Ataraktika
- Diuretika
- Hypnotika
- Muskelrelaxantien
- Sedativa
- Spasmolytika
Röntgenstrahlen – Bestrahlung bei Tumorerkrankungen
- Bestrahlungen im Kopf-/Halsbereich und damit einhergehende Schädigungen der Zähne und Weichgewebe
Operationen
- Tumoroperationen im Kopf-/Halsbereich und damit einhergehende Schädigungen der Zähne und Weichgewebe
Literatur
- Tanaka S et al.: Secondhand smoke and incidence of dental caries in deciduous teeth among children in Japan: population based retrospective cohort study. BMJ 2015; 351. doi.org/10.1136/bmj.h5397