Craniomandibuläre Dysfunktion (CMD) – Parafunktionen

Parafunktionen umfassen eine Vielzahl unbewusster Aktivitäten im Bereich der Kaumuskulatur, die nicht mit der regulären Nahrungsaufnahme oder Sprachfunktion in Verbindung stehen. Diese Störungen zählen zu den häufigsten Ursachen für eine Craniomandibuläre Dysfunktion (CMD). Sie sind durch eine übermäßige oder fehlgeleitete Muskelaktivität gekennzeichnet und wirken sich sowohl auf die Zähne und das Parodontium (Zahnhalteapparat) als auch auf die Kiefergelenke und die umgebende Muskulatur aus.

Typen von Parafunktionen

Die wichtigsten Parafunktionen, die zur Entstehung einer CMD beitragen können, sind:

  • Bruxismus (Zähneknirschen)
    • Definition: Unwillkürliche, rhythmische oder unregelmäßige Kieferbewegungen, die zu einem intensiven Kontakt der Zahnreihen führen.
    • Pathophysiologie: Bruxismus tritt typischerweise während des Schlafs auf (Schlafbruxismus) oder während des Wachzustands (Wachbruxismus). Beim Schlafbruxismus handelt es sich um eine zentrale neurologische Störung, die häufig in der Leichtschlafphase auftritt. Er ist durch erhöhte Aktivität der Kaumuskulatur und durch repetitive Bewegungsmuster gekennzeichnet, was zu erheblichem Verschleiß der Zahnoberflächen führen kann.
    • Folgen: Langfristiger Bruxismus kann zu einer starken Abnutzung der Zähne (Attrition), Frakturen (Zahnschmelz- und Dentinfrakturen) und zu parodontalen Schäden führen. Ferner kann der hohe muskuläre Druck zu einer Überlastung des Kiefergelenks, diskogenen Veränderungen und einer Verschiebung der Diskusposition führen.
  • Zähnepressen (Clenching)
    • Definition: Konstanter, nicht rhythmischer Druckkontakt der Zahnreihen bei statischer Kieferhaltung ohne begleitende Kieferbewegungen.
    • Pathophysiologie: Clenching verursacht hohe Kräfte im Bereich der Kiefergelenke und auf die Zähne, die bis zu 5- bis 10-mal höher sein können als die Kräfte bei normaler Nahrungsaufnahme. Diese Belastung führt häufig zu Muskelverspannungen, insbesondere im Bereich des M. masseter und des M. temporalis.
    • Folgen: Chronisches Pressen kann zu myofaszialen Schmerzen, Hypertrophie der Kaumuskulatur, Kondylusverlagerungen und einer vermehrten Abnutzung der Zahnhartsubstanz führen.
  • Zungenpressen (Linguales Pressen)
    • Definition: Stark erhöhter Druck der Zunge gegen die Zähne oder den Gaumen.
    • Pathophysiologie: Zungenpressen tritt häufig bei Stresssituationen oder unbewussten Spannungszuständen auf. Die Zunge übt dabei kontinuierlich Druck auf die Frontzähne aus, was zu Zahnverschiebungen und einer Veränderung des Okklusionsmusters führen kann.
    • Folgen: Zungenpressen führt häufig zu einer Proklination der Frontzähne (nach vorn geneigte Frontzähne), einer Lückenbildung und zu einer Überlastung der Muskulatur, was wiederum Schmerzen und Muskelverspannungen bedingt.
  • Lippenbeißen und -kauen
    • Definition: Ständiges Beißen auf die Lippen oder die Wangeninnenseiten.
    • Pathophysiologie: Diese Parafunktion tritt häufig in Verbindung mit Angstzuständen oder als unbewusste Stressreaktion auf. Die repetitive mechanische Reizung kann zu einer lokalen Schleimhautirritation oder Hyperkeratose (Verhornung) führen.
    • Folgen: Neben Schleimhautläsionen kann das Lippen- und Wangekauen die Kaumuskulatur asymmetrisch belasten und somit zur Ausbildung myofaszialer Triggerpunkte und einer Überlastung der Kiefergelenke führen.

Auswirkungen von Parafunktionen auf das craniomandibuläre System

Parafunktionen wirken sich auf das gesamte craniomandibuläre System aus und führen häufig zu einer Dysbalance zwischen Muskulatur, Kiefergelenken und Zähnen. Folgende pathophysiologische Mechanismen spielen eine Rolle:

  • Erhöhte Muskelaktivität:
    • Parafunktionen führen zu einer chronischen Überbelastung der Kaumuskulatur. Besonders betroffen sind dabei der M. masseter, M. temporalis und der M. pterygoideus lateralis (seitlicher Flügelmuskel). Die andauernde Hyperaktivität dieser Muskeln führt zu muskulären Dysbalancen und zu einer verminderten muskulären Koordination.
    • In der Folge entwickeln sich myofasziale Triggerpunkte (lokale Muskelverhärtungen), die in benachbarte Regionen ausstrahlende Schmerzen verursachen können.
  • Veränderungen der Diskusposition:
    • Die hohen Kräfte, die durch Bruxismus oder Zähnepressen erzeugt werden, führen zu einem Ungleichgewicht der Zugkräfte an den bilaminären Strukturen im Kiefergelenk. Dies kann die normale Position des Diskus (Knorpelscheibe im Kiefergelenk) stören und zur Entstehung von Diskusverlagerungen mit oder ohne Reposition führen.
    • Diskusverlagerungen äußern sich klinisch durch Knack- oder Reibegeräusche und können eine eingeschränkte Mundöffnung verursachen.
  • Kondyläre Überbelastung:
    • Chronische Parafunktionen können zu einer Überlastung der knöchernen Strukturen des Kiefergelenks (Kondylus und Fossa mandibularis) führen. Dies begünstigt die Entstehung degenerativer Veränderungen wie Arthrose oder subchondraler Mikrofrakturen.
  • Veränderungen der Zahnhartsubstanz:
    • Die mechanische Überlastung durch Knirschen und Pressen führt zu einem übermäßigen Verlust an Zahnhartsubstanz, insbesondere an den Schneidekanten und den Okklusalflächen der Zähne. Dies äußert sich in Form von Abrasion (mechanischer Verschleiß) und Attrition (Abnutzung durch Zahnkontakt).
  • Beeinträchtigung des Okklusionsmusters:
    • Durch die unphysiologische Beanspruchung und Verschiebung der Zähne kann es zu einem Ungleichgewicht der Okklusionskontakte kommen. Diese Okklusionsstörungen verstärken wiederum die Parafunktionen und führen zu einem Teufelskreis aus Überlastung und Dysfunktion.

Psychosomatische Ursachen und der Einfluss auf Parafunktionen

Parafunktionen sind häufig mit psychischen Belastungsfaktoren verknüpft. Stress, Angstzustände, Depressionen oder emotionale Spannungszustände können die muskuläre Spannung erhöhen und die Häufigkeit von Bruxismus und anderen Parafunktionen verstärken. In diesem Zusammenhang gilt Bruxismus auch als eine ventile Verarbeitungsstrategie des Körpers für Stress (sogenannter „Stressventilismus“).

Therapieansatz

Die Behandlung der Parafunktionen sollte interdisziplinär erfolgen. Neben zahnärztlichen Maßnahmen (z. B. Aufbissschienen) sollten psychologische Faktoren (z. B. Stressbewältigung) und physiotherapeutische Maßnahmen (z. B. Myofasziales Release, Muskelentspannungstechniken) integriert werden, um langfristige Erfolge zu erzielen.

Insgesamt stellen Parafunktionen eine der wichtigsten Ursachen für CMD dar und bedürfen einer ganzheitlichen Betrachtung, um eine nachhaltige Therapie zu gewährleisten.