Windpocken (Varizellen) in der Schwangerschaft
Bei den Windpocken (Synonyme: Chicken pox; Varicellae; Varicellen; Variola emphysematica [Varizellen]; Variola hybrida [Varizellen]; Variola illegitima [Varizellen]; Variola notha [Varizellen]; Variola spuria [Varizellen]; Varizellen (Windpocken); Windpocken; varicella; ICD-10-GM B01.-: Varizellen [Windpocken]) handelt es sich um eine Infektionserkrankung mit dem Varizella-Virus (VCV; VZV), die zu den Kinderkrankheiten zählt.
Das Varizella-Zoster-Virus (VZV) gehört zur Familie der Herpesviridae, zur Unterfamilie Alphaherpesvirinae und zur Gattung Varicellovirus. Neben den Windpocken ist das Virus auch noch für die Gürtelrose (HZV; Herpes zoster) verantwortlich.
Der Mensch stellt zurzeit das einzige relevante Erregerreservoir dar.
Vorkommen: Die Infektion tritt weltweit auf.
Die Kontagiosität (Ansteckungskraft bzw. Übertragungsfähigkeit des Erregers) ist hoch. Der Kontagionsindex liegt bei 90 %. Mehr als 95 % der Erwachsenen haben Antikörper gegen das Virus.
Das Virus bleibt lebenslang im Körper, weshalb es bei Reaktivierungen zum Zoster kommen kann, die aber meist erst nach dem 50. Lebensjahr auftreten.
Die Erkrankung tritt gehäuft im Winter und im Frühjahr auf.
Die Übertragung erfolgt aerogen (Tröpfcheninfektion in der Luft) oder durch Kontakt zu den virushaltigen Bläscheninhalt und Krusten. Eine Übertragung von der Mutter auf das ungeborene Kind ist relativ selten, wenn sie jedoch auftritt, kann sie zum sogenannten fetalen Varizellensyndrom führen.
Die Inzidenz (Häufigkeit von Neuerkrankungen) der Windpockeninfektion während der Schwangerschaft wird prinzipiell mit 2-3 pro 1.000 Schwangerschaften angegeben [2].
Achtung!
Auch ein Zoster (Gürtelrose) kann Ansteckungsquelle für eine Varizella-Infektion sein (Schwangere!)
Die Inkubationszeit (Zeit von der Ansteckung bis zum Ausbruch der Erkrankung) beträgt 8-28 Tage (in der Regel 14-16 Tage).
Symptome – Beschwerden
Leitsymptome
- Juckendes Exanthem (Hautausschlag) mit Papeln (Knötchen), Bläschen und Krusten (Schorf), die in verschiedenen Entwicklungsstadien stehen (Sternenhimmel); tritt meistens zuerst im Gesicht und am Körperstamm auf. Die Läsionen (“Schädigungen“) können auch auf Schleimhäute und die behaarte Kopfhaut übergreifen.
Begleitsymptome
- Fieber
Die betroffenen Personen fühlen sich meistens nicht sonderlich in ihrem Allgemeinbefinden eingeschränkt.
Nach etwa zwei bis drei Wochen ist die Erkrankung ausgestanden.
Besonderheiten in der Schwangerschaft
Zwar haben die meisten Frauen bereits als Kind eine Infektion mit Windpocken durchgemacht und dadurch eine lebenslange Immunität erworben, dennoch ist nahezu jede 20. Frau nicht immun.
Wird die werdende Mutter mit Windpocken infiziert, ohne als Kind eine Infektion durchgemacht zu haben, kann die Erkrankung über die Plazenta (Mutterkuchen) auf das Ungeborene übertragen werden (transplazentare fetale Infektion).
In der Frühschwangerschaft (im ersten und zweiten Trimenon/Schwangerschaftsdrittel) kann es zu Aborten (Fehlgeburten) kommen. Bei einer Infektion bis zur 20. SSW ist ein fetales Varizellensyndrom (FVS) zu erwarten. Mögliche Folgen für das Ungeborene bei Infektion im ersten und zweiten Trimenon (Schwangerschaftsdrittel) sind:
-
Hautveränderungen mit segmentaler Ausbreitung (Skarifikationen, Ulzera, Narben)
-
Augenbeteiligung (Mikrophthalmie, Enophthalmie, Chorioretinitis, Katarakt, Anisokorie, Nystagmus, Optikusatrophie)
-
neurologische Erkrankungen und Fehlbildungen (Enzephalitis, Hirnatrophie, Rückenmarksatrophie, Mikrozephalie, Extremitätenparesen, Krampfanfälle, Horner-Syndrom
-
Skelettanomalien (Skeletthypoplasien: hypoplastische Extremitäten)
Die Letalität des fetalen Varizellensyndroms liegt in den ersten Lebensmonaten bei ca. 25-30 % [3].
Neonatale Windpocken, d. h. Windpocken in den ersten 12 Lebenstagen eines Neugeborenen, weisen ebenfalls auf eine transplazentare Infektion hin.
Bei einer maternalen (mütterlichen) Windpockeninfektion 3 Wochen vor bis 2 Tage nach Entbindung liegt das Risiko einer Infektion in diesem Zeitraum bei 25-50 % [4].
Wenn die Mutter das Exanthem (Hautausschlag) zwischen den Tagen 4 und 5 vor der Geburt bzw. an Tag 2 nach der Geburt entwickelt, führen die neonatalen Windpocken in bis zu 20 % der betroffenen Fälle zum Tode. Neonatale Windpocken innerhalb der ersten 4 Tage nach der Geburt erweisen sich in der Regel als mild. Ein tödlicher Ausgang ist in 2 3% der Fälle berichtet worden, wenn Neugeborene Windpocken im Alter zwischen 5 und 10 bis 12 Tage auftritt [4].
Findet die Infektion früher als vier Tage vor der Geburt statt, so kann das Kind Antikörper der Mutter, soweit diese bereits eine Infektion mit Windpocken durchgemacht hat, erhalten, was den Krankheitsverlauf deutlich abschwächt. Bei Infektion zwischen dem vierten Tag vor und dem zweiten Tag nach der Entbindung ist dieses nicht mehr möglich.
Eine Impfung ist zwar möglich, kann jedoch nur vor der Schwangerschaft bei bestehendem Kinderwunsch erfolgen.
Beachte: Bei fehlender Immunität und Schutzimpfung muss die Patientin darüber aufgeklärt werden, dass eine Konzeption für 4 bis 6 Wochen nach Impfung vermieden werden sollte! (Kontrazeption erforderlich)
Diagnostik
Die Diagnose Windpocken wird mittels einer Blutuntersuchung gestellt.
Bei Infektionsverdacht beziehungsweise Kontakt mit einem erkrankten Kind sollte unverzüglich eine Blutuntersuchung erfolgen.
Diese ist erforderlich, um die immunologische Ausgangslage, das heißt, die Frage zu klären, ob schon in der Vergangenheit eine Infektion vorlag und somit ein Immunschutz besteht, sodass das ungeborene Kind nicht erkranken kann oder ob eine frische oder keine Infektion vorliegt.
Laborparameter 1. Ordnung
- Antikörpernachweis mit Hilfe von serologischen Verfahren wie ELISA (Enzyme Linked Immunosorbent Assay) – Antigennachweis (IgG-, IgM- und IgA-Elisa)
- Anti-VZV-IgG (bei ungeimpften gebärfähigen Frauen mit unklarer oder negativer Varizellen Anamnese)
- KBR
Laborparameter 2. Ordnung
- Direkter Virusnachweis mit Hilfe der PCR (Polymerase-Kettenreaktion) aus Bläscheninhalt, Liquor (Gehirn-Rückenmark-Flüssigkeit) oder Fruchtwasser
Hinweis: Es wird in Deutschland von einer Varizella-Zoster-Virus-Seroprävalenz (prozentuelle Anzahl der positiv getesteten serologischen Parameter (hier: VZV) zu einem bestimmten Zeitpunkt in einer bestimmten Population) von mindestens 96-97 % ausgegangen [1].
Achtung!
Falls kein Immunschutz vorliegt, ist eine erneute Blutuntersuchung nach zwei Wochen unbedingt erforderlich, um eine mögliche Infektion auszuschließen.
Ihr Nutzen
Für Ihr Kind ist nur die Erstinfektion gefährlich. Daher ist es dringend notwendig zu klären, ob Sie als Kind bereits an Windpocken erkrankt waren.
Falls Sie bisher nicht an Windpocken erkrankt waren, müssen Sie Kontakt mit Personen, die an Windpocken – oder an Gürtelrose – leiden, meiden und gegebenenfalls regelmäßige Blutuntersuchungen durchführen lassen.
Literatur
- Wutzler P, Färber I, Wagenpfeil S et al.: Seroprevalence of varicella-zoster virus in the German population. Vaccine 2001; 20:121-124
- Sauerbrei A, Wutzler P: Varicella during pregnancy. 1: Epidemiology and clinical aspects. Dtsch Med Wochenschr 2004; 1946(129):1983-1986. doi:10.1055/s-2004-831837
Leitlinien
- S2k-Leitlinie: Labordiagnostik schwangerschaftsrelevanter Virusinfektionen. (AWMF-Registernummer: 093-001), Oktober 2021 Langfassung