Kachexie – Ursachen

Pathogenese (Krankheitsentstehung)

Die Kachexie ist eine komplexe und multifaktorielle Erkrankung, die durch einen katabolen Zustand (Abbau von Gewebe) gekennzeichnet ist. Sie tritt häufig im Zusammenhang mit schweren chronischen Erkrankungen auf, darunter Tumorerkrankungen, chronische Herzinsuffizienz (Herzschwäche), chronisch obstruktive Lungenerkrankung (COPD), chronische Nierenerkrankungen und chronische Infektionen wie HIV/AIDS.

Primäre pathophysiologische Mechanismen

  • Stoffwechselveränderungen: Kachexie ist durch eine Verschiebung des Stoffwechsels von einem anabolen (aufbauenden) zu einem katabolen (abbauenden) Zustand gekennzeichnet. Dies führt zu einem gesteigerten Abbau von Muskelmasse und Fettgewebe. Selbst bei ausreichender Kalorienzufuhr ist der Energieverbrauch des Körpers erhöht, was zu einer negativen Energiebilanz und einem fortschreitenden Gewichtsverlust führt.
  • Entzündungsprozesse: Tumorkachexie ist ein Zustand, der in hohem Maße mit einer systemischen Entzündung verbunden ist. Entzündungsmediatoren wie Tumornekrosefaktor-α (TNF-α), Interleukin-6 (IL-6) und andere Zytokine fördern den Muskelabbau und die Lipolyse (Abbau von Fettgewebe). Diskutiert werden zytotoxische T-Zellen des Immunsystems als zentraler Akteur der Kachexie. In einer Übersichtsarbeit zeigt sich, dass immer mehr Hinweise darauf hindeuten, dass verschiedene Zytokine kontextabhängig bei Kachexie induziert werden und zu ihrer Entwicklung beitragen können [1].
  • Hormonelle Veränderungen: Insulinresistenz und eine erhöhte Produktion von Kortisol (Stresshormon) tragen zum Abbau von Muskelmasse bei. Der Wachstumshormon-Mangel verschärft den katabolen Zustand zusätzlich, indem er die Wiederherstellung von Gewebe hemmt.

Sekundäre pathophysiologische Veränderungen

  • Muskelschwund (Sarkopenie): Ein signifikanter Verlust an Muskelmasse führt zu schwerwiegender körperlicher Schwäche und einer eingeschränkten Mobilität. Dieser Muskelschwund ist charakteristisch für die Kachexie und beeinflusst die Lebensqualität der betroffenen Patienten.
  • Fettabbau: Der Verlust von Körperfett wird durch eine gesteigerte Lipolyse (Fettabbau) verursacht, die durch Entzündungsmediatoren wie TNF-α verstärkt wird. Dies führt zu einer fortschreitenden Erschöpfung der Fettdepots.

Klinische Manifestation

  • Gewichtsverlust: Der ungewollte Verlust von mehr als 5 % des Körpergewichts über einen Zeitraum von sechs Monaten ist ein typisches Merkmal der Kachexie. Dieser Gewichtsverlust betrifft sowohl die Muskelmasse als auch das Fettgewebe.
  • Schwäche und Erschöpfung: Patienten berichten über ausgeprägte Müdigkeit, Schwäche und verminderte körperliche Leistungsfähigkeit, die durch den Muskelabbau verschärft werden.
  • Appetitlosigkeit: Anorexie (Appetitlosigkeit) tritt häufig bei Kachexie auf und trägt zu der verminderten Nahrungsaufnahme bei, was den katabolen Zustand weiter verschärft.

Progression und Organbeteiligung

  • Multiorganbeteiligung: Kachexie betrifft verschiedene Organsysteme und führt zu einem Funktionsverlust. Herz, Leber, Lungen und Nieren sind häufig betroffen, und die systemische Entzündungsreaktion verschärft den katabolen Zustand.
  • Immunschwäche: Die Funktion des Immunsystems wird durch die chronische Entzündung geschwächt, was die Anfälligkeit für Infektionen erhöht und zu einer Verschlechterung des allgemeinen Gesundheitszustands führt.

Funktionelle Auswirkungen und strukturelle Schäden

  • Muskelschwund: Der Verlust an Skelettmuskulatur führt zu einer erheblichen Einschränkung der Mobilität und Funktionalität, was die Lebensqualität stark beeinträchtigt.
  • Organschäden: Der katabole Zustand führt zu einer fortschreitenden Zerstörung von Organen wie dem Herz, was das Risiko für Herzversagen erhöht. Auch die Lungen und Nieren können in Mitleidenschaft gezogen werden.

Regenerative und kompensatorische Prozesse

  • Gestörte Regeneration: Trotz der Schädigung des Gewebes sind die regenerativen Prozesse bei Kachexie eingeschränkt. Der Körper ist nicht in der Lage, Muskel- und Fettgewebe in ausreichendem Maße wiederherzustellen, was die fortschreitende Verschlechterung verschlimmert.

Zusammenfassung und klinische Relevanz

Die Kachexie ist ein schwerwiegender, kataboler Zustand, der bei Patienten mit chronischen Erkrankungen wie Tumoren, Herzinsuffizienz, COPD und Niereninsuffizienz auftritt. Entzündungsprozesse, hormonelle Veränderungen und eine negative Energiebilanz tragen maßgeblich zum Muskelschwund und zum Fettabbau bei, was zu einer erheblichen Verschlechterung der Lebensqualität führt. Eine frühzeitige Intervention ist entscheidend, um das Fortschreiten der Kachexie zu verlangsamen und die Prognose zu verbessern.

Ätiologie (Ursachen)

Verhaltensbedingte Ursachen

  • Genussmittelkonsum
    • Alkoholabusus
  • Drogenkonsum

Krankheitsbedingte Ursachen

  • Akutes Trauma – wie ein Unfall oder Verbrennungen
  • Anorexia nervosa (Magersucht)
  • Autoimmunerkrankungen
  • Chronischer Alkoholismus
  • Chronische Hepatitis (Leberentzündung)
  • Chronische Infektionen jeder Art
  • Chronische Organinsuffizienz – Einschränkung in der Funktion wie beispielsweise Herzinsuffizienz (Herzschwäche); Niereninsuffizienz (Nierenschwäche)
  • Colitis ulcerosa – chronisch-entzündliche Darmerkrankung (CED)
  • Chronisch-obstruktive Lungenerkrankung (COPD)
  • Darmischämie – Minderdurchblutung des Darms
  • Demenz
  • Depression
  • Diabetes mellitus Typ 1
  • Diarrhoe (Durchfall)
  • Drogenabhängigkeit
  • Enteritis (Darmentzündung)
  • Finalstadium unheilbarer Erkrankungen (Krebserkrankung):
    • Tumoren des Gastrointestinaltraktes (Magen-Darm-Trakt): 80 % der Fälle
    • Bronchialkarzinom (Lungenkrebs): 50 bis 65 %
  • Geringe Produktion des Wachstumshormons
  • Herzinsuffizienz (Herzschwäche) → kardiale Kachexie (unabhängiger Risikofaktor für frühzeitiges Versterben)
  • Hyperthyreose (Schilddrüsenüberfunktion)
  • Kollagenosen (Gruppe von Bindegewebserkrankungen, die durch Autoimmunprozesse bedingt sind) – systemischer Lupus erythematodes (SLE), Polymyositis (PM) bzw. Dermatomyositis (DM), Sjögren-Syndrom (Sj), Sklerodermie (SSc) und Sharp-Syndrom ("mixed connective tissue disease", MCTD)
  • Leberinsuffizienz (Leberversagen)
  • Leberzirrhose – wurde früher als eine irreversible Schädigung der Leber mit einem ausgeprägten Umbau des Lebergewebes angesehen. Heutzutage versteht man die Pathogenese (Krankheitsentstehung) und Progression (Fortschreiten) fortgeschrittener chronischer Lebererkrankungen als einen prinzipiell reversiblen Prozess, der dynamisch und multidimensional ist.
  • Malaria
  • Malassimilation (Störung der Vorverdauung im Magen, der enzymatischen Aufspaltung der Nahrungsbestandteile (exokrine Pankreasinsuffizienz/Erkrankung der Bauchspeicheldrüse, die mit einer ungenügenden Produktion von Enzymen einhergeht), der Fettemulgierung (z. B.  Gallensäuremangel bei Cholestase/Gallenstau) und der Resorption bzw. des Abtransport der absorbierten Nahrung) – bei Magen-Darm-Erkrankungen
  • Morbus Crohn – chronisch-entzündliche Darmerkrankung (CED); sie verläuft meist in Schüben und kann den gesamten Verdauungstrakt befallen; charakterisierend ist der segmentale Befall der Darmmukosa (Darmschleimhaut), das heißt es können mehrere Darmabschnitte befallen sein, die durch gesunde Abschnitte voneinander getrennt sind
  • Mukoviszidose (Zystische Fibrose, ZF) ‒ genetische Erkrankung mit autosomal-rezessivem Erbgang, die durch die Produktion von zu zähmen Sekret in verschiedenen Organen gekennzeichnet ist.
  • Ösophagusstenose – Verengung der Speiseröhre
  • Pankreasinsuffizienz – verminderte Fähigkeit der Bauchspeicheldrüse, Verdauungssäfte zu produzieren
  • Pankreatitis (Bauchspeicheldrüsenentzündung)
  • Paranoia – psychische Erkrankung
  • Rheumatoide Arthritis (rheumatoide Kachexie)
  • Schmerzen
  • Sepsis (Blutvergiftung)
  • Tuberkulose – vor allem die Lunge betreffende Infektionserkrankung
  • Übelkeit/Erbrechen
  • Zöliakie (gluteninduzierte Enteropathie) – chronische Erkrankung der Dünndarmmukosa (Dünndarmschleimhaut), die auf einer Überempfindlichkeit gegen das Getreideeiweiß Gluten beruht

Labordiagnosen – Laborparameter, die als unabhängige Risikofaktoren gelten

  • Eisenmangelanämie – bei krebsinduzierten Muskelabbau; intravenöse Gabe von Eisen in Form von Eisencarboxymaltose [2]

Medikamente

  • Zytostatika (Substanzen, die das Zellwachstum bzw. die Zellteilung hemmen)

Röntgenstrahlen

  • Als Nebenwirkung der Radiatio (Strahlentherapie) bei Tumorerkrankungen

Operationen

  • Kurzdarmsyndrom nach Darmresektion – Entfernung eines Darmabschnittes
  • Nach größeren Operationen als Stressreaktion
  • Nach Magenresektion (Magenentfernung)

Literatur

  1. Baazim H et al.: The interplay of immunology and cachexia in infection and cancer. Nat Rev Immunol (2021). https://doi.org/10.1038/s41577-021-00624-w
  2. Wyart E et al.: Iron supplementation is sufficient to rescue skeletal muscle mass and function in cancer cachexia EMBO Reports (2022)e53746 https://doi.org/10.15252/embr.202153746