Unterernährung – Ursachen
Pathogenese (Krankheitsentstehung)
Die Pathogenese der Unterernährung basiert auf einer negativen Energiebilanz, bei der der tägliche Energiebedarf des Körpers dauerhaft nicht gedeckt wird. Dieser Energiebedarf setzt sich aus dem Ruheumsatz (Energieverbrauch in Ruhe), dem Verbrauch bei körperlicher Aktivität und der Thermogenese (Wärmebildung im Körper) zusammen. Bei anhaltender Unterversorgung führt dies zu einem Verlust an Körpermasse und zahlreichen Folgeerkrankungen.
Primäre pathophysiologische Mechanismen
- Ungleichgewicht zwischen Energieaufnahme und Energieverbrauch:
- Mangel an Makronährstoffen: Reduzierte Zufuhr von Kohlenhydraten, Fetten und Proteinen verursacht eine negative Energiebilanz. Der Körper mobilisiert zunächst gespeicherte Fettreserven und baut anschließend Muskelmasse ab, um Energie bereitzustellen.
- Defizit an Mikronährstoffen: Ein Mangel an Vitaminen und Mineralstoffen führt zu einer Schwächung der Körperfunktionen und beeinträchtigt die Immunabwehr.
- Beeinträchtigung des Stoffwechsels und der Homöostase:
- Abbau von Energiereserven: Aufgrund unzureichender Nährstoffversorgung beginnt der Körper, zuerst Fett- und dann Muskelgewebe abzubauen. Ein anhaltender kataboler Stoffwechselzustand führt zu einer signifikanten Abnahme der Körpermasse.
- Störung des Elektrolythaushalts: Die zunehmende Erschöpfung und der Mikronährstoffmangel verursachen Elektrolytstörungen, die Herz- und Nierenfunktionen beeinträchtigen können.
Sekundäre pathophysiologische Veränderungen
- Muskelschwund und Fettverlust: Langfristige Unterernährung führt zu einer ausgeprägten Abnahme von Muskel- und Fettmasse. Diese Muskelschwäche, auch als Sarkopenie bezeichnet, führt zu eingeschränkter körperlicher Leistungsfähigkeit und erhöht das Verletzungsrisiko.
- Immunsuppression: Eine schlechte Versorgung mit essentiellen Nährstoffen beeinträchtigt das Immunsystem und erhöht die Anfälligkeit für Infektionen, wodurch die Heilungsprozesse verlangsamt werden.
Klinische Manifestation
- Leitsymptome:
- Gewichtsverlust: Ein erheblicher Verlust an Körpergewicht ist das zentrale Merkmal der Unterernährung.
- Schwäche und Müdigkeit: Die verminderte Muskelmasse und der Energiemangel führen zu schneller Erschöpfung und Schwäche.
- Reduzierte kognitive Leistung: Konzentrationsschwierigkeiten und geistige Müdigkeit treten auf, da das Gehirn eine konstante Versorgung mit Glucose benötigt.
- Fortgeschrittene Symptome:
- Schwindel und Hypotonie (niedriger Blutdruck): Ein Mangel an Elektrolyten und eine reduzierte Blutmenge führen zu Kreislaufproblemen.
- Wundheilungsstörungen: Die eingeschränkte Nährstoffaufnahme beeinträchtigt die Regenerationsprozesse im Gewebe.
- Anämie (Blutarmut): Ein Defizit an Eisen, Vitamin B12 oder Folsäure kann Anämie verursachen, was zu Blässe und Atemnot führt.
Progression und Organbeteiligung
- Multiorganbeteiligung: Langfristige Unterernährung beeinträchtigt die Funktion mehrerer Organsysteme, darunter Herz, Lunge, Leber und Nieren. Die Organatrophie und die eingeschränkte Funktion erhöhen das Risiko für schwerwiegende chronische Erkrankungen und Organversagen.
- Schädigung des Verdauungssystems: Eine reduzierte Nahrungsaufnahme beeinträchtigt die Darmgesundheit und führt zu einer verringerten Nährstoffaufnahme.
Funktionelle Auswirkungen und strukturelle Schäden
- Beeinträchtigung der Mobilität: Muskelschwund und Schwäche schränken die körperliche Aktivität und die Bewegungsfähigkeit erheblich ein.
- Verlust der Körperfunktion: Wichtige physiologische Prozesse wie die Thermoregulation und die Blutdruckstabilisierung sind eingeschränkt.
Regenerative und kompensatorische Prozesse
- Anpassung des Stoffwechsels: Der Körper verlangsamt den Stoffwechsel, um Energie zu sparen, und erhöht die Effizienz der Energienutzung.
- Wiederaufbau durch gezielte Ernährungstherapie: Eine gezielte Ernährungsintervention, die reich an Proteinen, Kalorien und Mikronährstoffen ist, fördert den Wiederaufbau von Muskelmasse und die Wiederherstellung der körperlichen und geistigen Leistungsfähigkeit.
Zusammenfassung und klinische Relevanz
Die Unterernährung ist eine ernstzunehmende Erkrankung, die durch eine unzureichende Nährstoffaufnahme entsteht. Sie führt zu einem signifikanten Verlust an Körpermasse, schwächt das Immunsystem und erhöht das Risiko für Infektionen sowie chronische Krankheiten. Eine frühzeitige Diagnose und gezielte Ernährungsintervention sind essenziell, um das Fortschreiten der Unterernährung zu stoppen, die Lebensqualität zu verbessern und mögliche Komplikationen zu vermeiden.
Ätiologie (Ursachen)
Biographische Ursachen
- Genetische Belastung
- Genetische Erkrankungen
- Mukoviszidose (Zystische Fibrose, ZF) ‒ genetische Erkrankung mit autosomal-rezessivem Erbgang, die durch die Produktion von zu zähmen Sekret in verschiedenen Organen gekennzeichnet ist.
- Genetische Erkrankungen
- Lebensalter – zunehmendes Alter
- Geographische Faktoren – In Ländern wie Asien und Südamerika leiden Frauen und Mädchen häufiger unter Hunger. Das ist darin begründet, dass Frauen dort weniger verdienen und auch nicht denselben Zugang zu den Ressourcen haben wie Männer.
Verhaltensbedingte Ursachen
- Ernährung
- Rohköstler
- Orthorexia nervosa – im Gegensatz zu den Essstörungen Anorexia nervosa und Bulimie steht bei Orthorektikern nicht die Quantität der Nahrungsmittel im Vordergrund, sondern die vermeintliche Qualität
- Mikronährstoffmangel (Vitalstoffe) – siehe Prävention mit Mikronährstoffen
- Appetitlosigkeit
- Nahrungsverweigerung
- Genussmittelkonsum
- Alkohol (chronischer Konsum)
Krankheitsbedingte Ursachen
- AIDS
- Abnehmende Sinnesqualitäten wie Schmecken und Riechen
- Akutes Trauma – wie ein Unfall oder Verbrennungen
- Anorexia nervosa (Magersucht)
- Chronischer Alkoholismus
- Chronische Hepatitis (Leberentzündung)
- Chronische Infektionen jeder Art
- Chronische Organinsuffizienz – Einschränkung in der Funktion wie beispielsweise Herzinsuffizienz (Herzschwäche); Niereninsuffizienz (Nierenschwäche)
- Chronisch obstruktive Lungenerkrankung (COPD)
- Colitis ulcerosa – chronisch-entzündliche Darmerkrankung (CED)
- Darmischämie – Minderdurchblutung des Darms
- Demenz
- Depression
- Diabetes mellitus
- Diarrhoe (Durchfall)
- Drogenabhängigkeit
- Enteritis (Darmentzündung)
- Finalstadium unheilbarer Erkrankungen wie einige Krebserkrankungen
- Geringe Produktion des Wachstumshormons
- Hyperthyreose (Schilddrüsenüberfunktion)
- Krebserkrankungen
- Kollagenosen (Gruppe von Bindegewebserkrankungen, die durch Autoimmunprozesse bedingt sind) – systemischer Lupus erythematodes (SLE), Polymyositis (PM) bzw. Dermatomyositis (DM), Sjögren-Syndrom (Sj), Sklerodermie (SSc) und Sharp-Syndrom ("mixed connective tissue disease", MCTD)
- Leberversagen
- Malassimilation (Störung der Vorverdauung im Magen, der enzymatischen Aufspaltung der Nahrungsbestandteile (exokrine Pankreasinsuffizienz/Erkrankung der Bauchspeicheldrüse, die mit einer ungenügenden Produktion von Enzymen einhergeht), der Fettemulgierung (z. B. Gallensäuremangel bei Cholestase/Gallenstau) und der Resorption bzw. des Abtransportes der absorbierten Nahrung) – bei Magen-Darm-Erkrankungen.
- Morbus Crohn – chronisch-entzündliche Darmerkrankung (CED); verläuft meist in Schüben und kann den gesamten Verdauungstrakt befallen; charakterisierend ist der segmentale Befall der Darmmukosa (Darmschleimhaut), das heißt, es können mehrere Darmabschnitte befallen sein, die durch gesunde Abschnitte voneinander getrennt sind.
- Ösophagusstenose – Verengung der Speiseröhre
- Pankreasinsuffizienz – verminderte Fähigkeit der Bauchspeicheldrüse, Verdauungssäfte zu produzieren
- Pankreatitis (Bauchspeicheldrüsenentzündung)
- Paranoia – psychische Erkrankung
- Schmerzen
- Sepsis (Blutvergiftung)
- Tuberkulose – vor allem die Lunge betreffende Infektionserkrankung
- Übelkeit/Erbrechen
- Zöliakie (gluteninduzierte Enteropathie) – chronische Erkrankung der Dünndarmmukosa (Dünndarmschleimhaut), die auf einer Überempfindlichkeit gegen das Getreideeiweiß Gluten beruht
Medikamente
- Antibiotika – Medikamente gegen bakterielle Infektionen wie beispielsweise Penicillin
- Antidepressiva – Medikamente gegen Depressionen wie Amitryptilin
- Antihistaminika – Medikamente gegen allergische Reaktionen wie beispielsweise Cetirizin
- Antihypertensiva – Medikamente gegen Hypertonie (Bluthochdruck) wie beispielsweise Captopril
- Antipsychotika (Neuroleptika) – Nervendämpfungsmittel wie Haloperidol
- Appetitzügler – appetithemmende Medikamente
- Digitalis – Medikamente gegen Herzrhythmusstörungen wie beispielsweise Digitoxin
- Nicht-Steroidale-Antirheumatika (NSAR) – Schmerzmittel wie Ibuprofen
- Regelmäßige Einnahme mehrerer Medikamente gleichzeitig
- Sedativa – Beruhigungsmittel wie Bromazepam
- Zytostatika (Substanzen, die das Zellwachstum bzw. die Zellteilung hemmen)
Röntgenstrahlen
- Als Nebenwirkung der Radiatio (Strahlentherapie) bei Tumorerkrankungen
Operationen
- Kurzdarmsyndrom nach Darmresektion – Entfernung eines Darmabschnittes
- Nach größeren Operationen als Stressreaktion
- Nach Magenresektion (Magenentfernung)
Weitere Ursachen
- Armut
- Diagnostik und Therapie im Krankenhaus setzen oft eine Nüchternheit voraus
- Im Krankenhaus durch das Krankenhausessen