Mangelernährung im Alter – Ursachen

Pathogenese (Krankheitsentstehung)

Mangelernährung im Alter entsteht durch ein Zusammenspiel von physiologischen, sozialen und gesundheitlichen Faktoren. Ältere Menschen haben oft einen geringeren Grundumsatz und benötigen weniger Kalorien, während der Bedarf an Proteinen und Mikronährstoffen konstant bleibt oder sogar steigt. Ein erhöhter Mikronährstoffbedarf trifft dabei häufig auf eine verminderte Nahrungsaufnahme und eine schlechtere Verwertung der Nährstoffe im Körper.

Primäre pathophysiologische Mechanismen

  • Geringerer Energieumsatz und veränderter Nährstoffbedarf:
    • Sinkender Grundumsatz: Der Stoffwechsel verlangsamt sich im Alter, was den Energiebedarf verringert. Gleichzeitig bleiben der Bedarf an Proteinen und vielen Mikronährstoffen konstant oder steigt sogar, um Muskelabbau zu verhindern und die Immunfunktion zu unterstützen.
    • Erhöhter Protein- und Mikronährstoffbedarf: Alterungsprozesse erhöhen den Bedarf an Proteinen zur Erhaltung der Muskelmasse und an Mikronährstoffen wie Vitamin D, Calcium, Vitamin B12 und Folsäure zur Unterstützung von Knochen, Muskeln und Nervenfunktion.
  • Quantitative und qualitative Veränderungen in der Nahrungsaufnahme:
    • Verminderte Appetitkontrolle: Mit zunehmendem Alter kann das Hungergefühl abnehmen, oft beeinflusst durch hormonelle Veränderungen und gesundheitliche Einschränkungen.
    • Verändertes Geschmacksempfinden: Sensorische Veränderungen führen zu einer veränderten Geschmackswahrnehmung, die den Appetit weiter einschränken kann und häufig eine einseitige, nährstoffarme Ernährung zur Folge hat.
    • Soziale Isolation und psychische Faktoren: Ältere Menschen, die alleine leben oder an Depressionen leiden, neigen zu einer verminderten Nahrungsaufnahme.
  • Beeinträchtigte Resorption und Verstoffwechselung von Nährstoffen:
    • Schlechtere Resorption im Verdauungstrakt: Die Fähigkeit, Nährstoffe, insbesondere Mikronährstoffe, aus der Nahrung aufzunehmen, ist häufig beeinträchtigt, etwa durch altersbedingte Veränderungen im Verdauungssystem und verminderte Magensäureproduktion.
    • Medikamenteninteraktionen: Polypharmazie (die Einnahme mehrerer Medikamente) kann zu Nährstoffverlusten oder einer verringerten Aufnahme von Vitaminen und Mineralstoffen wie Vitamin D und Calcium führen.

Sekundäre pathophysiologische Veränderungen

  • Verlust an Muskelmasse und Kraft: Die reduzierte Proteinzufuhr und schlechtere Nährstoffverwertung fördern den Muskelabbau (Sarkopenie), was zu körperlicher Schwäche und einer erhöhten Sturzgefahr führt.
  • Immunschwäche: Ein Mangel an essenziellen Nährstoffen schwächt das Immunsystem und erhöht die Anfälligkeit für Infektionen.
  • Multimorbide Folgezustände: Chronische Krankheiten wie Osteoporose, kognitive Beeinträchtigungen und Herz-Kreislauf-Erkrankungen können durch die unzureichende Versorgung mit Mikronährstoffen verschärft werden.

Klinische Manifestation

  • Leitsymptome:
    • Ungewollter Gewichtsverlust und anhaltende Müdigkeit
    • Reduzierte Muskelkraft und erhöhte Sturzgefahr
    • Trockene Haut und Schleimhäute durch Flüssigkeits- und Nährstoffmangel
  • Fortgeschrittene Symptome:
    • Sarkopenie (Muskelabbau) und geringe körperliche Belastbarkeit
    • Infektanfälligkeit und schlechte Wundheilung
    • Psychische Symptome wie Konzentrationsprobleme und depressive Verstimmungen

Progression und Organbeteiligung

  • Herz-Kreislauf-System: Herzinsuffizienz (Herzschwäche) kann zunehmen, da wichtige Nährstoffe für die Herzmuskelgesundheit fehlen.
  • Gastrointestinaltrakt: Eine unzureichende Ernährung beeinträchtigt die Verdauungsfunktion und verschlechtert Resorptionsprozesse weiter.
  • Immunsystem: Chronische Nährstoffdefizite schwächen die Abwehrkräfte und erhöhen die Anfälligkeit für Krankheiten.

Funktionelle Auswirkungen und strukturelle Schäden

  • Bewegungseinschränkung und Sturzrisiko: Durch den Verlust an Muskelmasse und -kraft wird die Mobilität eingeschränkt und die Sturzgefahr erhöht.
  • Kognitive Einbußen: Ein Mangel an bestimmten Nährstoffen, wie B-Vitaminen, kann die Gehirnfunktion beeinträchtigen und kognitive Einschränkungen verstärken.

Regenerative und kompensatorische Prozesse

  • Erhöhte Proteinzufuhr und gezielte Mikronährstoffsupplementierung: Eine angepasste Ernährungsintervention mit ausreichendem Protein- und Mikronährstoffgehalt kann die körperliche Funktion und das Wohlbefinden verbessern.
  • Physische Rehabilitation: Durch gezielte physiotherapeutische Maßnahmen kann der Muskelaufbau unterstützt werden.

Zusammenfassung und klinische Relevanz

Mangelernährung im Alter ist eine komplexe Erkrankung, die durch eine unzureichende Nährstoffaufnahme und eine reduzierte Nährstoffverwertung verursacht wird. Sie führt zu Muskelabbau, Immunschwäche und erhöht das Risiko für Stürze und Multimorbidität. Die frühzeitige Erkennung und gezielte Ernährungsmaßnahmen sind essenziell, um die Lebensqualität und das allgemeine Wohlbefinden älterer Menschen zu verbessern und gesundheitliche Folgeschäden zu verhindern.

Ätiologie (Ursachen)

Biographische Ursachen

  • Genetische Belastung
    • Genetische Erkrankungen
      • Mukoviszidose (Zystische Fibrose, ZF) ‒ genetische Erkrankung mit autosomal-rezessivem Erbgang, die durch die Produktion von zu zähmen Sekret in verschiedenen Organen gekennzeichnet ist.
  • Lebensalter – zunehmendes Alter
  • Sozioökonomische Faktoren – Unverheiratete und getrennt oder geschieden Lebende [1]

Altersbedingte Ursachen

  • Ablehnung des Essens
  • Abnehmende Sinnesqualitäten wie Schmecken und Riechen
  • Appetitlosigkeit
  • Armut
  • Demenz
  • Depression
  • Dysphagie (Schluckstörung) durch verschiedene Erkrankungen wie beispielsweise Apoplex (Schlaganfall)
  • Eingeschränkte Mobilität
  • Eingeschränkter Visus – eingeschränkte Sehfähigkeit
  • Einsamkeit
  • Einseitige Lebensmittelwahl
  • Erhöhte Aktivität von Sättigungsfaktoren wie Cholecystokinin – Hormon des Magen-Darm-Traktes (auch "Gallenblasenbeweger" genannt)
  • Geringer Genuss beim Essen
  • Gestörte Membranfunktionen und Transportvorgänge
  • Kaustörungen durch eine schlecht sitzende Prothese oder Entzündungen im Mund- und Rachenraum
  • Mundtrockenheit
  • Resorptionsstörungen, v.a. krankheitsbedingt
  • Schlechte Mundhygiene
  • Schlechter Zahnstatus
  • Unausgewogene und unzureichende Nahrungsaufnahme
  • Ungewohnte Umgebung bei Umzug ins Altersheim
  • Unselbstständigkeit beim Einkaufen und/oder Kochen und Essen
  • Vergesslichkeit
  • Verminderte Enzymaktivität
  • Verminderte körperliche Aktivität und einen geringeren Energiebedarf
  • Verringerter Essantrieb durch Veränderungen im Hirnstoffwechsel

Verhaltensbedingte Ursachen

  • Ernährung
    • Energie- und proteinarme (eiweißarme) Ernährung
    • Proteinarme (eiweißarme) und mikronährstoffarme Ernährung bei normaler Kalorienzufuhr
    • Rohköstler 
    • Orthorexia nervosa – im Gegensatz zu den Essstörungen Anorexia nervosa und Bulimie steht bei Orthorektikern nicht die Quantität der Nahrungsmittel im Vordergrund, sondern die vermeintliche Qualität 
    • Mikronährstoffmangel (Vitalstoffe) – siehe Prävention mit Mikronährstoffen
    • Appetitlosigkeit
    • Nahrungsverweigerung 
  • Genussmittelkonsum
    • Alkohol (chronischer Konsum)
  • Körperliche Aktivität
    • Körperliche Inaktivität
  • Schlechte Mundhygiene
  • Schlechter Zahnstatus

Krankheitsbedingte Ursachen

  • AIDS
  • Abnehmende Sinnesqualitäten wie Schmecken und Riechen
  • Akutes Trauma – wie ein Unfall oder Verbrennungen
  • Anorexia nervosa (Magersucht)
  • Chronischer Alkoholismus
  • Chronische Hepatitis (Leberentzündung)
  • Chronische Infektionen jeder Art
  • Chronische Organinsuffizienz – Einschränkung in der Funktion wie beispielsweise Herzinsuffizienz (Herzschwäche); Niereninsuffizienz (Nierenversagen)
  • Chronisch obstruktive Lungenerkrankung (COPD)
  • Colitis ulcerosa – chronisch-entzündliche Darmerkrankung (CED)
  • Darmischämie – Minderdurchblutung des Darms
  • Diabetes mellitus
  • Diarrhoe (Durchfall)
  • Drogenabhängigkeit
  • Enteritis (Darmentzündung)
  • Finalstadium unheilbarer Erkrankungen wie einige Krebserkrankungen
  • Geringe Produktion des Wachstumshormons
  • Hyperthyreose (Schilddrüsenüberfunktion)
  • Karzinome (Krebserkrankungen)
  • Kollagenosen (Gruppe von Bindegewebserkrankungen, die durch Autoimmunprozesse bedingt sind) – systemischer Lupus erythematodes (SLE), Polymyositis (PM) bzw. Dermatomyositis (DM), Sjögren-Syndrom (Sj), Sklerodermie (SSc) und Sharp-Syndrom ("mixed connective tissue disease", MCTD)
  • Leberversagen
  • Malassimilation (Störung der Vorverdauung im Magen, der enzymatischen Aufspaltung der Nahrungsbestandteile (exokrine Pankreasinsuffizienz/Erkrankung der Bauchspeicheldrüse, die mit einer ungenügenden Produktion von Enzymen einhergeht), der Fettemulgierung (z. B.  Gallensäuremangel bei Cholestase/Gallenstau) und der Resorption bzw. des Abtransport der absorbierten Nahrung) – bei Magen-Darm-Erkrankungen
  • Morbus Crohn – chronisch-entzündliche Darmerkrankung (CED); sie verläuft meist in Schüben und kann den gesamten Verdauungstrakt befallen; charakterisierend ist der segmentale Befall der Darmmukosa (Darmschleimhaut), das heißt es können mehrere Darmabschnitte befallen sein, die durch gesunde Abschnitte voneinander getrennt sind
  • Morbus Parkinson
  • Ösophagusstenose – Verengung der Speiseröhre
  • Pankreasinsuffizienz – verminderte Fähigkeit der Bauchspeicheldrüse, Verdauungssäfte zu produzieren
  • Pankreatitis (Bauchspeicheldrüsenentzündung)
  • Paranoia – psychische Erkrankung
  • Schmerzen (insb. im Zusammenhang mit der Nahrungsaufnahme)
  • Sepsis (Blutvergiftung)
  • Tuberkulose – vor allem die Lunge betreffende Infektionserkrankung
  • Übelkeit/Erbrechen
  • Zöliakie (gluteninduzierte Enteropathie) – chronische Erkrankung der Dünndarmmukosa (Dünndarmschleimhaut), die auf einer Überempfindlichkeit 

Medikamente

  • Antibiotika 
  • Anticholinergika
  • Antidepressiva 
  • Antihistaminika
  • Antihypertensiva
  • Anti-Parkinson-Medikamente
  • Antipsychotika (Neuroleptika)
  • Appetitzügler
  • Benzodiazepine
  • Bisphosphate
  • Codein
  • Digitalis 
  • Diuretika (u. a. Schleifendiuretika)
  • Donezepil
  • Eisenpräparate, orale
  • Herzglykoside
  • Glucocorticoidtherapie
  • Memantine
  • Nicht-Steroidale-Antirheumatika (NSAR)
  • Opiate
  • Probenecid
  • Regelmäßige Einnahme mehrerer Medikamente gleichzeitig
  • Sedativa
  • Zytostatika

Multimedikation führt zu Nebenwirkungen wie Appetitlosigkeit, Mundtrockenheit, Übelkeit. Da Verdauungs- und Absorptionsvorgänge medikamentenbedingten verringert sein können, besteht die Gefahr eines Nährstoffdefizits.

Röntgenstrahlen

  • Als Nebenwirkung einer Radiatio (Strahlentherapie) bei Tumorerkrankungen

Operationen

  • Kurzdarmsyndrom nach Darmresektion – Entfernung eines Darmabschnittes
  • Nach größeren Operationen als Stressreaktion
  • Nach Magenresektion – Magenentfernung

Weitere Ursachen

  • Diagnostik und Therapie im Krankenhaus setzen oft eine Nüchternheit voraus
  • Im Krankenhaus durch das Krankenhausessen
  • Patienten auf der Intensivstation
  • Diätvorschriften

Literatur

  1. Streicher M et al.: Determinants of Incident Malnutrition in Community-Dwelling Older Adults: A MaNuEL Multicohort Meta-Analysis. J Am Geriatr Soc. 2018 Aug 23. doi: 10.1111/jgs.15553.