Gedeihstörung – Einleitung
Eine Gedeihstörung bezeichnet das Ausbleiben der erwarteten normalen physiologischen Entwicklung eines Kindes. Es handelt sich um einen deskriptiven Begriff und stellt keine eigenständige Diagnose dar.
Synonyme und ICD-10: Dystrophie; ICD-10-GM R62.8: Sonstiges Ausbleiben der erwarteten physiologischen Entwicklung; inkl. Infantilismus o.n.A., körperliches Zurückbleiben, mangelhaftes Wachstum, mangelnde Gewichtszunahme; exkl.: körperliche Retardation durch Mangelernährung)
Eine Gedeihstörung wird diagnostiziert, wenn ein Kind bestimmte Wachstumskriterien nicht erfüllt.
Diagnostische Kriterien
- Unterschreitung der 3er-Perzentile für Körpergewicht und/oder Körpergröße.
- Ein unzulässiges Verhältnis von Körpergröße zu Gewicht, mit einem verminderten Längensollgewicht < 70-79 % oder einem Body-Mass-Index (BMI) < 3. Perzentile.
- Gewichtsverlust oder fehlender Zuwachs gegenüber Voruntersuchungen (um > 2 Hauptperzentilen).
Beachte: Bei der Anwendung von Perzentilen sind populationsspezifische und zeitgemäße Daten zu verwenden. Migrationshintergründe und Ethnien (Volkszugehörigkeit) sind bei der Interpretation zu berücksichtigen.
Formen der Gedeihstörung
Gedeihstörungen können in zwei Hauptkategorien eingeteilt werden:
Primäre Gedeihstörung
- Genetische oder angeborene Ursachen.
- Frühkindliche Stoffwechselstörungen.
- Hormonelle Störungen wie Wachstums- oder Schilddrüsenhormonmangel.
Sekundäre Gedeihstörung
- Resultat aus organischen Erkrankungen (z. B. chronische Erkrankungen, gastrointestinale Störungen, Zöliakie).
- Psychosoziale Ursachen (z. B. Vernachlässigung, emotionaler Stress).
- Ernährungsbedingte Ursachen (z. B. Mangelernährung, inadäquate Nahrungszufuhr).
Ursachen und Differentialdiagnosen
Organische Ursachen
- Gastrointestinale Störungen: Zöliakie (Glutenunverträglichkeit), chronische Diarrhoe (Durchfall), gastroösophagealer Reflux (Sodbrennen).
- Endokrine Störungen: Hypothyreose (Schilddrüsenunterfunktion), Wachstumshormonmangel.
- Stoffwechselerkrankungen: Mukoviszidose (zystische Fibrose), Galaktosämie (Milchzuckerunverträglichkeit).
- Herzerkrankungen: Angeborene Herzfehler (Herzfehler bei Geburt), chronische Herzinsuffizienz (Herzschwäche).
- Infektionen: Wiederkehrende oder chronische Infektionen, Tuberkulose (Schwindsucht).
Psychosoziale Ursachen
- Vernachlässigung: Mangelnde Fürsorge, unzureichende Ernährung durch die Eltern.
- Emotionaler Stress: Trauma, familiäre Instabilität.
Ernährungsbedingte Ursachen
- Mangelernährung: Unzureichende Nährstoffzufuhr, inadäquate Diät.
- Fütterprobleme: Schwierigkeiten beim Stillen, Essverweigerung.
Epidemiologie
Prävalenz (Krankheitshäufigkeit) liegt bei 3-4 % (in Deutschland).
Verlauf und Prognose
Verlauf
- Gedeihstörungen beeinträchtigen langfristig die somatische (körperliche), kognitive und sozial-emotionale Entwicklung des Kindes.
- Besonders das erste Lebensjahr ist für die Entwicklung des kindlichen Gehirns wichtig. Wenn die Gedeihstörung in diesen Zeitraum fällt, kann das Kind den Entwicklungsrückstand möglicherweise nicht wieder aufholen.
- Ein früher Beginn der Intervention und Behandlung ist entscheidend für die Prognose.
Prognose
- Die Prognose einer Gedeihstörung hängt stark von der zugrunde liegenden Ursache ab. Bei frühzeitiger Diagnose und Behandlung können viele Kinder eine normale Entwicklung erreichen.
- Neben der Behandlung der Grunderkrankung steht die Ernährungstherapie im Vordergrund. Eine adäquate Nährstoffzufuhr ist essentiell für das Wachstum und die Entwicklung des Kindes.
- Kinder mit schweren Gedeihstörungen müssen häufig stationär behandelt werden, um eine intensive medizinische und ernährungstherapeutische Betreuung sicherzustellen.