Sick Building-Syndrom (SBS) – Ursachen

Pathogenese (Krankheitsentstehung)

Das Sick-Building-Syndrom (SBS) wird häufig in neu bezogenen oder renovierten Gebäuden beobachtet, in denen Emissionen aus Baumaterialien, Einrichtungsgegenständen und technischen Geräten auftreten. Diese Emissionen setzen chemische und biologische Stoffe frei, die bei den betroffenen Personen verschiedene Beschwerden hervorrufen können, insbesondere Schleimhautreizungen.

Primäre pathophysiologische Mechanismen

1. Chemische Faktoren

  • Flüchtige organische Stoffe (VOC): Diese werden aus Farben, Lacken, Reinigungsmitteln und Kunststoffen freigesetzt. VOCs umfassen Substanzen wie Benzol, Toluol und Xylol, die bereits in niedrigen Konzentrationen Augen- und Atemwegsreizungen sowie Kopfschmerzen auslösen können.
  • Formaldehyd: Wird aus Spanplatten, Textilien und Teppichen freigesetzt und ist in höheren Konzentrationen reizend für Augen, Haut und Atemwege. Formaldehyd gilt als karzinogen (krebserregend) und verstärkt die Belastung durch eine toxische Wirkung.
  • Andere chemische Verbindungen: Emissionen aus Klebstoffen, Teppichböden und Möbeln enthalten häufig Stoffe wie Phthalate (Weichmacher) und Bromide (Flammschutzmittel), die zusätzlich zu einer erhöhten Gesamtbelastung des Raumklimas beitragen können.

2. Biologische Faktoren

  • Schimmelpilze und Bakterien: Feuchte Umgebungen und schlechte Lüftung fördern das Wachstum von Mikroorganismen. Diese können Sporen und Endotoxine freisetzen, die allergische und entzündliche Reaktionen der Atemwege verursachen.
  • Hausstaubmilben und Allergene: Besonders in Teppichen und Polstermöbeln finden sich Hausstaubmilben, deren Kot allergische Symptome hervorrufen kann. Auch Pollen und Tierallergene tragen zu einer höheren Reizbelastung bei.

3. Physikalische Faktoren

  • Luftfeuchtigkeit und Raumtemperatur: Hohe Temperaturen und Luftfeuchtigkeit fördern das Wachstum von Mikroorganismen und die Freisetzung von chemischen Stoffen. Trockene Luft kann die Schleimhäute austrocknen und das Risiko für Reizungen erhöhen.
  • Lichtverhältnisse und Lüftung: Schlechte Beleuchtung und unzureichende Belüftung verschärfen die Symptome, da sie die Wahrnehmung und die psychische Belastung verstärken.

Sekundäre pathophysiologische Mechanismen

Reizsummentheorie (Reizstörungstheorie)

  • Laut der Reizsummentheorie reagieren betroffene Personen auf sehr niedrige Konzentrationen der genannten Schadstoffe. Dies kann durch eine erhöhte Sensibilität oder Vorschädigung der Atemwege und Schleimhäute bedingt sein, die zu einer verstärkten Reaktion auf geringfügige Reize führt. Hierbei spielt die Gesamtsumme der Reizstoffe eine entscheidende Rolle, auch wenn die einzelnen Belastungen niedrig sind.

Psychische Faktoren

  • Neben den physikalischen und chemischen Einflüssen sind auch psychische Komponenten relevant. Eine negative Erwartungshaltung und Stress in Bezug auf die Arbeitssituation oder die räumliche Umgebung können die Symptome verstärken und tragen zur Entwicklung des SBS bei. Studien zeigen, dass Personen, die sich in ihren Gebäuden unwohl oder beengt fühlen, häufiger an SBS leiden.

Klinische Manifestation

Leitsymptome

  • Schleimhautreizungen: Trockene oder juckende Augen, gereizte Nasenschleimhäute und Kratzen im Hals sind typische Symptome.
  • Kopfschmerzen und Müdigkeit: Treten vor allem bei längerer Exposition in den betroffenen Gebäuden auf.
  • Atembeschwerden: Husten, Engegefühl in der Brust und Atemnot, oft verstärkt bei allergisch-sensibilisierten Personen.

Fortgeschrittene Symptome

  • Allergische Reaktionen: In schweren Fällen treten allergische Reaktionen wie Hautausschläge, Ekzeme und Asthmaanfälle auf.
  • Kognitive Beeinträchtigungen: Konzentrationsstörungen und Gedächtnisprobleme sind bei fortschreitender Exposition beschrieben und führen zu einer eingeschränkten Arbeitsleistung.

Risikofaktoren

  • Mangelnde Belüftung und hohe Raumfeuchtigkeit: Begünstigen die Ansammlung von Schadstoffen und fördern das Wachstum von Schimmelpilzen und Bakterien.
  • Baustoffe und Einrichtungsmaterialien: Materialien, die VOCs und andere Schadstoffe freisetzen, erhöhen die Belastung im Raum.
  • Psychosoziale Belastungen: Stress am Arbeitsplatz und ein negatives Verhältnis zur Arbeitsumgebung erhöhen das Risiko für SBS.

Zusammenfassung und klinische Relevanz

Das Sick-Building-Syndrom ist eine multifaktorielle Erkrankung, bei der chemische, biologische, physikalische und psychische Faktoren zusammenwirken und eine Vielzahl von Beschwerden verursachen. Die typischen Symptome betreffen vor allem die Schleimhäute, das Atmungssystem und das zentrale Nervensystem und verschlechtern sich in betroffenen Gebäuden. Eine adäquate Lüftung, der Einsatz schadstoffarmer Materialien und die Berücksichtigung psychosozialer Faktoren sind wichtige Maßnahmen, um das Auftreten von SBS zu reduzieren und die Lebensqualität der betroffenen Personen zu verbessern.

Ätiologie (Ursachen)

Verhaltensbedingte Risikofaktoren

  • Psycho-soziale Situation
    • Stress – psychischer und sozialer Stress am Arbeitsplatz

Innenraumklima

  • Beleuchtung: Unzureichende oder grelle Beleuchtung kann die Symptome verschärfen.
  • Geruchsbelastungen: Belastung durch unangenehme oder starke Gerüche, z. B. durch Reinigungsmittel oder Schadstoffe.
  • Lärm: Erhöhte Lärmbelastung am Arbeitsplatz wirkt stressverstärkend.
  • Luftfeuchtigkeit: Überheizte Räume und unzureichende Luftfeuchtigkeit fördern die Symptome.
  • Ungenügendes Lüften: Fehlende Frischluftzufuhr verstärkt Schadstoffbelastungen in Innenräumen.

Umweltbelastung 

Schadstoffe in Innenräumen können durch folgende Quellen freigesetzt werden:

  • Baumaterialien und Einrichtungsgegenstände

    • Bodenbeläge.
    • Dämmmaterialien.
    • Spachtelmassen und Dichtungsmassen.
    • Möbel, Teppichböden und Teppichkleber.
    • Farben, Lacke und Holzschutzanstriche.
    • Hydrophobierungsmaßnahmen (Feuchteschutz).
  • Elektronische Geräte

    • Drucker und Elektrogeräte.
    • Klimaanlagen (insbesondere bei mangelhafter Wartung).
  • Schädlingsbekämpfungsmittel:

    • Insektizide (gegen Insekten).
    • Akarizide (gegen Milben und andere Spinnentiere).
    • Rodentizide (gegen Nagetiere).
    • Larvizide (gegen Insektenlarven und Milben).
  • Schimmelpilze und Mykotoxine
    • Mykotoxine (z. B. Mycophenolsäure, Sterigmatocystin, Trichothecene), freigesetzt durch folgende Schimmelpilze [1]:
      • Aspergillus versicolor (häufigster Indoor-Schimmelpilz).
      • Penicillium brevicompactum.
      • Stachybotrys chartarum.
    • Schimmelpilze verbreiten sich in feuchten Gebäuden, insbesondere auf Tapeten, und sind in der Atemluft nachweisbar.

Literatur

  1. Aleksic B et al.: Aerosolization of mycotoxins after growth of toxinogenic fungi on wallpaper. Applied and Environmental Microbiology 23 June 2017, doi: 10.1128/AEM.01001-17