Unterzuckerung (Hypoglykämie) – Prävention

Zur Prävention der Hypoglykämie muss auf eine Reduktion individueller Risikofaktoren geachtet werden.

Verhaltensbedingte Risikofaktoren

  • Ernährung
    • Malnutrition (Fehlernährung) – Führt zu einem verminderten Angebot an Glucose (Kohlenhydrat: Monosaccharid; Einfachzucker) [1, 2].
    • Unregelmäßige Mahlzeiten – Längere Nahrungskarenz (Verzicht auf Nahrungsaufnahme) erhöht das Risiko einer Unterzuckerung, insbesondere bei Patienten mit Diabetes mellitus.
  • Genussmittelkonsum
    • Alkohol – Die durch Alkohol ausgelöste Hypoglykämie bei Nahrungskarenz ist auf eine Entleerung der Glykogenspeicher (Kohlenhydratspeicher) und eine Hemmung der Gluconeogenese (Zuckerneubildung aus Nicht-Kohlenhydrat-Vorstufen, z. B. Aminosäuren) zurückzuführen [1, 2].
      • Besonderheit bei Lebererkrankungen – Bei Gesunden kann Alkohol nach Fasten eine Hypoglykämie auslösen, bei Leberkranken schon nach kürzerer Zeit [2].
    • Alkohol bei Diabetes mellitus – Erhöht das Risiko einer Hypoglykämie, insbesondere in Kombination mit insulinotropen Medikamenten.
  • Körperliche Aktivität
    • Erhöhte Muskelarbeit – Führt zu einem erhöhten Verbrauch an Glucose [2].
    • Ungewohnte körperliche Belastung – Kann den Glucosebedarf des Körpers übersteigen, wenn keine adäquate Kohlenhydratzufuhr erfolgt.

Medikamente

  • Analgetika (Schmerzmittel)
    • Opioide: Propoxyphen (bei Niereninsuffizienz), Tramadol [3]
  • Antiarrhythmika
    • Chinidin
    • Disopyramid 
  • Antibiotika
    • Ciprofloxacin, Clarithromycin, Levofloxacin, Trimethoprim/Sulfamethazol (in Kombination mit Sulfonylharnstoffen) [4]
    • Trimethoprim/Sulfamethazol bei Niereninsuffizienz
  • Antidiabetika
    • Glinide (Nateglinid, Repaglinid)
    • Überdosierung von Insulin (insb. höhere Hypoglykämieneigung bei Frauen) [5]
    • Überdosierung von Sulfonylharnstoffen (SH) – Glibenclamid, Gliclazid, Glimepirid, Glipizid, Gliquidon, Tolbutamid
    • SH (Glipizid bzw. Glimepirid) in Kombination mit einem Vitamin-K-Antagonisten (AVK; hier Warfarin) [7]:
      • 22 % erhöhtes Hypoglykämie-Risiko (Odds Ratio [OR] 1,22); im Alter von 65-74 Jahren (OR 1,54) und in Quartalen mit erstmaliger Warfarineinnahme (OR 2,47).
      • 47 % erhöhtes Risiko für sturzbedingte Frakturen (Knochenbrüche), die die Patienten in die Notaufnahme brachten bzw. zur stationären Behandlung führten (OR 1,47)
      • 22 % erhöhtes Risiko für kognitive Störungen (Minderungen der geistigen Leistungsfähigkeit) (OR 1,22)
  • Chinin (eine natürlich in der Chinarinde vorkommende chemische Verbindung aus der Gruppe der Alkaloide)
  • Haloperidol (Neuroleptikum aus der Gruppe der Butyrophenone)
  • Kombination von mehreren Antidiabetika
  • Pentamidin (Wirkstoff aus der Gruppe der Antiparasitika)
  • Salicylate

Umweltbelastungen – Intoxikationen (Vergiftungen)

  • Alkoholexzess – Besonders gefährlich bei schwerer Begleiterkrankung.
  • Pilztoxine – Manche Pilzgifte, wie z. B. Amanitin, können eine Hypoglykämie auslösen.
  • Ackee-Frucht – Der Verzehr unreifer Ackee-Früchte kann aufgrund von Hypoglycin eine Hypoglykämie verursachen.

Präventionsfaktoren (Schutzfaktoren)

  • Ernährung
    • Regelmäßige Mahlzeiten – Eine gleichmäßige Verteilung der Kohlenhydratzufuhr über den Tag minimiert das Risiko einer Unterzuckerung.
    • Angemessene Kohlenhydrataufnahme – Vermeidung von Fasten und Berücksichtigung des Glucosebedarfs bei körperlicher Aktivität.
    • Alkoholverzicht – Einschränkung oder Verzicht auf Alkohol, insbesondere bei vorliegender Lebererkrankung oder Diabetes mellitus.
  • Körperliche Aktivität
    • Planung von Sporteinheiten – Anpassung der Insulin- oder Medikamentendosierung und Kohlenhydratzufuhr bei geplanten Aktivitäten.
    • Kohlenhydratzufuhr vor Muskelarbeit – Glucosehaltige Getränke oder Snacks vor und während des Trainings können einer Unterzuckerung vorbeugen.
  • Medikamentenmanagement
    • Regelmäßige Kontrolle der Dosierung – Überwachung und Anpassung der Insulintherapie oder anderer antidiabetischer Medikamente in Absprache mit dem Arzt.

Sekundärprävention

Die Sekundärprävention zielt darauf ab, frühzeitig Anzeichen einer Hypoglykämie zu erkennen und gegenzusteuern.

  • Früherkennung und Diagnostik
    • Regelmäßige Blutzuckermessungen, insbesondere bei Patienten mit Diabetes mellitus oder Lebererkrankungen.
    • Überwachung von Symptomen wie Zittern, Schwitzen, Herzrasen und Konzentrationsstörungen.
  • Akutmaßnahmen
    • Glucoseaufnahme bei ersten Anzeichen einer Hypoglykämie, beispielsweise durch Traubenzucker oder zuckerhaltige Getränke.
    • Schulung von Angehörigen zur Notfallversorgung bei schwerer Hypoglykämie.
  • Ernährungsintervention
    • Anpassung der Kohlenhydrataufnahme und Planung kleinerer, häufiger Mahlzeiten.

Tertiärprävention

Die Tertiärprävention fokussiert sich auf die Vermeidung von Komplikationen und die Verbesserung der Lebensqualität bei Patienten mit wiederkehrenden Hypoglykämien.

  • Langzeittherapie
    • Optimierung der antidiabetischen Therapie, z. B. durch Umstellung auf weniger insulinotrope Medikamente.
    • Langzeitüberwachung der Blutzuckerwerte, insbesondere bei Patienten mit schweren Hypoglykämien in der Anamnese.
  • Rehabilitation
    • Schulung zu Ernährung, Medikamentenmanagement und Vermeidung von Risikosituationen.
    • Aufbau eines individuellen Trainingsplans zur sicheren körperlichen Aktivität.
  • Psychosoziale Unterstützung
    • Beratung und Betreuung bei Ängsten vor erneuten Hypoglykämien.
    • Unterstützung in Selbsthilfegruppen für Menschen mit Diabetes oder anderen Stoffwechselerkrankungen.

Literatur

  1. Brabant G, Schöfl C, Mühlen A von zur: Hypoglykämien beim Erwachsenen: Nicht Diabetes-assoziierte Formen. Dtsch Arztebl 1998; 95(17): A-1022 / B-870 / C-818
  2. Baenkler HW: Innere Medizin. Stuttgart : Thieme, 2001
  3. Fournier JP et al.: Tramadol Use and the Risk of Hospitalization for Hypoglycemia in Patients With Noncancer Pain. JAMA Intern Med. Published online December 08, 2014. doi:10.1001/jamainternmed.2014.6512
  4. Parekh TM et al.: Hypoglycemia After Antimicrobial Drug Prescription for Older Patients Using Sulfonylureas. JAMA Intern Med. 2014;174(10):1605-1612. doi:10.1001/jamainternmed.2014.3293.
  5. Kautzky-Willer A et al.: Gender-based differences in glycaemic control and hypoglycaemia prevalence in patients with type 2 diabetes: results from patient-level pooled data of six randomized controlled trials. Diabetes, Obesity and Metabolism, online 20. März 2015; doi:10.1111/dom.12449
  6. McKinlay JD et al.: Neonatal Glycemia and Neurodevelopmental Outcomes at 2 Years. N Engl J Med 2015; 373:1507-1518October 15, 2015. DOI: 10.1056/NEJMoa1504909
  7. Romley JA et al.: Association between use of warfarin with common sulfonylureas and serious hypoglycemic events: retrospective cohort analysis. BMJ 2015;351:h6223