Übergewicht (Adipositas) – Prävention
Zur Prävention von Adipositas (Übergewicht) muss auf eine Reduktion individueller Risikofaktoren geachtet werden.
Verhaltensbedingte Risikofaktoren
- Ernährung
- Chronische Überernährung
- hohe Kalorienzufuhr ↑↑
- Fettreiche Ernährung (1 g Fett liefert 9,3 kcal); dadurch erfolgt eine Stimulation der Leptin- und Insulinsekretion. Diese hat zur Folge, dass die Beta-Rezeptoren anfangs zwar stimuliert werden, aber es dann zu einer Down-Regulation kommt, sodass die kompensatorische Aktivierung des Sympathikus – ein Energieverbrauch erhöhender Mechanismus – ausbleibt
- hoher Anteil gesättigter Fettsäuren (↑)
- hoher Anteil einfach ungesättigter Fettsäuren (↑)
- hoher Anteil mehrfach ungesättigter Fettsäuren ?
- hoher Zuckerkonsum, insb. Mono- und Disaccharide (Einfach- und Mehrfachzucker), durch übermäßigen Konsum von Süßigkeiten und Süßgetränken; bei übermäßiger Zufuhr von Kohlenhydraten und Aminosäuren findet in der Leber eine Umwandlung in Fettsäuren statt. Die mit fettreicher Kost angebotenen Fettsäuren sowie die erhöhte Eigenproduktion von Fetten führen zu einer Ablagerung von Triglyceriden in den Leberzellen, die zu einer Steatosis hepatis (Fettleber) führen kann.
- Hoher Kochsalzkonsum ?
- Hohe Alkoholaufnahme (↑)
- Zu geringer Anteil komplexer Kohlenhydrate
- Ballaststoffarme Ernährung
- Ständige Verfügbarkeit von Nahrung
- Essverhalten (zu schnell essen; essen bis zum Völlegefühl)
- Künstliche Süßstoffe wie Sucralose → kein Anstieg von GLP-1 (Glucagon-like Peptid 1; fördert die Abgabe von Insulin) und Hungergefühl dauert an: Appetithormon Ghrelin wurde weniger stark gehemmt als nach der Aufnahme von „echtem“ Zucker [11].
- Mikronährstoffmangel (Vitalstoffe) – siehe Prävention mit Mikronährstoffen
- Chronische Überernährung
- Genussmittelkonsum
- Alkohol – Übermäßiger Alkoholkonsum (Gewichtszunahme durch Alkoholaddition; 1 g Alkohol liefert 7,1 kcal)
- Tabak (Rauchen) – Raucher mit mehr als 20 Zigaretten täglich (starke Raucher) weisen sowohl ein höheres Körpergewicht als auch einen BMI signifikant über den Durchschnittswerten der Nichtraucher auf [3]
- Körperliche Aktivität
- Bewegungsmangel (vermehrt sitzende Tätigkeit) – es resultiert ein reduzierter Grundumsatz
Bei gleichem Essverhalten entsteht eine positive Energiebilanz (= Gewichtszunahme), beispielsweise Immobilisation nach Operationen etc.
- Bewegungsmangel (vermehrt sitzende Tätigkeit) – es resultiert ein reduzierter Grundumsatz
- Psycho-soziale Situation
- Seelische Gründe wie Frustration und Langeweile
- Stress – die Großhirnrinde sendet unter Stress verstärkt Signale an die Amygdala und den Hippocampus. Beide Areale aktivieren den Hypothalamus, der die vermehrte Ausschüttung von Stresshormonen wie beispielsweise Cortisol anregt. Diese lenken Glucose zum Gehirn und die Glucoseaufnahme im Körper wird gehemmt. Bei gestörter Informationsverarbeitung fordert das Gehirn so permanent Energie, mit der Folge eines Ungleichgewichts zwischen Energieaufnahme und Energieverbrauch. Das Ergebnis ist eine positive Energiebilanz und bedeutet Gewichtszunahme.
Achtung! Die vermehrte Glucocorticoidausschüttung führt vorrangig zur Bildung des viszeralen Fettes (Bauchfett). - Bei Kindern zeigten sich weiterhin übermäßiges Fernsehen und Videospielen sowie Schlafmangel als weitere Risikofaktoren [1]
- Schlafqualität
- Schlafdauer < 5 Stunden [2]
- Schlafmangel bei Frauen [2]: Frauen mit fünf Stunden Schlaf 1,1 kg und die mit sechs Stunden 0,7 kg mehr als die Vergleichsgruppe mit sieben Stunden. Insofern vermuten die Autoren, dass Schlafmangel den Grundumsatz senkt, indem er den Tag-Nacht-Rhythmus stört und damit auch den Glucose- und Hormonstoffwechsel.
- Zu wenig Schlaf (< 6 Stunden) beeinträchtigt nicht nur den Stoffwechsel des Insulins, sondern auch den des Leptins – ein Sättigungshormon –, wodurch sich ebenfalls das Risiko für Übergewicht bzw. Adipositas erhöht [7].
- Schwangerschaft
Umweltbelastung – Intoxikationen (Vergiftungen)
- Bisphenol A (BPA) sowie Bisphenol S (BPS) und Bisphenol F (BPF) sind bei Kindern mit Adipositas assoziiert
- Nachweis von BPF (versus keinen Nachweis) zeigte eine Assoziation mit abdomineller Adipositas (OR 1,29) und dem BMI (BPA gilt als endokriner Disruptor und Obesogen) [9].
- Bisphenol A: Sterberisiko war im Drittel mit den höchsten BPA-Konzentrationen im Urin um etwa 50 % höher war als im Drittel mit der niedrigsten Exposition [10].
- Phthalate (Weichmacher, die in der Kunststoffindustrie eingesetzt werden), diese treten insbesondere in fetthaltige Produkte (Käse, Wurst etc.) über [5].
Hinweis: Phthalate gehören zu den endokrinen Disruptoren (Synonym: Xenohormone), die bereits in geringsten Mengen durch Veränderung des Hormonsystems die Gesundheit schädigen können.
Weitere Risikofaktoren
- Neurotizismus und Impulsivität – d. h. übergewichtige Menschen können ihr Handeln schlechter an langfristigen Konsequenzen ausrichten. Übergewichtige sind auch extrovertierter und empfänglicher für Belohnungen als Normalgewichtige [4].
- Sectio caesarea (Kaiserschnitt) [6]; Hinweis: Der Darm enthält weniger Bifidobakterien und mehr Staphylokokken.
Präventionsfaktoren (Schutzfaktoren)
- Genetische Faktoren:
- Genetische Risikoreduktion abhängig von Genpolymorphismen:
- Gene/SNPs (Einzelnukleotid-Polymorphismus; engl.: single nucleotide polymorphism):
- Gen: MC4R
- SNP: rs2229616 im Gen MC4R
- Allel-Konstellation: AG (0.79 erniedrigtes Risiko; verringerter Taillenumfang (-1.46 cm); niedrigerer BMI)
- Allel-Konstellation: AA (0.79 erniedrigtes Risiko; verringerter Taillenumfang (-1.46 cm); niedrigerer BMI)
- SNP: rs52820871 im Gen MC4R
- Allel-Konstellation: GT (0.5 erniedrigtes Risiko; niedrigerer BMI)
- Allel-Konstellation: GG (0.5 erniedrigtes Risiko; niedrigerer BMI)
- Gene/SNPs (Einzelnukleotid-Polymorphismus; engl.: single nucleotide polymorphism):
- Genetische Risikoreduktion abhängig von Genpolymorphismen:
- Längeres Stillen
- Stillzeit > 6 Monate:
- Frauen, die länger als sechs Monate stillten, weisen signifikant niedrigere Taillenumfänge auf.
- Im Rahmen der POUCH-Studie (Pregnancy Outcomes and Community Health Study) wurde festgestellt, dass Frauen mit einer durchschnittlichen Stillzeit von 3,9 Monaten einen Taillenumfang von ≥ 88 cm aufwiesen, während dieser bei längerer Stilldauer (≥ 6,4 Monate) geringer war.
- Langfristig wirkt sich längeres Stillen positiv auf die Gewichtsregulation von Müttern aus [8].
- Stillzeit > 6 Monate:
- Ernährung und Mikronährstoffe
- Mediterrane Ernährung:
- Regelmäßige Aufnahme von Obst, Gemüse, Nüssen, Vollkornprodukten und gesunden Fetten (z. B. Olivenöl) ist mit einem verringerten Risiko für Adipositas und einer verbesserten Gewichtsregulation assoziiert.
- Mikronährstoffe:
- Zufuhr von Vitamin D, Zink, Magnesium und antioxidativen Substanzen unterstützt die Regulation des Energiestoffwechsels und verbessert die Insulinsensitivität.
- Mediterrane Ernährung:
- Bewegung
- Regelmäßige körperliche Aktivität:
- Moderate bis intensive Bewegung (150 Minuten/Woche) reduziert das Risiko für Gewichtszunahme und metabolische Erkrankungen signifikant.
- Besonders effektiv sind alltagsnahe Aktivitäten wie Gehen, Radfahren und Treppensteigen.
- Regelmäßige körperliche Aktivität:
- Schlafhygiene
- Ausreichende Schlafdauer:
- Schlaf von 7-8 Stunden pro Nacht ist mit einer besseren Gewichtsregulation und einer geringeren Wahrscheinlichkeit von Gewichtszunahme assoziiert.
- Schlafmangel (< 6 Stunden) erhöht die Insulinresistenz und fördert viszerale Fettablagerungen.
- Ausreichende Schlafdauer:
Sekundärprävention von Adipositas
Die Sekundärprävention zielt darauf ab, Personen mit Übergewicht oder frühen Stadien der Adipositas zu identifizieren und gezielte Maßnahmen zu implementieren, um das Fortschreiten zu vermeiden und Komplikationen zu verhindern.
Früherkennung und Diagnostik
- Regelmäßige anthropometrische Messungen:
- Body-Mass-Index (BMI): Einstufung in Normalgewicht, Übergewicht oder Adipositas.
- Taillenumfang: Erkennung der androiden Fettverteilung (Bauchfett).
- Screening auf metabolische Risiken:
- Blutzuckerspiegel: Nüchternblutzucker und HbA1c.
- Lipidprofil: HDL-, LDL-Cholesterin und Triglyceride.
- Blutdruckmessung: Erkennung von Hypertonie (Bluthochdruck).
- Einschätzung des Ernährungs- und Bewegungsverhaltens:
- Ernährungstagebuch zur Analyse der Kalorien- und Nährstoffzufuhr.
- Aktivitätsprotokolle zur Bewertung der körperlichen Bewegung.
Therapeutische Maßnahmen
- Ernährungsberatung:
- Umstellung auf eine kalorienreduzierte, nährstoffreiche Ernährung (z. B. mediterrane Kost).
- Förderung des Verzehrs von Ballaststoffen, komplexen Kohlenhydraten und gesunden Fetten.
- Steigerung der körperlichen Aktivität:
- Regelmäßige moderate bis intensive Bewegung (150 Minuten pro Woche).
- Empfehlung alltagsnaher Aktivitäten wie Gehen, Radfahren oder Treppensteigen.
- Stressmanagement:
- Kognitive Verhaltenstherapie (CBT) zur Unterstützung eines gesunden Essverhaltens.
- Einführung von Entspannungstechniken wie Yoga oder Achtsamkeitstraining.
- Medikamentöse Interventionen:
- Einsatz von Orlistat (Lipasehemmer) zur Unterstützung der Gewichtsabnahme bei Personen mit BMI > 30 kg/m² oder BMI > 27 kg/m² mit Begleiterkrankungen.
- Erwägung von GLP-1-Agonisten (z. B. Semaglutid) bei bestehender Adipositas und Begleiterkrankungen.
Tertiärprävention von Adipositas
Die Tertiärprävention fokussiert sich auf die Vermeidung von Komplikationen und die Verbesserung der Lebensqualität bei Patienten mit manifester Adipositas und ihren Folgeerkrankungen.
Langzeittherapie
- Regelmäßige Nachsorge:
- Überwachung des Gewichtsverlaufs und metabolischer Parameter (Blutzucker, Lipide, Blutdruck).
- Kontrolle der Leberfunktion (z. B. bei Verdacht auf Fettleber).
- Ernährungsmedizinische Begleitung:
- Fortlaufende Anpassung der Ernährung an die Bedürfnisse und Lebensumstände des Patienten.
- Beratung über intermittierendes Fasten oder kalorienreduzierte Diäten.
- Individuelle Bewegungsprogramme:
- Physiotherapeutisch unterstützte Bewegungstherapie zur Förderung der Mobilität und Ausdauer.
- Wasserbasierte Aktivitäten (z. B. Schwimmen) zur Gelenkentlastung bei stark übergewichtigen Patienten.
- Bariatrische Chirurgie:
- Erwägung chirurgischer Eingriffe (z. B. Magenbypass, Schlauchmagen) bei schwerer Adipositas (BMI > 40 kg/m² oder > 35 kg/m² mit Begleiterkrankungen).
- Nachsorge und psychologische Unterstützung nach operativen Eingriffen.
Komplikationsmanagement
- Behandlung von Begleiterkrankungen:
- Diabetes mellitus Typ 2, Hypertonie (Bluthochdruck) und Dyslipoproteinämie (Fettstoffwechselstörung) durch spezifische medikamentöse Therapie.
- Therapie von orthopädischen Beschwerden durch Physiotherapie oder chirurgische Eingriffe.
- Prävention kardiovaskulärer Komplikationen:
- Einstellung von Lipiden, Blutdruck und Blutzucker.
- Gabe von Acetylsalicylsäure bei hohem kardiovaskulärem Risiko.
Psychosoziale Unterstützung
- Selbsthilfegruppen:
- Förderung des Austauschs mit anderen Betroffenen, um die Therapietreue zu steigern.
- Psychologische Begleitung:
- Unterstützung bei der Bewältigung psychischer Belastungen und Essstörungen.
- Aufbau von Motivation zur Lebensstiländerung und Einhaltung langfristiger Ziele.
Literatur
- Chaput JP, Brunet M, Tremblay A: Relationship between short sleeping hours and childhood overweight/obesity: results from the 'Quebec en Forme' Project. Int J Obes (Lond). 2006 Mar 14
- Patel SR, Malhotra A, White DP, Gottlieb DJ, Hu FB: Association between reduced sleep and weight gain in women. Am J Epidemiol. 2006 Nov 15;164(10):947-54
- De Oliveira Fontes Gasperin L et al.: Cross-sectional association between cigarette smoking and abdominal obesity among Austrian bank employees. BMJ Open 2014; 4: e004899
- Gerlach G, Herpertz S, Loeber S: Personality traits and obesity: A systematic review. Obes Rev. 2015 Jan;16(1):32-63. doi: 10.1111/obr.12235
- Klöting N et al.: Di-(2-Ethylhexyl)-Phthalate (DEHP) Causes Impaired Adipocyte Function and Alters Serum Metabolites. PLOS ONE (December 2, 2015). http://dx.doi.org/10.1371/journal.pone.0143190
- Yuan C et al.: Association Between Cesarean Birth and Risk of Obesity in Offspring in Childhood, Adolescence, and Early Adulthood. JAMA Pediatr. Published online September 06, 2016. doi:10.1001/jamapediatrics.2016.23
- Wang C, Bangdiwala SI, Rangarajan S, Lear SA, AlHabib KF, Mohan V, Teo K, Poirier P, Tse LA, Liu Z, Rosengren A, Kumar R, Lopez-Jaramillo P, Yusoff K, Monsef N, Krishnapillai V, Ismail N, Seron P, Dans AL, Kruger L, Yeates K, Leach L, Yusuf R, Orlandini A, Wolyniec M, Bahonar A, Mohan I, Khatib R, Temizhan A, Li W, Yusuf S: Association of estimated sleep duration and naps with mortality and cardiovascular events: a study of 116 632 people from 21 countries. Eur Heart J. 2018 Dec 5. doi: 10.1093/eurheartj/ehy695
- Snyder GG, Holzman C, Sun T, Bullen B, Bertolet M, Catov JM: Breastfeeding Greater Than 6 Months Is Associated with Smaller Maternal Waist Circumference Up To One Decade After Delivery. J Womens Health (Larchmt). 2018 Nov 27. doi: 10.1089/jwh.2018.7393
- Jacobsen MH et al.: Urinary bisphenols and obesity prevalence among US children and adolescents Journal of the Endocrine Society, js.2019-00201, https://doi.org/10.1210/js.2019-00201
- Bao W et al.: Association Between Bisphenol A Exposure and Risk of All-Cause and Cause-Specific Mortality in US Adults. JAMA Netw Open. 2020;3(8):e2011620. doi:10.1001/jamanetworkopen.2020.11620
- Yunker AG et al.: Obesity and Sex-Related Associations With Differential Effects of Sucralose vs Sucrose on Appetite and Reward Processing A Randomized Crossover Trial JAMA Netw Open. 2021;4(9):e2126313. doi:10.1001/jamanetworkopen.2021.26313
Leitlinien
- S3-Leitlinie: Prävention und Therapie der Adipositas. (AWMF-Registernummer: 050-001), April 2014 Langfassung