Übergewicht (Adipositas) – Fettgewebe als endokrines Organ
Das Fettgewebe ist ein Bindegewebe, dass aus Adipozyten (Fettzellen) aufgebaut ist.
Es werden zwei Formen − das weiße und das braune Fettgewebe − mit unterschiedlichen Funktionen unterschieden.
Das weiße Fettgewebe hat folgende Funktionen:
- Speicher- oder Depotfett – Lipidspeicher (Triglyceriden); Reserven, um bis zu 40 Tage ohne Nahrungszufuhr auszukommen
- Baufett – wird im Falle des Nahrungsmangels als letzte Reserve mobilisiert
- Isolierfett – In der Unterhaut liegt etwa 65 % des Gesamtfettes vor, der Rest liegt im Bauchraum
- Stoffwechselorgan: metabolisch aktives, endokrines Organ, das mehr als 600 bioaktive Moleküle sezerniert.
Zum Thema Fettgewebe und Aromatase s. u. "Sexualhormone der Frau".
Das braune Fettgewebe (plurivakuoläre Fettgewebe) ist in der Lage, durch den zahlreichen Gehalt von Mitochondrien ("Kraftwerke der Zellen"), durch Oxidation von Fettsäuren Wärme zu produzieren (zitterfreie Thermogenese). Das braune Fettgewebe ist dadurch im Vergleich mit weißem Fett ein "Energiefresser". Ca. drei Viertel des Fetts besteht aus braunem Fett [1].
Die Thermogenese in braunem Fettgewebe wird nicht nur durch Kälte aktiviert, sondern auch durch Essen. Beim Essen steigt die Wärmeproduktion durch die Oxidation von Fettsäuren [3].
Untersuchung zeigen, dass die zitterfreie Thermogenese auch die Voraussetzung dafür ist, dass das Sättigungsgefühl im Gehirn einsetzt. Das Gen für den Sekretin-Rezeptor wird auch im braunen Fettgewebe exprimiert. Wenn dieser Rezeptor im braunen Fettgewebe mit Sekretin stimuliert wird, kann eine unmittelbare Aktivierung der zitterfreien Thermogenese beobachtet werden. Die Sekretin-Freisetzung beim Essen aktiviert zuerst die Thermogenese im braunen Fett und führt sodann zur Erwärmung im Gehirn, was das Sättigungsgefühl steigert. Die nahrungsinduzierte Thermogenese verbraucht somit im braunen Fett Energie und macht zugleich satt [4].
Braunes Fettgewebe schützt vor zahlreichen Erkrankungen [9]: nur 4,6 % der Patienten mit braunem Fettgewebe hatten einen Typ-2-Diabetes verglichen mit 9,5 % der Menschen, die kein nachweisbares braunes Fettgewebe hatten. Des Weiteren waren nachfolgend aufgeführte Erkrankung seltener: Dyslipidämie (Fettstoffwechselstörung; 18,9 versus 22,2 %), Herz-Kreislauf-Erkrankungen inkl. Vorhofflimmern/-flattern (2,8 versus 3,7 %), koronare Herzkrankheit (KHK; Herzkranzgefäßerkrankung) (3,1 versus 5,0 %), zerebrovaskuläre Erkrankungen/Erkrankungen, welche die Blutgefäße des Gehirns, d.h. die Hirnarterien oder Hirnvenen betreffen (2,1 versus 3,1 %), Herzinsuffizienz (Herzschwäche; 1,1 versus 2,1 %) und Hypertonie (Bluthochdruck; 26,8 versus 29,6 %).
Beachte: Statine (Cholesterinsenker) reduzieren die Bildung von braunem Fettgewebe. Mittels Positronen-Emissons-Tomographiebildern ließ sich nachweisen, dass Patienten, die keine Statine eingenommen haben, 6 % braunes Fettgewebe hatten; Patienten dagegen, die Statine einnahmen, hatten nur noch 1 % braunes Fettgewebe [5].
Die Adipozyten
Die Adipozyten sezernieren folgende Mediatoren:
- Adiponektine
- Adiponektin
- Apelin
- Leptin
- Lipocalin
- Omentin
- "Retinol-binding protein 4"
- Vaspin
- Visfatin/Nikotinamidphosphoribosyltransferase
- Adiponektin
- Endocannabinoide und andere Lipide
- Freie Fettsäuren (FFS)
- Anandamid
- 2-Arachidonylglycerin
- Freie Fettsäuren (FFS)
- Enzyme
- Dipeptidylpeptidase 4
- Komplementfaktoren und ähnliche Substanzen
- Adipsin Komplementfaktor B
- "Scylating simulation protein"
- "C1q/TNF-related proteins"
- Lipidtransport
- Apolipoprotein E
- "Cholesterol ester transfer protein"
- Lipoproteinlipase
- Prostaglandine
- Proteine des fibrinolytischen Systems
- Plasminogenaktivator-Inhibitor I (PAI 1)
- Proteine des Renin-Angiotensin-Systems
- Angiotensinogen
- Angiotensin II
- Zytokine
- Tumornekrosefaktor (TNF-Alpha)
- Interleukin-6, -10, -18
- "Monocyte chemotactic protein 1"
- Resistin
- Progranulin
Nachfolgend wird nur eine kleine Auswahl von Mediatoren kurz dargestellt:
Adiponektin
Adiponektin, ein Fettzellenhormon, erhöht die Insulinsensitivität in der Muskulatur, sodass die Aufnahme und Verwertung von Fettsäuren (Fettsäureoxidation) erleichtert wird. Des Weiteren wirkt Adiponektin antiinflammatorisch (entzündungshemmend).
Adipöse Patienten haben erniedrigte Adiponektin-Konzentrationen. Dieses führt zur Hemmung der Fettsäureoxidation und ist assoziiert mit Insulinresistenz (vermindertes Ansprechen der Körperzellen auf das Hormon Insulin) und metabolischem Syndrom sowie Atherosklerose.
Angiotensin II
Angiotensin II wirkt stark vasokonstriktorisch (Gefäß-zusammenziehend) und fördert die Bildung von Aldosteron – einem Mineralokortikoid –, das zur Natrium- und Wasserretention führt. Des Weiteren fördert Angiotensin II den oxidativen Stress, aktiviert den Sympathikus (Freisetzung von Noradrenalin) und führt so zur Hypertonie (Bluthochdruck). Siehe dazu auch unter "Renin-Angiotensin-Aldosteron-System (RAAS)".
Man vermutet, dass im braunen Fettgewebe die Wirkung von Angiotensin II vermindert ist.
Chemerin
Chemerin wird hauptsächlich im Fettgewebe sowie in Leber, Nieren und Pankreas gebildet. Es hat u. a. Einfluss auf die Regulation der Adipogenese (Entstehung von Fettzellen) und der Chemotaxis (Ausschüttung bzw. Bildung von Botenstoffen (Chemokine), die zu einer Anlockung von Zellen des Immunsystems (z. B. Leukozyten) an den Ort einer entzündlichen Reaktion führen).
Chemerin ist bereits vor dem Einsetzen eines Myokardinfarkts (Herzinfarkt) und Apoplexen (Schlaganfällen) erhöht. Als Signalprotein könnte es zukünftig als Indikator genutzt werden, um das Risiko kardiovaskulärer Erkrankungen vorauszusagen [6].
Fetuin-A
Fetuin-A wirkt antiinflammatorisch und führt zur lipidinduzierten Inflammation (Entzündung) sowie zur Insulinresistenz.
Interleukin-6
Dieser Mediator wirkt im Wesentlichen proinflammatorisch ("entzündungsfördernd“).
Leptin
Man vermutet, dass anorexigene (appetithemmende) Hormon Leptin durch den Anstieg von Insulin nach einer Mahlzeit freigesetzt wird: Leptin signalisiert die stattgefundene Nahrungsaufnahme, stimuliert dadurch unter anderem die Ausschüttung von Serotonin und löst das Gefühl der Sättigung aus. Dieses erklärt weshalb eine defekte Leptin-Signalkette – beispielsweise wegen unzureichender Sekretion von Leptin oder eines defekten Leptin-Rezeptors (Leptinresistenz) zur Adipositas führt. Des Weiteren hat Leptin u. a. Einfluss auf folgende Funktionen: Grundumsatz, Fertilität, Atherogenese und Wachstum.
Neben der Steuerung des Appetits ist Leptin auch an der Regulation des Glucose- und Fettstoffwechsels beteiligt; es zirkuliert proportional zur Fettmasse im Blut. Leptin wirkt antisteatotisch (gegen die Bildung einer Fettleber), indem es den hepatischen VLDL1-Triglyceridexport beim Menschen erhöht [10].
Plasminogenaktivator-Inhibitor (PAL 1)
Die vermehrte Sekretion von Plasminogenaktivator-Inhibitor I (PAI 1) kann zu Koagulationsstörungen und infolgedessen zu Thromboembolien führen.
"Retinol-binding protein 4" (RBP4)
RBP4 ist assoziiert mit der Insulinresistenz und der viszeralen Fettakkumulation (Bauchfett).
Tumornekrosefaktor (TNF-Alpha), IL-6 und andere Zytokine
Der Tumornekrosefaktor-Alpha (TNF-α, TNF alpha) führt im Wesentlichen zu proinflammatorischen Prozessen.
Die vermehrte Sekretion von TNF-alpha, IL-6 und anderen Zytokinen führt zur Insulinresistenz, zum Diabetes mellitus Typ 2, zu chronischen Inflammation, das heißt zu chronischen Entzündungen, und infolgedessen zur Atherosklerose.
Vaspin
Vaspin führt zur Hyperglykämie (Überzuckerung) und reduziert die Nahrungsaufnahme.
Weitere Hinweise
- Hüftfett steigert im Gegensatz zu Bauchfett (Taille-Hüftumfang erhöht/zentrale Adipositas) nicht das Risiko für kardiometabolische Erkrankungen. Genetische Varianten, die den Body-Mass-Index (BMI) erhöhen, aber das Taille-Hüft-Verhältnis senken, haben sogar ein niedrigeres Erkrankungsrisiko zur Folge (80 % niedrigeres Risiko für kardiometabolische Erkrankungen) [2].
- Bakterien (vor allem Proteobacteria and Firmicutes) und bakterielle DNA im Fettgewebe: diese sind assoziiert mit Inflammation (Entzündung) bei Übergewichtigen und Typ-2-Diabetes Patienten und scheinen eine wichtige Rolle bei der Initiierung und Aufrechterhaltung lokaler subklinischer Entzündungen des Fettgewebes zu haben [7]. Interessant in diesem Zusammenhang ist, dass Patienten unter Statintherapie statistisch weniger Entzündungszeichen haben als anhand ihrer Fettleibigkeit zu erwarten gewesen wäre [8].
Literatur
- Carlos Gerngroß C et al.: Active brown fat during 18FDG-PET/CT imaging defines a patient group with characteristic traits and an increased probability of brown fat redirection, Journal of Nuclear Medicine 01/2017: doi: 10.2967/jnumed.116.183988
- Winkler TW et al.: A joint view on genetic variants for adiposity differentiates subtypes with distinct metabolic implications. Nature Commun. 2018 May 16;9(1):1946. doi: 10.1038/s41467-018-04124-9.
- Din MU et al.: Postprandial Oxidative Metabolism of Human Brown Fat Indicates Thermogenesis. Cell Metab. 2018 Aug 7;28(2):207-216.e3. doi: 10.1016/j.cmet.2018.05.020. Epub 2018 Jun 14.
- Yongguo L et al.: Secretin-Activated Brown Fat Mediates Prandial Thermogenesis to Induce Satiation. Cell Published: November 15, 2018 doi:https://doi.org/10.1016/j.cell.2018.10.016
- Balaz M et al.: Inhibition of Mevalonate Pathway Prevents Adipocyte Browning in Mice and Men by Affecting Protein Prenylation. Cell Metabolism online 20 December 2018 https://doi.org/10.1016/j.cmet.2018.11.017
- Eichelmann F et al.: Chemerin as a Biomarker Linking Inflammation and Cardiovascular Diseases. JACC Volume 73, Issue 3, January 2019 doi: 10.1016/j.jacc.2018.10.058
- Massier L et al.: Adipose tissue derived bacteria are associated with inflammation in obesity and type 2 diabetes. Gut 2020 http://dx.doi.org/10.1136/gutjnl-2019-320118
- Vieira-Silva S et al.: Statin therapy is associated with lower prevalence of gut microbiota dysbiosis Article Published: 06 May 2020 Statin therapy is associated with lower prevalence of gut microbiota dysbiosis. Nature 2020; 581:310-315
- Becher T et al.: Brown adipose tissue is associated with cardiometabolic health. Nat Med (2021). https://doi.org/10.1038/s41591-020-1126-7
- Metz M et al.: Leptin increases hepatic triglyceride export via a vagal mechanism in humans. Cell Metabolism Available online 10 October 2022 https://doi.org/10.1016/j.cmet.2022.09.020