Schilddrüsenunterfunktion (Hypothyreose) – Ursachen
Pathogenese (Krankheitsentstehung)
Die Hypothyreose (Schilddrüsenunterfunktion) ist durch eine unzureichende Produktion von Schilddrüsenhormonen (T3 und T4) gekennzeichnet. Diese Funktionsstörung kann durch verschiedene Mechanismen auf unterschiedlichen Ebenen der Schilddrüsen-Hypophysen-Hypothalamus-Achse verursacht werden. Man unterscheidet dabei verschiedene Formen der Hypothyreose:
Primäre (thyreogene) Hypothyreose
Bei der primären Hypothyreose ist der Regelkreis in der Schilddrüse selbst gestört, wodurch die Produktion von Schilddrüsenhormonen eingeschränkt ist. Sie ist die häufigste Form der Hypothyreose und kann durch folgende Ursachen bedingt sein:
- Autoimmunerkrankung (Hashimoto-Thyreoiditis): Die Hashimoto-Thyreoiditis ist die häufigste Ursache der primären Hypothyreose in entwickelten Ländern. Hierbei kommt es zu einer Autoimmunreaktion, bei der das körpereigene Immunsystem die Schilddrüse angreift. Dies führt zu einer lymphozytären Infiltration (Eindringen von Lymphozyten) und einer Fibrosierung (Narbenbildung) der Schilddrüse. Diese chronische Zerstörung des Schilddrüsengewebes führt zu einer verminderten Hormonproduktion.
- Jodmangel: In Regionen mit unzureichender Jodzufuhr ist der Jodmangel die häufigste Ursache. Jod ist ein wesentlicher Bestandteil der Schilddrüsenhormone T3 und T4, und ein Mangel führt zu einer unzureichenden Produktion dieser Hormone.
- Iatrogene Hypothyreose: Diese Form der Hypothyreose tritt infolge von ärztlichen Maßnahmen auf, wie etwa nach einer Strumektomie (operative Entfernung von Schilddrüsengewebe), nach einer Radiojodtherapie zur Behandlung von Schilddrüsenerkrankungen oder durch die Einnahme von Thyreostatika, die die Hormonproduktion hemmen. Auch bestimmte Medikamente wie Lithium, Amiodaron oder Sunitinib können eine Hypothyreose auslösen.
Sekundäre hypophysäre Hypothyreose
Bei der sekundären Hypothyreose ist der Regelkreis in der Hypophyse (Hirnanhangsdrüse) gestört. Die Hypophyse produziert in diesem Fall nicht genügend Thyreoidea-stimulierendes Hormon (TSH), das normalerweise die Schilddrüse zur Produktion von T3 und T4 anregt. Diese Form der Hypothyreose ist seltener und tritt bei einer Hypophysenvorderlappeninsuffizienz auf, z. B. durch:
- Tumore der Hypophyse: Die häufigste Ursache ist ein Hypophysentumor, der die Hormonproduktion beeinträchtigt.
- Traumata: Verletzungen des Gehirns oder operative Eingriffe können die Hypophyse schädigen.
- Hypophysitis: Eine entzündliche Erkrankung der Hypophyse kann ebenfalls die TSH-Sekretion hemmen.
Tertiäre hypothalamische Hypothyreose
Die tertiäre Hypothyreose ist eine sehr seltene Form, bei der der Regelkreis im Hypothalamus gestört ist. Der Hypothalamus produziert zu wenig Thyreotropin-Releasing-Hormon (TRH), welches normalerweise die Hypophyse zur TSH-Ausschüttung anregt. Zu den möglichen Ursachen zählen:
- Schädigung des Hypothalamus: Tumore, Traumen oder Entzündungen können die TRH-Produktion beeinträchtigen.
- Pickardt-Syndrom: Eine seltene Erkrankung, bei der es durch Hypothalamusschädigungen zu einer sekundären Hypothyreose kommt.
- Euthyroid-Sick-Syndrom: Eine seltene Form der Dysregulation der Schilddrüsenachse im Rahmen schwerer Erkrankungen, bei der die TRH-Produktion gestört ist.
Kongenitale (angeborene) Hypothyreose
Die kongenitale Hypothyreose ist angeboren und tritt meist aufgrund einer Schilddrüsendysgenesie (Fehlbildung oder ungenügende Ausbildung der Schilddrüse) auf. Seltener liegt ein genetischer Defekt der Schilddrüsenhormonsynthese vor. Diese Form der Hypothyreose ist bereits bei der Geburt vorhanden und wird häufig durch das Neugeborenenscreening diagnostiziert.
Kompensationsmechanismus
In der latenten (subklinischen) Hypothyreose bleibt die Hormonproduktion der Schilddrüse aufgrund einer kompensatorischen TSH-Stimulation der Hypophyse noch im Normbereich. Der Körper versucht durch eine erhöhte TSH-Ausschüttung, die Schilddrüse zu stimulieren und die Produktion von fT3 und fT4 aufrechtzuerhalten. Dieser Zustand kann jedoch ohne Behandlung in eine manifeste Hypothyreose übergehen, bei der die Serumspiegel von fT3 und fT4 schließlich sinken.
Zusammenfassung und klinische Relevanz
Die Hypothyreose ist eine multifaktorielle Erkrankung, die durch verschiedene Mechanismen in der Schilddrüse, der Hypophyse oder dem Hypothalamus verursacht werden kann. Die primäre Hypothyreose ist die häufigste Form, meistens verursacht durch Autoimmunerkrankungen oder Jodmangel. Die sekundäre und tertiäre Hypothyreose sind seltener und resultieren aus Funktionsstörungen der Hypophyse oder des Hypothalamus. Eine frühzeitige Diagnose und Behandlung sind entscheidend, um Komplikationen wie kognitive Defizite, Gewichtszunahme, Müdigkeit und Herz-Kreislauf-Probleme zu verhindern.
Ätiologie (Ursachen)
Biographische Ursachen
Biographische Ursachen
- Genetische Belastung, z. B. Mutation der Hormonrezeptoren
- Genetische Erkrankungen
- Hämochromatose (Eisenspeicherkrankheit) – genetische Erkrankung mit autosomal-rezessivem Erbgang mit vermehrter Ablagerung von Eisen als Folge einer erhöhten Eisenkonzentration im Blut mit Gewebeschädigung
- Genetische Erkrankungen
- Anatomische Varianten – Aplasie (fehlende Anlage einer Schilddrüse); ektope Schilddrüse (anatomische Lage der Schilddrüse am falschen Ort)
- Hormonelle Faktoren
- Hormonresistenz – der Körper spricht nicht auf die Schilddrüsenhormone T3 (Trijodthyronin) und T4 (Thyroxin) an
- Mutation der Hormonrezeptoren
Verhaltensbedingte Ursachen
- Ernährung
- Jodmangel – siehe Mikronährstofftherapie
Krankheitsbedingte Ursachen
- Amyloidose – extrazelluläre ("außerhalb der Zelle") Ablagerungen von Amyloiden (abbauresistente Proteine), die u. a. zu einer Kardiomyopathie (Herzmuskelerkrankung), Neuropathie (Erkrankung des peripheren Nervensystems) und Hepatomegalie (Lebervergrößerung) führen können.
- Autoimmunthyreoiditis (Hashimoto-Thyreoiditis) – Autoimmunerkrankung der Schilddrüse; anfangs mit vermehrter Ausschüttung von Schilddrüsenhormonen, später mit schleichendem Übergang zur Hypothyreose (Schilddrüsenunterfunktion)
- Hämochromatose (Eisenspeicherkrankheit, engl.: hematochromatosis; von griech. haima = Blut, chroma = Farbe) – autosomal-rezessive Erbkrankheit; Männer sind wesentlich häufiger betroffen als Frauen. Bei der Erkrankung kommt es zu einer erhöhten Resorption (Aufnahme) von Eisen im oberen Dünndarm.
- Hirntumoren
- Hypophyseninsuffizienz (Unterfunktion der Hirnanhangsdrüse) – z. B. Hypophysenadenom (gutartiger Tumor der Hirnanhangsdrüse), Hypophysenentzündung oder Hypothalamuserkrankung
- Schädel-Hirn-Trauma (SHT) – Schädel-Hirnverletzungen
- Sarkoidose – entzündliche Systemerkrankung, die vor allem die Haut, die Lunge und Lymphknoten betrifft
- Sklerodermie – Autoimmunerkrankung, die zu einer Haut- und Bindegewebsverhärtung führt
- Thyreoiditis (Schilddrüsenentzündung)
- TSH-Mangel (Thyreoidea-stimulierendes Hormon) – Mangel an dem die Schilddrüsen stimulierendem Hormon
- Tumoren der Schilddrüse
Medikamente
- Amiodaron (Antiarrhythmikum, das zu über 30 % aus Jod besteht) → Amiodaron-induzierte Hypothyreose (Amiodaron getriggerte autoimmune Thyreoiditis)
- Antibiotika
- Aminosalicylsäure – Mittel zur Behandlung von entzündlichen Darmerkrankungen wie Colitis ulcerosa oder Morbus Crohn
- Ethionamid (Antibiotikum, das strukturell zu den Thionamiden zählt)
- p-Aminosalicylsäure (Antibiotikum zur Tuberkulose-Behandlung)
- Rifampicin (Antibiotikum aus der Gruppe der Ansamycine)
- Sulfisoxazol
- Antikonvulsiva
- Carbamazepin (Klasse der Dibenzazepine)
- Phenobarbital (Epilepsiebehandlung sowie zur Narkosevorbereitung)
- Phenytoin (Hydantoin-Derivat, das als Arzneistoff zur Dauerbehandlung der Epilepsie eingesetzt wird)
- Antiretrovirale Medikamente Stavudin
- Atypische Neuroleptika (insb. Clozapin und Quetiapin)
- Bexaroten – Retinoid-Analogon, das zur Behandlung des kutanen T-Zell-Lymphoms zugelassen ist
- HCV-Proteaseinhibitoren (Telaprevir)
- Hormone
- Antiöstrogene wie Aminoglutethimid (Aromatasehemmer)
- Immun-Checkpoint-Inhibitoren (Ipilimumab, Pembrolizumab, Nivolumab
- Interleukin (IL)-2
- Jodhaltige Kontrastmittel: bei Hypothyreose, egal ob subklinisch oder manifest, stellt Jod-haltiges Kontrastmittel kein Problem dar [Erwähnung an dieser Stelle, da dieses häufig falsch eingeschätzt wird]
- Lithium → Lithium-induzierte Hypothyreose
- Orale Tyrosinkinase-Hemmer (Sunitinib, Imatinib)
- Thalidomid (Contergan)
- Thyreostatika (Carbimazol)
- Zytokine
- Interferon--alpha (IFN-α)
Operationen
- Thyreoidektomie (Schilddrüsenentfernung)
Strahlentherapie
- Ablative Therapie mittels Radiojod (Radiojodtherapie) – Therapie der Schilddrüsenüberfunktion oder von Schilddrüsenkarzinomen mit radioaktiven Substanzen
- Strahlenthyreoiditis (Schilddrüsenentzündung (Thyreoiditis) infolge einer Strahlentherapie) nach externer Radiatio (Strahlentherapie) der Halsregion – z. B. wg. maligner Lymphome