Schilddrüsenunterfunktion (Hypothyreose) – Folgeerkrankungen
Im Folgenden die wichtigsten Erkrankungen bzw. Komplikationen, die durch eine Hypothyreose (Schilddrüsenunterfunktion) mit bedingt sein können:
Atmungssystem (J00-J99)
- Lungenödem (Wasseransammlung in der Lunge) im Rahmen eines schweren Myxödem-Komas
Bestimmte Zustände, die ihren Ursprung in der Perinatalperiode haben (P00-P96)
- Neurologische Schäden beim Fetus (Ungeborene)
Blut, blutbildende Organe – Immunsystem (D50-D90)
- Eisenmangelanämie – Anämie (Blutarmut), die durch den Mangel an Eisen bedingt ist
- Erhöhte Infektanfälligkeit
Endokrine, Ernährungs- und Stoffwechselkrankheiten (E00-E90)
- Adipositas (Übergewicht)
- Fetale/neonatale Struma
- Hyperhomocysteinämie – erhöhte Konzentrationen von Homocystein (eine Aminosäure) im Blut (Verbindung zwischen Hypothyreose und Hyperhomocysteinämie ist umstritten)
- Hyperprolaktinämie – pathologische (krankhafte) Erhöhung des Prolaktinspiegels (die meisten Patienten weisen einen normalen PRL-Wert auf)
- Hyperlipidämie/Dyslipidämie (Fettstoffwechselstörungen)
- Hypercholesterinämie (erhöhte Cholesterinwerte im Blut)
- Hypertriglyzeridämie (zu hoher Triglyzeridspiegel im Blut)
- Hyperurikämie (Erhöhung des Harnsäurespiegels im Blut) ohne Zeichen von entzündlicher Arthritis (Knochenentzündung) oder tophischer Gicht (Verbindung ist schwach)
- Hyponatriämie (Natriummangel)
- Myxödem-Koma (hypothyreotes Koma) – meist stressassoziiert, wie z. B. Traumata, Infektionen wie Pneumonie (Lungenentzündung) oder auch psychische Belastungen sowie bestimmte Medikamente wie Sedativa (Beruhigungsmittel) oder Antidepressiva (Medikamente gegen Depressionen) ausgelöste Verschlechterung der Stoffwechsellage mit erhöhter Mortalität (Sterberate)
- Lipoprotein (a)-Erhöhung
- Struma – Schilddrüsenvolumen oberhalb des geschlechts- und alterspezifischen Normbereichs
Herzkreislaufsystem (I00-I99)
- Atherosklerose (Arteriosklerose; Gefäßverkalkung) – mit den Folgen wie Myokardinfarkt (Herzinfarkt; +15 %) [4] oder Apoplex (Schlaganfall)
- Herzinsuffizienz (Herzschwäche)
- Hypertonie (Bluthochdruck; 20-30 % der Patienten) (+13 %) [4]
- Koronare Herzkrankheit (KHK; Herzkranzgefäßerkrankung)
- Kardiomyopathien (Herzmuskelerkrankungen)
Muskel-Skelett-System (M00-M99)
- Chondrokalzinose (Pseudogicht) – gichtähnliche Erkrankung der Gelenke, die durch Ablagerung von Calciumpyrophosphat im Knorpel und anderen Geweben entsteht; führt u. a. zu Gelenkdegeneration (häufig des Kniegelenks); Symptomatik ähnelt einem akuten Gichtanfall
- Gicht (Arthritis urica/harnsäurebedingte Gelenkentzündung oder tophische Gicht)
Neubildungen – Tumorerkrankungen (C00-D48)
- Kolorektale Karzinome (Darmkrebs) – unbehandelte Hypothyreose geht mit einem erhöhten Krebsrisiko (adjustierte Odds-Ratio (OR) von 1,16) einher [1]
Ohren – Warzenfortsatz (H60-H95)
- Hypakusis (Schwerhörigkeit)
Psyche – Nervensystem (F00-F99; G00-G99)
- Demenz – Patienten, in deren Krankenakte eine Hypothyreose vermerkt ist, scheinen im Alter eher an einer Demenz zu erkranken als vergleichbare Personen ohne Hypothyreose [6]
- Delir – akuter Verwirrtheitszustand
- Depression
- Karpaltunnelsyndrom (KTS) – Kompressionssyndrom (Engpasssyndrom) des Nervus medianus im Bereich des Handwurzelkanals
- Kindliche Retardierung (falls die Mutter während der Schwangerschaft keine Hormonsubstitution erhält)
- Leichte kognitive Beeinträchtigung (LKB; mild cognitive impairment, MCI; Altersvergesslichkeit; age-associated memory impairment (AAMI); altersassoziierte Gedächtnisstörung
- Libidostörungen des Mannes/der Frau
- Morbus Alzheimer
- Schizophrenie – Kinder, deren Mütter während der Schwangerschaft freie T3- und T4-Spiegel unterhalb der zehnten Perzentile hatten (Odds-Ratio = 1,75, p = 0,002) [3]
Schwangerschaft, Geburt und Wochenbett (O00-O99)
- Abort (Fehlgeburt)
- Früh- und Totgeburt
- Niedriges Geburtsgewicht
- Präeklampsie – in der Schwangerschaft neu aufgetretene Hypertonie (Bluthochdruck) mit einer Proteinurie (Ausscheidung von Eiweiß mit dem Urin; > 300 mg/24 h) nach der 20. Schwangerschaftswoche
Symptome und abnorme klinische und Laborbefunde, die anderenorts nicht klassifiziert sind (R00-R99)
- Bradykardie – zu langsamer Herzschlag: < 60 Schläge pro Minute
- Gedeihstörung / Verzögerung des Wachstums und der Knochenreifung (manifeste, nicht behandelte, konnatale oder erworbene Hypothyreose im Kindes- und Jugendalter)
- Hypothermie (erniedrigte Körpertemperatur)
- Obstipation (Verstopfung)
- Ödeme (Wassereinlagerungen)
- Wachstumsstörung bei Kindern – Verzögerung des Wachstums mit beeinträchtigter Knochenreifung und letztlich Kleinwuchs
- Wundheilung verlangsamt
Urogenitalsystem (Nieren, Harnwege – Geschlechtsorgane) (N00-N99)
- Amenorrhoe – keine Menstruationsblutung seit> 90 Tage bei bereits etabliertem Zyklus (sekundäre Amenorrhoe)
- Hypermenorrhoe – die Blutung ist zu stark (> 80 ml); in der Regel verbraucht die Betroffene mehr als fünf Vorlagen/ Tampons pro Tag
- Menorrhagie – die Blutung ist verlängert (> 6 Tage) und verstärkt
- Oligomenorrhoe – Menstruationsblutung: Intervall zwischen den Blutungen ist > 35 Tage und ≤ 90 Tage
- Sterilität der Frau/Fertilitätsstörung des Mannes
Weiteres
- Erhöhte Mortalität/Sterberate aufgrund
- ischämischer Herzkrankheit bzw. Tod durch eine Herzerkrankung (relatives Risiko [RR]: 1,96, 95 %-Konfidenzintervall zwischen 1,38 und 2,80) [4]
- unbehandelter und überbehandelter Hypothyreose: dabei hatte die Dauer einer Überbehandlung (TSH-Suppression) einen stärkeren Effekt auf die Mortalität als die Dauer einer fehlenden oder unzureichenden Behandlung (TSH-Erhöhung) [5]
- Erhöhte Mortalität (Hazard Ratio HR = 1,46) der unbehandelten Patienten mit Hypothyreose versus euthyreote Kontrollen (Patienten mit normaler Schilddrüsenfunktion)
- Mortalitätsanstieg für jedes Halbjahr mit erhöhtem TSH-Wert (HR = 1,05)
- Mortalitätssteigerung, wenn der TSH-Wert unter Therapie erniedrigt war (Faktor 1,18 für jedes Halbjahr mit TSH-Suppression).
Prognosefaktoren
- Bei Hämodialyse-pflichtigen Patienten ist eine Hypothyreose, aber auch TSH-Werte im oberen Normbereich, mit einer erhöhten Mortalitätsrate (Sterberate) assoziiert (HR 1,47, 95 %-Vertrauensbereich 1,34 - 1,61; p < 0,001) [2].
Bedeutung von TSH-Schwankungen bei manifester Hypothyreose
- Klinische Relevanz: Bei manifester Hypothyreose können TSH-Schwankungen durch unzureichende oder übermäßige Hormonsubstitution, Jodaufnahme oder Schilddrüsenentzündungen verursacht werden. Sie beeinflussen direkt die klinische Stabilität und die Lebensqualität des Patienten.
- Prognostische Bedeutung:
- TSH > 10 mIU/l: Ein persistierend hoher TSH-Wert ist mit einem erhöhten Risiko für kardiovaskuläre Komplikationen wie Atherosklerose, Herzinsuffizienz und Herzrhythmusstörungen assoziiert.
- Schwankungen unter Therapie: Unregelmäßige TSH-Werte bei behandelten Patienten sind ein Hinweis auf suboptimale Dosierungen und erhöhen das Risiko für kognitive Einschränkungen und Müdigkeit.
- TSH-Suppression: Zu niedrige TSH-Werte unter Therapie (z. B. < 0,1 mIU/l) können zu einer erhöhten Sterblichkeit führen, insbesondere durch kardiovaskuläre Risiken.
Rolle der fT4-Spiegel bei manifester Hypothyreose
- fT4 als Indikator für Therapieeffizienz:
- Unterversorgung: Niedrige fT4-Spiegel trotz Behandlung deuten auf eine unzureichende Hormonsubstitution hin und korrelieren mit einer schlechteren Lebensqualität.
- Überversorgung: Zu hohe fT4-Spiegel können zu Symptomen einer Hyperthyreose führen und langfristig kardiovaskuläre Risiken erhöhen.
- Prognostische Bedeutung:
- Patienten mit stark erhöhtem TSH und niedrigem fT4 haben ein erhöhtes Risiko für schwere Symptome wie Myxödem-Koma.
- Diskrepanz zwischen fT4 und TSH kann auf spezifische pathophysiologische Mechanismen wie zentrale (hypophysäre) Ursachen hinweisen.
Kombinierte Betrachtung von TSH und fT4
- Die kombinierte Analyse von TSH und fT4 ist entscheidend für die Therapieoptimierung:
- Therapiekontrolle: Ein gut eingestellter TSH-Wert (meist zwischen 0,4 und 4,0 mIU/l) und ein fT4 im mittleren Normbereich gelten als Zielgrößen für eine stabile Behandlung.
- Risikoreduktion: Die Vermeidung von TSH-Schwankungen und die Sicherstellung eines adäquaten fT4-Spiegels senken das Risiko für kardiovaskuläre Komplikationen und verbessern die Lebensqualität.
- Langzeitüberwachung: Bei älteren Patienten oder solchen mit Komorbiditäten sollte die Therapie vorsichtig angepasst werden, um Nebenwirkungen zu minimieren.
Literatur
- Boursi B et al.: Thyroid Dysfunction, Thyroid Hormone Replacement and Colorectal Cancer Risk. JNCI J Natl Cancer Inst (2015) 107 (6): djv084. doi: 10.1093/jnci/djv084
- Rhee CM et al.: Association of Thyroid Functional Disease With Mortality in a National Cohort of Incident Hemodialysis Patients. doi: http://dx.doi.org/10.1210/jc.2014-4311
- Gyllenberg D et al.: Hypothyroxinemia During Gestation and Offspring Schizophrenia in a National Birth Cohort. doi: http://dx.doi.org/10.1016/j.biopsych.2015.06.014
- Ning Y et al.: What is the association of hypothyroidism with risks of cardiovascular events and mortality? A meta-analysis of 55 cohort studies involving 1,898,314 participants. BMC Medicine 2017; 15: 21. doi: 10.1186/s12916-017-0777-9
- Lillevang-Johansen M et al.: Over- and Under-Treatment of Hypothyroidism Is Associated with Excess Mortality: A Register-Based Cohort Study. ThyroidVol. 28, No. 5 Published Online:1 May 2018 https://doi.org/10.1089/thy.2017.0517
- Wieland DR et al.: Thyroid Disorders and Dementia Risk: A Nationwide Population-Based Case-Control Study. Neurology 2022; https://doi.org/10.1212/WNL.0000000000200740