Morbus Meulengracht – Einleitung

Morbus Meulengracht, auch bekannt als Gilbert-Syndrom, ist eine häufige, meist gutartige Stoffwechselerkrankung, die durch eine verminderte Aktivität des Enzyms UDP-Glucuronosyltransferase (UGT1A1) gekennzeichnet ist. Dieses Enzym ist für die Konjugation und damit für den Abbau von Bilirubin in der Leber verantwortlich. Aufgrund der verminderten Enzymaktivität kommt es zu einer Erhöhung des unkonjugierten Bilirubins im Blut.

Thesaurussynonyma und ICD-10: Cholaemia familiaris simplex; familiäre Cholämie; familiäre nichthämolytische Bilirubinämie; familiäre nichthämolytische Gelbsucht; familiärer nichthämolytischer Ikterus; Gilbert-(Meulengracht)-Syndrom; Gilbert-Cholämie; Gilbert-Krankheit; Gilbert-Meulengracht-Syndrom; Icterus intermittens juvenilis; Kongenitale Cholämie; Meulengracht-Krankheit; Meulengracht-Syndrom; Morbus (Gilbert-)Meulengracht; Morbus Gilbert; Morbus Gilbert-Meulengracht; Morbus Meulengracht; neonatale Gelbsucht bei Gilbert-Lereboullet-Syndrom; neonatale Gelbsucht bei Gilbert-Meulengracht-Syndrom; Neonataler Ikterus bei Gilbert-Lereboullet-Syndrom; Neonataler Ikterus bei Gilbert-Meulengracht-Syndrom; ICD-10-GM E80.4: Gilbert-Meulengracht-Syndrom

Vererbung

Der Morbus Meulengracht wird autosomal-dominant vererbt.

Pathophysiologie

Morbus Meulengracht beruht auf einer verminderten Aktivität des Enzyms UDP-Glucuronosyltransferase 1A1 (UGT1A1), das für die Konjugation und somit die Ausscheidung von Bilirubin in der Leber verantwortlich ist. Die verminderte Enzymaktivität führt zu einer Akkumulation von unkonjugiertem Bilirubin im Blut.

Charakteristische Laborbefunde bei Morbus Meulengracht

  • Erhöhtes Gesamtbilirubin
    • Typischerweise im Bereich von 1,2 bis 3 mg/dL (20–50 µmol/L), jedoch meistens unter 5 mg/dL.
    • Der Anstieg ist in der Regel auf das unkonjugierte (indirekte) Bilirubin zurückzuführen.
  • Normales direktes (konjugiertes) Bilirubin
    • Das konjugierte Bilirubin bleibt im Normbereich, was auf den isolierten Anstieg des unkonjugierten Bilirubins hinweist.
  • Normale Leberwerte
    • Transaminasen (ALT, AST), alkalische Phosphatase und Gamma-Glutamyltransferase (GGT) sind in der Regel normal.
  • Normaler Hämoglobinwert und normale Retikulozytenzahl
    • Diese Befunde helfen, Hämolyse als Ursache für die erhöhte Bilirubinkonzentration auszuschließen.
  • Normale Albuminwerte und Gerinnungsparameter
    • Die Albuminwerte und Gerinnungsparameter (wie INR) sind in der Regel nicht beeinträchtigt.
  • Negativer Coombs-Test
    • Der direkte Coombs-Test ist negativ, was auf das Fehlen einer Autoimmunhämolyse hinweist.
  • Anstieg des Bilirubins nach Fasten oder körperlichem Stress
    • Fasten oder Stresssituationen können einen vorübergehenden Anstieg des Bilirubins verursachen, was charakteristisch für Morbus Meulengracht ist.

Symptome

Die meisten Betroffenen sind asymptomatisch oder zeigen nur milde Symptome:

  • Ikterus: Gelbfärbung der Haut und Augen, insbesondere unter Stress, Fasten oder Infektionen.
  • Müdigkeit: Gelegentlich berichten Patienten über allgemeine Müdigkeit und Abgeschlagenheit.

Epidemiologie

Geschlechterverhältnis: Männer sind häufiger betroffen als Frauen.

Häufigkeitsgipfel: Die Erkrankung tritt vorwiegend im um das 20. Lebensjahr auf.

Prävalenz (Krankheitshäufigkeit) liegt bei ca. 9 % (in Deutschland).

Verlauf und Prognose

Verlauf

Der Morbus Meulengracht ist eine chronische Stoffwechselstörung, die in der Regel einen gutartigen Verlauf zeigt. Die Erkrankung führt zu einer leichten, aber chronischen Erhöhung des Bilirubinspiegels im Blut. Häufig treten keine oder nur milde Symptome wie gelegentliche Gelbfärbung der Haut und Augen (Ikterus) auf, besonders bei Stress, Fasten oder Infektionen. Diese Symptome sind meist harmlos und verschwinden oft von selbst.

Prognose

Die Prognose des Morbus Meulengracht ist exzellent. Die Erkrankung hat keine negativen Auswirkungen auf die Lebenserwartung oder die Lebensqualität. Eine spezifische Therapie ist nicht erforderlich.

Interessanterweise scheint ein leicht erhöhter Bilirubinspiegel mit einer verminderten Rate an Atemwegserkrankungen wie chronisch obstruktive Lungenerkrankung (COPD) und Bronchialkarzinom (Lungenkrebs) assoziiert zu sein, was auf potenziell protektive Effekte des Bilirubins hinweist [1].

Literatur

  1. Horsfall LJ, Rait G, Walters K, Swallow DM, Pereira SP, Nazareth I, Petersen I: Serum Bilirubin and Risk of Respiratory Disease and Death. JAMA 2011; 305: 691-697