Morbus Addison – Ursachen
Pathogenese (Krankheitsentstehung)
Morbus Addison oder primäre Nebennierenrindeninsuffizienz entsteht durch die Zerstörung der hormonproduzierenden Zellen in der Nebennierenrinde (NNR). Klinische Symptome treten in der Regel erst auf, wenn über 90 % des NNR-Gewebes beider Nebennieren zerstört sind.
Primäre pathophysiologische Mechanismen
- Genetische Ursachen (selten):
- Adrenoleukodystrophie (X-ALD oder Addison-Schilder-Syndrom): Eine X-chromosomal-rezessive Störung der Steroidhormonsynthese, die zu einer Akkumulation überlangkettiger Fettsäuren in NNR und ZNS (zentrales Nervensystem) führt und bereits im Kindesalter neurologische Ausfälle und Demenz verursacht.
- Familiärer Glucocorticoidmangel: Isolierter Cortisolmangel bei normalen Aldosteronkonzentrationen, häufig durch einen ACTH-Rezeptordefekt, was die Reaktion der NNR auf ACTH (adrenocorticotropes Hormon) beeinträchtigt.
- Hämochromatose: Eine autosomal-rezessive Eisenspeicherkrankheit, die zu einer Eisenakkumulation führt und Gewebeschäden, einschließlich in der NNR, verursacht.
- Primäre Cortisolresistenz: Fehlende oder defekte Glucocorticoid-Rezeptoren im Zielgewebe führen zu einer sekundären Überproduktion von ACTH, Cortisol, Androgenen und Mineralocorticoiden.
- Autoimmune Zerstörung der NNR (etwa 75 % der Fälle):
- Die Autoimmunadrenalitis ist die häufigste Ursache und tritt häufig in Kombination mit anderen autoimmunen endokrinologischen Erkrankungen auf, wie dem Diabetes mellitus Typ 1 und autoimmunen Schilddrüsenerkrankungen (Polyglanduläres Autoimmunsyndrom Typ 1 oder 2).
- Infektionen (10-25 % der Fälle):
- Infektionen wie Tuberkulose, HIV und systemische Mykosen (Pilzerkrankung) können die Nebennieren schädigen und zur Insuffizienz führen.
- Vaskuläre Ursachen:
- Ischämien (Minderdurchblutungen) oder Blutungen in der NNR können akute oder chronische Insuffizienzen verursachen, vor allem bei Hypotonie (niedrigem Blutdruck).
- Malignome:
- Metastasen (Tochtergeschwülste), insbesondere aus Lungen- oder Brustkrebs, können das NNR-Gewebe befallen und die Hormonproduktion erheblich stören.
Sekundäre pathophysiologische Mechanismen
- Stressereignisse: Akute Belastungen wie Traumata, Verbrennungen, Fieber, Sepsis (Blutvergiftung) oder Operationen können bei bestehender chronischer Insuffizienz eine Addison-Krise auslösen, da die NNR in diesen Situationen nicht ausreichend auf Stresssignale reagieren kann.
- Ischämie: Minderdurchblutung der NNR kann zur akuten Insuffizienz führen, da die hormonproduzierenden Zellen nicht ausreichend versorgt werden.
Klinische Manifestation
Leitsymptome
- Chronische Müdigkeit und Schwäche: Oft ein frühes und unspezifisches Symptom, das sich langsam entwickelt.
- Appetitlosigkeit und Gewichtsverlust: Häufige Symptome infolge der verminderten Produktion von Glucocorticoiden und Mineralocorticoiden.
- Hypotonie (niedriger Blutdruck): Typisch für eine Nebenniereninsuffizienz, oft mit orthostatischer Hypotonie (Schwindel beim Aufstehen) assoziiert.
- Hyperpigmentierung der Haut: Besonders in Bereichen, die der Sonne ausgesetzt sind oder Druck ausgesetzt sind (z. B. Ellenbogen), aufgrund der erhöhten ACTH-Produktion.
Fortgeschrittene Symptome
- Dehydration (Austrocknung) und Salzmangel: Durch die verminderte Aldosteronproduktion bedingt, was zu Elektrolytstörungen wie Hyponatriämie führt.
- Hypoglykämie (niedriger Blutzucker): Glucocorticoidmangel beeinflusst den Zuckerstoffwechsel, was zu Unterzuckerungen führen kann.
- Addison-Krise: Ein lebensbedrohlicher Zustand mit schwerer Hypotonie, Dehydration, Bewusstseinstrübung und Schock, oft ausgelöst durch Stressereignisse oder Infektionen.
Risikofaktoren
- Autoimmune Erkrankungen: Eine Assoziation mit endokrinologischen Autoimmunerkrankungen wie Diabetes mellitus Typ 1 und Schilddrüsenerkrankungen ist häufig.
- Hirntrauma oder Operationen: Schäden im Bereich des Hypothalamus (Teil des Zwischengehirns) oder der Hypophyse (Hirnanhangsdrüse) können zur NNR-Insuffizienz führen.
- Infektionen: Tuberkulose und systemische Mykosen (Pilzerkrankungen) sind bekannte infektiöse Auslöser.
Zusammenfassung und klinische Relevanz
Morbus Addison ist eine seltene und potenziell lebensbedrohliche Erkrankung, die durch die Zerstörung der Nebennierenrinde und die daraus resultierende verminderte Hormonproduktion gekennzeichnet ist. Die Kombination genetischer, autoimmuner und infektiöser Ursachen führt zu einer Störung des Wasser- und Elektrolythaushalts sowie des Zuckerstoffwechsels. Eine frühzeitige Diagnose und Behandlung sind entscheidend, um lebensbedrohliche Komplikationen wie die Addison-Krise zu verhindern.
Ätiologie (Ursachen)
Biographische Faktoren
- S. u. Pathogenese
Krankheitsbedingte Ursachen
Blutbildende Organe – Immunsystem (D50-D90)
- Antiphospholipid-Syndrom (APS; Antiphospholipid-Antikörper-Syndrom); Autoimmunkrankheit; es erkranken überwiegend Frauen (Gynäkotropie); durch folgende Trias charakterisiert:
- venöse und/oder arterielle Thrombosen (Blutgerinnsel (Thrombus) in einem Blutgefäß)
- Thrombozytopenie (Mangel an Thrombozyten (Blutplättchen) im Blut)
- rezidivierende Spontanaborte (Auftreten von drei oder mehr konsekutiven Spontanaborten vor der 20. SSW/Schwangerschaftswoche)
- Sarkoidose – granulomatöse Entzündung; entzündliche Multisystemerkrankung, deren Ursache noch unklar ist.
Häufig sind die Lunge und die hilären Lymphknoten fast immer betroffen (bis zu 95 % der Fälle) - Thrombozytopenie (verminderte Anzahl von Blutplättchen)
Endokrine, Ernährungs- und Stoffwechselkrankheiten (E00-E90)
- der Adrenogenitales Syndrom (AGS) – Gruppe von kongenitalen Stoffwechselerkrankungen, bei denen die Synthese der Steroidhormone Cortisol (Glucocorticoid) und Aldosteron (Mineralcorticoid) in der Nebennierenrinde gestört ist
- Adrenoleukodystrophie (s. u. "Genetische Ursachen")
- Amyloidose ‒ extrazelluläre ("außerhalb der Zelle") Ablagerungen von Amyloiden (abbauresistente Proteine), die u. a. zu einer Kardiomyopathie (Herzmuskelerkrankung), Neuropathie (Erkrankung des peripheren Nervensystems) und Hepatomegalie (Lebervergrößerung) führen können.
- Autoimmunadrenalitis ‒ durch ein Autoimmungeschehen ausgelöste Infektion der Nebenniere, die zu einer Atrophie führt
- Familiäre adrenale Insuffizienz
- Familiärer Glucocorticoidmangel (s. u. "Genetische Ursachen")
- Hämochromatose (s. u. "Genetische Ursachen")
- Primäre Cortisolresistenz (s. u. "Genetische Ursachen")
Infektiöse und parasitäre Krankheiten (A00-B99) [ca. 10-25 % der Fälle]
- Cytomegalie-Virus-Infektion (CMV)
- Histoplasmose ‒ Pilzerkrankung, die durch Histoplasma capsulatum ausgelöst wird
- HIV-Infektion
- Kokzidioidomykose ‒ Pilzerkrankung, die durch Coccidioides immitis ausgelöst wird
- Kryptokokkose ‒ Pilzerkrankung, die durch Cryptococcus neoformans ausgelöst wird
- Tuberkulose (Schwindsucht)
- Waterhouse-Friderichsen-Syndrom (Synonyme: Nebennierenapoplexie; suprarenale Apoplexie) – akuter Ausfall der Nebennieren infolge massiver bakterieller Infektionen (z. B. Meningokokken, Haemophilus influenzae oder Pneumokokken)
Herzkreislaufsystem (I00-I99)
- Beidseitige Thrombose der V. adrenalis
- Beidseitige Einblutungen/Infarzierungen wie beim Waterhouse-Friderichsen-Syndrom (Synonyme: Nebennierenapoplexie; suprarenale Apoplexie; akuter Ausfall der Nebennieren infolge massiver bakterieller Infektionen und ist eine Sonderform der Verbrauchskoagulopathie), geburtstraumatisch
- Nebennierenblutung unter Antikoagulantien
- Nebenniereninfarkt
Muskel-Skelett-System und Bindegewebe (M00-M99)
- Lupus erythematodes – Gruppe von Autoimmunerkrankungen, bei der es zur Bildung von Autoantikörpern kommt. Sie zählt zu den Kollagenosen
Neubildungen – Tumorerkrankungen (C00-D48)
- Morbus Hodgkin – maligne Neoplasie (bösartige Neubildung) des lymphatischen Systems, die zu den malignen Lymphomen gezählt wird.
- Non-Hodgkin-Lymphome (NHL; alle malignen (bösartigen) Erkrankungen des lymphatischen Systems außer den Hodgkin-Lymphomen)
- Tumormetastasen (bei Bronchial-, Kolon- und Mammakarzinom/Lungen-, Darm- und Brustkrebs)
Operationen
- Bilaterale Adrenalektomie (beidseitige chirurgische Entfernung der Nebenniere)
Medikamente
- Aminogluthimid (Antiöstrogen)
- Antikoagulantien (Medikamentes zur Hemmung der Blutgerinnung)
- Etomidate (Narkotikum)
- Abruptes Absetzen von Glucocorticoiden (z. B. Cortison)
- Ketoconazol (Antimykotikum; Arzneimittel gegen Pilzerkrankungen)
- Mitotan (o,p'-DDD; Adrenostatikum; Wirkstoff, das die Produktion des Hormons Cortisol in den Nebennieren hemmt)
- Rifampicin (bakterizides Antibiotikum aus der Gruppe der Ansamycine (Rifamycine)/Tuberkulostatikum)
- Suramin (Antiprotozoikum; Arzneimittel zur Behandlung von parasitären Infektionskrankheiten)