Metabolisches Syndrom – Ursachen
Pathogenese (Krankheitsentstehung)
Zentrales Merkmal des metabolischen Syndroms ist die Insulinresistenz (vermindertes Ansprechen der Zellen auf das Hormon Insulin), von der vor allem Skelettmuskulatur, Leber und Fettgewebe betroffen sind. Diese Insulinresistenz führt zu einer Hyperinsulinämie (erhöhte Insulinkonzentration im Blut), die gemeinsam mit genetischen Faktoren eine wesentliche Rolle bei der Entwicklung des metabolischen Syndroms spielt.
Primäre pathophysiologische Mechanismen
- Insulinresistenz und Hyperinsulinämie
- Bei der Insulinresistenz steht die Störung des Glucose- und Lipidstoffwechsels (Fettstoffwechsel) im Mittelpunkt. Eine chronisch hohe Insulinausschüttung beeinflusst die Glucoseverwertung negativ und trägt zur Hyperinsulinämie bei, wodurch das Risiko für Typ-2-Diabetes erhöht wird.
- Die Sympathikusaktivität wird durch Insulin stimuliert, was zu einer erhöhten Natriumrückresorption in den Nieren und damit zur Entstehung von Bluthochdruck beiträgt. Zudem wirkt Insulin direkt proliferativ auf die glatten Muskelzellen der Gefäßwand, was zu Gefäßveränderungen führen kann.
- Adipositas als Schrittmacher des metabolischen Syndroms
- Adipositas (Übergewicht) stellt den wesentlichen Risikofaktor dar, da durch die Gewichtszunahme weitere metabolische Störungen klinisch manifest werden. Eine fettreiche, hyperkalorische Ernährung verstärkt die Insulinresistenz und verschlechtert die Parameter des Glucose- und Lipidstoffwechsels zusätzlich.
- Erhöhter Triglycerid- und Fettsäurenumsatz
- Eine fettreiche Ernährung erhöht die Konzentration freier Fettsäuren im Blut, welche die hepatische Insulinaufnahme und -inaktivierung hemmen und eine periphere Hyperinsulinämie begünstigen. In der Leber führen diese Fettsäuren zu einer verstärkten Synthese triglyceridreicher Lipoproteine und einer gesteigerten Gluconeogenese (Zuckerneubildung), die durch hohe Glycerin- und Lactatspiegel aus dem Fettgewebe gefördert wird.
- Hohe Fettsäurespiegel behindern die insulinabhängige Glucoseverwertung in der Muskulatur, was die Glukosetoleranz verschlechtert und das Risiko für Typ-2-Diabetes erhöht.
- Dyslipidämie und atherogene Veränderungen
- Eine Insulinresistenz führt zur Senkung des HDL-Cholesterins und verändert das LDL-Cholesterin, sodass kleine, dichte LDL-Partikel entstehen, die das Atheroskleroserisiko (Risiko einer Arterienverkalkung) erhöhen.
Sekundäre pathophysiologische Mechanismen
- Chronische Entzündung und subklinische Inflammation
- Die Insulinresistenz und Hyperinsulinämie gehen mit einer leichten, aber chronischen Entzündungsreaktion (subklinische Inflammation) einher, die proinflammatorische Zytokine freisetzt und zu einer fortschreitenden Gefäßschädigung beiträgt. Dies verstärkt die Atherosklerose (Arteriosklerose) und beeinträchtigt die Wundheilung.
- Kombination von Risikofaktoren und Gefäßschäden
- Die Hypertonie, Glukosetoleranzstörung bzw. Diabetes mellitus Typ 2, Dyslipidämie (Fettstoffwechselstörung) und Adipositas erzeugen zusammen ein hohes Atheroskleroserisiko. Die Gefäßablagerungen (Plaquebildung) werden durch diese Faktoren begünstigt, was zu schweren kardiovaskulären Erkrankungen wie Herzinfarkt und Schlaganfall führen kann.
Zusammenfassung und klinische Relevanz
Das metabolische Syndrom ist durch eine Kombination von Insulinresistenz, Adipositas, Hypertonie und Dyslipidämie gekennzeichnet, die das Risiko für Atherosklerose und kardiovaskuläre Erkrankungen erheblich steigern. Die Insulinresistenz bildet das zentrale pathophysiologische Merkmal, das die Störungen im Kohlenhydrat- und Fettstoffwechsel antreibt. Eine gezielte Prävention durch Lebensstiländerungen, wie eine ausgewogene Ernährung und regelmäßige körperliche Aktivität, ist entscheidend, um die Progression und Komplikationen des metabolischen Syndroms zu verhindern.
Ätiologie (Ursachen)
Biographische Ursachen
- Genetische Belastung durch Eltern, Großeltern
- Lebensalter – Prävalenz (Krankheitshäufigkeit) steigt mit dem Alter; heute tritt das metabolische Syndrom vor allem durch Adipositas bei Kindern und Jugendlichen immer früher auf
Verhaltensbedingte Ursachen
- Ernährung
- Chronische Überernährung
- hohe Kalorienzufuhr ↑↑ [wg. Adipositas, Hypertonie (Bluthochdruck), Diabetes mellitus Typ 2, Hypercholesterinämie (LDL-Erhöhung)]
- hoher Anteil gesättigter Fettsäuren (↑) [wg. Adipositas, Hypertonie, Diabetes mellitus Typ 2, Hypercholesterinämie (LDL-Erhöhung)]
- hoher Anteil einfach ungesättigter Fettsäuren (↑) [wg. Adipositas]
- hoher Anteil mehrfach ungesättigter Fettsäuren ? [wg. Adipositas?]
- hoher Zuckerkonsum, insb. Mono- und Disaccharide (Einfach- und Mehrfachzucker) [wg. Adipositas, Hypertonie, Diabetes mellitus Typ 2]
- Hoher Kochsalzkonsum ? [wg. Adipositas?, Hypertonie]
- Hohe Alkoholaufnahme (↑) [wg. Adipositas]
- Zu geringer Anteil einfach ungesättigter Fettsäuren [Diabetes mellitus Typ 2, Hypercholesterinämie (LDL-Erhöhung)]
- Zu geringer Anteil mehrfach ungesättigter Fettsäuren [Diabetes mellitus Typ 2, Hypercholesterinämie (LDL-Erhöhung)]
- Geringer Anteil komplexer Kohlenhydrate [wg. Adipositas, Diabetes mellitus Typ 2]
- Ballaststoffarme Ernährung [wg. Adipositas, Hypertonie, Diabetes mellitus Typ 2, Hypercholesterinämie (LDL-Erhöhung)]
- Hohe Aufnahme von Natrium und Kochsalz [wg. Hypertonus]
- Mikronährstoffmangel (Vitalstoffe) – siehe Prävention mit Mikronährstoffe
- Chronische Überernährung
- Genussmittelkonsum
- Alkohol (Frau: > 20 g/Tag; Mann: > 30 g/Tag)
- Tabak (Rauchen)
- Körperliche Aktivität
- Körperliche Inaktivität bzw. Bewegungsmangel
- Psycho-soziale Situation
- Psychische Konflikte
- Stress
- Übergewicht (BMI ≥ 25; Adipositas)
- Androide Körperfettverteilung, das heißt abdominales/viszerales, stammbetontes, zentrales Körperfett (Apfeltyp) – es liegt ein hoher Taillenumfang bzw. ein erhöhter Taille-Hüft-Quotient (THQ; englisch: waist-to-hip-ratio (WHR)) [gilt als zentraler Pfeiler des metabolischen Syndroms]
Bei der Messung des Taillenumfangs gemäß der Richtlinie der International Diabetes Federation (IDF, 2005) gelten folgende Normwerte:
- Männer < 94 cm
- Frauen < 80 cm
Krankheitsbedingte Ursachen
- Cholestase (Gallenstau) – vor allem durch Gallensteine verursacht
- Dyslipidämie (Fettstoffwechselstörung)
- Glukosetoleranzstörungen bis zum Diabetes mellitus (Zuckerkrankheit)
- Hypothyreose (Schilddrüsenunterfunktion)
- Lebererkrankungen
- Nierenerkrankungen
Labordiagnosen – Laborparameter, die als unabhängige Risikofaktoren gelten
- Altersbedingte Hyperleptinämie – Hormon, welches das Hungergefühl hemmen kann; kann sich bis zur Leptinresistenz entwickeln
- Nüchterninsulin ↑
- Nüchternglucose (Nüchternblutzucker) ↑
- SHBG (Sexualhormon-bindende Globulin) ↓ – erniedrigt bei Frauen mit klinischen beziehungsweise biochemischen Androgenüberschuss, bei denen in Verbindung mit Oligoamenorrhoen beziehungsweise Anovulationen, mit oder ohne polyzystischen Ovarien, nach Definition der Androgen Excess Society ein "hyperandrogenes Syndrom", das heißt ein polyzystisches Ovarsyndrom (PCOS) vorliegt [1]
Medikamente (Nachfolgende Medikamente steigern den Appetit oder vermindern den Energieverbrauch – erhöhtes Körpergewicht ist die Folge.)
- Antipsychotika (Neuroleptika)
- Amisulprid, Aripiprazol, Clozapin, Haloperidol, Melperon, Olanzapin (stark), Quetiapin, Risperidon (mäßig), Ziprasidon (gering), Zuclopenthixol
- Alimemazin, Chlorpromazin (stark), Perphenazin, Promethazin (mittel), Promazin (leicht), Thioridazin, Triflupromazin
- Hormone
- Insulin (stark)
- Cortisol und deren Derivate (stark)
- Androgene: Testosteron und Androstendion (mittel)
- Kontrazeptiva: Ethinylöstradiol (gering)
- Östrogene, außer Ethinylöstradiol (sehr gering)
- Gestagene (sehr gering)
- Phasenprophylaktika
- Lithium, Valproat (stark), Carbamzepin (mäßig), Gabapentin, Lamotrigin, Topiramat (gering)
- Tri- und heterozyklische Antidepressiva
- Amitriptylin, Doxepin, Maprotilin, Mirtazapin, Trimipramin (stark), Clomipramin, Imipramin, Nortriptylin, Opipramol, Mianserin (mäßig)
- Citalopram, Fluoxetin, Flavoxamin, Moclobemid, Sertralin, (gering)
- Weitere Pharmaka mit adipogener Wirkung
- Alpha-2-Agonisten (α2-Adrenozeptor-Agonisten) (sehr gering) wie beispielsweise Midodrin
- Betablocker (gering): Nicht selektive Betablocker (z. B. Carvedilol, Propranolol, Soltalol) [Hemmung der Insulinausschüttung; stärker als die selektiven Betablocker]; Selektive Betablocker (z. B. Atenolol, Bisoprolol, Metoprolol)
- Glinide (Nateglinid, Repaglinid)
- Glitazone (Thiazolidindione: Pioglitazon, Rosiglitazon)
- Sulfonylharnstoffe (mittel) (Glibenclamid, Gliclazid, Glimepirid, Gliquidon, Tolbutamid)
- Thiazolidindione (gering) wie beispielsweise Rosiglitazon
Literatur
- Kajaia N, Binder H, Dittrich R: Low sex hormone-binding globulin as a predictive marker for insulin resistance in women with hyperandrogenic syndrome. Eur J Endocrinol 2007;157:499-507.
- S3-Leitlinie: Prävention und Therapie der Adipositas. (AWMF-Registernummer: 050-001), April 2014 Langfassung
Leitlinien
- S3-Leitlinie: Prävention und Therapie der Adipositas. (AWMF-Registernummer: 050-001), April 2014 Langfassung