Kupferspeicherkrankheit (Morbus Wilson) – Einleitung

Morbus Wilson, umgangssprachlich als Kupferspeicherkrankheit bekannt, ist eine autosomal-rezessiv vererbte Stoffwechselstörung, die durch Mutationen im ATP7B-Gen auf Chromosom 13 verursacht wird. Diese Mutationen führen zu einer gestörten Kupferexkretion in der Leber, was zu einer toxischen Anreicherung von Kupfer in verschiedenen Organen, insbesondere Leber und Gehirn, führt.

Synonyme und ICD-10: Amyostatisches Syndrom; Coeruloplasminmangel; Demenz bei hepatolentikulärer Degeneration; Demenz bei Morbus Wilson; Hepatolentikuläre Degeneration; Hepatolentikuläre Degeneration, Kupferspeicherkrankheit, Wilson-Krankheit, Pseudosklerose Westphal); Kinky hair disease; Kinky-hair-Krankheit; Kinky-hair-Syndrom; Kraushaarsyndrom; Kupferstoffwechselstörung; Linsenkerndegeneration; Menkes-II-Krankheit [Kupferstoffwechselstörung]; Menkes-II-Syndrom [Kupferstoffwechselstörung]; Progressives Lentikulärsyndrom; Pyelonephritis bei Wilson-Krankheit; Steely-hair-Syndrom ‒ s.a. Menkes-II-Syndrom; Trichopoliodystrophie ‒ s.a. Menkes-II-Syndrom; Tubulointerstitielle Nierenkrankheit bei Wilson-Krankheit; Tubulointerstitielle Störung bei Wilson-Krankheit; Westphal-von-Strümpell-Pseudosklerose; Wilson-I-Syndrom; Wilson-Krankheit [Hepatolentikuläre Degeneration]; Wilson-Linsenkerndegeneration; ICD-10-GM E 83.0: Störungen des Kupferstoffwechsels)

Tritt der Morbus Wilson familiär auf, sollte ab einem Alter von ungefähr 4 bis 5 Jahren eine entsprechende Diagnostik erfolgen.

Charakteristische Laborbefunde

  • Erniedrigtes Serum-Ceruloplasmin: Ceruloplasmin ist ein Kupfer-transportierendes Protein. Bei Morbus Wilson ist der Serum-Ceruloplasmin-Spiegel in der Regel erniedrigt (< 20 mg/dL). Dieser Befund ist jedoch nicht spezifisch und kann bei anderen Erkrankungen ebenfalls auftreten.
  • Erhöhte Kupferkonzentration im 24-Stunden-Urin: Ein stark erhöhter Kupfergehalt im 24-Stunden-Sammelurin (> 100 µg/24 Stunden) ist ein charakteristisches Zeichen für Morbus Wilson. Dies reflektiert die erhöhte Ausscheidung von freiem Kupfer aufgrund der gestörten Kupferstoffwechselregulation.
  • Erhöhte freie Kupferkonzentration im Serum: Die freie (nicht an Ceruloplasmin gebundene) Kupferkonzentration im Serum ist bei Morbus Wilson erhöht. Dies ist ein wichtiger diagnostischer Marker, da das gesamte Serumkupfer aufgrund des niedrigen Ceruloplasmins möglicherweise normal oder sogar niedrig sein kann.
  • Erniedrigte Serum-Kupferkonzentration: Trotz der Kupferüberladung im Körper kann die Serum-Kupferkonzentration insgesamt erniedrigt oder normal sein, da ein Großteil des Kupfers im Körper in den Geweben, insbesondere in der Leber, akkumuliert wird.
  • Leberbiopsie mit erhöhter Kupferkonzentration: Eine direkte Messung des Kupfergehalts in der Leber mittels Biopsie (Gewebeprobe) ist der Goldstandard für die Diagnose. Ein Kupfergehalt von > 250 µg/g Trockengewicht in der Leber bestätigt in der Regel die Diagnose Morbus Wilson.
  • Erhöhte Transaminasen (AST, ALT): Erhöhte Leberenzymwerte sind häufig und spiegeln die hepatische Schädigung wider, die durch die Kupferansammlung verursacht wird.
  • Koagulopathie: Bei fortgeschrittener Lebererkrankung können INR und PT (Prothrombinzeit) verlängert sein, was auf eine beeinträchtigte Synthese von Gerinnungsfaktoren hinweist.
  • Anämie mit hämolytischer Komponente: Hämolytische Anämie kann auftreten, insbesondere bei akuter hepatischer Dekompensation, verursacht durch die direkte toxische Wirkung des freien Kupfers auf die Erythrozyten (rote Blutkörperchen).

Formen des Morbus Wilson

  • Juveniler Typ (Wilson-Typ):
    • Führt unbehandelt innerhalb weniger Jahre zum Tod
    • Symptome treten meist vor dem 20. Lebensjahr auf
  • Adulter Typ (Westphal-Strümpell-Pseudosklerose)
    • Verläuft langsamer als der juvenile Typ
    • Symptome beginnen typischerweise zwischen dem 20. und 40. Lebensjahr

Epidemiologie

 

Geschlechterverhältnis: Gleichmäßig verteilt zwischen Männern und Frauen

Häufigkeitsgipfel: Manifestation zwischen dem 5. und 45. Lebensjahr. Der juvenile Typ beginnt typischerweise bis zum 20. Lebensjahr, der adulte Typ zwischen dem 20. und 40. Lebensjahr.

Prävalenz (Krankheitshäufigkeit): Etwa 1:30.000 bis 1:100.000 weltweit

Inzidenz (Häufigkeit von Neuerkrankungen): Ca. 15-30 Neuerkrankungen pro 1.000.000 Einwohner pro Jahr in Deutschland

Verlauf und Prognose

Verlauf

  • Asymptomatisch (präklinisch):
    • Erhöhte Lebertransaminasen
    • Frühdiagnose durch Screening in betroffenen Familien
  • Symptomatisch (klinisch)
    • Hepatische Symptome (Lebersymptome)
      • Anstieg der Lebertransaminasen
      • Leistungsminderung
      • Abgeschlagenheit
      • Ikterus (Gelbsucht)
      • Risiko eines Leberversagens
  • Neurologische Symptome
    • Tremor (Zittern)
    • Dysarthrie (Sprechstörungen)
    • Dysphagie (Schluckstörungen)
    • Psychische Veränderungen
    • Rigor (Muskelsteifheit)
    • Koordinationsstörungen

Prognose

  • Bei frühzeitiger und konsequenter Therapie
    • Gute Prognose ohne wesentliche Einschränkung der Lebenserwartung
    • Reversibilität einiger Krankheitsfolgen möglich
    • Mögliche Residualschäden: Leberfibrose oder Leberzirrhose (Endstadium chronischer Leberkrankheiten)
  • Ohne adäquate Behandlung
    • Fortschreiten der Leberzirrhose
    • Schwere neurologische Beeinträchtigungen
  • Langzeitmanagement
    • Lebenslange Kontrolle des Kupferstoffwechsels und der Leberfunktion
    • Regelmäßige Überwachung (alle 1 bis 2 Jahre) der Thrombozyten, Nierenwerte und des neurologischen Befundes

Leitlinien

  1. S1-Leitlinie: Morbus Wilson. (AWMF-Registernummer: 030-091), September 2012 Langfassung