Kaliummangel (Hypokaliämie) – Ursachen

Pathogenese (Krankheitsentstehung)

Kaliumverteilung im Körper

Über 98 % des gesamten Kaliumbestands des Körpers befindet sich im Intrazellulärraum (IZR), dem Raum innerhalb der Körperzellen. Nur etwa 2 % des Kaliums zirkuliert im Extrazellulärraum (EZR), der aus dem Intravasalraum (innerhalb der Blutgefäße) und dem Extravasalraum (außerhalb der Blutgefäße) besteht. Die Verteilung des Kaliums zwischen diesen beiden Kompartimenten wird durch verschiedene Faktoren reguliert, unter anderem:

  • Hormone: Insulin, Aldosteron und Catecholamine wirken auf den Kaliumtransport und beeinflussen so die Verteilung des Kaliums zwischen EZR und IZR.
  • Säure-Basen-Haushalt: Der pH-Wert des Blutes beeinflusst die Kaliumverschiebung zwischen den Zellen und dem EZR. Eine Azidose führt oft zu einem Anstieg des Kaliums im EZR, während eine Alkalose das Kalium in die Zellen verlagert.
  • Magnesium: Ein niedriger Magnesiumspiegel kann zu einer Hypokaliämie beitragen, da Magnesium eine wichtige Rolle bei der Regulation des Kaliumhaushalts spielt.

Kaliumbilanzierung in der Niere

Die Kaliumausscheidung erfolgt größtenteils über die Niere. Dort wird Kalium zunächst glomerulär filtriert. Etwa 90 % des gefilterten Kaliums wird im proximalen Tubulus und in der Henleschen Schleife reabsorbiert. Die entscheidende Regulation der Kaliumausscheidung erfolgt jedoch im distalen Tubulus und im Sammelrohr der Niere.

Differentialpathogenetische Einteilung der Hypokaliämie

Hypokaliämie kann auf verschiedene Ursachen zurückgeführt werden, die wie folgt klassifiziert werden:

  • Renalbedingte (nierenbedingte) Hypokaliämie
    • Renale tubuläre Azidose (RTA): Ein Defekt in den Nierentubuli, der eine eingeschränkte Säureausscheidung und folglich einen Kaliumverlust zur Folge haben kann.
    • Hypokaliämische Nephropathie: Eine Nierenerkrankung, die zu eingeschränkter Konzentrationsfähigkeit der Niere und zu Symptomen wie Polyurie (vermehrte Harnausscheidung) und Polydipsie (übermäßige Flüssigkeitsaufnahme) führt.
    • Medikamente: Diuretika wie Thiazide und Schleifendiuretika fördern die Kaliumausscheidung und sind häufige Ursachen für eine medikamenteninduzierte Hypokaliämie.
    • Lakritzabusus: Übermäßiger Lakritzkonsum kann die Kaliumretention beeinflussen und einen Mangel verursachen.
  • Enteralbedingte (darmbedingte) Hypokaliämie
    • Diarrhoe (Durchfall): Führt zu einem erheblichen Kaliumverlust über den Verdauungstrakt.
    • Enterale Fisteln: Anormale Verbindungen zwischen Hohlorganen, die zu Flüssigkeits- und Elektrolytverlusten führen können.
    • Sondenableitungen: Ableitungen aus Galle, Bauchspeicheldrüse oder Dünndarm können zu Kaliumverlusten führen.
  • Metabolische (stoffwechselbedingte) Hypokaliämie
    • Alkalose: Ein basisches Milieu fördert die Verschiebung von Kalium in die Zellen, was den Kaliumspiegel im Serum senken kann.
    • Ausgleich einer metabolischen Azidose: Bei der Korrektur einer Azidose, z. B. nach einem diabetischen Koma, kann es zu einer Hypokaliämie kommen, da das Kalium wieder vermehrt in die Zellen aufgenommen wird.
    • Conn-Syndrom (primärer Hyperaldosteronismus): Erhöhte Aldosteronspiegel führen zu einer verstärkten Kaliumausscheidung über die Nieren.
    • Paroxysmale Muskellähmung: Eine seltene genetische Erkrankung, die durch einen episodischen Kaliumverlust gekennzeichnet ist.

Zusätzliche Hinweise

  • pH-Wert-Einfluss: Eine Änderung des pH-Werts um 0,1 Einheiten kann den Kaliumspiegel im Serum um 0,4–1,2 mmol/l verändern.
  • Azidose und Kalium: Eine Azidose kann bestehende Kaliummängel verdecken, die sich erst nach Ausgleich der Azidose offenbaren.

Ätiologie (Ursachen)

Biographische Ursachen

  • Genetische Belastung/Erkrankungen
    • Bartter-Syndrom – sehr seltene genetische Stoffwechselerkrankung mit autosomal-dominantem oder autosomal-rezessivem oder X-chromosomal-rezessivem Erbgang; Defekt tubulärer Transportproteine; Hyperaldosteronismus (Krankheitszustände, die mit einer erhöhten Ausschüttung von Aldosteron einhergehen), Hypokaliämie (Kaliummangel) und Hypotonie (niedriger Blutdruck)
    • EAST-Syndrom (Synonym: SeSAME Syndrom) – genetisch-bedingte Erkrankung mit autosomal-rezessivem Erbgang, die durch zerebrale Krämpfe, Schallempfindungs-Schwerhörigkeit, Ataxie (Störung der Bewegungskoordination und Haltungsinnervation), Retardierung (verzögerte Entwicklung), intellektuelles Defizit und Elektrolytstörungen (Hypokaliämie, metabolische Alkalose (stoffwechselbedingte Alkalose), Hypomagnesiämie/Magnesiummangel) charakterisiert ist; Manifestationsalter: Kleinkindalter, Neugeborenzeit
    • Gitelman-Syndrom (GS; Synonym: Familiäre Hypokaliämie-Hypomagnesiämie) – genetisch-bedingte Erkrankung mit autosomal-rezessivem Erbgang, die durch eine hypokaliämische metabolische Alkalose (stoffwechselbedingte Alkalose mit Kaliummangel) mit ausgeprägter Hypomagnesiämie (Magnesiummangel) und niedriger Calciumausscheidung im Urin charakterisiert ist
    • Liddle-Syndrom – sehr seltene genetische Erkrankung mit autosomal-dominantem Erbgang, die mit schweren, früh beginnenden Bluthochdruck mit verminderten Kalium-, Renin- und Aldosteron-Plasmaspiegeln einhergeht
    • Renale tubuläre Azidose (RTA) – genetische Erkrankung mit autosomal-rezessivem Erbgang, die zu einem Defekt der H+-Ionensekretion im Tubulussystem der Niere führt und infolgedessen zu einer Demineralisation des Knochens (Hypercalciurie und Hyperphosphaturie/vermehrte Ausscheidung von Calcium und Phosphat im Urin) und einer Hypokaliämie (Kaliummangel)

Verhaltensbedingte Ursachen

  • Ernährung
    • Kaliumarme Ernährung – Reduzierter Verzehr von kaliumreichen Lebensmitteln wie Getreideprodukten, Hülsenfrüchten (z. B. Bohnen), Nüssen und Fischen (z. B. Makrele, Heilbutt).
    • Magnesiumarme Ernährung – Niedrige Magnesiumaufnahme durch seltenen Verzehr von Getreideprodukten und Hülsenfrüchten kann eine Hypokaliämie begünstigen.
      • Beachte: Eine gute Magnesiumversorgung reguliert spezielle K+-Kanäle und verhindert, dass zu viel Kalium die Zelle im Austausch gegen Natrium verlässt.
    • Hohe Kochsalzzufuhr – Führt zu einer erhöhten Natriumausscheidung, die Kaliumverluste begünstigt.
    • Lakritzabusus – Die aldosteronartige Wirkung von Lakritz kann Kaliumverluste fördern.
    • Häufige Diäten – Einschränkungen bei der Nährstoffaufnahme, insbesondere Magnesium, erhöhen das Risiko für Hypokaliämie.
    • Mikronährstoffmangel (Vitalstoffe) – Hypomagnesiämie (Magnesiummangel) erhöht das Risiko für Hypokaliämie.
  • Genussmittelkonsum
    • Kaffee, schwarzer oder grüner Tee, Cola – Der Konsum koffeinhaltiger Getränke fördert die Ausscheidung von Kalium.
    • Alkohol – Übermäßiger Alkoholkonsum (Frau: > 20 g/Tag; Mann: > 30 g/Tag) kann den Kaliumspiegel negativ beeinflussen.
  • Psycho-soziale Situation
    • Stress – Chronischer Stress erhöht den Bedarf an Elektrolyten und kann indirekt zu Kaliumverlusten führen.
  • Körperliche Aktivität
    • Intensive körperliche Aktivität – Erhöhter Kaliumverbrauch durch die Muskulatur und vermehrter Verlust über den Schweiß.
    • Sport und Leistungssport – Mineralstoffverluste von etwa 300 mg Kalium pro Liter Schweiß.

Krankheitsbedingte Ursachen

Angeborene Fehlbildungen, Deformitäten und Chromosomenanomalien (Q00-Q99)

  • EAST-Syndrom (Synonym: SeSAME Syndrom) – genetisch-bedingte Erkrankung mit autosomal-rezessivem Erbgang, die durch zerebrale Krämpfe, Schallempfindungs-Schwerhörigkeit, Ataxie (Störung der Bewegungskoordination und Haltungsinnervation), Retardierung (verzögerte Entwicklung), intellektuelles Defizit und Elektrolytstörungen (Hypokaliämie, metabolische Alkalose (stoffwechselbedingte Alkalose), Hypomagnesiämie/Magnesiummangel) charakterisiert ist; Manifestationsalter: Kleinkindalter, Neugeborenzeit

Endokrine, Ernährungs- und Stoffwechselkrankheiten (E00-E90)

  • Alkalose
  • Zustand nach Ausgleich einer metabolischen Azidose/Übersäuerung (z. B. beim diabetischen Koma)
  • Conn-Syndrom (primärer Hyperaldosteronismus) bzw. sekundärer Hyperaldosteronismus (vermehrte Bildung von Aldosteron)
  • Bartter-Syndrom – sehr seltene genetische Stoffwechselerkrankung mit autosomal-dominantem oder autosomal-rezessivem oder X-chromosomal-rezessivem Erbgang; Defekt tubulärer Transportproteine; Hyperaldosteronismus (Krankheitszustände, die mit einer erhöhten Ausschüttung von Aldosteron einhergehen), Hypokaliämie (Kaliummangel) und Hypotonie (niedriger Blutdruck)
  • Gitelman-Syndrom (GS; Synonym: Familiäre Hypokaliämie-Hypomagnesiämie)  genetisch-bedingte Erkrankung mit autosomal-rezessivem Erbgang, die durch eine hypokaliämische metabolische Alkalose (stoffwechselbedingte Alkalose mit Kaliummangel) mit ausgeprägter Hypomagnesiämie (Magnesiummangel) und niedriger Calciumausscheidung im Urin charakterisiert ist
  • Hyperinsulinismus – Vorliegen erhöhter Insulinwerte im Blut (Nüchterninsulin > 17 mU/l)
  • Hypomagnesiämie (Magnesiummangel)
  • Morbus Cushing – Gruppe von Erkrankungen, die zum Hyperkortisolismus (Hypercortisolismus; Überangebot von Cortisol) führen

Infektiöse und parasitäre Krankheiten (A00-B99)

  • Infektiöse Gastroenteritis (Magen-Darm-Grippe), nicht näher bezeichnet

Kreislaufsystem (I00-I99) 

  • Liddle-Syndrom – sehr seltene genetische Erkrankung mit autosomal-dominantem Erbgang, die mit schweren, früh beginnenden Bluthochdruck mit verminderten Kalium-, Renin- und Aldosteron-Plasmaspiegeln einhergeht

Mund, Ösophagus (Speiseröhre), Magen und Darm (K00-K67; K90-K93)

  • Nichtinfektiöse Gastroenteritis, nicht näher bezeichnet

Muskel-Skelett-System und Bindegewebe (M00-M99) 

  • Sjögren-Syndrom – Autoimmunerkrankung aus der Gruppe der Kollagenosen, die zu einer chronisch-entzündlichen Erkrankung bzw. Zerstörung der exokrinen Drüsen führt, wobei die Speichel- und Tränendrüsen am häufigsten betroffen sind; u. a. Hypokaliämie (Kaliummangel) mit metabolischer Azidose (stoffwechselbedingte Übersäuerung), interstitielle Nephritis (Nierenentzündung)

Psyche – Nervensystem (F00-F99; G00-G99)

  • Anorexia nervosa (Magersucht)
  • Bulimia nervosa (BN) – auch Ess-Brech-Sucht genannt; gehört zu den psychogenen Essstörungen
  • Paroxysmale Muskellähmung
  • Tremor (Zittern)

Schwangerschaft, Geburt und Wochenbett (O00-O99)

  • Hyperemesis gravidarum (extreme Schwangerschaftsübelkeit) – extremes Erbrechen während der Schwangerschaft

Symptome und abnorme klinische und Laborbefunde, die anderenorts nicht klassifiziert sind (R00-R99)

  • Diarrhoe (Durchfall)
  • Obstipation (Verstopfung)
  • Polydipsie (übermäßiger Flüssigkeitsaufnahme durch Trinken)
  • Polyurie (vermehrten Harnausscheidung) 

Urogenitalsystem (Nieren, Harnwege – Geschlechtsorgane) (N00-N99)

  • Akutes Nierenversagen (ANV)
  • Hypokaliämische Nephropathie (Nierenerkrankung) mit eingeschränkter Konzentrationsfähigkeit, Polyurie (vermehrten Harnausscheidung) und Polydipsie (übermäßiger Flüssigkeitsaufnahme durch Trinken)
  • Renale tubuläre Azidose (RTA) – genetische Erkrankung mit autosomal-rezessivem Erbgang, die zu einem Defekt der H+-Ionensekretion im Tubulussystem der Niere führt und infolgedessen zu einer Demineralisation des Knochens (Hypercalciurie und Hyperphosphaturie/vermehrte Ausscheidung von Calcium und Phosphat im Urin) und einer Hypokaliämie (Kaliummangel)

Weitere Ursachen

  • Enterale Fisteln 
  • Enterostomie (künstlicher Darmausgang)
  • Parenterale Ernährung ("unter Umgehung des Darmes“) ohne Kaliumzusatz
  • Sondenableitungen (Magen, Duodenum (Zwölffingerdarm), Galle, Pankreas/Bauchspeicheldrüse, Dünndarm)

Medikamente

  • Antibiotika
    • Aminoglykoside (Amikacin, Apramycin, Geneticin (G418), Gentamicine, Kanamycin, Netilmicin, Neomycin, Paromomycin, Spectinomycin, Streptomycin, Tobramycin), Penicilline
  • Antimykotikum (Amphotericin B)
  • Arsentrioxid
  • Betamimetika (Synonyme: β2-Sympathomimetika, auch β2-Adrenozeptor-Agonisten)Fenoterol, Formoterol, Hexoprenalin, Indaceterol, Olodaterol, Ritodrin, Salbutamol, Salmeterol, Terbutalin
  • Carboanhydrasehemmer (Acetazolamid)
  • Calcium-Sensitizer (Levosimendan)
  • Diuretika
    • Schleifendiuretika (Etacrynsäure, Furosemid, Piretanid, Torasemid)
    • Thiaziddiuretika (Hydrochlorothiazid (HCT), Benzthiazid, Clopamid, Chlortalidon (CTDN), Chlorothiazid, Hydroflumethiazid, Indapamid, Methyclothiazid, Metolazon, Polythiazid und Trichlormethiazid, Xipamid)
  • Füll-/Quellmittel (Flohsamen, Leinsamen) [bei längerem Gebrauch]
  • HCV-Inhibitoren – Telaprevir
  • Hormone
    • Glucocorticoide (Betamethason, Budenosid, Cortison, Fluticason, Dexmeathason, Prednisolon, Triamcinolon)
    • Insulin
  • Hydragoge Laxantien (Bisacodyl, Natriumpicosulfat)
  • mTOR-Inhibitoren (Everolimus, Temsirolimus)
  • Osmotisch-wirksame Laxantien (Lactulose, Polyethylenglykole/PEG, Macrogol)