Hyperhomocysteinämie – Ursachen

Pathogenese (Krankheitsentstehung)

Die Hyperhomocysteinämie beschreibt einen Zustand erhöhter Konzentrationen der schwefelhaltigen Aminosäure Homocystein im Blut. Homocystein entsteht als Zwischenprodukt im Methionin- und Cysteinstoffwechsel und spielt eine zentrale Rolle im Aminosäurestoffwechsel [1, 2]. Je nach Methionin-Bedarf wird Homocystein entweder zu Methionin remethyliert oder durch Transsulfurierung zu Cystein abgebaut [3, 4]. Diese Aminosäure wirkt jedoch zyto-, vaso- und neurotoxisch, weshalb sie bei gesunden Personen schnell zu Methionin und Cystein umgewandelt oder ins Plasma abgegeben wird [1, 2].

Bei Personen mit Hyperhomocysteinämie liegt eine Störung in den beiden zentralen Stoffwechselwegen vor:

  1. Synthese des Methionins durch Methylierung des Homocysteins: Die Enzyme Methionin-Synthase und Methylen-Tetrahydrofolat-Reduktase katalysieren diesen Prozess und sind dabei auf die Cofaktoren Folsäure und Vitamin B12 angewiesen [2, 4, 6, 7].
  2. Transsulfurierung von Homocystein zu Cystein: Dieser Abbauweg wird von den Enzymen Cystathionin-β-Synthase und Cystathionin-γ-Synthase katalysiert, die Vitamin B6 in seiner biologisch aktiven Form, Pyridoxalphosphat, als Cofaktor benötigen [1, 2].

Niedrige Homocystein-Werte werden durch körperliche Aktivität, mäßigen Alkoholkonsum und eine vitaminreiche Ernährung gefördert [8]. Diese drei B-Vitamine sind entscheidend für die Aufrechterhaltung eines stabilen Homocysteinspiegels.

Zusätzlich zu den B-Vitaminen tragen Cholin und Betain zur Senkung einer Hyperhomocysteinämie bei. Cholin wird im Körper zu Betain (zwitterionisches Trimethylglycin) oxidiert, welches in der Lage ist, eine Methylgruppe direkt an Homocystein zu übertragen, ohne dass weitere Cofaktoren notwendig sind [5]. Dieser Reaktionsschritt wird von der Betain-Homocystein-Methyltransferase katalysiert, und als Endprodukte entstehen Methionin und Dimethylglycin [2, 5, 6].

Primäre pathophysiologische Mechanismen

  • Erhöhter Homocystein-Spiegel: Durch das Fehlen oder die unzureichende Verfügbarkeit wichtiger Cofaktoren (Vitamin B6, B12, Folsäure) und genetische Faktoren steigt die Homocystein-Konzentration im Blut.
  • Vermehrte toxische Wirkung: Ein erhöhter Homocystein-Spiegel verursacht oxidativen Stress und fördert entzündliche Prozesse, die gefäßschädigend wirken und das Herz-Kreislauf-System beeinträchtigen.

Sekundäre pathophysiologische Veränderungen

  • Gefäßschäden und erhöhter oxidativer Stress: Durch den erhöhten Homocystein-Spiegel kommt es zu Schäden der Blutgefäße und einer verstärkten Anfälligkeit für arteriosklerotische Veränderungen.
  • Störung des Aminosäurestoffwechsels: Die erhöhte Homocystein-Konzentration wirkt sich auf den Aminosäurestoffwechsel aus, da der toxische Einfluss von Homocystein in verschiedenen Organen eine Belastung darstellt.

Klinische Manifestation

Leitsymptome:

  • Keine spezifischen Symptome im Frühstadium; oft Zufallsbefund.

Fortgeschrittene Symptome:

  • Gefäßveränderungen mit erhöhtem Risiko für arteriosklerotische Erkrankungen und Herz-Kreislauf-Erkrankungen.

Risikofaktoren

  • Genetische Defekte: Mutationen, die die Enzymfunktion (Methionin-Synthase und Methylen-Tetrahydrofolat-Reduktase) beeinträchtigen.
  • B-Vitamin-Mangel: Mangel an Vitamin B6, B12 und Folsäure erhöht das Risiko für Hyperhomocysteinämie.

Zusammenfassung und klinische Relevanz

Eine Hyperhomocysteinämie führt zu strukturellen und funktionellen Veränderungen der Blutgefäße, erhöht das Risiko für Herz-Kreislauf-Erkrankungen und fördert oxidativen Stress. Ein frühzeitiges Erkennen und die gezielte Ergänzung mit B-Vitaminen, Cholin und Betain können helfen, den Homocystein-Spiegel zu senken und das Risiko für Folgeerkrankungen zu reduzieren.

Ätiologie (Ursachen)

Biographische Ursachen

  • Genetische Belastung durch Eltern, Großeltern:
    • Polymorphismus der Methylen-Tetrahydrofolat-Reduktase (MTHFR):
      • Aufgabe der MTHFR ist die Umwandlung der 5,10-Methylenhydrofolat (inaktive Folsäureform) in 5-Methyl-Tetrahydrofolat (5-MTHF, aktive Folsäureform)
      • genetische Ursache: autosomal-rezessiv ererbt; Punktmutation
        • Austausch der Nukleinbase Cytosin durch Thymin im MTHFR-Gen → Aminosäure Alanin wird durch Valin ersetzt → Enzymaktivität ist somit um circa 70 % reduziert
      • Genetisches Risiko abhängig von Genpolymorphismen:
        • Gene/SNPs (Einzelnukleotid-Polymorphismus; engl.: single nucleotide polymorphism):
          • Gene: MTHFR
          • SNP: rs1801133 im Gen MTHFR
            • Allel-Konstellation: CT (35 % Einschränkung des Folsäuremetabolismus)
            • Allel-Konstellation: TT (80-90 % Einschränkung des Folsäuremetabolismus)
      • Unterscheidung zwischen heterozygotem und homozygotem Polymorphismus:
        • Heterozygoter Polymorphismus (677CT)
          • Homocystein-Werte im Regelfall im tolerierbaren Normalbereich
          • Homocystein-Werte von 11,9 ± 2,0 μmol/l [9]
          • Häufigkeit: 45-47 %
        • Homozygoter Polymorphismus (677TT)
          • führt zu leichter Hyperhomocysteinämie
          • Homocystein-Werte von 14,4 ± 2,9 μmol/l [9]
          • Häufigkeit: 12-15 %
      • Häufigkeit des „Wildtyps“ (677CC – normale, nicht mutierte Genvariante): 40-50 % in europäischstämmigen Populationen
      • Aktivitätsminderung der MTHFR-Reduktase ist bei ausreichender Folsäureversorgung irrelevant; aber bei Folsäuremangel kann es bei homozygoten Merkmalsträgern zur Erhöhung der Homocysteinwerte um 25 % (2 bis 3 µmol/l) kommen [10, 11]
      • Empfehlenswert ist bei homozygoten Merkmalsträgern die Einnahme der aktiven Folsäureform 5-MTHF.
    • Weitere genetisch bedingte Enzymdefekte:
      • Defekt der Cystathionin-β-Synthase (CBS), der Cystathionin-Lyase (CL), der Homocystein-Methyltransferase (HMT) oder der Betain-Homocystein-Methyltransferase (BHMT)
      • Unterscheidung zwischen heterozygotem und homozygotem Gendefekt
        • Heterozygoter Gendefekt
          • führt zu mittlerer Hyperhomocysteinämie
          • Homocystein-Werte ≥ 30 µmol/l
          • kommt selten vor
        • Homozygoter Gendefekt
          • führt zu schwerer Hyperhomocysteinämie
          • Homocystein-Werte ≥ 100 µmol/l
          • kommt sehr selten vor (Deutschland: 1 : 300.000)
          • Behandlung zwingend notwendig, ansonsten frühzeitiger Tod
          • Therapie: hochdosierte Gabe von Vitamin B6 [12]
  • Lebensalter – zunehmendes Alter
  • Hormonelle Faktoren – postmenopausale Frauen

Verhaltensbedingte Ursachen

  • Ernährung
    • Mikronährstoffmangel (Vitalstoffe) – Vitamin B6, B12 und Folsäure – siehe Prävention mit Mikronährstoffen
  • Genussmittelkonsum
    • Alkohol – (Frau: > 20 g/Tag; Mann: > 30 g/Tag)
    • Tabak (Rauchen)
  • Psycho-soziale Situation
    • Stress

Krankheitsbedingte Ursachen

  • Diabetes mellitus
  • Helicobacter-pylori-Infektion – alte Menschen mit H.-pylori-Infektion haben häufig einen Vitamin-B12-Mangel und dadurch hohe Homocystein-Werte. Nach einer Eradikation (Antibiotikatherapie) normalisieren sich die Homocystein-Spiegel [13].
  • Hypothyreose (Schilddrüsenunterfunktion)
  • Leukämie (Blutkrebs)
  • Metabolisches Syndrom – klinische Bezeichnung für die Symptomkombination Adipositas (Übergewicht), Hypertonie (Bluthochdruck), erhöhte Nüchternglucose (Nüchternblutzucker; Insulinresistenz) und Fettstoffwechselstörung (erhöhte VLDL-Triglyceride, erniedrigtes HDL-Cholesterin)
  • Niereninsuffizienz (Nierenschwäche)
  • Psoriasis (Schuppenflechte)

Medikamente (die u. a. mit dem Methionin-Homocystein-Stoffwechsel interferieren bzw. einen Mehrbedarf für Folsäure, B6 und B12 induzieren)

  • Antagonisten des Folsäure-, Vitamin-B6- und -B12-Metabolismus
    • Folsäure: Methotrexat (Analogon der Folsäure (Vitamin B9); es inhibiert als Folsäure-Antagonist kompetitiv und reversibel das Enzym Dihydrofolat-Reduktase (DHFR)), Trimethoprim, Antiepileptika
    • Vitamin B6: Theophyllin
    • Vitamin B12: Hemmung beziehungsweise Störung der Absorption durch Metformin und Protonenpumpenhemmer
  • AntiepileptikaCarbamazepin, Phenytoin 
  • Isoniazid
  • N-Acetylcystein – stört den SH-Gruppentransfer
  • Lachgas (Distickstoffmonoxid)
  • Lipidsenkern vom Fibrat-Typ – möglicherweise Beeinträchtigung der renalen Elimination (Ausscheidung über die Nieren)

Literatur

  1. Stanger O, Herrmann W, Pietrzik K, Fowler B, Geisel J, Dierkes J, Weger M: Clinical use and rational management of homocysteine, folic acid, and B vitamins in cardiovascular and thrombotic diseases. Z Kardiol. 2004 Jun;93(6):439-53.
  2. Tchantchou F: Homocysteine metabolism and various consequences of folate deficiency. J Alzheimers Dis. 2006 Aug;9(4):421-7.
  3. Moat SJ, Lang D, McDowell IF, Clarke ZL, Madhavan AK, Lewis MJ, Goodfellow J: Folate, homocysteine, endothelial function and cardiovascular disease. J Nutr Biochem. 2004 Feb;15(2):64-79.
  4. Wierzbicki AS: Homocysteine and cardiovascular disease: a review of the evidence. Diab Vasc Dis Res. 2007 Jun;4(2):143-50.
  5. Finkelstein JD: Pathways and regulation of homocysteine metabolism in mammals. Semin Thromb Hemost. 2000;26(3):219-25.
  6. Ntaios G, Savopoulos C, Grekas D, Hatzitolios A. The controversial role of B-vitamins in cardiovascular risk: An update. Arch Cardiovasc Dis. 2009 Dec;102(12):847-54.
  7. Medina M, Urdiales JL, Amores-Sánchez MI: Roles of homocysteine in cell metabolism: old and new functions. Eur J Biochem. 2001 Jul;268(14):3871-82.
  8. Refsum H, Nurk E, Smith AD, Ueland PM, Gjesdal CG, Bjelland I, Tverdal A, Tell GS, Nygård O, Vollset SE: The Hordaland Homocysteine Study: a community-based study of homocysteine, its determinants, and associations with disease. J Nutr. 2006 Jun;136(6 Suppl):1731S-1740S.
  9. Nakai K, Itoh C, Nakai K, Habano W, Gurwitz D: Correlation between C677T MTHFR gene polymorphism, plasma homocysteine levels and the incidence of CAD. Am J Cardiovasc Drugs. 2001;1(5):353-61.
  10. Wald DS, Law M, Morris JK: Homocysteine and cardiovascular disease: evidence on causality from a meta-analysis. BMJ. 2002 Nov 23;325(7374):1202.
  11. Frosst P, Blom HJ, Milos R, Goyette P, Sheppard CA, Matthews RG, Boers GJ, den Heijer M, Kluijtmans LA, van den Heuvel LP et al.: A candidate genetic risk factor for vascular disease: a common mutation in methylenetetrahydrofolate reductase. Nat Genet. 1995 May;10(1):111-3.
  12. Pietrzik K, Brönstrup A: Causes and consequences of hyperhomocyst(e)inemia. Int J Vitam Nutr Res. 1997;67(5):389-95.
  13. Marino MC, de Oliveira CA, Rocha AM, Rocha GA, Clementino NC, Antunes LF, Oliveira RA, Martins AS, Del Puerto HL, D'Almeida V, Galdieri L, Pedroso ER, Cabral MM, Nogueira AM, Queiroz DM: Long-term effect of Helicobacter pylori eradication on plasma homocysteine in elderly patients with cobalamin deficiency. Gut. 2007 Apr;56(4):469-74. Epub 2006 Sep 27.