Diabetisches Koma – Ursachen
Pathogenese (Krankheitsentstehung) des ketoazidotischen Komas
Das ketoazidotische Koma ist eine schwere Stoffwechselentgleisung, die hauptsächlich bei Patienten mit Diabetes mellitus Typ 1 auftritt und durch einen absoluten Insulinmangel gekennzeichnet ist. Der Insulinmangel führt sowohl zu einer Hyperglykämie (Überzuckerung) als auch zu einer Lipolyse (Fettmobilisierung), was eine Kaskade pathophysiologischer Prozesse auslöst, die im ketoazidotischen Koma gipfeln.
Primäre pathophysiologische Mechanismen
- Hyperglykämie (Überzuckerung)
- Durch den absoluten Insulinmangel kann Glucose aus dem Blut nicht in die Zellen aufgenommen werden. Dies führt zu einem starken Anstieg der Blutzuckerkonzentration (Glucose > 250 und < 600 mg/dl).
- Die Hyperglykämie führt zur Hyperosmolarität des Blutes, was osmotische Diurese und Flüssigkeitsverlust bewirkt.
- Lipolyse und Ketogenese
- Der Insulinmangel bewirkt, dass die Lipolyse in Gang gesetzt wird, wodurch freie Fettsäuren aus dem Fettgewebe mobilisiert werden.
- Diese Fettsäuren werden in der Leber zu Ketonkörpern (v. a. Aceton, Acetoacetat und β-Hydroxybutyrat) umgewandelt, um den Energiebedarf der Zellen zu decken, die keine Glucose aufnehmen können.
- Der Anstieg der Ketonkörper im Blut führt zu einer Ketose und verstärkt die Hyperosmolarität weiter.
- Metabolische Azidose
- Die überschüssigen Ketonkörper sind saure Stoffwechselprodukte, die den pH-Wert des Blutes senken und eine metabolische Azidose (stoffwechselbedingte Übersäuerung) verursachen.
- Diese Azidose resultiert aus der Akkumulation von Ketonkörpern im Blut, was das Säure-Basen-Gleichgewicht des Körpers verschiebt und den pH-Wert auf gefährlich niedrige Werte senken kann.
Sekundäre pathophysiologische Veränderungen
- Hypovolämie und Elektrolytverschiebungen
- Die osmotische Diurese führt zu exzessivem Flüssigkeits- und Elektrolytverlust (v. a. Natrium, Kalium und Magnesium). Dies verstärkt die Dehydratation und die Hyperosmolarität und führt zu einer Hypovolämie (verringerte Blutmenge).
- Die Hypovolämie beeinträchtigt die Gewebeperfusion und verstärkt die metabolische Azidose, da weniger Sauerstoff und Nährstoffe zu den Zellen gelangen.
- Hyperosmolarität und Zellfunktionsstörung
- Die Hyperosmolarität des Blutes beeinträchtigt die Zellfunktion und führt zu neuronalen Symptomen, wie Bewusstseinsstörungen und letztlich zum Koma.
Klinische Manifestation
Leitsymptome
- Polyurie (vermehrte Harnausscheidung) und Polydipsie (verstärkter Durst) durch osmotische Diurese
- Übelkeit, Erbrechen und Bauchschmerzen infolge der Azidose und Dehydratation
Fortgeschrittene Symptome
- Kussmaul-Atmung (tiefe, schnelle Atmung) zur Kompensation der metabolischen Azidose
- Bewusstseinsstörungen bis zum Koma durch Hyperosmolarität und Azidose
- Hypotonie und Tachykardie als Folge der Dehydratation und Hypovolämie
Zusammenfassung und klinische Relevanz
Das ketoazidotische Koma ist eine lebensbedrohliche Stoffwechselkomplikation, die durch einen absoluten Insulinmangel bei Diabetes mellitus verursacht wird. Die pathophysiologischen Mechanismen umfassen eine Hyperglykämie, Ketogenese und metabolische Azidose, die zu Dehydratation, Hypovolämie und schwerer Azidose führen. Eine schnelle und gezielte Therapie ist entscheidend, um die Blutglucosewerte zu normalisieren, die Ketose zu beheben und die Flüssigkeits- und Elektrolytverluste auszugleichen, um ein Fortschreiten bis zum Koma zu verhindern.
Ätiologie (Ursachen) des ketoazidotischen Komas
Verhaltensbedingte Ursachen
- Diätfehler
Krankheitsbedingte Ursachen
Endokrine, Ernährungs- und Stoffwechselkrankheiten (E00-E90)
- Erstmanifestation eines Typ 1 Diabetes ‒ in circa 25 % der Fälle ist das ketoazidotische Koma das erste Zeichen des Diabetes mellitus Typ 1 (Manifestationskoma)
- Hyperthyreose (Schilddrüsenüberfunktion) – führt zu einem erhöhten Insulinbedarf
Herzkreislaufsystem (I00-I99)
- Myokardinfarkt (Herzinfarkt) – führt zu einem erhöhten Insulinbedarf
Infektiöse und parasitäre Krankheiten (A00-B99)
- Infekte führen zu erhöhtem Insulinbedarf; sie stellen mit circa 40 % den häufigsten Auslöser dar
Mund, Ösophagus (Speiseröhre), Magen und Darm (K00-K67; K90-K93)
- Erkrankungen des Magen-Darm-Traktes – führen zu einem erhöhten Insulinbedarf
Schwangerschaft, Geburt und Wochenbett (O00-O99)
- Schwangerschaft – führt zu einem erhöhten Insulinbedarf; tritt vor allem bei Schwangeren mit Typ-1-Diabetes auf; diabetische Ketoazidose (DKA) in der Schwangerschaft stellt einen schweren Notfall mit hoher fetaler Mortalität (kindlicher Sterberate) dar.
Verletzungen, Vergiftungen und andere Folgen äußerer Ursachen (S00-T98)
- Verletzungen, Unfälle – führen zu einem erhöhten Insulinbedarf
EMA warnt vor möglichen Zehen-Amputationen nach Einnahme des SGLT2-Inhibitora Canangliflozin [2]
Medikamente
- Unzureichende Insulintherapie
- Medikamentenfehler
- Therapie mit:
- Glucocorticoiden
- Diuretika (entwässernde Medikamente)
- SGLT2-Inhibitoren wie Canagliflozin, Dapagliflozin und Empagliflozin [1] → euglykämische Ketoazidose/atypische diabetische Ketoazidose
Pathogenese (Krankheitsentstehung) des hyperosmolaren Komas
Das hyperosmolare Koma ist eine schwerwiegende Stoffwechselkomplikation, die vor allem bei Patienten mit Diabetes mellitus Typ 2 auftritt. Es ist gekennzeichnet durch extrem hohe Blutzuckerwerte und schwere Dehydratation, jedoch ohne signifikante Ketose, da meist noch geringe Mengen Insulin vorhanden sind, die die Lipolyse und Ketogenese hemmen.
Primäre pathophysiologische Mechanismen
- Relativer Insulinmangel und Hyperglykämie
- Ein relativer Insulinmangel führt zu einer verminderten Glucoseverwertung in der Peripherie, was bedeutet, dass die Körperzellen weniger Glucose aufnehmen können.
- Gleichzeitig wird durch hormonelle Gegenregulationsmechanismen (z. B. Glucagon) vermehrt Glucose aus der Leber freigesetzt. Diese verstärkte Gluconeogenese und Glykogenolyse erhöht die Blutzuckerkonzentration auf Werte von über 600 mg/dl, oft weit über 1.000 mg/dl.
- Osmotische Polyurie und Dehydratation
- Die extreme Hyperglykämie überschreitet die Nierenschwelle für Glucose (ca. 180 mg/dl), wodurch Glucose nicht mehr vollständig rückresorbiert werden kann und vermehrt im Urin ausgeschieden wird (Glukosurie).
- Die Glukosurie zieht Wasser aus dem Körper in die Nierentubuli, was zu einer osmotisch bedingten Polyurie (vermehrte Harnausscheidung) und folglich zu einem massiven Flüssigkeitsverlust führt.
- Hypovolämie und Hyperosmolarität
- Die anhaltende osmotische Diurese führt zu einer erheblichen Hypovolämie (verminderte Blutmenge) und schweren Exsikkose (Austrocknung).
- Durch den Flüssigkeitsverlust erhöht sich die Osmolarität des Blutes, was zu einem deutlichen Anstieg der Plasmaosmolarität und zu einer Hypernatriämie führt. Dies beeinträchtigt das osmotische Gleichgewicht zwischen dem Blutplasma und den Zellen und kann neurologische Symptome auslösen.
Sekundäre pathophysiologische Veränderungen
- Elektrolytstörungen
- Die vermehrte Wasserausscheidung führt zu Elektrolytverlusten (insbesondere Natrium und Kalium), die durch die Hyperosmolarität des Blutes weiter verstärkt werden.
- Die Hypovolämie und die Hyperosmolarität können ebenfalls zu weiteren Verschiebungen von Elektrolyten zwischen dem Intrazellular- und Extrazellularraum führen.
- Fehlen einer Ketose
- Da beim hyperosmolaren Koma meist noch geringe Mengen Insulin vorhanden sind, wird die Lipolyse (Fettabbau) und somit die Ketogenese gehemmt. Im Gegensatz zum ketoazidotischen Koma entwickelt sich daher in der Regel keine signifikante Ketose.
Klinische Manifestation
Leitsymptome
- Polyurie und Polydipsie aufgrund der osmotischen Diurese und des Flüssigkeitsverlustes
- Schwächegefühl und Müdigkeit aufgrund der Dehydratation und Hyperosmolarität
Fortgeschrittene Symptome
- Bewusstseinsstörungen bis zum Koma, durch extreme Hyperosmolarität und Dehydratation
- Hypotonie und Tachykardie als Folge der schweren Hypovolämie
- Neurologische Symptome wie Verwirrtheit, Krämpfe und Muskelzuckungen aufgrund der Hypernatriämie und Hyperosmolarität
Zusammenfassung und klinische Relevanz
Das hyperosmolare Koma ist eine lebensbedrohliche Komplikation des Diabetes mellitus, die durch extreme Hyperglykämie und massive Dehydratation gekennzeichnet ist. Die pathophysiologischen Mechanismen umfassen eine verminderte periphere Glucoseverwertung, gesteigerte Glucoseproduktion in der Leber und eine ausgeprägte osmotische Diurese, die zu Hypovolämie und Hyperosmolarität führt. Da geringe Mengen Insulin die Ketogenese unterdrücken, kommt es im Gegensatz zum ketoazidotischen Koma nicht zu einer Ketose. Eine rasche medizinische Intervention ist erforderlich, um die Flüssigkeits- und Elektrolytverluste zu beheben und das Koma zu verhindern oder zu behandeln.
Ätiologie (Ursachen) des hyperosmolaren Komas
Verhaltensbedingte Ursachen
- Ernährung:
- Zufuhr exzessiver Mengen von glukosehaltigen Getränken (Fruchtsäfte, Cola etc.)
Infektiöse und parasitäre Krankheiten (A00-B99)
- Gastroenteritis (Magen-Darm-Magen-Darm-Grippe) ‒ führt zu großen Flüssigkeitsverlusten
- Infekte – führen zu erhöhtem Insulinbedarf; sie stellen mit circa 40 % den häufigsten Auslöser dar
Herzkreislaufsystem (I00-I99)
- kardiovaskuläre Komplikationen, nicht näher bezeichnet
Mund, Ösophagus (Speiseröhre), Magen und Darm (K00-K67; K90-K93)
- Erkrankungen des Magen-Darm-Traktes (mit Erbrechen, schweren Diarrhöen/Durchfällen) – führen zu einem erhöhten Insulinbedarf
Symptome und abnorme klinische und Laborbefunde, die anderenorts nicht klassifiziert sind (R00-R99)
- Gestörtes Durstempfinden
- Große Flüssigkeitsverluste bei starken Schwitzen oder Fieber
Urogenitaltrakt (Nieren, Harnwege – Geschlechtsorgane) (N00-N99)
- Polyurische Nephropathien (Nierenerkrankungen) – können durch eine Exsikkose Auslöser des Komas sein
Medikamente
- Inadäquate unkontrollierte intravenöse Gabe von isotonen oder hypertonen Lösungen (z. B. Hyperalimentation)
- Therapie mit Diuretika*, bestimmten Psychopharmaka*, Glucocorticoide, Proteasehemmer
*Siehe unter Arzneimittelnebenwirkungen/Diabetogene Wirkung durch Medikamente
Literatur
- FDA Drug Safety Communication: FDA revises labels of SGLT2 inhibitors for diabetes to include warnings about too much acid in the blood and serious urinary tract infections. FDA Posted 12/04/2015