Diabetes mellitus Typ 1 – Folgeerkrankungen
Diabetes mellitus Typ 1 führt u. a. zu Mikro- und Makroangiopathien (Gefäßerkrankungen der kleinen und großen Gefäße):
Diabetische Mikroangiopathie – erhöhte Durchlässigkeit der Gefäßwände kleiner Blutgefäße, führt zu
- Diabetische Nephropathie (Nierenerkrankung) (20-50%ige Wahrscheinlichkeit)
- Diabetische Neuropathie (Nervenerkrankung) (Prävalenz 8-54 %)
- Diabetische Pneumopathie (Lungenerkrankung)
- Diabetische Retinopathie (DR; Netzhauterkrankung) (Gesamtprävalenz 44 %, die 5-Jahres-Inidenz 9 % und die Progressionsrate zur proliferativen DR 2 % [20].)
- Störung der Durchblutung – diabetischer Fuß (diabetisches Fußsyndrom), mitunter Amputationen
- Störung der Wundheilung – chronische Wunden
Diabetische Makroangiopathie – erhöhte Durchlässigkeit der Gefäßwände großer Blutgefäße, führt zu Erkrankungen des Herzkreislaufsystem (s. u.)
Im Folgenden die wichtigsten Erkrankungen bzw. Komplikationen, die durch einen Diabetes mellitus Typ 1 mit bedingt sein können:
Atmungssystem (J00-J99)
- Diabetische Pneumopathie (Lungenerkrankung) mit einer restriktiven Ventilationsstörung (gilt für den FEV1- und den FVC-Wert ebenso wie für die Diffusionskapazität)
Beachte: Der beste Prädiktor für eine pulmonale Beteiligung ist das Vorliegen einer diabetischen Nephropathie.
Augen und Augenanhangsgebilde (H00-H59)
- Diabetische Retinopathie – sich verschlechterndes Sehvermögen bis hin zur Blindheit
- Kombination aus Diabetes mellitus und Weitwinkelglaukom → 4-fach erhöhtes Risiko für eine diabetische Retinopathie [19]
Endokrine, Ernährungs- und Stoffwechselkrankheiten (E00-E90)
- Diabetische Ketoazidose (DKA) – Form des Coma diabeticum, bei dem es zu Blutzuckerwerten > 250 mg/dl mit Ketonurie (Auftreten von Ketonkörpern im Urin)/Ketonämie (erhöhte Konzentration von Ketonkörpern im Blut), metabolische Azidose (stoffwechselbedingte Übersäuerung) mit pH < 7,3 kommt; tritt vor allem beim Diabetes mellitus Typ 1 auf; Ursache für die erhöhte Mortalität (Sterblichkeit) bei Kindern und Jugendlichen
- Entstehung weiterer Autoimmunerkrankungen wie beispielsweise Schilddrüsenerkrankungen (Hashimoto-Thyreoiditis und Morbus Basedow)
- Hypoglykämien (Unterzuckerungen)
Haut und Unterhaut (L00-L99)
- Chronische Wunden (wg. Störung der Wundheilung)
- Diabetische Dermopathie – pigmentierte Papeln an den Unterschenkeln (-50 % der Diabetiker)
- Diabetischer Fuß (Synonym: Diabetisches Fußsyndrom)
- Erysipel (Wundrose) – Infektion mit hämolysierenden Streptokokken der Gruppe A; häufigste Komplikation ist ein chronisches Lymphödem
- Hautulzera (Hautgeschwüre) – z. B. Ulcus cruris (Unterschenkelgeschwür)
- Lipoatrophie – Dystrophie des Fettgewebes; Auftreten aufgrund der lipolytischen Bestandteile der Insulinpräparate meist mehrere Monate nach Beginn der Insulintherapie
- Lipohypertrophie – Vermehrung des Fett- und Bindegewebes durch die lokale anabole Wirkung von Insulin bei gehäufter Injektion in die gleiche Region (entsteht meist bei jungen Diabetikern)
- Mykosen (Pilzerkrankungen: Candida-Infektionen; Tinea)
- Necrobiosis lipoidica – Entzündung der mittleren Dermis mit Anreicherung von Lipiden, die zur Nekrose (Gewebsuntergang) führt (1 % der Diabetiker; ca. 60 % der Patienten mit einer solchen Hauterkrankung weisen einen Diabetes mellitus auf)
- Pruritus (Juckreiz) (-40 % der Diabetiker)
Herzkreislaufsystem (I00-I99)
- Apoplex (Schlaganfall) – Diabetes mellitus gilt als unabhängiger Risikofaktor für den Apoplex
- Atherosklerose (Arteriosklerose, Arterienverkalkung)
- Herzinsuffizienz (Herzschwäche): bei Frauen liegt eine um 47 % stärkere Risikoerhöhung vor als bei Männern [16]
- Koronare Herzkrankheit (KHK) – Minderversorgung des Herzens mit Blut aufgrund von Atherosklerose (Arterienverkalkung)
- Periphere arterielle Verschlusskrankheit (pAVK) – fortschreitende Verengung bzw. Verschluss der die Arme/ (häufiger) Beine versorgenden Arterien, meist aufgrund von Atherosklerose (Arteriosklerose, Arterienverkalkung)
Infektiöse und parasitäre Krankheiten (A00-B99)
- Erhöhte Anfälligkeit für virale und bakterielle Infektionen wie Pneumonien (Lungenentzündungen) oder Zystitiden (Harnwegsinfekte)
- Onychomykose (Nagelpilz)
- Tuberkulose (insbesondere pulmonale Tuberkulose/Tuberkulose der Lunge) (obwohl nicht häufiger infiziert, ca. 3-fach erhöhtes Risiko für eine manifeste Erkrankung)
Mund, Ösophagus (Speiseröhre), Magen und Darm (K00-K67; K90-K93)
- Chronisch-entzündliche Darmerkrankungen (CED) – CED-Prävalenz (Krankheitshäufigkeit) von Kindern und Jugendlichen mit Typ-1-Diabetes ist mit 0,1 Prozent gut dreimal so hoch wie in der gleichaltrigen Bevölkerung; haben häufiger schwere Hypoglykämien (Unterzuckerung) als Patienten ohne CED [17].
- Diarrhoe (Durchfall)
- Gastroparese (Magenlähmung)
- Parodontalerkrankungen (Parodontitis) – entzündliche Erkrankungen des Zahnhalteapparates (Parodont)
Muskel-Skelett-System und Bindegewebe (M00-M99)
- Osteoporose (Knochenschwund)
Neubildungen – Tumorerkrankungen (C00-D48)
- Cervixkarzinom (Gebärmutterhalskrebs)
- Endometriumkarzinom (Gebärmutterkrebs)
- Magenkarzinom (Magenkrebs)
Ohren – Warzenfortsatz (H60-H95)
- Innenohrschwerhörigkeit [1]
Psyche – Nervensystem (F00-F99; G00-G99)
- Angst- und Affektstörungen – Kinder > 11 Jahre, die relativ neu mit der Diagnose konfrontiert wurden [4]
- Demenz
- Depression
- Diabetische Neuropathie – Nervenschäden mit Sensibilitätsstörungen
- Durchblutungsstörungen des Gehirns (wg. zerebraler Atherosklerose/Arterienverkalkung)
- Epilepsie (Kinder und Jugendliche: 3,17-fach erhöhtes Risiko [6])
- Erektile Dysfunktion (ED; Erektionsstörung) (Prävalenz bei [12]:
- Diabetes mellitus Typ 1: 37,5 %
- Diabetes mellitus Typ 2: 66,3 %
- Essstörungen – Kinder > 11 Jahre, die relativ neu mit der Diagnose konfrontiert wurden [4]
- Kognitive Leistungsfähigkeit
- Substanzielle Verschlechterungen des Gedächtnisses und der psychomotorischen und geistigen Leistungsfähigkeit; Risikofaktoren und Komorbiditäten waren dafür höhere HbA1c-Werte (Blutzucker-Langzeitwert), mehr Episoden schwerer Hypoglykämien (Unterzuckerungen) und ein erhöhter systolischer Blutdruck (32 Jahre Nachbeobachtungszeit) [18]
- Kognitive Defizite beim verbalen Gedächtnis und der Mustererkennung durch Hypoglykämien (Unterzuckerung): Diabetiker hätten dadurch eine weniger gute Hypoglykämiewahrnehmung, was wiederum schwere Hypoglykämien begünstigt [11]
- Libidostörungen des Mannes (40 %) [13]
- Sexuelle Funktionsstörungen der Frau – sexuelle Dysfunktion (42 %) [13]
Schwangerschaft, Geburt und Wochenbett (O00-O99)
- Frühgeburt (22,3 %) [15]
- Makrosomie (Geburtsgewicht oberhalb der 95. Perzentile (4350 g))
Symptome und abnorme klinische und Laborparameter, die anderenorts nicht klassifiziert sind (R00-R99)
- Dyspnoe (Atemnot) – dabei auch an eine pulmonale Erkrankung denken.
Beachte: Nur jeder zehnte Patient mit einer Dyspnoe leidet an einer kardialen Erkrankung (Herzerkrankung). - Frakturen (Knochenbrüche)
- Harninkontinenz bei Frauen
- Kontinenzprobleme (31 %) [13]
- schlechte glykämische Kontrolle über zehn Jahre erhöhte das Risiko (Odds-Ratio, OR 1,03 pro mmol/mol HbA1c-Anstieg bzw. OR 1,41 pro HbA1c-Anstieg um jeweils einen Prozentpunkt [7]
- Hypoglykämie (Unterzuckerung; nachts); insb. bei Kindern, die tagsüber Sport gemacht haben [8]
- Kachexie (Auszehrung; sehr starke Abmagerung)
- Subklinische Inflammation (engl. "silent inflammation") – permanente systemische Inflammation (Entzündung, die den gesamten Organismus betrifft), die ohne klinische Symptomatik verläuft
- Suizidalität (Selbstmordgefährdung) (insb. junge Typ-1-Diabetiker)
Urogenitalsystem (Nieren, Harnwege – Geschlechtsorgane) (N00-N99)
- Diabetische Nephropathie (Nierenerkrankung)
- Harnwegsinfektionen (HWI) (3- bis 5-fach gesteigertes Risiko) (Frauen: 17 %) [13]
- LUTS (Lower Urinary Tract Symptoms; Symptome des unteren Harntraktes) (Frauen: 22 %; Männer: 24 %) [13]
- Niereninsuffizienz – Prozess, der zu einer langsam fortschreitenden Verringerung der Nierenfunktion führt (20-30 %)
Weiteres
- Dead-in-Bed-Syndrom – wahrscheinlich wg. hypoglykämisch induzierter Arrhythmien (Unterzuckerung, die zu Herzrhythmusstörungen führen; (6-mal häufiger Bradykardien [10]; diese können eine frühe Nachpolarisation begünsten); betrifft junge Typ-1-Diabetiker während des Nachtschlafs
Hinweis: Frühe Nachdepolarisationen können bei langem QT Torsades de pointes (TdP), polymorphe ventrikuläre Tachykardien und Kammerflimmern (Arrhythmie des Herzens, die lebensbedrohlich ist) auslösen.
Prognosefaktoren
Patientinnen mit Beginn der Erkrankung im Kindesalter haben im Vergleich zur übrigen Bevölkerung ein erhöhtes Mortalitätsrisiko (Sterberate) im 20.-30. Lebensjahr. Mit der erhöhten Mortalitätsrate waren assoziiert [2]:
- niedriger sozioökonomischer Status
- schlechte Blutzuckereinstellung
- mindestens vier schwere Hypoglykämien (Unterzuckerungen) während der Erkrankung im Kindesalter
Mortalitätsrisiko gegenüber der Normalbevölkerung in Abhängigkeit vom HbA1c-Wert (Nationale schwedische Diabetes-Register) [3]:
- HbA1c-Wert ≥ 9,7 Prozent: 8,51-fach erhöhtes Sterberisiko
- HbA1c-Wert von 8,8 bis 9,6 Prozent: 3,65-fach erhöhtes Sterberisiko
- HbA1c-Wert von 7,9 auf 8,7 Prozent: 3,11-fach erhöhtes Sterberisiko
- HbA1c-Wert von 7,0 bis 7,8: 2,38-fach erhöhtes Sterberisiko
- HbA1c-Wert ≤ 6,9 Prozent: 2,36-fach erhöhtes Sterberisiko
Weitere Hinweise
- Zöliakie erhöhte bei Typ-1-Diabetikern das Risiko für mikrovaskuläre Komplikationen. Alle Kinder und Jugendliche mit Typ-1-Diabetes sollten auf Zöliakie untersucht werden [5].
Zöliakie ist eine chronische Erkrankung der Dünndarmmukosa (Dünndarmschleimhaut), die auf einer Überempfindlichkeit gegen das Getreideeiweiß Gluten beruht. - Jugendliche Typ-1-Diabetiker mit stark schwankenden HbA1c-Werten ("Langzeit-Blutzuckerwert") haben ein erhöhtes Risiko für Mikroangiopathien (Erkrankungen der kleinen Gefäße; Albuminurie (vermehrte Ausscheidung von Albumin), Retinopathie Netzhauterkrankung), kardiale autonome Neuropathie/Nervenschäden am Herz) [9].
- Erhöhung des Mortalitätsrisikos (Sterberisikos) durch [14]:
- HbA1c-Wert-Erhöhung um 1 Prozentpunkt ging im Verlauf mit einer um 22 % gesteigerten Sterberate einher
- Mikroalbuminurie verdoppelt das Sterberisiko, eine Makroalbuminurie vervierfacht dieses
- Nierenfunktion
Literatur
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