Diabetes mellitus Typ 1 – Einleitung

Beim Diabetes mellitus Typ 1 handelt es sich um die sogenannte "Zuckerkrankheit". Der Typ-1-Diabetes mellitus beruht auf einer autoimmunologischen (durch den Körper selbst verursachten, Typ 1a) oder idiopathischen (Ursache unbekannt, Typ 1b) Zerstörung der Betazellen der Langerhansinseln (Ort der Insulinproduktion) des Pankreas (Bauchspeicheldrüse) und führt üblicherweise zu absolutem Insulinmangel. Insulin ist ein wichtiges Hormon zur Regulation der Glucose im Blut (Blutzucker).

Synonyme und ICD-10: juveniler Diabetes mellitus, engl.: juvenile Diabetes mellitus, dieses ist die veraltete Bezeichnung für Typ-1-Diabetes; weitere Synonyme: Typ-1-Diabetes; Typ1 Diabetes; Primär insulinabhängiger Diabetes mellitus, engl. insulin dependent (IDDM) [Typ-1-Diabetes]; ICD-10-GM E10.-: Diabetes mellitus, Typ 1

Etwa 5-10 % aller Diabetiker haben einen Typ-1-Diabetes.

Charakteristische Laborbefunde des Diabetes mellitus Typ 1

  • Erhöhter Blutzucker
    • Nüchternblutzucker: Ein Wert von ≥ 126 mg/dL (7,0 mmol/L) nach mindestens 8 Stunden Fasten ist diagnostisch für Diabetes mellitus.
    • Postprandiale Glucose: Zwei Stunden nach einer Mahlzeit sind Werte von ≥ 200 mg/dL (11,1 mmol/L) typisch.
    • Gelegenheitsblutzucker: Ein Wert von ≥ 200 mg/dL (11,1 mmol/L) in Verbindung mit klassischen Symptomen wie Polydipsie, Polyurie und unerklärlichem Gewichtsverlust ist ebenfalls diagnostisch.
  • Erhöhter HbA1c-Wert (Glykohämoglobin)
    • Ein HbA1c-Wert von ≥ 6,5 % ist diagnostisch für Diabetes und reflektiert den durchschnittlichen Blutzuckerspiegel der letzten 2-3 Monate.
  • Autoantikörper gegen Betazellen
    • Anti-GAD-Antikörper (Glutamatdekarboxylase-Antikörper): Häufig positiv bei Patienten mit Typ-1-Diabetes und können Jahre vor der klinischen Manifestation nachweisbar sein.
    • Anti-IA2-Antikörper (Tyrosinphosphatase-Antikörper): Ebenfalls ein Marker für die autoimmune Zerstörung der Betazellen.
    • IAA (Insulin-Autoantikörper): Häufig bei Kindern mit Typ-1-Diabetes, insbesondere vor Beginn der Insulintherapie.
    • Zinktransporter-8-Antikörper (ZnT8): Ein weiterer spezifischer Autoantikörper bei Typ-1-Diabetes.
  • C-Peptid
    • Niedriges oder nicht nachweisbares C-Peptid: Ein Marker für die endogene Insulinsekretion. Bei Typ-1-Diabetes ist das C-Peptid aufgrund des absoluten Insulinmangels meist stark vermindert oder nicht nachweisbar.
  • Ketone im Blut oder Urin
    • Ketose: Bei Insulinmangel kann es zur vermehrten Bildung von Ketonen kommen, die im Blut und Urin nachweisbar sind. Hohe Ketonspiegel können auf eine diabetische Ketoazidose (DKA) hindeuten, eine potenziell lebensbedrohliche Komplikation.
  • Azidose (pH-Wert im Blut)
    • Metabolische Azidose: Bei Ketoazidose findet sich eine erniedrigte Bikarbonatkonzentration im Blut (< 15 mmol/L) und ein erniedrigter pH-Wert (< 7,3), was auf eine schwere metabolische Störung hinweist.
  • Erhöhte Anionenlücke
    • In der diabetischen Ketoazidose ist die Anionenlücke aufgrund der Akkumulation von Ketosäuren und anderen ungemessenen Anionen erhöht.

Diese Laborbefunde sind entscheidend für die Diagnose, das Management und die Überwachung von Patienten mit Diabetes mellitus Typ 1. Besonders wichtig ist die frühzeitige Erkennung von Autoantikörpern, um den Beginn der Erkrankung zu diagnostizieren, sowie die Überwachung von Blutzucker- und Ketonkörpern, um akute Komplikationen wie die diabetische Ketoazidose zu verhindern oder frühzeitig zu behandeln.

Formen des Diabetes mellitus Typ 1

  • Autoimmuner Typ 1a: Zerstörung der Betazellen durch autoimmunologische Prozesse.
  • Idiopathischer Typ 1b: Keine eindeutige Ursache, keine autoimmunologische Beteiligung.

Epidemiologie

Meistens beginnt die Erkrankung schon im Kindes- und Jugendalter.

Häufigkeitsgipfel: Die Erkrankung tritt in der Regel vor dem 40. Lebensjahr auf, mit einem Höhepunkt der Neuerkrankungen in der Altersgruppe der 11- bis 13-Jährigen. 42 % der Typ-1-Diabetesfälle manifestieren sich erst zwischen dem 31. und 60. Lebensjahr [6]. In den USA tritt jede dritte Typ-1-Erkrankung erst nach dem 30. Geburtstag auf [10].

Prävalenz (Krankheitshäufigkeit): In Deutschland sind etwa 400.000 Menschen an Diabetes mellitus Typ 1 erkrankt.

Inzidenz (neue Erkrankung): Ca. 8-17 Erkrankungen pro 100.000 Einwohner pro Jahr (in Deutschland), mit steigender Tendenz bei Kindern unter 6 Jahren.

Verlauf und Prognose

Verlauf

  • Erstmanifestation: Häufig durch Hyperglykämie (Überzuckerung) mit Symptomen wie Polydipsie (übermäßiger Durst), Polyurie (vermehrte Harnausscheidung) und Gewichtsverlust. In circa 25 % der Fälle ist das ketoazidotische Koma (Stoffwechselentgleisung bei Insulinmangel) das erste Zeichen eines Diabetes mellitus Typ 1 (Manifestationskoma).
  • Langzeitkomplikationen: Diabetische Retinopathie (Sehverschlechterung bis Erblindung), diabetische Nephropathie (Nierenschädigung) und diabetische Neuropathie (chronische Nervenschäden, vorwiegend Gefühlsstörungen).

Prognose

  • Lebenslange Insulintherapie: Diabetes mellitus Typ 1 ist nicht heilbar. Die Betroffenen müssen ihr Leben lang Insulin spritzen (Insulinsubstitution).
  • Lebenserwartung: Typ-1-Diabetiker haben im Vergleich zu Nicht-Diabetikern eine um ca. 12 Jahre reduzierte Lebenserwartung (Männer 11,11 Jahre; Frauen 12,9 Jahre) [2]. Eine britische Studie aus dem Jahre 2020 gibt für Typ-1-Diabetiker eine um 7-8 Lebensjahre reduzierte Lebenserwartung an [8].
  • Exzessmortalität: Auch ohne Albuminurie haben Typ-1-Diabetiker eine erhöhte Mortalität (Sterberate), hauptsächlich durch eine 4‑fach erhöhte Rate an KHK-assoziierten Todesfällen (Koronare Herzkrankheit) sowie akute Diabeteskomplikationen [7].

Beachte: Wg. intensivierter Insulintherapie und infolge veränderter Lebensgewohnheiten liegt heute der BMI (Body-Mass-Index; Körpermasse-Index) vieler Patienten im Kindes- und Jugendalter über den alters- und geschlechtsabhängigen Referenzwerten, was nachteilige Auswirkungen auf die Blutzuckerkontrolle hat. Dieses führt zu erhöhten HbA1c-Werten (Blutzucker-Langzeitwert) und einer erhöhten Häufigkeit von schweren Hypoglykämien (Unterzuckerung mit Krampfanfällen und Bewusstseinsstörungen) [4].

Komorbiditäten

Chronisch-entzündliche Darmerkrankungen (CED) sind mit Typ-1-Diabetes assoziiert: CED-Prävalenz (Krankheitshäufigkeit) von Kindern und Jugendlichen mit Typ-1-Diabetes ist mit 0,1 Prozent gut dreimal so hoch wie in der gleichaltrigen Bevölkerung; haben häufiger schwere Hypoglykämien (Unterzuckerungen) als Patienten ohne CED [9]. Des Weiteren ist Zöliakie (chronische Erkrankung der Dünndarmmukosa (Dünndarmschleimhaut), die auf einer Überempfindlichkeit gegen das Getreideeiweiß Gluten beruht) ist mit Diabetes mellitus Typ 1 assoziiert ist. Bei Patienten mit Diabetes mellitus Typ 1 liegt die Prävalenz (Krankheitshäufigkeit) von Zöliakie bei größer 5 % [1]. Zöliakie erhöht auch bei Typ-1-Diabetikern das Risiko für mikrovaskuläre (betreffend der kleinen Blutgefäßen) Komplikationen (Retino- und Nephropathie/Erkrankung von Netzhaut und Nieren) [4].
Weitere Komorbiditäten sind Schilddrüsenerkrankungen (Hashimoto-Thyreoiditis/Autoimmunthyreoiditis (AIT), Morbus Basedow; im Vergleich zu Kindern ohne Diabetes auf das 14,2-fache erhöht), nicht infektiöse Enteritiden (Darmentzündungen) und Kolitiden (Dickdarmentzündungen; 5,6-fach erhöht), kardiovaskuläre Erkrankungen (3,1-fach erhöht), obstruktive Lungenerkrankungen möglich, (Lungenerkrankungen, bei denen die Verengung bzw. Verlegung der Atemwege (Obstruktion) im Vordergrund steht; 1,5-fach erhöht) sowie psychische Störungen und Epilepsie (jeweils 2,0-fach erhöht) [3].
Im Laufe des Lebens können bei Typ-1-Diabetiker weitere Autoimmunerkrankungen auftreten, wie beispielsweise kollagene Gefäßerkrankungen, perniziöse Anämie (Form einer Blutarmut), gastrointestinale oder dermatologische und andere Autoimmunprozesse.
Beachte: Ca. 22 % der Typ-1-Diabetiker haben eine Fettleber, weil sie fettleibig sind und/oder sich zu wenig bewegen.

Literatur

  1. Elfström P, Sundström J, Ludvigsson JF: Systematic review with meta-analysis: associations between coeliac disease and type 1 diabetes. Aliment Pharmacol Ther. 2014 Nov;40(10):1123-32. doi: 10.1111/apt.12973. Epub 2014 Oct 1
  2. Livingstone SJ et al.: Estimated Life Expectancy in a Scottish Cohort With Type 1 Diabetes, 2008-2010. JAMA. 2015;313(1):37-44. doi:10.1001/jama.2014.16425.
  3. Fazeli Farsani S et al.: Chronic comorbidities in children with type 1 diabetes: a population-based cohort study. Arch Dis Child. 2015 Aug;100(8):763-8. doi:10.1136/archdischild-2014-307654
  4. Rohrer T, Wolf J, Liptay S et al.: Microvascular complications in childhood-onset type 1 diabetes mellitus and celiac disease: a multicenter longitudinal analysis of 56514 patients from the German-Austrian DPV database. Diabetes Care 2015;38(5):801-7.
  5. DuBose SN et al.: Obesity in Youth with Type 1 Diabetes in Germany, Austria, and the United States. doi: http://dx.doi.org/10.1016/j.jpeds.2015.05.046
  6. Thomas NJ et al.: Frequency and phenotype of type 1 diabetes in the first six decades of life: a cross-sectional, genetically stratified survival analysis from UK Biobank. Lancet Diabetes Endocrinol 2018; 6: 122-29 Published Online November 30, 2017 http://dx.doi.org/10.1016/ S2213-8587(17)30362-5
  7. Groop P‑H, Thomas M, Feodoroff M et al.: Excess mortality in patients with type 1 diabetes without albuminuria – separating the contribution of early and late risks. Diabetes Care  2018 Apr;41(4):748-754. doi.​org/​10.​2337/​dc17-1618
  8. Heald A et al.: Estimating life years lost to diabetes: outcomes from analysis of National Diabetes Audit and Office of National Statistics data. Cardiovascular Endocrinology & Metabolism 2020 doi: 10.1097/XCE.0000000000000210
  9. Jasser-Nitsche et al.: Comorbidity of inflammatory bowel disease in children and adolescents with type 1 diabetes. Acta Paediatrica 29 October 2020 https://doi.org/10.1111/apa.15643
  10. Fang M et al.: Age at Diagnosis in U.S. Adults With Type 1 Diabetes Ann Intern Med. [Epub 26 September 2023]. doi:10.7326/M23-1707

Leitlinien

  1. S3-Leitlinie: Lokaltherapie chronischer Wunden bei Patienten mit den Risiken periphere arterielle Verschlusskrankheit, Diabetes mellitus, chronische venöse Insuffizienz. (AWMF-Registernummer: 091-001), Juni 2012 Kurzfassung Langfassung
  2. S3-Leitlinie: Ernährungsempfehlung zur Behandlung des Diabetes mellitus – Empfehlungen zur Proteinzufuhr. (AWMF-Registernummer: 057-025), Oktober 2015 Thieme Verlag 2016
  3. S3-Leitlinie: Diagnostik, Therapie und Verlaufskontrolle des Diabetes mellitus im Kindes- und Jugendalter. (AWMF-Registernummer: 057-016), Oktober 2015 Langfassung
  4. S2e-Leitlinie: Diabetes und Straßenverkehr. (AWMF-Registernummer: 057-026), Dezember 2017 Langfassung
  5. S3-Leitlinie: Therapie des Typ-1-Diabetes. (AWMF-Registernummer: 057-013), September 2023 Langfassung