Nüchterninsulin

Die Insulinsekretion der Beta-Zellen des Pankreas (Bauchspeicheldrüse) erfährt im Tagesablauf erhebliche physiologische Schwankungen. Eine krankhaft veränderte Funktion der Beta-Zellen des Pankreas kann mit folgenden Zuständen einhergehen.

Hypoinsulinämie – verminderter Insulinspiegel – verbunden mit:

  • Normoglykämie – normalem bis leicht erhöhtem Blutzuckerspiegel. Sogenannter Prä-Diabetes mellitus
  • Manifester Hyperglykämie – erhöhtem Blutzuckerspiegel. Es liegt bereits ein Diabetes mellitus vor.

Hyperinsulinämie – erhöhter Insulinspiegel – verbunden mit:

  • Normoglykämie – normalem bis leicht erhöhtem Glucose-Serumspiegel. Es liegt eine Insulinresistenz vor, oft vergesellschaftet mit dem sogenannten Metabolischen Syndrom.
  • Hypoglykämie – erniedrigtem Blutzuckerspiegel. Ursache dafür kann z. B. ein seltenes sogenanntes Insulinom – Inselzelladenom – der Bauchspeicheldrüse, eine Hypoglykämia factitia, eine autoimmune Insulin-Hypoglykämie oder ein Hyperinsulinismus in der Neugeborenenperiode sein.

Im Folgenden soll auf die Insulinresistenz näher eingegangen werden, da diese in der Entstehung des Diabetes mellitus Typ 2 eine besondere Rolle spielt. Die Insulinresistenz steht auch im Mittelpunkt des sogenannten Metabolischen Syndroms – welches eng mit der Entwicklung arteriosklerotischer Folgeerkrankungen verknüpft ist [1].

Insulinresistenz

In den letzten Jahren hat sich bei der Erforschung des Diabetes mellitus Typ 2 gezeigt, dass ein Insulinmangel nicht das hauptsächliche Problem dieser Erkrankung ist, sondern gerade die Insulinresistenz. Früher wurde mit einer Insulinresistenz die Tatsache beschrieben, dass ein "insulinspritzender Diabetiker" eine große Menge Insulin zur Blutzuckernormalisierung benötigt. Dieses war durch eine Antikörperbildung gegen tierisches Insulin begründet.

Seit 1985 ist der Begriff Insulinresistenz jedoch definiert als eine verminderte Wirksamkeit des körpereigenen Insulins an den Zielorganen Skelettmuskulatur, Fettgewebe und Leber.

Sowohl der Glucose-, Lipid- und Proteinstoffwechsel als auch auf die Gefäße sind betroffen. Dabei produziert die Bauchspeicheldrüse zur Kompensation zunächst sogar übermäßig viel Insulin, welches jedoch seine Wirkung nicht entfalten kann; der Patient weist eine Insulinresistenz auf.

Zunächst gelingt es durch die Insulinmehrproduktion, den Blutzuckerspiegel im Normbereich zu halten. Dieser Zustand kann der Ausbildung eines manifesten Diabetes mellitus Typ 2 um Jahre vorausgehen! Später – meist nach mehreren Jahren erhöhter Insulinproduktion – kann jedoch die Ausschüttung durch die Bauchspeicheldrüse nicht mehr gesteigert werden. Die Patienten weisen dann eine gestörte Glukosetoleranz auf – welche gut durch den oralen Glukosetoleranz-Test (oGTT) nachgewiesen werden kann. Schreitet der Prozess weiter fort, kann sich letztlich ein manifester Diabetes mellitus entwickeln.

Neben den Störungen des Glucose- und Lipidstoffwechsels wirkt sich eine Insulinresistenz auch an den Gefäßen aus und spielt somit eine wichtige Rolle bei der Entstehung makro- und mikrovaskulärer Komplikationen. So ist unter anderem die Stickstoffmonoxid-(NO)-Produktion herabgesetzt, was zu einer gesteigerten Vasokonstriktion (Gefäßverengung) führt.

Eine hohe Nüchternglucose (Nüchternblutzucker) – wie diese in der Folge beim Diabetes mellitus auftritt – war laut den Ergebnissen einer großen prospektiven Kohorten-Studie in Korea mit einem erhöhten Krebsrisiko verbunden – Männer hatten ein um 27 % und Frauen ein um 31 % erhöhtes Risiko, an Krebs zu sterben. Dabei waren die wichtigsten assoziierten Krebsarten das Pankreaskarzinom (Bauchspeicheldrüsenkrebs), Leberkarzinom (Leberkrebs), Ösophaguskarzinom (Speiseröhrenkrebs), Kolonkarzinom (kolorektales Karzinom; Mastdarm- und Dickdarmkrebs) und auch das Cervixkarzinom (Gebärmutterhalskrebs) [5].

Risikofaktoren für die Entwicklung einer Insulinresistenz

Folgende Risikofaktoren bzw. Erkrankungen gehen mit einem erhöhten Risiko für eine Insulinresistenz einher: 

  • Biographische Ursachen
    • Diabetes mellitus oder Gestationsdiabetes (Schwangerschaftsdiabetes) in der Familiengeschichte
    • Hohes Alter
  • Verhaltensbedingte Ursachen
    • Rauchen
    • Geringe körperliche Aktivität; schon eine Woche strikte Bettruhe fördert die Insulinresistenz [6]
    • Übergewicht (BMI ≥ 25; Adipositas)
  • Krankheitsbedingte Ursachen
    • Acanthosis nigricans – schmutzigbraune bis -graue Hautveränderungen, meist beidseitig symmetrisch in Achselhöhlen, Gelenkbeugen sowie im Nacken- und Geschlechtsbereich
    • Atherosklerose – Koronare Herzerkrankung (KHK; Herzkranzgefäßerkrankung)
    • Dyslipidämie (Fettstoffwechselstörung) – insbesondere Hypertriglyzeridämie und erniedrigtes HDL-Cholesterin
    • Fettleber (Steatosis hepatis)
    • Hypertonie (Bluthochdruck) – es wird geschätzt, dass bis zu 50 % aller Patienten mit Hypertonie eine Insulinresistenz aufweisen!
    • Polyzystisches Ovar-Syndrom (PCO-Syndrom) – Symptomenkomplex, der durch eine hormonelle Funktionsstörung der Ovarien (Eierstöcke) gekennzeichnet ist

Diagnostik

Die Einzelbestimmung des Insulins ist wenig aussagekräftig, daher wird häufiger die Bestimmung nach Stimulation durchgeführt (z. B. oraler Glukosetoleranztest). Häufig kann auch die Bestimmung des sogenannten C-Peptides – ein Abspaltungsprodukt des Proinsulins – die Aussagekraft der Insulinbestimmung erhöhen oder diese im Einzelfall sogar ersetzen, da es genau in derselben Menge wie Insulin gebildet wird. Dieses hat auch die Vorteile, dass exogene (äußere) Insulingaben die Bestimmung nicht verfälschen können, da sie kein C-Peptid enthalten und auch endogene Insulin-Antikörper ohne Einfluss sind.

Dennoch ist die Bestimmung des Nüchterninsulins erforderlich bei folgenden Gesundheitsrisiken beziehungsweise Erkrankungen:

  • Früherkennung einer Insulinresistenz
  • Bei Verdacht auf Insulinom – Insulin produzierendes Inselzelladenom
  • Differentialdiagnose von Hypoglykämie-Syndromen, welche mit erniedrigtem Blutzuckerspiegel einhergehen

Benötigtes Material

  • Serum, gefroren: Zur Vermeidung einer Hämolyse Vollblut innerhalb von 30 min. nach Entnahme zentrifugieren, Serum abpipettieren und einfrieren → Kühlbehälter für Transport vom Labor anfordern
  • Durch die kurze biologische Halbwertszeit (Insulin-Plasmahalbwertszeit: 10 min.) tritt bei verzögerter Präanalytik eine deutliche Abnahme des gemessenen Insulinwertes ein.

Vorbereitung des Patienten

  • Blutentnahme nüchtern (12 Std. Nahrungskarenz) oder im Rahmen einer Funktionsdiagnostik (Entnahmezeit angeben)

Normwert

Insulin 5-30 mU/l bzw. µU/ml

Interpretation

Um die Insulinresistenz zu bestimmen, sind unterschiedliche Untersuchungsverfahren entwickelt worden. Als die wissenschaftlichste Methode gilt der sogenannte euglykämisch-hyperinsulinämische Clamp-Test [2]. Auf diesen soll hier jedoch nicht eingegangen werden, da er sehr kompliziert ist und nicht in der Praxis, sondern klinischen Forschung eingesetzt wird.

Der sogenannte HOMA-Index (Homeostasis Model Assessment) ist eine einfachere Methode. Es handelt sich um ein mathematisches Modell, das eine Berechnung der Insulinresistenz und der Betazellfunktion erlaubt [3]. Nach 12-stündiger Nahrungskarenz wird morgens das Nüchterninsulin und die Nüchternglucose (Nüchternblutzucker) bestimmt. Die Berechnung geschieht wie folgt:

  • HOMA-Index = Insulin (nüchtern, µU/ml) x Blutzucker (nüchtern, mg/dl) / 405 oder
  • HOMA-Index = Insulin (nüchtern, µU/ml) x Blutzucker (nüchtern, mmol/l) / 22,5


Interpretation des HOMA-Index

 Stadium  HOMA-Index  Beschreibung
 1   < 2 Insulinresistenz eher unwahrscheinlich
 2   2,0 - 2,5 Hinweis auf eine mögliche Insulinresistenz
 3   2,5 - 5,0 Insulinresistenz sehr wahrscheinlich
 4   > 5,0 Durchschnittswert bei Typ 2-Diabetikern

Im klinischen Alltag können zur Einschätzung der Insulinresistenz bevorzugt die Triglycerid-Konzentrationen und das HDL-Cholesterin des Patienten herangezogen werden. Diese korrelieren signifikant mit einer Insulinresistenz [4].
Auch kann ein Nüchterninsulin von über 15 mU/l auf eine Insulinresistenz hinweisen. Liegen darüber hinaus noch weitere Risikofaktoren vor, so kann daraus das Vorliegen einer Insulinresistenz abgeschätzt werden. Ebenso kann ein steigender Bedarf an Insulin beziehungsweise oralen Antidiabetika auf eine Insulinresistenz hinweisen.

Im Folgenden wird der Insulinresistenz-Score nach Standl/Biermann beschrieben, welcher vom Institut für Diabetesforschung München entwickelt wurde. Dieser erlaubt ebenfalls eine Einschätzung der Insulinresistenz.

Insulinresistenz-Score nach Standl/Biermann

    1 Punkt   2 Punkte
Body-Mass-Index (kg/m2) > 26 > 30
Blutdruck (mmHg)   > 140/90 (Bluthochdruck)
Nüchternglucose
(Nüchternblutzucker
)
> 100 mg/dl (> 5,6 mmol/l) > 110 mg/dl (> 6,1 mmol/l) 
(Diabetes mellitus)
Triglyceride > 230 mg/dl (2,62 mmol/l)  
Gesamtcholesterin > 230 mg/dl (5,98 mmol/l)  

Auswertung

  • Summe 0 bis 3 Punkte: Insulinsensitiv bis leicht insulinresistent
  • Summe 4 bis 8 Punkte: Deutlich insulinresistent

Alternative zum HOMA-Index

Eine Alternative zum HOMA-Index ist der TyG-Index (Triglyceride-Glucose-Index), der ebenfalls zur Abschätzung der Insulinresistenz verwendet wird. Dieser Index wird aus zwei klinischen Routineparametern berechnet: dem Nüchtern-Triglyceridspiegel und dem Nüchtern-Blutzuckerspiegel.

Die Formel zur Berechnung lautet:

TyG=ln⁡(Triglyceride (mg/dL)×Glucose (mg/dL))/2

Der TyG-Index basiert auf der Beobachtung, dass Triglyceridspiegel und Nüchternblutzucker mit der Insulinresistenz korrelieren. Im Vergleich zum HOMA-Index, der auf Insulin- und Glukosewerten basiert, verwendet der TyG-Index Parameter, die in der klinischen Routine häufiger bestimmt werden. Dies kann den TyG-Index in vielen Fällen einfacher und kostengünstiger machen, da Triglycerid- und Glukosemessungen oft standardmäßig durchgeführt werden.

Vorteile des TyG-Index

  • Nutzt Routineparameter (Triglyceride und Blutzucker), die in vielen Fällen ohne zusätzliche Kosten bestimmt werden.
  • Gut geeignet für große Bevölkerungsstudien, da er einfach zu berechnen ist.
  • In Studien wurde gezeigt, dass er eine ähnliche Genauigkeit wie der HOMA-Index zur Einschätzung der Insulinresistenz aufweist.

Die Nutzung des TyG-Index könnte somit eine praktische und verlässliche Alternative zum HOMA-Index darstellen, insbesondere in Situationen, in denen Insulinwerte nicht leicht verfügbar sind.

Literatur

  1. Rett K: The relation between insulin resistance and cardiovascular complications of the insulin resistance syndrome. Diabetes Obes Metab. 1999 May;1 Suppl 1:S8-16.
  2. DeFronzo RA, Tobin JD, Andres R: Glucose clamp technique: a method for quantifying insulin secretion and resistance. Am J Physiol. 1979 Sep;237(3):E214-23.
  3. Matthews DR, Hosker JP, Rudenski AS, Naylor BA, Treacher DF, Turner RC: Homeostasis model assessment: insulin resistance and beta-cell function from fasting plasma glucose and insulin concentrations in man. Diabetologia. 1985 Jul;28(7):412-9.
  4. Bonora E, Kiechl S, Willeit J, Oberhollenzer F, Egger G, Targher G, Alberiche M, Bonadonna RC, Muggeo M: Prevalence of insulin resistance in metabolic disorders: the Bruneck Study. Diabetes. 1998 Oct;47(10):1643-9.
  5. Jee SH, Ohrr H, Sull JW, Yun JE, Ji M, Samet JM: Fasting serum glucose level and cancer risk in Korean men and women. JAMA. 2005 Jan 12;293(2):194-202.
  6. Dirks ML et al.: One Week of Bed Rest Leads to Substantial Muscle Atrophy and Induces Whole-Body Insulin Resistance in the Absence of Skeletal Muscle Lipid Accumulation. Diabetes 2016; 65: 2862-2875. doi: 10.2337/db15-1661