Diabetes insipidus – Ursachen

Pathogenese (Krankheitsentstehung)

Der Diabetes insipidus (DI) ist eine Erkrankung, die durch eine Störung des Wasserhaushalts gekennzeichnet ist. Diese Störung führt zu einer vermehrten Wasserausscheidung (Polyurie) und einer verminderten Konzentrationsfähigkeit der Nieren. Der DI entsteht entweder durch einen absoluten Mangel oder eine fehlende Reaktion auf das antidiuretische Hormon (ADH), auch als Vasopressin bekannt, welches für die Rückresorption von Wasser in den Nieren verantwortlich ist.

Der Diabetes insipidus wird in zwei Hauptformen unterteilt:

  1. Diabetes insipidus centralis (Zentraler Diabetes insipidus): Durch ADH-Mangel bedingt.
  2. Diabetes insipidus renalis (Renaler Diabetes insipidus): Durch Resistenz der Nieren gegen ADH bedingt.

Primäre pathophysiologische Mechanismen

1. Diabetes insipidus centralis (Zentraler Diabetes insipidus)

Der Diabetes insipidus centralis ist durch einen absoluten Mangel an ADH (antidiuretischem Hormon) gekennzeichnet, das im Hypothalamus produziert und in der Hypophyse (Hirnanhangsdrüse) gespeichert wird. Bei dieser Form der Erkrankung wird entweder kein ADH oder zu wenig ADH produziert, wodurch die Fähigkeit der Nieren, Wasser zurückzuhalten, stark eingeschränkt ist.

  • ADH-Mangel: Durch die unzureichende ADH-Produktion wird der Wasserhaushalt nicht richtig reguliert, und es kommt zu einer stark verminderten Rückresorption von Wasser in den Nieren. Das führt zu einer vermehrten Wasserausscheidung über den Urin (Polyurie).
  • Idiopathisch oder sekundär: Diese Form des Diabetes insipidus kann idiopathisch auftreten, also ohne erkennbare Ursache, oder sekundär aufgrund von Schädigungen der Hypophyse oder angrenzender Strukturen, wie bei Tumoren, Traumata, Operationen oder Infektionen.

2. Diabetes insipidus renalis (Renaler Diabetes insipidus)

Der Diabetes insipidus renalis entsteht durch eine unzureichende Reaktion der Nieren auf das im Blut zirkulierende ADH. Obwohl ausreichend ADH vorhanden ist, können die Sammelrohre und distalen Tubuli der Nieren nicht richtig auf das Hormon ansprechen, was zu einer verminderten Wasserrückresorption führt.

  • ADH-Resistenz: In den Nieren findet keine ausreichende Reaktion auf ADH statt, was die Fähigkeit der Nieren zur Konzentrierung des Urins erheblich einschränkt. Dies führt ebenfalls zu einer vermehrten Wasserausscheidung.
  • Genetische oder erworbene Ursachen: Die renale Form kann genetisch bedingt sein, z. B. durch Mutationen in den V2-ADH-Rezeptoren oder im Aquaporin-2-Kanal, oder sie tritt sekundär auf, z. B. durch die Einnahme von Medikamenten (z. B. Lithium) oder durch chronische Nierenerkrankungen.

Sekundäre pathophysiologische Veränderungen

Verlust der Harnkonzentrationsfähigkeit

In beiden Formen des Diabetes insipidus führt der ADH-Mangel oder die ADH-Resistenz zu einem Verlust der Fähigkeit der Nieren, den Urin zu konzentrieren. Bei einem Verlust von über 80 % der ADH-Wirkung kommt es zu einer deutlichen Einschränkung der Harnkonzentration, was in einer stark erhöhten Urinmenge (Polyurie) resultiert.

Dehydratation 

Durch die massive Wasserausscheidung kann es schnell zu einer Dehydratation (Austrocknung) kommen, insbesondere wenn der Wasserverlust nicht durch eine ausreichende Flüssigkeitsaufnahme kompensiert wird. Dies führt zu Symptomen wie starkem Durst (Polydipsie), trockener Haut und Schleimhäuten sowie Elektrolytstörungen.

Hypernatriämie (Erhöhter Natriumspiegel im Blut)

Der starke Wasserverlust ohne adäquate Flüssigkeitszufuhr kann zu einer Hypernatriämie (Erhöhter Natriumspiegel im Blut) führen, also zu einem erhöhten Natriumspiegel im Blut. Diese Störung des Elektrolythaushalts kann schwere neurologische Symptome wie Verwirrtheit, Krämpfe und im schlimmsten Fall ein Koma verursachen.

Klinische Manifestation

Leitsymptome

  • Polyurie (vermehrte Urinausscheidung): Typischerweise scheiden Patienten mehrere Liter Urin pro Tag aus (bis zu 15 Liter), was ein Hauptmerkmal der Erkrankung ist.
  • Polydipsie (übermäßiger Durst): Patienten trinken in der Regel große Mengen Wasser, um den Wasserverlust auszugleichen.

Fortgeschrittene Symptome

  • Dehydratation (Austrocknung): Tritt auf, wenn der Wasserverlust nicht durch ausreichendes Trinken kompensiert wird.
  • Elektrolytstörungen (z. B. Hypernatriämie): Durch die vermehrte Wasserausscheidung kann es zu einer Störung des Elektrolythaushalts kommen, insbesondere zu einem erhöhten Natriumspiegel im Blut.
  • Müdigkeit und Schwäche: Durch den Flüssigkeitsmangel und die Elektrolytstörungen fühlen sich die Patienten oft erschöpft und kraftlos.

Risikofaktoren für die Entwicklung von Diabetes insipidus

  • Idiopathische Ursachen: Viele Fälle des Diabetes insipidus centralis sind idiopathisch, das heißt, es kann keine klare Ursache identifiziert werden.
  • Hirntrauma oder Operationen: Schädigungen des Hypothalamus oder der Hypophyse, z. B. durch Unfälle, Operationen oder Tumore, können zum zentralen Diabetes insipidus führen.
  • Genetische Defekte: Beim renalen Diabetes insipidus sind genetische Defekte häufig verantwortlich, wie Mutationen in den Aquaporin-2-Kanälen oder den V2-Rezeptoren.
  • Medikamente: Lithium oder andere nephrotoxische Medikamente können den renalen Diabetes insipidus auslösen.

Zusammenfassung und klinische Relevanz

Der Diabetes insipidus ist eine seltene Störung des Wasserhaushalts, die durch einen absoluten oder relativen Mangel an ADH gekennzeichnet ist. Die Erkrankung führt zu einer stark erhöhten Wasserausscheidung und damit zu Polyurie und Polydipsie. Die zentrale Form resultiert aus einem Mangel an ADH, während die renale Form auf einer Resistenz der Nieren gegen ADH beruht. Unbehandelt kann die Erkrankung zu schwerer Dehydratation und Elektrolytstörungen wie Hypernatriämie führen. Eine frühzeitige Diagnose und Therapie sind entscheidend, um Komplikationen zu vermeiden.

Ätiologie (Ursachen) des Diabetes insipidus centralis

Biographische Ursachen

  • Genetische Belastung durch Eltern, Großeltern (Mutation im ADH-Gen; autosomal-dominant vererbt) → Zelltod der ADH-produzierenden Neuronen

Krankheitsbedingte Ursachen

Angeborene Fehlbildungen, Deformitäten und Chromosomenanomalien (Q00-Q99)

  • Angeborene Malformationen (Fehlbildungen)

Blutbildende Organe – Immunsystem (D50-D90)

  • Sarkoidose – granulomatöse Entzündung; sie gilt als entzündliche Multisystemerkrankung, deren Ursache noch unklar ist.

Endokrine, Ernährungs- und Stoffwechselkrankheiten (E00-E90)

  • Sheehan-Syndrom ‒ Form der Hypophysenvorderlappeninsuffizienz (Schwäche der Hirnanhangsdrüse), die bei Frauen postpartum (nach einer Geburt) auftreten kann: z. B. nach starkem postpartalen Blutverlust mit hypovolämischen Schock, der zu einer Minderdurchblutung mit ischämisch bedingter Nekrose ("Absterben") des Hypophysenvorderlappens (HVL) führt.

Herzkreislaufsystem (I00-I99)

  • Aortokoronarer Bypass ‒ Bypass zwischen der Hauptschlagader und den Herzkranzgefäßen
  • Arteria carotis interna-Aneurysma ‒ Aussackung der Gefäßwand der hirnversorgenden Arterie

Infektiöse und parasitäre Krankheiten (A00-B99)

  • Neurolues (Neurosyphilis) – Reihe von Symptomen bezeichnet, die bei unbehandelter oder nicht ausgeheilter Syphilis-Erkrankung des Menschen mit einer Latenzzeit von Jahren bis Jahrzehnten auftreten können
  • Toxoplasmose ‒ Infektionserkrankung, die durch Toxoplasma gondii ausgelöst wird

Muskel-Skelett-System und Bindegewebe (M00-M99)

  • Granulomatose mit Polyangiitis (GPA), ehemals Wegenersche Granulomatose – nekrotisierende (Gewebe absterbende) Vaskulitis (Gefäßentzündung) der kleinen bis mittelgroßen Gefäße (Kleingefäßvaskulitiden), welche mit einer Granulombildung (Knötchenbildung) in den oberen Atemwegen (Nase, Nasennebenhöhlen, Mittelohr, Oropharynx) sowie den unteren Atemwegen (Lunge) einhergeht 
  • Lupus erythematodes ‒ Systemerkrankung, die die Haut und das Bindegewebe der Gefäße betrifft und so zu Gefäßentzündungen (Vaskulitiden) zahlreicher Organe wie Herz, Nieren oder Gehirn führt
  • Sklerodermie ‒ zu den Kollagenosen zählende Gruppe von Erkrankungen mit unklarer Ursache, die mit einer bindegewebigen Verhärtung der Haut und der inneren Organe einhergeht

Neubildungen – Tumorerkrankungen (C00-D48)

  • Dysgerminom – maligner (bösartiger) Tumor des Ovars (Eierstock) und gehört zu den malignen Keimzelltumoren der Frau
  • Histiozytose/Langerhans-Zell-Histiozytose (Abkürzung: LCH; früher: Histiozytose X; engl. histiocytosis X, langerhans-cell histiocytosis) – systemische Erkrankung mit Proliferation von Langerhans-Zellen in unterschiedlichen Geweben (Skelett 80 % der Fälle; Haut 35 % und Hypophyse (Hirnanhangsdrüse) 25 %, Lunge und Leber 15-20 %); in seltenen Fällen können auch neurodegenerative Zeichen auftreten; in 5-50 % der Fälle tritt bei Befall der Hypophyse ein Diabetes insipidus (Hormonmangel-bedingte Störung im Wasserstoffwechsel, die zu einer extrem hohen Harnausscheidung) auf; die Erkrankung manifestiert sich gewöhnlich erst im Erwachsenenalter; Prävalenz (Krankheitshäufigkeit) ca. 1-2 pro 100.000 Einwohner
  • Bösartige Neubildungen des Blutsystems wie Leukämie (Blutkrebs) oder Lymphome (Neubildung, die vom Lymphsystem ausgehen)
  • Granulome (knötchenartige Neubildungen) wie Histiocytosis X 1(s. o.) oder Xanthoma disseminatum
  • Kraniopharyngeom – benigner (gutartiger) Tumor der Schädelbasis, der von Epithelresten der Rathke-Tasche ausgeht; aus der Rathke-Tasche entsteht während der Entwicklung des Embryos der Vorderlappen der Hypophyse (Hirnanhangsdrüse)
  • Leukämie (Blutkrebs)
  • Lymphom – bösartige Neubildung, die vom Lymphsystem ausgeht 
  • Meningeome – Hirntumoren/häufigste Tumoren des zentralen Nervensystems
  • Metastasen (Tochtergeschwülste) im Bereich des Kopfes, nicht näher bezeichnet (Lunge, Mamma/weibliche Brust)
  • Neubildungen im Bereich des Kopfes, nicht näher bezeichnet
  • Supraselläres Hypophysenadenom
  • Tumor oder Zyste der Hypophyse oder des Hypothalamus
  • Unterbrechung des Hypophysenstiels durch Trauma (z. B. Schädel-Hirn-Trauma (SHT), Hirnoperation) → ADH kann nicht in den Hypophysenvorderlappen (HVL) transportiert werden

Psyche – Nervensystem (F00-F99; G00-G99)

  • Chronische Meningitis (Hirnhautentzündung)
  • Hypoxische Enzephalopathie ‒ Schädigung des Gehirns, die durch Sauerstoffmangel bedingt ist
  • Virale Enzephalitis ‒ durch Viren ausgelöste Gehirnentzündung

Schwangerschaft, Geburt und Wochenbett (O00-O99)

  • Schwangerschaft

Verletzungen, Vergiftungen und andere Folgen äußerer Ursachen (S00-T98)

  • Kopfverletzungen, nicht näher bezeichnet

Operationen

  • Hypophysenoperation (Operation der Hirnanhangsdrüse)

Umweltbelastungen – Intoxikationen (Vergiftungen)

  • Tetrodotoxin ‒ Gift des Pufferfisches
  • Schlangengift

Weitere Ursachen

  • Idiopathisch: autoimmune Antikörper gegen ADH-produzierende Zellen
  • [Alkoholabusus (Alkohol hemmt vorübergehend die ADH-Ausschüttung und führt damit zu einem übermäßigen Flüssigkeitsverlust)]
  • Operativer Eingriff an der Hypophyse (Hirnanhangsdrüse)

Ätiologie (Ursachen) des renalen Diabetes insipidus

 Biographische Ursachen

  • Genetische Belastung durch Eltern, Großeltern
  • Genetische Erkrankungen
    • Sichelzellenanämie (med.: Drepanozytose; auch Sichelzellanämie, engl.: sickle cell anemia) – genetische Erkrankung mit autosomal-rezessivem Erbgang, die die Erythrozyten (rote Blutkörperchen) betrifft; sie gehört zur Gruppe der Hämoglobinopathien (Störungen des Hämoglobins; Bildung eines irregulären Hämoglobins, dem sogenannten Sichelzellhämoglobin, HbS)

Krankheitsbedingte Ursachen

Angeborene Fehlbildungen, Deformitäten und Chromosomenanomalien (Q00-Q99)

  • Mutationen im Gen für den V2-Rezeptor (X-chromosonal) bzw. das entsprechende Aquaporin (meist autosomal) [häufigste Ursache bei Kindern]

Blutbildende Organe – Immunsystem (D50-D90) 

  • Sarkoidose – granulomatöse Entzündung; sie gilt als entzündliche Multisystemerkrankung, deren Ursache noch unklar ist.

Endokrine, Ernährungs- und Stoffwechselkrankheiten (E00-E90)

  • Amyloidose ‒ extrazelluläre ("außerhalb der Zelle") Ablagerungen von Amyloiden (abbauresistente Proteine), die u. a. zu einer Kardiomyopathie (Herzmuskelerkrankung), Neuropathie (Erkrankung des peripheren Nervensystems) und Hepatomegalie (Lebervergrößerung) führen können.
  • Hypercalcämie (Calciumüberschuss)
  • Hypercalciurie (vermehrte Ausscheidung von Calcium im Urin)
  • Hyperkaliämie (Kaliumüberschuss)

Neubildungen – Tumorerkrankungen (C00-D48)

  • Sarkom ‒ bösartiger Tumor, der vom Weichteilgewebe ausgeht

Psyche – Nervensystem (F00-F99; G00-G99)

  • Neurosarkoidose ‒ entzündliche Systemerkrankung, die die Haut, die Lunge und in diesem Falle das Nervensystem betrifft

Schwangerschaft, Geburt und Wochenbett (O00-O99)

  • Schwangerschaft → transienter ("vorübergehender") Diabetes insipidus durch vermehrte Produktion von Vasopressinasen in der Plazenta (Mutterkuchen)

Urogenitalsystem (Nieren, Harnwege – Geschlechtsorgane) (N00-N99)

  • Chronische Pyelonephritis (Nierenbeckenentzündung)
  • Nierenischämie (akute Tubulusnekrose) ‒ Zelluntergang in der Niere bedingt durch Schädigung durch Medikamente oder Toxine
  • Nierenzysten
  • Obstruktion (Verlegung/Verstopfung) von Ureter (Harnleiter) oder Urethra (Harnröhre)
  • Tubulointerstitielle Nierenerkrankungen – Gruppe von Nierenerkrankungen, die primär das Niereninterstitium (Gewebe gebildet, das zwischen den Nephronen (kleinste Filtrationseinheiten der Niere) liegt und Arterien, Venen, Nerven und Bindegewebe enthält) inkl. des tubulären Apparats erfassen

Labordiagnosen – Laborparameter, die als unabhängige Risikofaktoren gelten

  • Hypercalcämie (Calciumüberschuss)
  • Hypokaliämie (Kaliummangel)

Medikamente

  • Aminoglykoside ‒ Gruppe von Antibiotika wie Gentamycin, Neomycin
  • Amphotericin B (Antimykotikum) ‒ Medikament gegen Pilzinfektionen
  • Cidofovir – antiviraler Wirkstoff aus der Gruppe der Nukleosid-Analoga
  • Cisplatin (Zytostatikum)
  • Demeclozyklin ‒ Antibiotikum aus der Gruppe der Tetracycline
  • Foscarnet (Virostatikum) ‒ Medikament gegen virale Infektionen
  • Lithium ‒ Alkalimetall, welches vor allem bei psychiatrischen Erkrankungen eingesetzt wird
  • Ofloxacin – Antibiotikum aus der Gruppe der Fluorchinolone
  • Methoxyfluran ‒ Medikament, welches früher als Narkotikum eingesetzt wurde
  • Rifampicin ‒ Antibiotikum, welches in der Therapie der Tuberkulose eingesetzt wird