Calciumüberschuss (Hypercalcämie) – Ursachen

Pathogenese (Krankheitsentstehung)

Hypercalcämie beschreibt einen Calciumüberschuss im Blut, der die normale Calcium-Homöostase (Gleichgewicht des Calciumstoffwechsels) stört. Normalerweise ist das Calcium im Körper wie folgt verteilt:

  • 98 % des gesamten Calciums befindet sich im Skelett als mineralisierte Substanz und dient als Speicher.
  • 2 % des Calciums ist im Extrazellularraum (Raum außerhalb der Körperzellen) verteilt:
    • Etwa 50 % liegt als freies oder ionisiertes Calcium vor, welches biologisch aktiv ist.
    • Rund 45 % des Serumcalciums ist proteingebunden (hauptsächlich an Albumin).
    • Die restlichen 5 % liegen als komplexgebundenes Calcium vor.

Primäre pathophysiologische Mechanismen

Tumorbedingte Hypercalcämie (Tumorhypercalcämie)

  • Hypercalcämie durch lokale Osteolysen:
    • Bei osteolytischen Knochenmetastasen kommt es durch maligne (bösartige) Neoplasien (z. B. bei metastasierenden Tumoren) zu lokalem Knochenabbau, was zur Freisetzung von Calcium ins Blut führt.
  • Humorale Hypercalcämie (PTHrP-vermittelt):
    • In etwa 80 % der Fälle wird die Hypercalcämie durch eine paraneoplastische Bildung von PTHrP (parathyroid hormone-related protein) ausgelöst, das bei Tumoren wie Plattenepithelkarzinomen und Nierenzellkarzinomen ohne direkte Knochenmetastasen gebildet wird. PTHrP ähnelt dem Parathormon (PTH) und führt zu einer erhöhten Calciumfreisetzung.
  • Hypercalcämie bei malignen Lymphomen:
    • Bei Lymphomen (z. B. Morbus Hodgkin) resultiert die Hypercalcämie oft aus der extrarenalen Produktion von 1,25-Dihydroxycholecalciferol (aktives Vitamin D3), welches die Calciumaufnahme im Darm steigert.

Sekundäre pathophysiologische Mechanismen

  • Beteiligung von Prostaglandinen der Gruppe E: Diese fördern die Osteoklastenaktivität, was den Knochenabbau und somit die Calciumfreisetzung verstärkt.
  • PTH-related Peptide (PTHrP): Es wirkt ähnlich wie Parathormon und erhöht die Calciumfreisetzung aus den Knochen und die Calciumrückresorption in den Nieren.
  • Interleukine (IL-1, IL-6): Diese Entzündungsmediatoren fördern die Osteoklastenaktivität und tragen so zur Erhöhung des Calciumspiegels bei.
  • 1,25(OH)2Vitamin D: Das aktivierte Vitamin D steigert die Calciumaufnahme aus dem Darm, was zur Hypercalcämie beiträgt.

Klinisches Bild

Leitsymptome

  • Müdigkeit und Muskelschwäche
  • Verwirrtheit und kognitive Veränderungen
  • Übelkeit, Erbrechen und Appetitlosigkeit

Fortgeschrittene Symptome

  • Nierensteine und Polyurie (vermehrtes Wasserlassen)
  • Erhöhter Blutdruck und Herzrhythmusstörungen
  • Osteoporose und Knochenschmerzen

Zusammenfassung und klinische Relevanz

Die Hypercalcämie kann durch Tumorbildung und Stoffwechselstörungen entstehen, die die Homöostase des Calciumsystems durch Osteolyse, paraneoplastische Hormonproduktion oder Immunfaktoren beeinflussen. Ein tieferes Verständnis dieser Mechanismen ist wichtig für die Auswahl zielgerichteter Therapien und die Prävention möglicher Komplikationen wie Nierensteinen, Herzrhythmusstörungen und Knochenabbau.

Ätiologie (Ursachen)

Biographische Ursachen

  • Genetische Belastung durch Eltern, Großeltern
    • Genetische Erkrankungen
      • Familiäre benigne hypocalciurische Hypercalcämie (FBHH) – seltene, autosomal-dominant vererbte Störung des Calcium-Haushalts, die durch eine inaktivierende Mutation des calciumsensitiven Rezeptors in Nebenschilddrüse und Nieren hervorgerufen wird; Hypercalcämie im Kindesalter; Labor: normale PTH-Konzentration, Hypermagnesiämie (Magnesiumüberschuss) und niedrige Urin-Calcium/Magnesium-Clearance

Verhaltensbedingte Ursachen

  • Körperliche Aktivität
    • Immobilisation – Bewegungsmangel fördert den Abbau von Knochen, was zu einer Freisetzung von Calcium in den Blutkreislauf führen kann.

Krankheitsbedingte Ursachen

Angeborene Fehlbildungen, Deformitäten und Chromosomenanomalien (Q00-Q99)

  • Familiäre benigne hypocalciurische Hypercalcämie (FBHH) – seltene, autosomal-dominant vererbte Störung des Calcium-Haushalts, die durch eine inaktivierende Mutation des calciumsensitiven Rezeptors in Nebenschilddrüse und Nieren hervorgerufen wird; Hypercalcämie im Kindesalter; Labor: normale PTH-Konzentration, Hypermagnesiämie (Magnesiumüberschuss) und niedrige Urin-Calcium/Magnesium-Clearance

Atmungssystem (J00-J99)

  • Berylliose – Lungenentzündung, die durch das Einatmen von Beryllium enthaltendem Staub oder entsprechenden Dämpfen verursacht wird. 

Blut, blutbildende Organe – Immunsystem (D50-D90)

  • Sarkoidose (M. Boeck)

Endokrine, Ernährungs- und Stoffwechselkrankheiten (E00-E90)

  • Calcium-Alkali-Syndrom (CAS; Synonym: Burnett-Syndrom) – Calcium-Stoffwechselstörung infolge eines Überangebotes an leicht resorbierbaren Alkalien (z. B. als Bicarbonate) und Calcium (z. B. über Milch)
  • Hyperthyreose (Schilddrüsenüberfunktion)
  • Hypervitaminose D
  • Hypomagnesiämie (Magnesiummangel)
  • Idiopathische Hypercalcämie im Kindesalter (Williamssyndrom, Entwicklungsstörung)
  • Metabolische Alkalose – stoffwechselbedingte Alkalose; Stoffwechselstörung, die sich durch eine Bicarbonaterhöhung oder durch den Verlust von Wasserstoff-Ionen auszeichnet
  • Milch-Alkali-Syndrom (Burnett-Syndrom) – Erkrankung, die durch ein Überangebot an Alkalien wie Milch und Calciumcarbonat bedingt ist; klinisches Bild: Nausea (Übelkeit)/ Erbrechen, Vertigo (Schwindelgefühl) und Ataxie (Gangstörung); Labordiagnostik: Alkalose mit Hypercalcämie (Kaliumüberschuss) ohne vermehrte Calciumausscheidung über den Urin und ohne Abfall des Phosphatgehalts im Blut; Hypercalcämie führt zu einer Kalzinose (Kalksalzablagerungen) der Bindehaut, der Hornhaut der Augen ("Bandkeratitis" der Lidspalte) und in den Nierentubuli mit der Gefahr einer Niereninsuffizienz (langsam fortschreitende Verringerung der Nierenfunktion)
  • Morbus Addison (Nebennierenrindeninsuffizienz) 
  • Primärer Hyperparathyreoidismus (pHPT) – primäre Erkrankung der Nebenschilddrüsen mit vermehrter Bildung von Parathormon und daraus resultierendem Calciumüberschuss [25 % der Fälle]; Ursachen sind:
    • Nebenschilddrüsenadenom (80 %)
    • Nebenschilddrüsenhyperplasie (15-20 %)
    • Nebenschilddrüsenkarzinom (ca. 1 %)
  • Thyreotoxikose (Hyperthyreose; Schilddrüsenüberfunktion)

Herzkreislaufsystem (I00-I99)

  • Herzrhythmusstörungen (Arrhythmien; Bradykardie)

Infektiöse und parasitäre Krankheiten (A00-B99)

  • AIDS [„acquired immunodeficiency syndrome“]
  • Candidiasis
  • Histoplasmose
  • Kokzidioidomykose
  • Tuberkulose

Muskel-Skelett-System und Bindegewebe (M00-M99)

  • Morbus Paget (Synonyme: Morbus Paget des Knochens) – Erkrankung des Skelettsystems mit Knochenumbau; Hypercalcämie hier ausschließlich bei Bettlägerigkeit aufgrund Immobilisierung
  • Rhabdomyolyse – Zerfall von Muskelfasern

Leber, Gallenblase und Gallenwege – Pankreas (Bauchspeicheldrüse) (K70-K77; K80-K87)

  • Obstipation (Verstopfung) 

Neubildungen – Tumorerkrankungen (C00-D48) [Tumorhypercalcämie; 65 % der Fälle

  • Bronchialkarzinom (Lungenkrebs)
  • Lymphome, z. B. Morbus Hodgkin (maligne Neoplasie (bösartige Neubildung) des lymphatischen Systems mit möglichen Befall weiterer Organe)
  • Mammakarzinom (Brustkrebs)
  • Metastasen, osteolytische (Tochtergeschwülste, die mit einer Osteolyse/Knochenauflösung einhergehen)
  • Monoklonale Gammopathie – Erkrankung, die mit einer Vermehrung monoklonaler Immunglobuline oder deren Teile (Leicht- oder Schwerketten) innerhalb der Gamma-Fraktion der Serumproteine einhergeht
  • Non-Hodgkin-Lymphome mit ektoper 1,25-Vitamin-D-Sekretion
  • Plasmozytom (multiples Myelom)
  • Prostatakarzinom (Prostatakrebs)

Psyche – Nervensystem (F00-F99; G00-G99)

  • Akute Verwirrtheit
  • Delir

Symptome und abnorme klinische und Laborbefunde, die anderenorts nicht klassifiziert sind (R00-R99)

  • Abnorme Gewichtsabnahmen
  • Anurie – fehlende Urinausscheidung (maximal 100 ml/24 h)
  • Müdigkeit
  • Nykturie – nächtliches Wasserlassen
  • Oligurie – verminderte Urinmenge mit einer Tageshöchstmenge von 500 ml

Urogenitalsystem (Nieren, Harnwege – Geschlechtsorgane) (N00-N99)

  • Akutes Nierenversagen (ANV) bzw. Erholungsphase nach einem akuten Nierenversagen (ANV)

Medikamente

  • Calciumhaltige Antazida
  • Hormone
    • Antiöstrogene (Tamoxifen)
    • Parathormon-Analogon (Teriparatid)
  • Lithium
  • Thiazide (reduzieren die Ausscheidung von Calcium)
  • Vitamin-D-Supplemente/Vitamin-D-Analoga
  • Vitamin-A-Supplemente

Weiteres

  • Silikonimplantate