Respiratorische – atmungsbedingte – Azidose – Ursachen
Pathogenese (Krankheitsentstehung)
Die respiratorische Azidose entsteht durch eine verminderte Atmung (Hypoventilation), die zu einer unzureichenden Abgabe von Kohlendioxid (CO2) führt. Dies resultiert in einem erhöhten CO2-Partialdruck (pCO2) im Blut (Hyperkapnie), was den pH-Wert unter 7,36 abfallen lässt und eine Azidose verursacht.
Primäre pathophysiologische Mechanismen
- Hypoventilation: Der reduzierte Atemfluss bewirkt eine Ansammlung von CO2 im Blut, wodurch der pH-Wert sinkt. Zu den Ursachen zählen:
- Inhibition des medullären Atemzentrums: Akute oder chronische Beeinträchtigungen des Atemzentrums im Hirnstamm, ausgelöst durch Medikamente (z. B. Opiate oder Sedativa), neurologische Erkrankungen oder Hypoxie.
- Atemmuskulatur- und Thoraxwand-Erkrankungen: Schwäche der Atemmuskulatur oder Einschränkungen der Thoraxbeweglichkeit, z. B. durch neuromuskuläre Erkrankungen oder Thoraxdeformitäten.
- Obstruktion der oberen Atemwege: Durch Fremdkörper, Laryngospasmus (krampfartige Verengung der Stimmritze) oder das obstruktive Schlafapnoe-Syndrom (OSAS), die den Luftstrom in die Lunge behindern.
- Ventilation-/Perfusionsstörungen: Erkrankungen, die die Belüftung der Lunge beeinträchtigen, wie akute Pneumonie oder chronisch obstruktive Lungenerkrankung (COPD).
Sekundäre pathophysiologische Mechanismen
- Kompensatorische Bicarbonat-Retention in den Nieren: Bei einer chronischen respiratorischen Azidose versuchen die Nieren, den pH-Wert zu stabilisieren, indem sie vermehrt Bicarbonat zurückhalten, um die Säurebelastung zu neutralisieren. Diese Anpassung dauert jedoch mehrere Tage.
- Säure-Basen-Gleichgewicht und Auswirkungen auf den Körper: Die Hyperkapnie führt zu einer systemischen Azidose, die kardiovaskuläre und neurologische Funktionen beeinträchtigen kann. Durch die Ansäuerung des Blutes wird die Sauerstoffabgabe an Gewebe vermindert, was die Sauerstoffversorgung im Körper weiter reduziert.
Klinisches Bild
Leitsymptome
- Dyspnoe (Atemnot)
- Müdigkeit, Verwirrtheit und Kopfschmerzen durch den erhöhten CO₂-Spiegel im Blut
Fortgeschrittene Symptome
- Hypoxie (Sauerstoffmangel im Gewebe) und Zyanose (Blaufärbung der Haut), besonders bei chronischer Azidose
- Bewusstseinstrübung bis zum Koma bei unbehandelter, schwerer Hyperkapnie
- Tachykardie (erhöhte Herzfrequenz) und Arrhythmien als Reaktion auf die Hypoxie
Zusammenfassung und klinische Relevanz
Die respiratorische Azidose resultiert aus einer Hypoventilation, die zu einer Anhäufung von CO2 und einem sauren pH-Wert im Blut führt. Sie tritt häufig bei obstruktiven Lungenerkrankungen, Beeinträchtigungen des Atemzentrums oder neuromuskulären Erkrankungen auf. Die Kompensation durch die Nieren erfordert Zeit und ist daher nur bei chronischer Azidose möglich. Eine frühzeitige Identifikation und Behandlung sind entscheidend, um Komplikationen wie Bewusstseinsstörungen und Organversagen zu vermeiden.
Ätiologie (Ursachen)
Verhaltensbedingte Ursachen
- Drogenkonsum
- Opiate – stark wirksame Schmerzmittel wie Morphin
- Übergewicht (BMI ≥ 25; Adipositas) – insb. massive Adipositas
Krankheitsbedingte Ursachen
- Amyotrophe Lateralsklerose (ALS) – progressive (fortschreitende), irreversible Degeneration des motorischen Nervensystems
- Apoplex (Schlaganfall)
- ARDS (Adult Respiratory Distress Syndrome) – akutes Lungenversagen
- Asthma bronchiale
- Atelektasen – Kollaps von Anteilen der Lunge
- Atemmuskellähmung
- Barotrauma – vor allem bei Tauchern auftretende Erkrankung, die durch schnelle Luftdruckänderungen bedingt ist
- Behinderung der Atmung wie beispielsweise durch Rippenserienfrakturen oder neuromuskuläre Erkrankungen
- Emphysem (krankhafte Überblähung der Lungenbläschen)
- Guillain-Barre-Syndrom (GBS; Synonyme: Idiopathische Polyradikuloneuritis, Landry-Guillain-Barré-Strohl-Syndrom) – es gibt zwei Verlaufsformen: akute inflammatorische demyelinisierende Polyneuropathie bzw. chronische inflammatorische demyelinisierende Polyneuropathie (Erkrankung des peripheren Nervensystems); idiopathische Polyneuritis (Erkrankungen mehrerer Nerven) der spinalen Nervenwurzeln und peripheren Nerven mit aufsteigenden Lähmungen und Schmerzen; tritt meist nach Infektionen auf
- Herzkreislaufstillstand
- Hirnstamminfarkt – mit der Folge der Schädigung des Atemzentrums
- Infektionen des zentralen Nervensystems
- Hypokaliämie (Kaliummangel), schwere
- Kyphoskoliose – abnorme Stellung der Wirbelsäule
- Laryngospasmus (Stimmritzenkrampf)
- Lungenembolie – mechanische Obstruktion ("Verstopfung oder Verengung") einer oder mehrerer Pulmonalarterienäste (Lungenarterieäste), die vor allem durch eine Becken-Bein-Thrombose (ca. 90 % der Fälle) seltener durch einen Thrombus (Blutgerinnsel) aus den oberen Extremitäten bedingt ist
- Lungenemphysem – Lungenerkrankung mit funktionslosen Lungenbläschen
- Lungenödem – Wassereinlagerung in der Lunge
- Metabolische Azidose (stoffwechselbedingte Übersäuerung)
- Multiple Sklerose (MS)
- Muskeldystrophien – genetisch bedingte Muskelerkrankungen, die zu fortschreitendem Muskelschwund führen
- Muskelschwäche
- Myasthenia gravis (MG; Synonyme: Myasthenia gravis pseudoparalytica; MG); seltene neurologische Autoimmunerkrankung, bei der spezifische Antikörper gegen die Acetylcholinrezeptoren vorliegen, mit charakteristischen Symptomen wie einer abnormen belastungsabhängigen und schmerzlosen Muskelschwäche, einer Asymmetrie, neben der örtlichen auch einer zeitlichen Wechselhaftigkeit (Fluktuation) im Verlauf von Stunden, Tagen bzw. Wochen, einer Besserung nach Erholungs- bzw. Ruhephasen; klinisch differenzieren lässt sich eine rein okuläre ("das Auge betreffend"), eine faziopharyngeal (Gesicht (Facies) und Rachen (Pharynx) betreffend) betonte und eine generalisierte Myasthenie; ca. 10 % der Fälle zeigen bereits eine Manifestation im Kindesalter.
- Myxödem – pastöse (aufgeschwemmt; gedunsen) Haut, die ein nicht eindrückbares, teigiges Ödem (Schwellung) zeigt, das nicht lageabhängig ist
- Obstruktive Bronchitis – Einengung der Bronchien mit entsprechender Einschränkung der Lungenfunktion
- Obstruktives Schlafapnoe-Syndrom – gekennzeichnet durch die Obstruktion oder komplettem Verschluss der oberen Atemwege während des Schlafes
- Pickwick-Syndrom – Kombination von massivem Übergewicht, Schnarchen und
Schlafsucht mit alveolärer Hypoventilation (nicht ausreichende Atmung bei erniedrigter Atemfrequenz) - Pneumokoniose (Staublunge)
- Pneumonie (Lungenentzündung)
- Pneumothorax (Kollaps der Lunge, der durch eine Luftansammlung zwischen der Pleura viszeralis (Lungenfell) und der Pleura parietalis (Brustfell) bedingt ist) oder Hämatothorax (Blutansammlung im Pleuraspalt (luftleerer Raum zwischen dem Lungen- und Rippenfell))
- Poliomyelitis (Kinderlähmung) – entzündliche bedingte Erkrankung der Rückenmarks
- Polymyositis – Autoimmunerkrankung der Haut und Muskulatur
- Zentrales Schlafapnoe-Syndrom – wiederholte Atemstillstände durch fehlende Aktivierung der Atemmuskeln (episodische Hemmung des Atemantriebs)
Labordiagnosen – Laborparameter, die als unabhängige Risikofaktoren gelten
- Hypokaliämie (Kaliummangel)
- Hypophosphatämie (Phosphatmangel), schwere
Medikamente
- Anästhetika – Medikamente, die zur Einleitung und Führung einer Narkose eingesetzt werden
- Opiate
- Sedativa (Beruhigungsmittel)
- Sauerstoff bei chronischer Hyperkapnie (erhöhter Kohlendioxidgehalt im Blut)
Weitere Ursachen
- Lungenkrankheiten und Fliegen (hier ist ein Hypoxiesimulationstest (Hypoxic Challenge Test = HCT) angezeigt, um die Flugsituation zu simulieren) – es kann sich aufgrund des benötigten und substituierten Sauerstoffs eine respiratorische Azidose (Hyperkapnie) entwickeln [1]
Literatur
- Spurling KJ, Moonsie IK, Perks JL: Hypercapnic Respiratory Acidosis During An In-Flight Oxygen Assessment. Aerosp Med Hum Perform 2016;87(2):144-7