Adrenogenitales Syndrom (AGS) – Ursachen

Pathogenese (Krankheitsentstehung)

Das adrenogenitale Syndrom (AGS) ist eine Gruppe genetisch bedingter Stoffwechselstörungen, die durch einen Enzymdefekt in der Nebennierenrinde ausgelöst werden. Dieser Defekt betrifft in über 90 % der Fälle das Enzym 21-Hydroxylase, das für die Synthese (Herstellung) der Steroidhormone Cortisol und Aldosteron essenziell ist. Fehlt dieses Enzym oder funktioniert es eingeschränkt, werden die hormonellen Regelkreise unterbrochen.

Primäre pathophysiologische Mechanismen

  • Cortisolmangel und gestörtes Feedback-System:
    • Durch den Enzymdefekt-bedingten Mangel an Cortisol bleibt das negative Feedback auf den Hypophysenvorderlappen aus. Dieser Kontrollmechanismus steuert normalerweise die Cortisolproduktion in der Nebennierenrinde. Der Hypophysenvorderlappen reagiert auf den Cortisolmangel, indem er vermehrt das adrenocorticotrope Hormon (ACTH) ausschüttet, das die Nebennierenrinde stimuliert.
    • Die gesteigerte ACTH-Produktion führt zur Hyperplasie (Größenzunahme) der Nebennierenrinde, doch aufgrund des Enzymdefekts kann die Cortisolsynthese nicht abgeschlossen werden, was die Bildung von Androgenen (männlichen Geschlechtshormonen) begünstigt.
  • Hyperandrogenämie und Virilisierung:
    • Da die Stoffwechselwege nur bis zum fehlerhaften Enzym ablaufen können, sammeln sich Vorläufermoleküle wie Progesteron und 17α-OH-Progesteron an. Diese Vorstufen werden auf alternativen Stoffwechselwegen zu Androgenen abgebaut, was die Androgenproduktion zusätzlich verstärkt.
    • Die vermehrte Androgenbildung führt zur Hyperandrogenämie, was bei Betroffenen zu einer Virilisierung (Vermännlichung) führen kann, die insbesondere bei weiblichen Neugeborenen auffällt.
  • Aldosteronmangel und Salzverlustsyndrom:
    • Der 21-Hydroxylase-Mangel wirkt sich auch auf die Aldosteronproduktion aus, was zu einem Hypoaldosteronismus führt. Aldosteron ist ein Mineralocorticoid, das den Blutdruck und den Salzhaushalt reguliert, insbesondere im Renin-Angiotensin-Aldosteron-System (RAAS).
    • Ein Aldosteronmangel verursacht Störungen im Salz- und Flüssigkeitshaushalt und kann zum sogenannten „Salzverlustsyndrom“ führen, das durch signifikanten Natriumverlust und Hypotonie (niedrigen Blutdruck) gekennzeichnet ist.

Sekundäre pathophysiologische Mechanismen

  • Überproduktion von Desoxycorticosteron (DOC):
    • Bei Defekten der 11ß- oder 17α-Hydroxylase kann es zu einer vermehrten Produktion von Desoxycorticosteron (DOC) kommen, einem Vorläufermolekül mit Mineralocorticoidwirkung. Dieser Mineralcorticoidexzess kann zu Bluthochdruck und Elektrolytstörungen führen.

Klinisches Bild

  • Salzverlustsyndrom: Natriumverlust, Dehydration (Austrocknung) und Hypotonie.
  • Hyperandrogenämie: Vermännlichung bei Frauen und vermehrtes Wachstum von Körperbehaarung.
  • Hypotonie oder Hypertonie: Abhängig von der Art des Enzymdefekts und dem Einfluss der Mineralocorticoide.

Zusammenfassung und klinische Relevanz

Das adrenogenitale Syndrom ist eine komplexe, genetisch bedingte Erkrankung, die durch einen Enzymmangel in der Steroidsynthese der Nebennierenrinde verursacht wird. Der häufigste Defekt betrifft die 21-Hydroxylase, was zu einem Mangel an Cortisol und Aldosteron sowie zu einem Überschuss an Androgenen führt. Dies hat vielfältige klinische Folgen, darunter Salzverlustsyndrome und Virilisierung, die bei rechtzeitiger Diagnose und gezielter Hormontherapie stabilisiert werden können.

Ätiologie (Ursachen)

Biographische Ursachen

  • Genetische Belastung
    • Genetisches Risiko abhängig von Genpolymorphismen:
      • Gene/SNPs (Einzelnukleotid-Polymorphismus; engl.: single nucleotide polymorphism):
        • Gene: CYP21A2, CYP11B1, HSD3B2, CYP17A1
          • CYP21A2 SNPs (siehe Tabelle in Snpedia)
          • Mutation im CYP21A2-Gen im Rahmen des klassischen adrenogenitalen Syndroms. Bei mehreren Erkrankten in einer Familie sind diese HLA-genotypisch identisch.
          • Folgende Enzyme können von dem Defekt, der meist durch Punktmutationen bedingt ist, betroffen sein:
            • 21-Hydroxylase-Mangel (> 90 % der Fälle)
            • 11ß-Hydroxylase-Mangel (ca. 5 % der Fälle)
            • 17α-Hydroxylase-Mangel (sehr selten)
            • 3ß-Hydroxysteroid-Dehydrogenase-Mangel (sehr selten)

Krankheitsbedingte Ursachen

  • Erworbenes androgenitales Syndrom:
    • Androgenbildender Nebennierenrindentumor
    • Gonadentumor (Gonaden: Keimdrüsen (Ovarien/Eierstöcke, Hoden))