Adrenogenitales Syndrom (AGS) – Symptome – Beschwerden

Folgende Symptome und Beschwerden können auf ein adrenogenitales Syndrom (AGS) hinweisen:

Die Ausprägung und Schwere der Symptome ist davon abhängig, welches der Enzyme defekt ist und inwieweit noch eine Restaktivität des betroffenen Enzyms vorhanden ist, sowie vom Geschlecht des Betroffenen.

21-Hydroxylase-Mangel

Leitsymptome
Diese Leitsymptome lenken den Verdacht auf ein adrenogenitales Syndrom und werden oft zuerst bemerkt:

  • Hyperandrogenämie (vermehrte Produktion von Androgenen (männliche Geschlechtshormone)):

    • Mädchen
      • Pseudohermaphroditismus femininus – der Genotyp (XX) ist weiblich, die Mädchen sehen aber männlich aus: Auftreten bei nahezu allen Mädchen mit klassischem AGS (21-Hydroxylase-Mangel)
      • Intersexuelles Genital (Klitorishypertrophie/Vergrößerung der Klitoris): Schon bei der Geburt auffällig, bei normalen weiblichen inneren Genitalen (Uterus/Gebärmutter und Ovarien/Eierstöcke)
    • Jungen
      • Pseudopubertas praecox (Form einer vorzeitigen Geschlechtsreife beim juvenilen (jugendlichen) Typ): Frühzeitiges Wachstum von Schamhaar und Penis, jedoch mit kleinen Hoden (Hypogonadismus); bei nahezu allen Jungen mit klassischem AGS
  • Hypocortisolismus (Mangel an Cortisol):

    • Müdigkeit (bei fast allen)
    • Erschöpfung (bei fast allen)
    • Hypoglykämie (Unterzuckerung) (bei fast allen)
    • Anorexie (Appetitlosigkeit) (bei 60-80 % der Betroffenen)
    • Gewichtsverlust (bei 60-80 % der Betroffenen)
    • Gereiztheit (bei 60-80 % der Betroffenen)

Hauptsymptome (primäre Symptome)
Diese Hauptsymptome prägen das klinische Bild eines 21-Hydroxylase-Mangels:

  • Mädchen
    • Zunehmende Virilisierung (Vermännlichung):
      • Vorzeitige Schambehaarung (bei ca. 70-90 %)
      • Fehlende Brustentwicklung (bei ca. 60-80 %)
      • Primäre Amenorrhoe (keine Menstruationsblutung seit mehr als drei Monaten bei bereits etabliertem Zyklus): Bei etwa 50-70 % der unbehandelten Fälle
      • Männliches Behaarungsmuster: Oberlippenbart, Haare auf der Brust; bei etwa 50-70 % der betroffenen Mädchen
  • Beide Geschlechter
    • Unbehandelt tritt ein kindlicher Hochwuchs durch beschleunigte Knochenreifung (bei etwa 80-90 %) sowie ein Kleinwuchs im Erwachsenenalter auf (durch vorzeitigen Schluss der Epiphysenfugen) (bei etwa 70-90 %)
    • Im Erwachsenenalter:
      • Störungen der Fertilität (Fruchtbarkeit) (bei ca. 50-70 %)
      • Übergewicht und Stoffwechselstörungen (bei etwa 40-60 %)

Begleitsymptome (sekundäre Symptome)
Diese Begleitsymptome sind weniger charakteristisch und können auf Komplikationen hinweisen:

  • Vertigo (Schwindel): Häufig bei Hypocortisolismus; etwa 20-30 %
  • Hypercalcämie (Calciumüberschuss): Beobachtet bei etwa 10-20 % der Fälle

Die Restaktivität der 21-Hydroxylase bestimmt die Verlaufsform:

  • Klassisches adrenogenitales Syndrom mit Salzverlustsyndrom ("salt-wasting"-AGS; 75 % der Fälle) – das Enzym ist komplett ausgefallen
    • tritt bereits im Säuglingsalter auf
    • fehlende mineralcorticoide Wirkung des unzureichend gebildeten Aldosterons; Aldosteron ist ein Mineralocorticoid, welches ebenfalls in der Nebennierenrinde produziert wird. Es stellt ein wichtiges Glied im Renin-Angiotensin-Aldosteron-System (RAAS) dar, welches den Blutdruck und den Salzhaushalt mit reguliert. Durch den Hypoaldosteronismus (Mangel an Aldosteron) kommt es zu Störungen im Salzhaushalt mit Flüssigkeitsverlust ("Salzverlustsyndrom").
      • Elektrolytstörung (Natrium ↓ , Kalium ↑)
      • Emesis (Erbrechen), Diarrhoe (Durchfälle), Exsikkose (Austrocknung), Trinkschwäche, Apathie (Teilnahmslosigkeit), Hypotonie (niedriger Blutdruck), Hyponatriämie (Natriummangel), Hyperkaliämie (Kaliumüberschuss), metabolische Azidose/stoffwechselbedingte Übersäuerung)
      • Cortisolmangel und Hyperandrogenämie
  • Klassisches adrenogenitales Syndrom ohne Salzverlustsyndrom ("simple virilizer"-AGS; 25 % der Fälle) – Restaktivität der 21-Hydroxylase von 1-2 %
    • tritt bereits im Säuglingsalter auf
    • Cortisolmangel und Hyperandrogenämie
  • Nicht-klassisches adrenogenitales Syndrom ("late-onset"-AGS) – Restaktivität der 21-Hydroxylase von 20-60 %; wird häufig erst im Jugend- oder gar Erwachsenenalter erkannt; milde Symptomatik
    • keine vorgeburtliche Vermännlichung; manifestiert sich meist erst in der Pubertät oder im Erwachsenenalter
    • kein Salzverlust
    • keine Nebenniereninsuffizienz (Nebennierenschwäche)
    • Wachstumsstörungen
    • Knochenalter-Akzeleration
    • vorzeitige Schambehaarung (Pubarche)
    • Pseudopubertas praecox (PPP) – Form der vorzeitigen Geschlechtsentwicklung (Pubertas praecox), bei der eine Überproduktion von Geschlechtshormonen vorliegt, ohne dass eine Erhöhung der Regulationshormone (Gonadotropin) nachweisbar ist
    •  bei Mädchen: Hirsutismus (vermehrte Terminalbehaarung (Langhaare) der Frau, gemäß dem männlichen Verteilungsmuster (androgenabhängig)), fettige Haut, Akne, tiefe Stimme, Zyklusstörungen
    • Störung der Fertilität (Fruchtbarkeit)
    • Beide Geschlechter: relativer Kleinwuchs

11β-Hydroxylase-Mangel

Leitsymptome
Diese Leitsymptome lenken den Verdacht auf einen 11β-Hydroxylase-Mangel und werden oft zuerst bemerkt:

  • Vermehrte Produktion des mineralcorticoidwirkenden Desoxycorticosteron (DOC) mit Mineralcorticoid-Exzess:
    • Hypertonie (Bluthochdruck): Tritt bei etwa 60-80 % der Betroffenen auf
    • Hyperkaliämie (Kaliumüberschuss): Tritt bei etwa 50-70 % der Fälle auf
  • Virilisierung (Vermännlichung) bei Mädchen: Durch Hyperandrogenämie verursacht; mit typischen Anzeichen wie Klitorishypertrophie (nahezu 100 %) und männlichem Behaarungsmuster (bei 70-90 %); tritt bei nahezu allen betroffenen Mädchen auf

Begleitsymptome (sekundäre Symptome)
Diese Begleitsymptome sind weniger charakteristisch und können auf Komplikationen hinweisen:

  • Muskelkrämpfe oder Schwäche: Aufgrund von Elektrolytstörungen; bei etwa 20-30 % der Betroffenen 

17α-Hydroxylase-Mangel

Leitsymptome
Diese Leitsymptome lenken den Verdacht auf einen 17α-Hydroxylase-Mangel und werden oft zuerst bemerkt:

  • Vermehrte Produktion des mineralcorticoidwirkenden Desoxycorticosteron (DOC) mit Mineralcorticoid-Exzess:
    • Hypertonie (Bluthochdruck): Tritt bei etwa 80-90 % der Betroffenen auf
    • Hyperkaliämie (Kaliumüberschuss): Bei etwa 50-70 % der Betroffenen durch gestörte Elektrolytregulation.
    • Hyponatriämie (Natriummangel): Häufig bei Mineralocorticoidexzess, bei etwa 50-70 % der Patienten.
    • Metabolische Alkalose: Tritt durch Bicarbonaterhöhung oder Verlust von Wasserstoff-Ionen auf, bei etwa 40-60 % der Fälle.
  • Fehlende Pubertätsentwicklung: Bei beiden Geschlechtern, mit typisch fehlenden sekundären Geschlechtsmerkmalen; bei nahezu allen Patienten mit klassischem 17α-Hydroxylase-Mangel diagnostisch relevant

Hauptsymptome (primäre Symptome)
Diese Hauptsymptome prägen das klinische Bild eines 17α-Hydroxylase-Mangels:

  • Beim weiblichen Geschlecht
    • Primäre Amenorrhoe: Kein Beginn der Menstruation trotz chronologisch passendem Alter; tritt bei nahezu allen betroffenen Mädchen auf
  • Beim männlichen Geschlecht
    • Feminisierung: Fehlen der Ausbildung männlicher Geschlechtsmerkmale durch Störung der Androgenproduktion; bei nahezu allen Betroffenen

Begleitsymptome (sekundäre Symptome)
Diese Begleitsymptome sind weniger charakteristisch und können auf Komplikationen hinweisen:

  • Anhaltender kindlicher Habitus: Fehlende pubertäre Entwicklung führt zu einem kindlichen Erscheinungsbild; bei etwa 50-70 % der Patienten
  • Kleinwuchs: Durch eingeschränkten Wachstumsschub; bei etwa 40-60 % der Betroffenen
  • Schwächegefühl oder Müdigkeit: Häufig durch Elektrolytstörungen; bei etwa 30-50 % der Patienten

Unspezifische Symptome
Diese unspezifischen Symptome treten bei vielen Erkrankungen auf und tragen weniger zur spezifischen Diagnose bei:

  • Gereiztheit: Kann bei etwa 20-30 % der Betroffenen auftreten
  • Konzentrationsstörungen: Oft durch die hormonellen Dysbalancen; bei etwa 10-20 %
  • Unwohlsein (in etwa 10-20 % der Fälle)