Sexualtherapie
Bei der modernen Sexualtherapie handelt es sich um ein verhaltenstherapeutisch orientiertes Verfahren mit psychotherapeutischen Elementen, das zur Behandlung von sexuellen Funktionsstörungen eingesetzt wird. Das Ziel des Verfahrens ist die Entkräftung falscher Vorstellungen, Ängsten und sogenannter Sex-Mythen. Dieser Therapieform geht immer eine Sexualberatung voraus, die zur Klärung der Problematik und eventuell schon zur Findung von Lösungsstrategien ausreichend ist. Im Gespräch können Fehlannahmen und Konflikte durch kompetente Beratung bearbeitet werden, sowohl vor als auch während der Sexualtherapie.
Zielsetzung und Wirkungsweise der Sexualtherapie
Zielsetzung
- Abbau von Mythen und Fehlvorstellungen: Viele sexuelle Probleme basieren auf unzutreffenden Vorstellungen über Sexualität. Die Therapie zielt darauf ab, diese zu korrigieren und ein realistisches Verständnis zu fördern.
- Reduktion von Angst und Stress: Sexualtherapie hilft, Ängste zu reduzieren, die mit sexuellen Aktivitäten verbunden sind, besonders jene, die durch negative Erfahrungen oder Erwartungsdruck entstanden sind.
- Verbesserung der sexuellen Kommunikation und Interaktion: Die Therapie fördert offene Gespräche über sexuelle Wünsche und Bedürfnisse zwischen Partnern, was oft zu einer verbesserten Beziehungsqualität führt.
Wirkungsweise
- Sexualberatung als erster Schritt: Bevor eine eigentliche Sexualtherapie beginnt, erfolgt eine umfassende Sexualberatung, um die Problematik zu klären und möglicherweise bereits Lösungsansätze zu finden.
- Paartherapie und Einzeltherapie: Abhängig von der Art der Störung können Therapien sowohl mit einzelnen Personen als auch mit Paaren durchgeführt werden.
- Verhaltensübungen und Hausaufgaben: Spezifische Übungen, die schrittweise komplexer werden, helfen den Betroffenen, neue Verhaltensweisen zu erlernen und diese in ihre sexuellen Beziehungen zu integrieren. Diese Übungen beginnen oft mit nicht-sexuellen Berührungen und steigern sich zu direkteren sexuellen Aktivitäten.
- Psychotherapeutische Aufarbeitung: Erlebnisse und Fortschritte werden regelmäßig besprochen, um emotionale Blockaden zu erkennen und zu überwinden.
Indikationen (Anwendungsgebiete)
- Ejaculatio praecox – vorzeitige Ejakulation durch fehlende Kontrolle
- gesteigertes sexuelles Verlangen („Sexsucht”)
- Mangel oder Verlust des sexuellen Verlangens
- Mangelnde sexuelle Befriedigung
- Nicht-organischer Vaginismus – unwillkürliche reflektorische Spasmen (Krämpfe) der vaginalen Muskulatur
- Nicht-organische Dyspareunie – psychogene Störung mit sexuell bedingten Schmerzen
- Orgasmusstörungen – ausbleibender oder verzögerter Orgasmus
- Sexuelle Aversion – Sexualphobie, Ekel und Furcht vor dem Geschlechtsverkehr
- Versagen genitaler Funktionen – z. B. erektile Dysfunktion (ED; Erektionsstörungen)
- sonstige bzw. nicht näher bezeichnete sexuelle Funktionsstörungen
Das Verfahren
Die Sexualtherapie wurde lange Zeit ausschließlich psychotherapeutisch durchgeführt und war nicht sehr erfolgreich. Erst 1970 gelang es Master und Johnson mit ihrem Konzept eine grundlegende Basis für die verhaltenstherapeutische Sexualtherapie zu schaffen. Heutige Therapieformen unterscheiden sich meist nur durch Ergänzungen.
Die zentralen Aufgaben der Sexualtherapie sind:
- Aufklärung über die sexuelle Entwicklung und Information zu den körperlichen und seelischen Faktoren, die den Aufbau einer befriedigenden sexuellen Beziehung bestimmen
- Abbau von Fehlvorstellungen und sexuellen Hemmungen bzw. Ängsten
- Aufdecken der Interaktionen zwischen den Sexualpartnern, die zu Störungen führen
Das Setting der Therapie ist die Paartherapie, da Master und Johnson davon ausgingen, dass ein sexuelles Problem sich in einer Partnerschaft entwickelt. Allerdings sind auch Einzeltherapien und Gruppentherapien möglich. Das Konzept besteht aus systematisch durchstrukturierten Übungen bzw. Hausaufgaben, die von den Patienten in ihrer gewohnten Umgebung durchgeführt werden. Diese symptomorientierten Verhaltensanleitungen dienen zum Erlernen neuer Verhaltensweisen, die anschließend im psychotherapeutischen Gespräch aufgearbeitet werden. Hierbei werden Erfahrungen mit Widerständen oder Erfolgen sowie Lösungsstrategien besprochen. Sinn der Hausaufgaben ist das Durchbrechen des Selbstverstärkungskreises: Ausgelöst durch ein sexuelles Trauma bzw. Versagen entstehen Versagens- und Erwartungsängste, die zu Vermeidungsverhalten führen und das Problem verstärken oder sogar ein erneutes Versagen hervorrufen.
Die Verhaltensübungen laufen schrittweise ab:
- Abwechselndes Streicheln und Küssen ohne Berühren der erogenen Zonen
- Abwechselndes Streicheln und Küssen mit Berühren der erogenen Zonen
- Spiel mit der Erregung
- Einführen des Penis, Koitus
Durch klare Grenzen und einen geschützten Rahmen der Übungen wird der Erwartungsdruck reduziert und die Patienten entlastet. Eine weitere bekannte Technik ist die paradoxe Intervention. Bereits zu Beginn der Therapie wird den Paaren der Geschlechtsverkehr untersagt und dadurch die Angst davor gemindert, dies führt letztlich zum Brechen des Verbots. Andere Themen der Sexualtherapie sind physiologische und medizinische Abläufe des sexuellen Reaktionszyklus, Aufzeigen von falschen Vorstellungen über Penis und Vagina, Sexualität im Alter und Mythen über den weiblichen Orgasmus bzw. den Phallus.
Die Einführung von Viagra® bzw. Sildenafil etc. hat zu einer zunehmenden Medikalisierung sexueller Dysfunktionen geführt. Zwar sind diese Präparate bei organischen und psychischen Störungen wirksam, jedoch wird die meist zugrunde liegende psychische Problematik vernachlässigt.
Ihr Nutzen
Die Sexualtherapie ist eine sinnvolle und notwendige Behandlung bei sexuellen Funktionsstörungen. Die Therapie kann helfen, Versagensängste zu beseitigen und Partnerkonflikte zu lösen.
Literatur
- Buddeberg C: Sexualberatung: Eine Einführung für Ärzte, Psychotherapeuten und Familienberater. Georg Thieme Verlag 2005
- Machleidt W, Bauer M: Psychiatrie, Psychosomatik und Psychotherapie. Georg Thieme Verlag 2004
- Kaplan HS: Sexualtherapie bei Störungen des sexuellen Verlangens. Georg Thieme Verlag 2006
- Strauss A, Janni W, Maass N: Klinikmanual Gynäkologie und Geburtshilfe. Springer Verlag 2009
- Faller H, Lang H: Medizinische Psychologie und Soziologie. Springer Verlag 2006