Tumorschmerztherapie
Die Tumorschmerztherapie ist ein zentraler Bereich der Schmerzmedizin und Anästhesiologie, der sich mit der Linderung von Schmerzen beschäftigt, die direkt durch Tumore oder deren Metastasen verursacht werden. Angesichts des oft chronischen Charakters dieser Schmerzen, erfordert die Behandlung einen interdisziplinären Ansatz, der sowohl physische als auch psychische und psychosomatische Aspekte einbezieht.
Epidemiologie und Bedeutung von Tumorschmerzen
Tumorschmerzen treten vornehmlich bei Patienten auf, deren Krebserkrankung ein fortgeschrittenes Stadium erreicht hat. In dieser Phase steht weniger die kurative Behandlung als vielmehr die palliativmedizinische Betreuung im Vordergrund, mit dem Ziel, die Lebensqualität der Patienten so weit wie möglich zu erhalten oder zu verbessern.
Klassifikation der Tumorschmerzen
Tumorschmerzen lassen sich in zwei Hauptkategorien einteilen:
- Nozizeptive Schmerzen: Diese entstehen durch das Tumorwachstum selbst oder durch die Entzündungsreaktionen in benachbartem Gewebe. Sie können weiter unterteilt werden in:
- Somatische Schmerzen: Schmerzen von Gelenken, Knochen oder Muskeln.
- Viszerale Schmerzen: Schmerzen, die von inneren Organen ausgehen.
- Neuropathische Schmerzen: Diese resultieren aus direkten Schäden an Nervengeweben durch den Tumor, was bis zur Durchtrennung von Nerven führen kann.
Ansatzpunkte der Schmerztherapie
Die Tumorschmerztherapie teilt sich in verschiedene Gebiete. An erster Stelle steht die medikamentöse Schmerztherapie, die nach dem WHO-3-Stufen-Schema definiert sind. Diese medikamentöse Schmerztherapie basiert auf einer stufenweisen Verstärkung der Schmerztherapie bei Progredienz der Beschwerden. Zudem werden sogenannte Adjuvantien (Hilfsstoffe) eingesetzt, die die Wirkung der Schmerzmedikation unterstützen bzw. steigern. Hierzu gehören beispielsweise Antidepressiva und Antikonvulsiva (Medikamente gegen Depressionen bzw. erhöhte Krampfbereitschaft). Weiterhin ist es oft nötig, die Nebenwirkungen der einzunehmenden Medikamente zu reduzieren. Z. B. verursachen Opioide häufig Übelkeit, deswegen werden Antiemetika (Medikamente gegen Übelkeit bzw. Erbrechen) eingesetzt. Laxantien (Abführmittel), die der Opioid-induzierten Obstipation entgegenwirken, werden ebenfalls verwendet. Der Erfolg der medikamentösen Schmerztherapie muss engmaschig, z. B. mittels Schmerzskalen überwacht werden. Eine regelmäßige Einnahme der Medikamente gewährleistet einen konstanten Blut-Plasma-Spiegel und somit eine ausreichende Therapie. Die Patienten und ihre Angehörigen müssen über die Nebenwirkungen aufgeklärt werden, vor allem da es sich um eine längerfristige Einnahme handelt.
WHO-3-Stufen-Schema
- 1. Stufe – Leichte bis mäßige Schmerzen; Substanzklasse: Nichtopioide Analgetika; Referenzpräparat: Acetylsalicylsäure (ASS); Alternativpräparate: Metamizol, NSAID (nichtsteroidale Antirheumatika), Paracetamol
- 2. Stufe – Mäßige bis starke Schmerzen; Substanzklasse: Mittelstarke Opioide; Referenzpräparat: Codein; Alternativpräparate: Buprenorphin, Dihydrocodein, Dextropropoxyphen, Tilidin (+ Naloxon), Tramadol
- 3-Stufe – Starke bis sehr starke Schmerzen; Substanzklasse: Starke Opioide; Referenzpräparat: Morphin; Alternativpräparate: Fentanyl, Hydromorphon, Levomethadon, Oxycodon
Tumorschmerzen: Einsatz von Stufe-2-Opioide bzw. alternativ niedrigdosierte Stufe-3-Opioide bei leichten bis mittleren Schmerzen bzw. bei unzureichender Symptomkontrolle durch Nicht-Opioid-Analgetika.
Atemnot: Einsatz oraler oder parenteraler Opioide; diese gelten als Medikamente der ersten Wahl zur symptomatischen Linderung von Atemnot.
Weitere Aspekte der Tumorschmerztherapie sind die frühzeitige psychologische und verhaltenstherapeutische Behandlung der Patienten. Emotionale und psychische Belastungen sind häufig ein wichtiger Faktor in der Tumorschmerztherapie und erfordern das Eingreifen eines Psychiaters bzw. eines Psychotherapeuten. Das sogenannte "Coping" ist ein Begriff für die Bewältigungsstrategien, die ein Patient entwickeln muss. Dies erfordert häufig professionelle Unterstützung vor dem Hintergrund der palliativen Situation des Patienten.
Weitere Verfahren
Nicht(-schmerz-)medikamentöse Tumorschmerztherapie
- Antibiotikatherapie: Bei Infektionen, die mit Tumoren assoziiert sind.
- Radiotherapie und Chemotherapie: Kann in einigen Fällen zur Schmerzreduktion beitragen.
- Interventionelle Verfahren: Einschließlich chemischer Neurolysen (s. u.), peripherer Nervenblockaden und rückenmarknaher Verfahren wie Epiduralanästhesie.
Psychologische und verhaltenstherapeutische Unterstützung
Angesichts der großen emotionalen und psychischen Belastung, die Tumorschmerzen mit sich bringen, ist eine frühzeitige psychologische und verhaltenstherapeutische Unterstützung essentiell. Diese hilft den Patienten, effektive Coping-Strategien zu entwickeln und unterstützt sie im Umgang mit der Krankheit.
Interventionelle Tumorschmerztherapie
Die interventionelle Tumorschmerztherapie umfasst spezialisierte Verfahren, die darauf abzielen, Schmerzen direkt an ihrer Quelle zu blockieren oder zu minimieren. Diese Methoden sind besonders nützlich für Patienten, bei denen medikamentöse Therapien nicht ausreichend wirksam sind oder zu starke Nebenwirkungen verursachen. Die Haupttechniken in diesem Bereich umfassen:
- Chemische Neurolysen und neurodestruktive Verfahren: Diese Techniken beinhalten die gezielte Zerstörung von Nervengewebe, um Schmerzsignale zu blockieren. Dabei werden chemische Substanzen (wie Alkohol oder Phenol) eingesetzt, die selektiv Nervenfasern zerstören, die Schmerzimpulse übertragen.
- Periphere Nervenblockaden: Bei diesem Ansatz werden Lokalanästhetika (örtlichen Betäubungsmittel) eingesetzt, um Schmerzsignale an peripheren Nerven zu blockieren. Diese Methode wird oft verwendet, um akute Schmerzereignisse zu behandeln oder als präoperative Maßnahme zur Reduzierung von Schmerzen vor einem chirurgischen Eingriff.
- Rückenmarknahe Verfahren: Diese Verfahren beinhalten die Verabreichung von Schmerzmitteln direkt in den Epiduralraum oder den intrathekalen Raum des Rückenmarks. Techniken wie die Epiduralanästhesie mit einem Katheter oder eine Schmerzpumpe ermöglichen eine kontinuierliche Schmerzlinderung, indem sie eine konstante Dosis von Analgetika direkt an das zentrale Nervensystem abgeben. Dies ist besonders effektiv bei schwer zu kontrollierenden Schmerzzuständen und kann die Notwendigkeit für systemische Schmerzmittel reduzieren.
Diese interventionellen Methoden sind integraler Bestandteil der modernen Schmerztherapie bei Krebserkrankungen. Sie bieten den Vorteil, dass sie oft schnelle Linderung ermöglichen und dabei helfen können, die allgemeine Medikamentendosis zu reduzieren, was wiederum das Risiko von Nebenwirkungen verringert. Bei der Anwendung dieser Techniken ist eine enge Zusammenarbeit zwischen Schmerztherapeuten, Anästhesisten und Onkologen erforderlich, um eine optimale Schmerzkontrolle und Patientensicherheit zu gewährleisten.
Literatur
- Kretz FJ, Schäffer J: Anästhesie, Intensivmedizin, Notfallmedizin, Schmerztherapie. Springer Verlag 2008
- Hiddemann W, Bartram CR: Die Onkologie Teil 1. Springer Verlag 2009