Kryotherapie – Kältetherapie
Die Kryotherapie (griech. kryo: kalt), auch als Kältetherapie bezeichnet, gehört zu den Verfahren der physikalischen Medizin und besteht sowohl in der lokalen als auch in der systemischen Anwendung von Kälte zu therapeutischen Zwecken.
Die Hauptanwendungsgebiete der Kryotherapie sind die Traumatologie (Wissenschaft bzw. Lehre der Verletzungen und Wunden, einschließlich ihrer Therapie) und die Rheumatologie (Wissenschaft bzw. Lehre von der Entstehung, Behandlung und Verhütung von Erkrankungen des rheumatischen Formenkreises).
Zielsetzung der Kryotherapie
- Schmerzlinderung: Ein zentrales Ziel der Kryotherapie ist die Reduktion von Schmerzen, insbesondere bei akuten Verletzungen des Bewegungsapparates oder bei entzündlichen Erkrankungen wie Arthritis. Durch die analgetische Wirkung der Kälte können Schmerzempfindungen verringert und die Lebensqualität der Patienten verbessert werden.
- Entzündungshemmung: Die Kälte kann Entzündungsprozesse im Gewebe reduzieren, indem sie die Freisetzung von entzündungsfördernden Substanzen hemmt und die Durchblutung verringert. Dadurch können Schwellungen abnehmen und die Funktionstüchtigkeit des betroffenen Gewebes wiederhergestellt werden.
- Muskelentspannung: Die Kryotherapie zielt auch darauf ab, muskuläre Verspannungen und Spasmen zu reduzieren, indem sie die muskuläre Spannung verringert und die Muskelkontraktionen lindert. Dies kann dazu beitragen, Bewegungseinschränkungen zu lösen und die Mobilität zu verbessern.
- Beschleunigung der Regeneration: Durch die Förderung der Geweberegeneration und -heilung kann die Kryotherapie dazu beitragen, die Genesung nach Verletzungen oder operativen Eingriffen zu beschleunigen. Dies kann die Rehabilitationszeit verkürzen und den Wiedereinstieg in sportliche Aktivitäten erleichtern.
- Verbesserung der sportlichen Leistungsfähigkeit: In der Sportmedizin wird die Kryotherapie oft zur Regeneration nach intensiven Trainingseinheiten eingesetzt, um Muskelermüdung zu reduzieren, Muskelschmerzen zu lindern und die Leistungsfähigkeit zu steigern.
Die Zielsetzung der Kryotherapie variiert je nach den individuellen Bedürfnissen und Beschwerden des Patienten sowie dem angestrebten Therapieergebnis. Durch eine gezielte Anpassung der Behandlung kann die Kryotherapie dazu beitragen, die Gesundheit und Lebensqualität der Patienten zu verbessern und die Genesung zu unterstützen.
Indikationen (Anwendungsgebiete)
- Aktivierte Arthrose (Gelenkverschleiß)
- Akute Periarthritis – Reizungen und Entzündungen im Weichteilbereich an einem Gelenk
- Bursitis (Schleimbeutelentzündung)
- Distorsionen (Verstauchung)
- Gichtarthritis – Gicht ist ein Stoffwechseldefekt, der eine schmerzhafte Abscheidung von Kristallen der Harnsäure an unterschiedlichen Körperstellen, aber vor allem im Bereich der Gelenke, zur Folge hat.
- Hämatome (Blutergüsse)
- Kontusionen (Prellungen)
- Lokale Verbrennungen
- Ödembehandlung bzw. -Prophylaxe
- Periostose – reaktive Verbreiterung der Knochenhaut
- Postapoplektische Hemiplegien – Halbseitenlähmung nach einem Schlaganfall
- Postoperative lokale Gewebereizzustände (z. B. Schwellungen)
- Regenerationsmaßnahme nach Sport
- Traumatische Arthritis – Gelenkentzündung nach Verletzung
- Rheumatische Arthritis – Gelenkentzündung im Rahmen einer infektiös, metabolisch (stoffwechselbedingt) oder autoimmun bedingten Rheumaerkrankung
- Schmerzhafte Muskelverspannungen im Bereich der lumbalen Wirbelsäule
- Tendovaginitis (Sehnenscheidenentzündung)
- Zerebrale Paresen – Lähmung durch Schäden im zentralen Nervensystem (Gehirn)
- Zustand nach einem totalen Kniegelenkersatz (TKR) – postoperative Kältetherapie kann die Faktoren „Blutverlust“, „Schmerzen“, „Bewegungsumfang des Knies“ und „kurzfristige Schwellung“ verbessern [4]
Kontraindikationen (Gegenanzeigen)
- Kälteunverträglichkeit: Zustände wie Kälteurtikaria (Nesselsucht durch Kälte) oder Raynaud-Syndrom.
- Periphere Durchblutungsstörungen: Einschließlich peripherer arterieller Verschlusskrankheit.
- Hauterkrankungen: Offene Wunden, Hautinfektionen oder entzündliche Hauterkrankungen im Behandlungsbereich.
- Schwere Sensibilitätsstörungen: Wie bei Diabetes mellitus mit Neuropathie (Erkrankung der peripheren Nerven), wo das Empfinden für Kälte reduziert ist.
- Schwere Herz-Kreislauf-Erkrankungen: Insbesondere bei Patienten mit instabiler Angina pectoris oder kurz nach einem Herzinfarkt.
Vor der Therapie
- Medizinische Anamnese: Erfassung der medizinischen Vorgeschichte und aktueller Beschwerden.
- Überprüfung der Indikationen: Feststellung, ob die Kryotherapie für die spezifischen Beschwerden geeignet ist.
- Aufklärung über das Verfahren: Erklärung der Wirkungsweise, des Ablaufs und der erwarteten Ergebnisse.
- Vorbereitung der Haut: Sicherstellung, dass die Haut im Behandlungsbereich sauber und frei von Verletzungen ist.
Das Verfahren
Das Ziel der Kälteanwendung ist der Wärmeentzug des zu behandelnden Gewebes. Die Wirkung beruht allgemein auf einer Vasokonstriktion (Gefäßverengung), einer Muskeldetonisierung (Verringerung der inneren muskulären Spannung) und auf einem analgetischen Effekt (Schmerz verringernd).
Kälte hat folgende physiologische Wirkungen auf Gewebestrukturen und Gewebeprozesse:
- Blutgefäße – Vasokonstriktion (Gefäßverengung)
- Zellstoffwechsel – Herabsetzung des Stoffwechsels
- Kapillarpermeabilität (Durchlässigkeit kleinster Blutgefäße) – Herabsetzung der Permeabilität (dadurch werden vor allem Ödeme (Wassereinlagerungen im Gewebe) verringert)
- Gewebeentzündungen – Abschwächung von Entzündungsprozessen
- Nervenleitgeschwindigkeit – Verminderung der Nervenleitgeschwindigkeit
- Muskeltonus – kurzfristige Erhöhung und langfristige Verminderung des Muskeltonus
- Muskelkontraktilität – Herabsetzung der Muskelkontraktilität
- Viskosität der Synovialflüssigkeit ("Gelenkschmiere") – Erhöhung der Viskosität der "Gelenkschmiere"
Grundsätzlich muss die kurzfristige Anwendung der Kältetherapie von der Langzeitanwendung unterschieden werden, da sie durch eine unterschiedliche Wirkung gekennzeichnet sind:
- Kurzzeitanwendung (ca. 10-15 Minuten): Die Folge ist eine Vasokonstriktion mit verminderter lokaler Durchblutung sowohl in den oberflächlichen als auch in den tieferen Muskelschichten.
Nach Entfernen der Kältequelle erfolgt eine reaktive Hyperämie (kurzfristig verstärkte Durchblutung des Gewebes), die wellenförmig verläuft. Diese Wiedererwärmung kann z. B. mit der Thermographie verfolgt werden. - Langzeitanwendung (ca. 1-2 Stunden): Durch die anhaltende Kälte ist die Durchblutung erheblich verringert, bei gleichzeitiger Antiphlogese (Stoffwechseldämpfung) und Einschränkung enzymatischer Prozesse. Dies ist vor allem bei Entzündungen hilfreich, da ein erhöhter Metabolismus (Stoffwechsel) vorliegt. Der muskuläre Tonus erhöht sich kurzfristig, anschließend ist die Muskulatur lang anhaltend detonisiert. Bei einer Hauttemperatur von +15 °C besteht eine komplette Analgesie (Schmerzunempfindlichkeit) durch Herabsetzung der nervalen Aktivität. Außerdem bestehen eine Ödem- und Blutungshemmung, eine Erhöhung des Blutdruckes und der Herzfrequenz sowie eine Erhöhung der Viskosität der Synovialflüssigkeit und des venösen Drucks.
Die Anwendung des Kältereizes kann auf mehreren Wegen stattfinden. Die folgenden kryotherapeutischen Maßnahmen werden genutzt:
- Eistauchbad: Eintauchen des Körpers in kaltes Wasser (6-12 °C)
- Kaltwasserbad: Eintauchen einzelner Körperteile, z. B. Hände oder Füße in kaltes Wasser (10-15 °C)
- Eisbeutel: Massagen, Packungen oder Tupfungen
- Eiskompressen (1-3 °C)
- Chemische Kompresse (Kälteentwicklung durch Reaktion zweier chemischer Komponenten; 0 °C)
- Tiefgekühlte Solewickel
- Packungen mit gefrorenen Gelbeuteln (Silikatmasse; -15 bis -20 °C)
- Verdunstungskälte durch Flüssigkeiten wie Chloräthyl
- Ganzkörperkälteexposition in einer Kältekammer für ca. 1-3 Minuten (-60 bis -120 °C; durch Stickstoff, Kohlendioxid oder Kaltluft)
Die Applikation dieser verschiedenen Methoden unterscheidet sich in Temperatur, Anwendungsdauer und Anwendungsort. Wenn es sich um eine langfristige lokale Anwendung eines Kältereizes handelt, z. B. durch eine Packung, muss diese auf eine trockene Zwischenlage gebettet sein und darf die Haut nicht direkt berühren. Zudem sollte der Rest des Körpers z. B. mit Wolldecken warm gehalten werden, um die Gefahr der Unterkühlung und der Erkältung zu minimieren.
Der Patient empfindet zunächst ein Kältegefühl, gefolgt von einem brennenden bzw. stechenden Schmerz (1. Kälteschmerz). Nach 7-8 Minuten folgt die Analgesie (Schmerzunempfindlichkeit), die in einen weiteren stechenden Schmerz (2. Kälteschmerz) münden kann. Aus diesem Grund sollte der behandelnde Arzt oder Therapeut immer in Reichweite des Patienten sein. Der genaue Verlauf der Kryotherapie ist abhängig von der Methode und der Indikation.
Nach der Therapie
- Nachsorge: Hinweise zur Wiederaufwärmung und Beobachtung möglicher Hautreaktionen.
- Überwachung auf Reaktionen: Besonders auf Anzeichen von Frostschäden oder anderen Hautreaktionen.
- Dokumentation und Bewertung: Erfassung des Therapieerfolgs und Anpassung der Behandlung bei Bedarf.
Mögliche Komplikationen
Frühkomplikationen
- Lokale Hautreaktionen: Rötungen, Juckreiz oder Brennen.
- Frostschäden: Bei zu langer Anwendung oder zu niedriger Temperatur.
- Vorübergehende Nervenirritationen: Besonders in Bereichen mit geringer Weichteildeckung.
Spätkomplikationen
- Chronische Hautveränderungen: Bei wiederholter, langfristiger Anwendung.
- Veränderungen der Sensibilität: Langfristige Taubheit oder verminderte Empfindlichkeit in behandelten Bereichen.
- Verschlechterung bestehender Durchblutungsstörungen: Insbesondere bei Patienten mit peripherer arterieller Verschlusskrankheit.
Die Kryotherapie sollte immer unter fachlicher Anleitung und mit Vorsicht angewendet werden. Eine gründliche Beurteilung vor Beginn der Therapie ist wichtig, um Kontraindikationen zu erkennen und das Risiko von Komplikationen zu minimieren.
Ihr Nutzen
Die Kryotherapie ist ein vielseitiges Verfahren, das vor allem bei Verletzungen am Bewegungsapparat als einfache Kühlung wirksam ist. Zudem sind komplexere Anwendungen des Kältereizes möglich, die eine nachhaltige Wirkung haben können. Die Therapie sollte von einem erfahrenen Therapeuten durchgeführt werden.
Literatur
- Badde-Borcherding E et al.: Physikalische Therapie, Massage, Elektrotherapie und Lymphdrainage. Georg Thieme Verlag 2006
- Hettenkofer HJ: Rheumatologie: Diagnostik, Klinik und Therapie. Georg Thieme Verlag 2003
- Heisel J: Physikalische Medizin. Georg Thieme Verlag 2005
- Aggarwal A et al.: Cryotherapy following total knee replacement Cochrane Database of Systematic Reviews Version published: 14 September 2023 Version history https://doi.org/10.1002/14651858.CD007911.pub3