Telegammatherapie mit Cobalt-60
Die Telegammatherapie ist eine hochenergetische Form der perkutanen Strahlentherapie (Teletherapie, Bestrahlung von außen), bei der Gammastrahlung aus dem Zerfall des radioaktiven Isotops Cobalt-60 (⁶⁰Co) verwendet wird. Bei der dabei eingesetzten ionisierenden Photonenstrahlung handelt es sich um Gammaquanten, die beim Übergang angeregter Atomkerne in einen energetisch niedrigeren Zustand emittiert werden. Diese Technik war über viele Jahrzehnte eine Standardmethode in der Radioonkologie, hat heute jedoch durch den Siegeszug linearbeschleunigerbasierter Therapien eine historische Rolle eingenommen. Sie wird nur noch in wenigen, meist infrastrukturschwachen Regionen eingesetzt.
Zielsetzung und Wirkung
- Therapeutische Zielsetzung – Die Telegammatherapie dient der lokalen Behandlung maligner Tumoren (bösartiger Geschwülste) durch Applikation hochenergetischer Photonenstrahlung. Ziel ist die Tumorkontrolle durch DNA-Schädigung bei gleichzeitigem maximalem Gewebeschutz des umliegenden Normalgewebes.
- Wirkmechanismus – Die Gammastrahlung bewirkt Doppelstrangbrüche der DNA (Erbsubstanz) und weitere zytotoxische Zellschäden, insbesondere in proliferativ aktiven Zellpopulationen (sich rasch teilenden Zellgruppen). Das Dosismaximum liegt bei etwa 0,5 cm Tiefe, was eine relative Schonung oberflächlicher Strukturen bei Behandlung tiefer liegender Tumoren erlaubt.
Indikationen (Anwendungsgebiete)
- Für moderne Telekobaltgeräte ergibt sich eine Indikationsstellung abhängig von der gewünschten Dosisverteilung im Zielvolumen (Behandlungsbereich).
- Klassische Indikationen waren insbesondere tief liegende Tumoren, bei denen eine definierte Eindringtiefe erforderlich war.
- Die Methode wurde früher breit eingesetzt zur Behandlung von:
- Tumoren im Kopf-Hals-Bereich
- Zervixkarzinomen (Gebärmutterhalskrebs)
- Prostatakarzinomen (Prostatakrebs)
- Mammakarzinomen (Brustkrebs)
- Thorakalen und abdominalen Lymphomen (Lymphknotenkrebs im Brust- und Bauchraum)
- Hautnahen Lymphknotenstationen bei Lymphomen
Hinweis: In Ländern mit eingeschränktem Zugang zu modernen Linearbeschleunigern ist die Telegammatherapie weiterhin eine relevante Behandlungsoption, insbesondere im Rahmen internationaler Strahlentherapieprogramme (z. B. durch die IAEA).
Kontraindikationen (Gegenanzeigen)
- Absolute Kontraindikationen
- Schwangerschaft
- Strahlenempfindlichkeits-Syndrome (z. B. Ataxia teleangiectatica – angeborene Strahlenüberempfindlichkeit)
- Fehlende Indikationsstellung bei besserer technischer Alternative (nicht gerechtfertigte Anwendung)
- Relative Kontraindikationen
- Zustand nach hochdosierter Vorbestrahlung desselben Areals
- Technische Unmöglichkeit der exakten Lagerung oder Zielvolumenabgrenzung (unzureichende Präzision)
Das Verfahren (Anwendung und Durchführung)
- In einem Kernreaktor wird durch Neutronenbeschuss des stabilen Isotops ⁵⁸Co das radioaktive ⁶⁰Co erzeugt.
- Dieses wird in Form kleiner Kügelchen in einem Zylinder (2-4 cm Länge, 1-2 cm Durchmesser) angeordnet und in eine strahlensichere Bleiabschirmung eingebracht.
- Die Strahlung wird freigesetzt, indem der Zylinder aus der abgeschirmten Ruheposition in die Bestrahlungsposition rotiert wird.
- Die Behandlung erfolgt isozentrisch (mit einem festen Rotationspunkt), häufig mit einfachem Feldaufbau, in festen Fraktionierungsregimen (Behandlungsaufteilung in Einzeldosen).
Technische Besonderheiten:
- Telekobaltgeräte zeichnen sich durch hohe Betriebssicherheit, einfache Wartung und Robustheit aus.
- Nachteile:
- Zeitlich abnehmende Strahlenaktivität (Halbwertszeit 5,27 Jahre) → Austausch der Quelle etwa alle 3 Jahre erforderlich
- Größerer geometrischer Unsicherheitsbereich im Vergleich zur Photonenbestrahlung mit Linearbeschleunigern
- Limitierte Modulierbarkeit und fehlende Konformtechnik (z. B. IMRT – intensitätsmodulierte Strahlentherapie, VMAT – volumetrisch modulierte Arc-Therapie)
Aktueller Stellenwert im Therapiekonzept
- Die Telegammatherapie gilt heute in hochentwickelten Gesundheitssystemen als veraltet.
- Sie wurde weitgehend durch lineare Beschleuniger ersetzt, die eine deutlich präzisere Dosisverteilung und modernere Bestrahlungstechniken ermöglichen.
- In infrastrukturschwachen Regionen wird sie noch eingesetzt, v. a. im Rahmen von Versorgungsprogrammen zur Basisversorgung onkologischer Patienten (Krebspatienten).
- Als Übergangstechnologie bleibt sie relevant für Regionen mit limitierten Ressourcen, da sie niedrigere technische Anforderungen und geringere Wartungsintensität besitzt.
Evidenzlage und Studien
- Historische Daten belegen die Wirksamkeit der Telegammatherapie in zahlreichen onkologischen Indikationen.
- Vergleichsstudien zeigen jedoch, dass moderne Linearbeschleuniger hinsichtlich Konformität, Risikoorganschonung und Therapieindividualisierung überlegen sind.
- Die IAEA (International Atomic Energy Agency, Internationale Atomenergie-Organisation) betrachtet moderne Telekobaltgeräte weiterhin als sichere Option in ressourcenlimitierten Ländern, wenn Wartung und Strahlenschutz gewährleistet sind.
Literatur
- Sauer R. Strahlentherapie und Onkologie. 5. Auflage. München: Urban & Fischer; 2013. ISBN: 978-3-437-22621-4.
- Wannenmacher M, Wenz F, Debus J. Strahlentherapie. 2. Auflage. Berlin, Heidelberg: Springer; 2013. 1087 S. ISBN: 978-3-540-88304 https://doi.org/10.1007/978-3-540-88305-0