Stereotaktische fraktionierte Bestrahlung (SBRT)
Die stereotaktische fraktionierte Bestrahlung (Stereotactic Body Radiotherapy, SBRT) bezeichnet die hochpräzise Applikation (Verabreichung) hoher Einzeldosen auf extrakranielle Zielvolumina (Tumorbereiche außerhalb des Schädels) in wenigen Fraktionen (Behandlungssitzungen). Sie basiert auf der Integration präziser Lagerung, bildgeführter Verifikation (bildgestützte Lagekontrolle, z. B. mit Röntgen oder Computertomographie) und intensitätsmodulierter Dosisverteilung (Strahlenverteilung mit variabler Stärke). Im Gegensatz zur intrakraniellen Stereotaxie (Kopfbestrahlung bei fixiertem Schädel) erfordert SBRT eine adaptive Kontrolle organabhängiger Bewegungen (z. B. durch Atmung). Die Methode ist heute eine etablierte Alternative zur Operation oder zur konventionellen Bestrahlung bei bestimmten Tumoren.
Zielsetzung und Wirkung
- Erhöhung der biologisch wirksamen Gesamtdosis (BED, biologische Gesamtdosis) – Durch hohe Dosen pro Sitzung kann eine stärkere Tumorzellabtötung erzielt werden.
- Höhere Konformität (Anpassung der Strahlung an die Tumorform) – Die Dosis kann sehr genau auf den Tumor begrenzt werden, wodurch gesundes Gewebe geschont wird.
- Kurze Gesamtbehandlungsdauer – In der Regel 1–5 Sitzungen, besonders vorteilhaft bei älteren oder schwachen Patienten.
- Nicht-invasive Alternative zur Operation – Besonders bei Patienten mit Nebenerkrankungen oder Operationsverweigerung.
- Anwendung bei begrenzter Metastasierung – Auch bei wenigen Tochtergeschwülsten im Körper kann SBRT sinnvoll eingesetzt werden.
Indikationen (Anwendungsgebiete)
- Nicht-kleinzelliges Lungenkarzinom (NSCLC, eine Form von Lungenkrebs), Stadium I
- Bei Patienten, die aus gesundheitlichen Gründen nicht operiert werden können oder eine Operation ablehnen.
- Studien zeigen eine sehr gute lokale Kontrolle über mehrere Jahre [1].
- Oligometastasierung (wenige Metastasen im Körper)
- Definition: maximal 1-5 Metastasen, stabiler Haupttumor, keine neue Streuung.
- Häufige Stellen: Lunge, Leber, Nebenniere, Wirbelsäule, Lymphknoten.
- Ziel: Verzögerung der Chemotherapie durch gezielte Behandlung der Metastasen [2].
- Lebermetastasen und primäre Lebertumoren (Leberkrebs und Tochtergeschwülste in der Leber)
- Wenn eine Operation oder Verödung nicht möglich ist, z. B. bei vielen oder ungünstig gelegenen Tumoren [3].
- Prostatakarzinom (Prostatakrebs, Bestrahlung mit wenigen Sitzungen)
- Besonders bei Tumoren mit niedrigem bis mittlerem Risiko; bei fortgeschrittenen Formen nur eingeschränkt empfohlen [4].
- Wirbelsäulenmetastasen (Tochtergeschwülste an der Wirbelsäule)
- Auch nach stabilisierender Operation möglich; Ziel ist Schmerzlinderung und Tumorkontrolle.
- Das Rückenmark muss dabei besonders geschützt werden.
Kontraindikationen (Gegenanzeigen)
- Unzureichende Lagerungsgenauigkeit oder fehlende Bildkontrolle
- Die Behandlung erfordert millimetergenaue Positionierung bei jeder Sitzung.
- Unkontrollierte Organbewegung während der Behandlung
- Beispielsweise bei Lungentumoren ohne Atemsteuerung (Gating) besteht das Risiko, dass der Tumor während der Bestrahlung „verrutscht“.
- Tumoren direkt neben empfindlichen Organen
- Z. B. Darm, Speiseröhre oder Nervengeflechte – hier kann es zu schweren Nebenwirkungen kommen.
- Sehr große Tumoren (> 5 cm)
- Höheres Risiko für Nebenwirkungen und weniger exakte Bestrahlung – eine andere Technik kann dann geeigneter sein.
Das Verfahren (Anwendung und Durchführung)
- Planung
- Die Behandlung beginnt mit einer speziellen Computertomographie (CT), ggf. auch in Verbindung mit Atmungssteuerung (4D-CT).
- Weitere Bildgebung (MRT oder PET) dient zur genauen Bestimmung des Tumors.
- Lagerung und Immobilisation (Fixierung des Körpers während der Bestrahlung)
- Durch spezielle Lagerungshilfen wie Masken oder Vakuumkissen wird die exakte Lage sichergestellt.
- Technik und Bestrahlungssysteme
- Verwendung von Geräten mit rotierender Bestrahlung (VMAT) oder intensitätsmodulierter Technik (IMRT).
- Tägliche Bildkontrolle durch Cone-Beam-CT (dreidimensionale Bildgebung am Gerät).
- Häufig: 3 × 18 Gy oder 5 × 10 Gy, je nach Tumor und Lage.
- Dauer der Behandlung
- Die gesamte Therapie ist in der Regel innerhalb von 1-2 Wochen abgeschlossen.
Aktueller Stellenwert im Therapiekonzept
SBRT hat sich bei sorgfältig ausgewählten Patienten als Alternative zur Operation oder zur konventionellen Bestrahlung bewährt. Besonders bei Patienten mit wenigen Metastasen (oligometastasiert) kann SBRT die Behandlung ergänzen oder aufschieben helfen. Die Methode ist effektiv, schonend und wird von nationalen und internationalen Fachgesellschaften empfohlen. Voraussetzung ist eine gute technische Ausstattung und die Durchführung in spezialisierten Zentren.
Evidenzlage und Studien
- RTOG 0236 – Studie bei Lungenkrebspatienten mit sehr guter Tumorkontrolle nach 3 Jahren, allerdings erhöhtes Nebenwirkungsrisiko bei zentralen Tumoren [1].
- SABR-COMET – Studie zeigte verlängertes Überleben bei wenigen Metastasen durch SBRT im Vergleich zur Standardtherapie [2].
- PACE-B – Studie belegt: SBRT bei Prostatakrebs gut verträglich und genauso wirksam wie längere Bestrahlung [4].
Literatur
- Timmerman RD et al. Stereotactic body radiation therapy for inoperable early stage lung cancer. JAMA. 2010;303(11):1070-1076. https://doi.org/10.1001/jama.2010.261
- Palma DA et al. Stereotactic ablative radiotherapy versus standard of care palliative treatment in patients with oligometastatic cancers (SABR-COMET): A randomised, phase 2, open-label trial. Lancet. 2019;393(10185):2051-2058. https://doi.org/10.1016/S0140-6736(18)32487-5
- Scorsetti M et al. Feasibility and early clinical assessment of flattening filter free (FFF) beams for stereotactic body radiotherapy (SBRT). Radiat Oncol. 2011;6:113. https://doi.org/10.1186/1748-717X-6-113
- Brand DH et al. Intensity-modulated fractionated radiotherapy versus stereotactic body radiotherapy for prostate cancer (PACE-B): Acute toxicity results from a randomised, open-label, phase 3, non-inferiority trial. Lancet Oncol. 2019;20(11):1531-1543. https://doi.org/10.1016/S1470-2045(19)30569-8