Stereotaktische Radiochirurgie (SRS)
Die stereotaktische Radiochirurgie (Stereotactic Radiosurgery, SRS) ist ein hochpräzises Bestrahlungsverfahren zur einmaligen Applikation (Verabreichung) einer hohen Strahlendosis auf ein definiertes Zielvolumen (Tumorareal) im Bereich des Zentralnervensystems (ZNS, Gehirn und Rückenmark) oder seltener in anderen Körperregionen. Im Gegensatz zur fraktionierten Strahlentherapie (Bestrahlung in mehreren Sitzungen) erfolgt bei der SRS die Behandlung in einer einzigen Sitzung. Typische Einsatzgebiete sind Hirnmetastasen (Tochtergeschwülste im Gehirn), gutartige Hirntumoren, Gefäßmissbildungen (AVM) und bestimmte funktionelle Erkrankungen wie die Trigeminusneuralgie (Gesichtsschmerz durch Nervenirritation).
Zielsetzung und Wirkung
- Maximale Dosis im Zielvolumen bei einmaliger Behandlung – durch präzise Planung und millimetergenaue Ausrichtung.
- Schonung angrenzender Hirnstrukturen – durch sehr genaue Strahlenführung.
- Vermeidung einer offenen Operation – insbesondere bei empfindlichen Hirnarealen oder bei Patienten mit anderen Erkrankungen.
- Kurze Behandlungszeit – in der Regel nur eine Sitzung.
- Hohe Wirksamkeit bei geringen Nebenwirkungen – vor allem bei kleinen, klar begrenzten Tumoren.
Indikationen (Anwendungsgebiete)
- Hirnmetastasen
- Bis zu 3-5 Herde mit jeweils maximal 3 cm Durchmesser; v. a. bei stabilem Allgemeinzustand und kontrolliertem Ursprungstumor.
- Auch bei Rückfällen nach Ganzhirnbestrahlung möglich.
- Vestibularisschwannome (Akustikusneurinome, gutartige Tumoren am Hör- und Gleichgewichtsnerv)
- Wenn eine Operation nicht notwendig oder gewünscht ist und der Tumor nicht zu groß ist.
- Meningeome (gutartige Hirnhautgeschwülste)
- Wenn Operation nicht möglich ist oder ein Rückfall auftritt, besonders an der Schädelbasis.
- Arteriovenöse Malformationen (AVM, angeborene Gefäßfehlbildungen im Gehirn)
- Vor allem wenn die Lage eine Operation erschwert oder zu gefährlich macht.
- Trigeminusneuralgie (einseitige Gesichtsschmerzen durch Reizung des Gesichtsnervs)
- Bei fehlender Wirkung von Medikamenten und wenn ein chirurgischer Eingriff nicht infrage kommt.
- Hypophysenadenome (gutartige Tumoren der Hirnanhangsdrüse)
- Wenn nach einer Operation noch Reste vorhanden sind oder ein Rückfall vorliegt.
Kontraindikationen (Gegenanzeigen)
- Tumoren größer als 3-4 cm
- Hier steigt das Risiko für Schädigungen des gesunden Gehirns und die Wirkung kann geringer sein.
- Lage direkt neben empfindlichen Strukturen
- z. B. Sehnerv, Hirnstamm – zu hohe Dosen können bleibende Schäden verursachen.
- Unklare Tumorgrenzen
- z. B. bei diffusen oder entzündlichen Veränderungen – genaue Bestrahlung nicht möglich.
- Bewegung während der Behandlung
- Besonders bei Tumoren außerhalb des Gehirns – hier sind zusätzliche Bildkontrollen nötig.
Das Verfahren (Anwendung und Durchführung)
- Bildgebung und Planung
- Magnetresonanztomographie (MRT, bildgebendes Verfahren mit hoher Genauigkeit)
- Computertomographie (CT) zur Ergänzung
- Bilder werden kombiniert, um das Zielvolumen genau zu bestimmen
- Lagerung und Fixierung
- Entweder mit einem festen Rahmen am Kopf oder mit einer Maske in Kombination mit Kameras und Tracking
- Ziel ist die millimetergenaue Positionierung über die gesamte Behandlungszeit
- Technische Durchführung
- Entweder mit einem Linearbeschleuniger (Bestrahlungsgerät mit beweglichen Strahlenlamellen)
- oder mit spezialisierten Systemen:
- Gamma Knife – viele kleine Strahlen treffen gleichzeitig das Ziel
- CyberKnife – robotergeführtes System mit Echtzeitüberwachung der Position
- Dauer: wenige Minuten bis über eine Stunde, abhängig von Technik und Tumorgröße
- Dosis
- Typisch: 12-24 Gy in einer einzigen Sitzung, angepasst an Lage und Art der Erkrankung
Aktueller Stellenwert im Therapiekonzept
SRS ist ein etabliertes Standardverfahren in der Behandlung von Hirnmetastasen, bestimmten gutartigen Tumoren und funktionellen Erkrankungen. Sie ist eine besonders schonende Alternative zur Operation, wenn der Tumor klein ist und eine präzise Bestrahlung möglich ist. Bei Hirnmetastasen konnte die SRS die Nebenwirkungen der Ganzhirnbestrahlung deutlich reduzieren. Auch bei Gefäßmissbildungen und Nervenschmerzen zeigt sie gute Erfolge. Die Durchführung sollte ausschließlich in spezialisierten Zentren mit interdisziplinärer Zusammenarbeit erfolgen.
Evidenzlage und Studien
- JLGK0901 (Japan) – Studie mit über 1000 Patienten: Auch bei bis zu 10 Hirnmetastasen war SRS ebenso wirksam wie Ganzhirnbestrahlung [1].
- ROSA-Studie – SRS zeigte weniger Gedächtnisprobleme als Ganzhirnbestrahlung bei gleicher Wirkung [2].
- Langzeitstudien zu Vestibularisschwannomen – Kontrolle des Tumors bei über 95 %, Hörfunktion bei vielen Patienten erhalten [3].
- AVM-Therapie mit SRS – Verschlussrate bis zu 80 % nach 2-3 Jahren [4].
- Trigeminusneuralgie – Besserung der Schmerzen bei bis zu 80 % der Patienten, oft jedoch erneutes Auftreten nach einigen Jahren [5].
Literatur
- Yamamoto M et al.: Stereotactic radiosurgery for patients with multiple brain metastases (JLGK0901): A multi-institutional prospective observational study. Lancet Oncol. 2014;15(4):387-395. https://doi.org/10.1016/S1470-2045(14)70061-0
- Brown PD et al.: Effect of radiosurgery alone vs. radiosurgery with whole brain radiation therapy on cognitive function in patients with 1 to 3 brain metastases. JAMA. 2016;316(4):401-409. https://doi.org/10.1001/jama.2016.9839
- Hasegawa T et al.: Long-term outcomes of Gamma Knife surgery for vestibular schwannomas: 10-year follow-up. J Neurosurg. 2005;102(1):10-16. https://doi.org/10.3171/jns.2005.102.1.0010
- Jafar J, Rezai AR et al.: Linear accelerator radiosurgery for cerebral arteriovenous malformations: An update. Neurosurgery. 1994;34(1):14-21. https://doi.org/10.1227/00006123-199401000-00003
- Dhople AA et al. Long-term outcomes after Gamma Knife surgery for classic trigeminal neuralgia: implications of treatment and critical review of the literature J Neurosurg 2009 Aug;111(2):351-8. doi: 10.3171/2009.2.JNS08977