Röntgentherapie

Die Röntgentherapie ist eine klassische Form der percutanen Strahlentherapie (Bestrahlung von außen), bei der niederenergetische Photonenstrahlung (hochenergetische Lichtstrahlung) – Röntgenstrahlung (Bremsstrahlung) – zum Einsatz kommt. Die Röntgenstrahlung entsteht durch das Abbremsen von Elektronen im Coulomb-Feld der Atomhülle und zählt zur ionisierenden Strahlung (zellschädigende Strahlung). Aufgrund ihrer physikalischen Eigenschaften eignet sie sich besonders für oberflächliche Zielvolumina mit geringer therapeutischer Dosisanforderung.

Zielsetzung und Wirkung

Therapeutische Zielsetzung – Die Röntgentherapie zielt auf die lokale Beeinflussung pathologischer Gewebeprozesse ab. Dabei kann sie antiinflammatorisch (entzündungshemmend), antiproliferativ (zellwachstumshemmend) oder analgetisch (schmerzlindernd) wirken.

Wirkmechanismus – Die ionisierende Wirkung der niederenergetischen Röntgenstrahlen führt zur direkten oder indirekten Schädigung der DNA (Erbinformation) und Zellorganellen (Zellstrukturen). Bei Entzündungen und proliferativen Prozessen werden insbesondere schnell teilende Zellen gehemmt, die Produktion von Zytokinen (Botenstoffen) moduliert und die Immunantwort reguliert.

Indikationen (Anwendungsgebiete)

Die Anwendung der Röntgentherapie ist auf kleine Zielvolumina mit oberflächlicher Lage und geringer Dosisforderung beschränkt. Die Dosishomogenität ist limitiert, weshalb eine sorgfältige Indikationsstellung erforderlich ist.

  • Antiinflammatorische Bestrahlung bei akuten Entzündungen
    • Panaritium (Nagelumlauf)
    • Paronychie (Nagelbettentzündung)
    • Schweißdrüsenabszesse (entzündete Talgdrüsen)
    • Thrombophlebitis (Venenentzündung)
    • Herpes zoster (Gürtelrose)
    • Hautekzeme, Psoriasis (Schuppenflechte)
    • Nicht heilende Fisteln, Phlegmonen (Weichteilentzündung), Ulzera (Geschwüre)
  • Antiinflammatorische Bestrahlung bzw. Schmerzbestrahlung bei chronischen Entzündungen bzw. degenerativen Erkrankungen der Gelenke und Weichteile
    • Non-Outlet-Impingement im Schultergelenk (Einengung im Schulterbereich)
    • Arthrosis deformans (Arthrose)
    • Degenerative Wirbelsäulenerkrankungen (Verschleiß der Wirbelsäule)
    • Epicondylitis radialis humeri (Tennisellenbogen), Epicondylitis ulnaris humeri (Golferellenbogen)
    • Achillodynie (Schmerzen an der Achillessehne)
  • Antiproliferative Bestrahlung hyperproliferativer Prozesse (übermäßige Zellneubildung)
    • Narbenkeloid (überschießende Narbenbildung), Dupuytren-Kontraktur (Verhärtung der Hohlhand), Desmoid (gutartige Bindegewebsvermehrung)
    • Heterotope Ossifikation (Knochenbildung außerhalb des Skeletts)
    • Intimafibrose (Verdickung der Gefäßinnenwand), Restenosierung (erneute Gefäßverengung) nach Gefäßdilatation (Gefäßerweiterung)
    • Exsudative Makuladegeneration (feuchte Netzhautveränderung), Vaskularisation (Gefäßneubildung) nach Keratoplastik (Hornhauttransplantation)
  • Strahlentherapie von kleinen oberflächlichen Hauttumoren
    • Palliative Strahlentherapie (lindernde Behandlung) von oberflächlich gelegenen Metastasen (Tochtergeschwülsten) an Rippen oder Haut

Kontraindikationen (Gegenanzeigen)

  • Absolute Kontraindikationen
    • Schwangerschaft
    • Genetische Strahlenempfindlichkeits-Syndrome (z. B. Ataxia teleangiectatica – angeborene Überempfindlichkeit gegenüber Strahlung)
    • Fehlen einer gesicherten Indikation (Behandlungsgrund)
  • Relative Kontraindikationen
    • Vorbestrahlung desselben Areals mit hoher kumulativer Dosis (Summenstrahlendosis)
    • Systemische Infektionserkrankungen (Infektionen im ganzen Körper)
    • Schwer kontrollierbare Grunderkrankungen (z. B. schwere Herzinsuffizienz)

Das Verfahren (Anwendung und Durchführung)

Die Röntgentherapie wird mithilfe von Röntgenbestrahlungseinrichtungen durchgeführt. Eine Röntgenanlage besteht aus Generator, Röntgenröhre, Röhrenschutzgehäuse, Stativ, Schaltgerät und eventuell einem Patientenbehandlungstisch. Für die verschiedenen Anwendungsgebiete sind unterschiedliche Erzeugerspannungen nötig. Die entsprechenden Röhrenspannungen variieren zwischen 7 kV (Grenzstrahlen) und 300 kV und erfordern eine angepasste Konstruktion des Generators bzw. der Röntgenröhre.

  • Weichstrahltherapie
    • Die Weichstrahltherapie ist eine Therapie von ganz oberflächlich gelegenen Läsionen (Veränderungen), bei der eine hohe Hautbelastung mit gleichzeitig scharfem Dosisabfall schon nach wenigen Millimetern Gewebetiefe erreicht werden soll.
    • Technik: Röhrenspannung zwischen 10 und 50 kV (weiche Strahlung), kurzer Fokus-Haut-Abstand, dünnes Berylliumblech gegen Eigenfilterung der Röntgenröhre.
    • Charakteristik: steiler Dosisabfall, hohe Hautdosis, minimale Tiefendosis
  • Hartstrahltherapie
    • Die Hartstrahltherapie wird zur Behandlung degenerativer Gelenk- und Wirbelsäulenerkrankungen verwendet.
    • Technik: Röhrenspannung von 100-400 kV, Filter zur Aufhärtung, aufwendiger baulicher Strahlenschutz
    • Charakteristik: mäßige Tiefenwirkung, geringere Oberflächendosis als bei Weichstrahlen

Je nach Indikation erfolgt die Therapie fraktioniert über mehrere Sitzungen mit Einzeldosen im Bereich von 0,5-1,5 Gy (Gray = Maßeinheit für die Strahlendosis). Die Gesamtdosis liegt typischerweise bei 3-12 Gy, abhängig vom Therapieziel.

Aktueller Stellenwert im Therapiekonzept

Die Röntgentherapie hat im modernen strahlentherapeutischen Spektrum eine begrenzte, aber weiterhin valide Rolle. Aufgrund der begrenzten Eindringtiefe wird sie vorwiegend in dermatologischen, orthopädischen und palliativmedizinischen Kontexten eingesetzt. In der Schmerztherapie degenerativer Erkrankungen stellt sie – insbesondere bei multimorbiden Patienten – eine wirksame, schonende Option dar. Ihre Anwendung erfolgt heute meist in spezialisierten Zentren mit entsprechender apparativer Ausstattung und strahlenschutzrechtlicher Genehmigung.

Evidenzlage und Studien

Die Evidenz zur Röntgentherapie basiert überwiegend auf retrospektiven Analysen (nachträgliche Auswertungen) und Beobachtungsstudien (nicht kontrollierte Studien). Besonders in der Behandlung von Arthroseschmerzen, Epicondylitiden (Sehnenansatzentzündung) und Keloiden konnte eine signifikante Reduktion der Schmerzintensität und Rezidivrate nachgewiesen werden. Die Verwendung bei proliferativen Prozessen stützt sich auf pathophysiologische Modelle und klinische Erfahrungswerte. Randomisierte Studien (Zufallsstudien) sind begrenzt, jedoch in Einzelfällen (z. B. Achillodynie, Epicondylitis) vorhanden.

Literatur

  1. Sauer R. Strahlentherapie und Onkologie. 5. Auflage. München: Urban & Fischer; 2013. ISBN: 978-3-437-22621-4.
  2. Wannenmacher M, Wenz F, Debus J. Strahlentherapie. 2. Auflage. Berlin, Heidelberg: Springer; 2013. 1087 S. ISBN: 978-3-540-88304-3. https://doi.org/10.1007/978-3-540-88305-0