Spinalanästhesie
Die Spinalanästhesie (SPA) ist eine rückenmarksnahe Form der Regionalanästhesie. Sie führt zur zeitlich begrenzten Unterbrechung der Erregungsleitung der Spinalnervenwurzeln (Nervenwurzeln, die aus den einzelnen Segmenten des Rückenmarks abzweigen), und dient somit der Schmerzleitungsblockade sowie der Muskelrelaxation. Dies geschieht mithilfe eines Lokalanästhetikums, das in den sogenannten Subarachnoidalraum injiziert wird. Der Subarachnoidalraum befindet sich zwischen der Pia mater (weiche Hirnhaut) und der Dura mater (harte Hirnhaut). Die Injektion des Lokalanästhetikums führt zu einer befristeten Blockade der motorischen, sensiblen und sympathischen Wahrnehmungsqualitäten.
Die Spinalanästhesie wird vor allem bei großen operativen Eingriffen unterhalb des Bauchnabels eingesetzt. Das bedeutet im Bereich des Unterbauches, des Beckens sowie des Perineums (Damm) und an der unteren Extremität. Vorteile gegenüber der Allgemeinanästhesie ergeben sich vor allem für Patienten, die an einem erhöhten Risiko für Komplikationen, Atemwegserkrankungen oder Diabetes mellitus leiden.
Die Spinalanästhesie ist ein effektives Verfahren, um diese Vielfalt an Operationen durchzuführen. Da allerdings schwere Komplikationen auftreten können, sollte sie nur von erfahrenen Ärzten, die die kardiopulmonale Wiederbelebung beherrschen, angewendet werden.
Die Spinalanästhesie wird im Regelfall als beidseitige (konventionelle) Spinalanästhesie durchgeführt. Die unilaterale (einseitige) Spinalanästhesie ist für alle Operationen, die nur eine untere Extremität betreffen, ein geeignetes Verfahren.
Indikationen (Anwendungsgebiete)
- Operative Eingriffe am Oberbauch (Sectio caesarea/Kaiserschnitt)
- operative Eingriffe am Unterbauch (Appendektomie/Blinddarmentfernung)
- Leistenhernie (Leistenbruch)
- Operative Eingriffe am Urogenitaltrakt (Nieren- und Harnsystem; transurethrale Resektion (TUR)/Operation durch die Harnröhre hindurch)
- Operative Eingriffe in der Gynäkologie
- Operationen an Becken und unterer Extremität – z. B. Operationen am Hüftgelenk oder Unterschenkelamputation, Knie
- Perineum (Region zwischen After und den äußeren Geschlechtsorganen)
- Vaginale Entbindung (natürliche Geburt; Spontangeburt)
Kontraindikationen (Gegenanzeigen)
Absolute Kontraindikationen
- Fehlende Einwilligung des Patienten
- Infektion an der Einstichstelle
- spezifische kardiovaskuläre Erkrankungen – z. B. ein frischer Myokardinfarkt (Herzinfarkt), eine schwere Koronare Herzerkrankung (KHK), Klappenvitien (Herzklappenfehler), zerebrale Atherosklerose (Arteriosklerose; Arterienverkalkung) mit der Gefahr eines Apoplex (Schlaganfall), bei schwerem Hypertonus (Bluthochdruck) sowie Hypotonus (Niedriger Blutdruck).
- Neurologische Erkrankungen – Aus forensischen Gründen wird die Spinalanästhesie z. B. bei Multipler Sklerose (MS) nicht durchgeführt, da eine Verschlechterung dieser Erkrankungen sonst in diesem Zusammenhang gesehen werden könnte
- Schock und/oder Hypovolämie (Volumenmangel)
- Sepsis (Blutvergiftung)
- Spinalkanalstenose (Spinalstenose; Wirbelkanalverengung)
- Koagulopathie (Störungen der Blutgerinnung)
Relative Kontraindikation
- Anamnestisch starke Rücken- und/oder Kopfschmerzen
- Lokale Erkrankungen der Wirbelsäule: Arthritis (Gelenkentzündung), Bandscheibenprolaps (Bandscheibenvorfall), Osteoporose (Knochenschwund), ossäre Metastasen (Wirbelsäulenmetastasen)
- Hochrisikopatienten
- Starke Deformierung der Wirbelsäule
Gewünschte Anästhesieausdehnung bei operativem Eingriff:
- Oberbauch (z. B. Sectio caesarea): Th 4 - 6
- Unterbauch (Appendektomie): Th 6 - 8
- Leistenhernie: Th 8
- Transurethrale Resektion (TUR); vaginale Entbindung; Hüftoperationen: Th 10
- Knie und darunter: L1
- Perineum S2-5
Vor der Spinalanästhesie
Präoperativ wird zunächst die Anamnese (Krankengeschichte) des Patienten erhoben. Wichtig sind dabei Informationen zu Allergien auf Medikamente, insbesondere Lokalanästhetika, sowie systemische Krankheiten, die zu Komplikationen während des Eingriffs führen können (z. B. Herzkreislauferkrankungen). Im weiteren Verlauf erfolgen eine körperliche Untersuchung, die Interpretation der Laborwerte sowie die Patientenaufklärung. Anschließend erfolgt die Gabe der Prämedikation (Gabe von Medikamenten vor einem medizinischen Eingriff), die hier in erster Linie der Anxiolyse (Angstauflösung) dient.
Das Verfahren
Die Entscheidung für eine Spinalanästhesie leitet sich von den folgenden Faktoren ab: Entspricht das Operationsgebiet der oben genannten Region und liegt die Operationsdauer über 10 Minuten sowie unter 3 bis 4 Stunden, so ist eine Spinalanästhesie sinnvoll.
Des Weiteren ist zu berücksichtigen, dass die Spinalanästhesie nicht angewendet werden sollte, falls große Blutverluste während der Operation zu erwarten sind, da die Blockade des Sympathikus (Teil des Nervensystems, der unter anderem für die Verengung der Gefäße und somit für die Blutstillung verantwortlich ist) die Wahrscheinlichkeit für Blutungskomplikationen erhöht.
Direkt vor der Spinalanästhesie werden Blutdruck und Herzfrequenz gemessen, diese Parameter werden während des gesamten Verlaufs beobachtet. Anschließend erfolgen das Legen eines venösen Zugangs und die Gabe einer Elektrolytlösung. Der Patient kann zum Legen einer Spinalanästhesie entweder in Seitenlage oder im Sitzen gelagert werden, wichtig ist dabei die Krümmung der Wirbelsäule (Buckel), da die Wirbelkörper und die Dornfortsätze so auseinandergezogen werden.
Zunächst erfolgt eine Lokalanästhesie (örtlicher Betäubung) der Einstichstelle und anschließend wird der Subarachnoidalraum lokalisiert. Dieses erfolgt mithilfe der Technik des Widerstandsverlustes, dabei orientiert sich der Anästhesist an den anatomischen Widerständen, die seiner Nadel begegnen. Er benutzt dazu eine Spritze, die flüssigkeitsgefüllt und deren Stempel leichtgängig ist. Den größten Widerstand bildet das Ligamentum flavum (lat.: gelbes Band). Zunächst passiert die Nadel das Ligamentum, den nächsten Widerstand spürt der Anästhesist bei der Punktion der Dura-Arachnoidea. Nun befindet sich die Nadel im Subarachnoidalraum und das Lokalanästhetikum kann nach einer Testdosis komplett injiziert werden.
Das Hindurchstechen von Tattoos sollte vermieden werden, da dadurch neurotoxische Farbstoffe in den Liquorraum gelangen können. Eine tierexperimentelle Studie konnte dadurch bedingt entzündliche Reaktionen im Bereich der Dura mater bzw. der Arachnoidea (Spinnenhaut; mittlere Hirnhaut zwischen der Dura mater (harte Hirnhaut; äußerste Hirnhaut) und der Pia mater) nachweisen [2].
Je nach Dichte des Lokalanästhetikum (LA; Wirkstoffe zur örtlichen Betäubung) unterscheidet man:
- isobare LA: gleiche Dichte wie Liquor (1010 µg/ ml bei 37 °C wie furchtbar); dabei dehnt sich die Blockade nach der Lagerung ein wenig aus.
- hyperbare LA: Dichte ist höher als Liquor, d. h.: Blockade breitet sich entsprechend des Schwergewichts nach unten aus (Zusatz von Glucose)
Bei der unilateralen (einseitigen) Spinalanästhesie werden in Seitenlage hyper- (oder hypo)bare Lokalanästhetikumlösungen langsam injiziert. Dieses Verfahren benötigt eine etwas längere Vorbereitungszeit und einen langsameren Wirkeintritt. Dafür besteht allerdings hämodynamische Stabilität und bessere Mobilisierbarkeit des Patienten nach der Operation.
Die Anästhesie setzt in der Regel sofort ein, kann aber auch erst mit einer Latenz von bis zu 10 Minuten wirken. Die Ausbreitung des Lokalanästhetikums kann durch die Lagerung des Patienten sowie durch Pressen und Husten beeinflusst werden.
Formen der Spinalanästhesie:
- Spinalanästhesie im Sattelblock (in sitzender Position durchgeführt; Patient wird dabei ca. in 5-6 Minuten in dieser Position belassen; hyperbare LA breitet sich entsprechend dem Schwergewicht nach unten aus) – Blockade der Wirbelsäulensegmente S1-S5
- kontinuierliche Spinalanästhesie – Injektion des Lokalanästhetikums kontinuierlich und nach Bedarf über einen Katheter
- kombinierte Spinal-Epiduralanästhesie (Synonym: Kombination Spinal-Epiduralanästhesie (CSE)) – Verfahren verbindet den schnellen Wirkeintritt der Spinalanästhesie mit der längeren Wirkungsdauer der Periduralanästhesie.
Nach der Spinalanästhesie
Im Aufwachraum muss der Patient durchgehend im Hinblick auf Blutdruck und Herzfrequenz überwacht werden. Nach der Spinalanästhesie ist eine spezielle, neurologische Überwachung indiziert, da in seltenen Fällen die Möglichkeit einer Spinalblutung besteht. Diese kann zu starken radikulären Schmerzen (Schmerzen entlang der Einzugsgebiete der Nervenwurzeln aus dem Rückenmark), fortschreitenden motorischen und sensiblen Ausfällen sowie zu Blasenentleerungsstörungen führen und muss sofort neurologisch behandelt werden. Der Patient muss stationär überwacht werden und sollte sich schonen.
Mögliche Komplikationen
- Anaphylaktische (systemisch-allergische) Reaktion
- Arachnoiditis – Infektion der Arachnoidea (Spinnenhaut)
- Bradykardie – Verlangsamung der Herzaktivität (Herzschlag unter 60 Schläge pro Minute)
- Blutdruckabfall – durch Sympathikusblockade (dieser Teil des Nervensystems erhält den Blutdruck aufrecht)
- Cauda-equina-Syndrom – Blasenentleerungsstörungen, Reithosenanästhesie (sensible Ausfälle der Nerven im Bereich des Sakrums (Kreuzbein)), Stuhlinkontinenz, Paresen (Lähmungen)
- Eitrige Meningitis – bakterielle Hirnhautentzündung
- Aseptische Meningitis – Syndrom mit akutem Beginn meningealer Symptome und Fieber sowie erhöhter Zellzahl im Nervenwassers ohne Wachstum von Bakterien
- Spinales Hämatom – Blutung mit Kompression des Rückenmarks
- Epiduraler Abszess – Infektion im Periduralraum mit Eiteransammlung
- Liquorunterdrucksyndrom – dieses geht mit folgenden Symptomen einher: Kopfschmerz verschlechtert sich innerhalb von 15 Min. nach Aufsitzen oder Stehen und bessert sich innerhalb von 15 Min. nach Liegen; einhergehend mit mindestens einem der folgenden Symptome: Meningismus (schmerzhafte Nackensteifigkeit), Tinnitus (Ohrgeräusche), Hypakusis (Schwerhörigkeit), Photophobie (Lichtscheu) oder Nausea (Übelkeit) mit Beeinträchtigung der Hirnnerven
- Hypothermie (Unterkühlung)
- Cephalgie (Kopfschmerzen), postspinale; postspinale Kopfschmerzen (PKS)
- Myelitis (Rückenmarksentzündung)
- Miktionsstörungen (Störungen bei der natürlichen Entleerung der Harnblase; treten unter einseitiger Spinalanästhesie seltener auf als nach beidseitiger Blockade)
- Nervenwurzelverletzung
- Paraplegie – Lähmung der Beine
- Reaktion auf den Vasokonstriktorzusatz – Tachykardie (Herzrasen), Blutdruckanstieg, Schwitzen, psychische Übererregung, Kopfschmerzen
- Störungen der Atmung
- Totale Spinalanästhesie – Bradykardie, Blutdruckabfall, Bewusstseinsverlust, Atemstillstand
- Transiente neurologische Symptome (TNS) – z. B. Plegien (Lähmungen) und Parästhesien (Missempfindungen), aber auch Blasen- und Mastdarmentleerungsstörungen
- Übelkeit (Nausea) und Erbrechen
- Vagovasale Reaktion – "Schwarzwerden vor Augen", Kollaps
Periduralanästhesie vs. Spinalanästhesie
Während die Wirkung der Spinalanästhesie sehr schnell und stärker einsetzt, benötigt die Periduralanästhesie (PDA) eine etwas längere Latenzzeit. Vor allem die motorische Blockade bei der Spinalanästhesie ist stärker. Der Vorteil hierbei ist eine höhere Qualität der Anästhesie und eine bessere Beherrschbarkeit bei geringerer Menge an Anästhetika.
Die Periduralanästhesie benötigt eine höhere Dosis an Lokalanästhetika und ist bei geringerer anästhetischer Qualität in ihrer Ausprägung weniger vorhersehbar. In der Anwendung bedeutet dies Folgendes: Die Spinalanästhesie wird wegen der besseren motorischen Blockade gerne bei Operationen angewendet, kann allerdings zu sogenannten postspinalen Kopfschmerzen führen. Die Periduralanästhesie findet wegen ihrer längerfristigen Wirkung unter anderem Anwendung in der kontinuierlichen Nervenblockade, die Tage bis Wochen durchführbar ist.
Spinalanästhesie vs. Allgemeinanästhesie
Für ältere Patienten mit Spinalanästhesie wg. Hüftfraktur war die Wahrscheinlichkeit höher (+33 %), dass diese ca. zwei Monate nach dem Eingriff noch verschreibungspflichtige Schmerzmittel einnahmen als bei Patienten mit Allgemeinanästhesie. Sechs und zwölf Monate nach dem Eingriff bestand diesbezüglich kein signifikanter Unterschied mehr.
Patienten mit Spinalanästhesie schätzten ihre "schlimmsten Schmerzen" in den ersten 24 Stunden nach der Operation etwas höher ein als Patienten mit Vollnarkose. Die mittleren 24-Stunden-Schmerzintensitätwerte lagen nach der Spinalanästhesie bei 5,5 ±2,6 und bei der Allgemeinanästhesie bei 5,2 ±2,8; 24 Stunden danach waren keine Unterschiede mehr bei der Schmerzwahrnehmung zwischen den beiden Gruppen nachweisbar [4].
Literatur
- Larsen R: Anästhesie. Elsevier, Urban & Fischer Verlag 2006
- Ferraz IL et al.: Does Spinal Block Through Tattooed Skin Cause Histological Changes in Nervous Tissue and Meninges?: An Experimental Model in Rabbits. Reg Anesth Pain Med. 2015;40:533-8
- S1-Leitlinie: Regionalanästhesie bei ambulanten Patienten - Empfehlungen zur Durchführung. (AWMF-Registernummer: 001 - 022), März 2021 Langfassung
- Neuman MD et al.: Pain, Analgesic Use, and Patient Satisfaction With Spinal Versus General Anesthesia for Hip Fracture Surgery A Randomized Clinical Trial Annals of Internal Medicine 14 June 2022 https://doi.org/10.7326/M22-0320
Leitlinien
- S1-Leitlinie: Regionalanästhesie bei ambulanten Patienten - Empfehlungen zur Durchführung. (AWMF-Registernummer: 001 - 022), März 2021 Langfassung
- S1-Leitlinie: Rückenmarknahe Regionalanästhesien und Thromboembolieprophylaxe / antithrombotische Medikation. (AWMF-Registernummer: 001 - 005), Mai 2021 Langfassung