Traumatherapie

Die Traumatherapie ist eine psychiatrische Behandlung, die zur Bewältigung von traumatischen Störungen, insbesondere der Posttraumatischen Belastungsstörung (PTBS), eingesetzt wird. Die Traumatherapie basiert auf einer Kombination von stützend-stabilisierenden und konfrontativen Behandlungsstrategien.

Ein Trauma wird nach der ICD-10-GM Klassifikation (engl.: "international statistical classification of diseases and related health problems") der WHO (Weltgesundheitsorganisation) definiert als: "Ein belastendes Ereignis oder eine Situation kürzerer oder längerer Dauer, mit außergewöhnlicher Bedrohung oder katastrophenartigem Ausmaß, die bei fast jedem eine tiefe Verzweiflung hervorrufen würde (z. B. Naturkatastrophe oder menschlich verursachtes schweres Unheil – man-made disaster – Kampfeinsatz, schwerer Unfall, Beobachtung des gewaltsamen Todes Anderer oder Opfersein von Folter, Terrorismus, Vergewaltigung oder anderen Verbrechen).“

Zielsetzungen und Wirkungen der Traumatherapie

Zielsetzungen der Traumatherapie

Die Traumatherapie verfolgt das Ziel, Menschen zu helfen, traumatische Erlebnisse und deren psychische Folgen zu bewältigen. Die Hauptziele umfassen:

  • Stabilisierung des emotionalen und psychischen Zustands des Patienten.
  • Verarbeitung und Integration des Traumas in die Lebensgeschichte des Betroffenen.
  • Reduktion der traumabezogenen Symptomatik, insbesondere von Posttraumatischen Belastungsstörungen (PTBS).
  • Verbesserung der Lebensqualität und Wiederherstellung der Funktionsfähigkeit im Alltag.

Wirkungen der Traumatherapie

  • Verminderung oder Beseitigung von PTBS-Symptomen wie Flashbacks, Übererregung und Vermeidungsverhalten.
  • Fähigkeit zur besseren emotionalen und kognitiven Bewältigung von Traumaerinnerungen.
  • Erhöhung der psychischen Stabilität und Resilienz gegenüber stressauslösenden Faktoren.
  • Wiedererlangung eines Gefühls der Sicherheit und Kontrolle über das eigene Leben.
  • Integration des Traumas in das Selbstbild und die Lebensgeschichte, was zu einem besseren Selbstverständnis und einer verbesserten Selbstwahrnehmung führt.

Die Traumatherapie beinhaltet verschiedene Behandlungsmethoden und -techniken, die individuell auf den Patienten und seine spezifischen Bedürfnisse abgestimmt werden. Sie ist ein wesentlicher Bestandteil der Behandlung von Traumafolgestörungen und trägt wesentlich zur Verbesserung der Lebensqualität der Betroffenen bei.

Indikationen (Anwendungsgebiete)

  • Posttraumatische Belastungsstörung (PTBS) – Erkrankung, der ein oder mehrere belastende Ereignisse von besonderer Schwere oder katastrophalem Ausmaß vorausgehen und die innerhalb eines halben Jahres nach diesem Ereignis auftritt.
    Symptome dieser Erkrankung sind Intrusionen (Leitsymptom; sogenannte "flashbacks" bzw. wiederholtes, lebhaftes Wiedererleben des auslösenden Ereignisses), Vermeidungsverhalten, Übererregung (Hyperarousal) und psychische Betäubung.
  • Partielles PTBS (Teilsymptomatik)
  • Komplexe Traumafolgestörungen – Hierzu zählen Angststörungen, depressive Störungen, dissoziative Störungen (pathologische Trennung von normalerweise assoziierten Wahrnehmungs- und Gedächtnisinhalten mit Verlust der integrativen Funktion des Bewusstseins und der Identität), Essstörungen sowie Somatisierungsstörungen (körperliche Symptome, z. B. Schmerzen, die nicht auf eine organische, sondern eine psychiatrische Ursache zurückzuführen sind).

Neben den Indikationen müssen Voraussetzungen erfüllt sein, die eine Traumatherapie erst ermöglichen. Der Patient sollte an keiner schweren körperlichen Krankheit leiden, des Weiteren sollte eine Sicherheit der äußeren Umstände gegeben sein. Es sollten emotional-kognitive Bewältigungsstrategien (Emotionskontrolle) erfolgreich einsetzbar sein sowie der Patient hinreichend stabil sein.

Kontraindikationen (Gegenanzeigen)

  • Akute Psychose – Schwere psychische Störung mit Verlust des Realitätsbezuges
  • Anhaltender Täterkontakt
  • Neben der therapeutischen Bindung keine weiteren positiven Bindungen im Alltag
  • Schwerer Substanzmissbrauch (Drogenmissbrauch)
  • Schwere Essstörung

Vor der Therapie

Die oben genannten Erstmaßnahmen umfassen den Schutz vor weitergehender Traumatisierung sowie die Aufklärung über die normalen Traumareaktionen, eine mögliche Selbstgefährdung, z. B. durch Substanzmissbrauch und die Therapiemöglichkeiten. Vor der Therapie erfolgt des Weiteren eine sorgfältige Psychoedukation des Patienten, in deren Rahmen dieser über die Diagnose und die typischen Belastungssymptome (z. B. Hilflosigkeit, Ohnmachtsgefühle, körperliche Stresssymptome) ausführlich aufgeklärt wird.
In Zusammenarbeit mit dem Patienten werden Therapieziele definiert und ein Therapieplan erarbeitet. Des Weiteren sollten Vereinbarungen bzw. ein Vertrag zwischen Therapeut und Patient über den Umgang mit Krisensituationen wie etwa Suizidalität (Selbstmordgefährdung) getroffen werden. Es wird ein Behandlungsvertrag geschlossen und der Patient auch über Risiken, bspw. im Rahmen der Konfrontation mit dem Trauma, aufgeklärt. Insbesondere die Hierarchisierung der Therapieziele ist für die Traumatherapie hilfreich:

  • Beenden selbstschädigender Verhaltensweisen wie Suizidalität, Substanzmissbrauch (Drogenkonsum) oder selbstverletzenden Verhaltens
  • Verbesserung der Funktionsfähigkeit im Alltag, z. B. durch Ressourcenstärkung
  • Therapie der Traumafolgesymptomatik (Intrusionen/Wiedererinnern und Wiedererleben von psychotraumatischen Ereignissen, Hyperarousal/Symptome der Übererregung: z. B. Schlafstörungen, Schreckhaftigkeit, mangelnde Affekttoleranz, erhöhte Reizbarkeit)
  • Behandlung von komorbiden Störungen (Depression, Angststörungen etc.)

Das Verfahren

Der Entstehung eines Traumas liegt die Annahme zugrunde, dass es durch eine stressinduzierte Überforderung der Informationsverarbeitung in Kombination mit ablaufenden Schutzmechanismen (beispielsweise dissoziative Mechanismen: Das Ereignis wird vom Bewusstsein abgespalten und unzugänglich, sodass der Patient sich des Traumas möglicherweise nicht mehr bewusst ist.) zu einer erschwerten Eingliederung der belastenden Erinnerung in die Biographie (Lebensgeschichte) des Betroffenen kommt. Dies bedeutet, dass traumatische Erinnerungen zunächst nicht zugänglich und bearbeitbar sind, sodass eine Aktualisierung des Traumas erforderlich ist, um eine therapeutische Beeinflussung zu ermöglichen. Dadurch gelangt das Trauma in einen labilen Zustand und dysfunktionale Bewertungen oder eine fehlgeleitete Selbstbewertung, z. B. Schuldgefühle, können verlernt bzw. modifiziert werden. Damit derartige Lernprozesse erfolgreich sein können, muss die Konfrontation mit dem Trauma möglichst stressarm gestaltet werden. Zu diesem Zweck muss der Patient emotional-kognitive Bewältigungsstrategien erlernen.

Bei der Traumatherapie steht jedoch nicht die Aufarbeitung des Traumas im Mittelpunkt, sondern vielmehr die Reduktion der charakteristischen Symptomatik. Der Traumatherapie stehen eine Vielzahl an Methoden und Konzepten zur Verfügung. Grundsätzlich lässt sich zusammengefasst die folgende Schrittfolge festlegen:

  • Stabilisierung – Aufbau einer vertrauensvollen Arzt-Patienten-Beziehung, Emotionskontrolle, Ressourcenmobilisierung, Psychoedukation, Selbstberuhigung
  • Traumaexposition/ Traumabearbeitung – Rekonfrontation; Traumaereignisse werden erfahrbar und somit bearbeitbar gemacht
  • Integration – Integration des Traumas in die Lebensgeschichte des Patienten

Für die Stabilisierungsphase, die Traumabearbeitung und die Integrationsphase stehen eine Reihe methodenübergreifender therapeutischer Verfahren zur Verfügung:

  • Debriefing (Psychiatrische Gesprächs-Intervention unmittelbar nach dem Trauma; bzw. direkte Nachbesprechung.)
  • EMDR – Eye Movement Desensitization and Reprocessing; während sich der Patient aktiv an das Trauma erinnert, bewegt er zeitgleich, dem Finger des Therapeuten folgend, rhythmisch die Augen. Ziel ist eine Angstreduktion auf Grundlage der bilateralen Stimulation des zentralen Nervensystems (Gehirn) mittels Synchronisation der rechten und linken Hemisphäre (Hirnhälfte).
  • Gruppentherapie
  • Kognitive Verhaltenstherapie (KVT)
  • Kreative Therapien (z. B. Kunsttherapie)
  • Medizinische Hypnose (Synonym: Hypnotherapie) 
  • Paar- und Familientherapie
  • Pharmakotherapie (z. B. medikamentöse Therapie einer begleitenden depressiven Störung)
  • Psychodynamische Therapie (Psychoanalyse, Tiefenpsychologie)
  • Psychosoziale Rehabilitation
  • Stationäre Therapie

Nach der Therapie

Ist die Traumatherapie erfolgreich, zeichnet sich dies in einer Beseitigung der traumaspezifischen Symptome und einer Verringerung des Leidensdruckes ab. Abhängig vom Erfolg der Therapie, kann eine psychiatrische Nachbetreuung bzw. Begleitung angezeigt sein.

Mögliche Komplikationen

  • Auftauchen von Erinnerungen bezüglich Traumainhalten, die dem Patienten zuvor nicht bewusst waren.
  • Therapieversagen

Literatur

  1. Maercker A, Baumann K: Psychotherapie der posttraumatischen Belastungsstörungen: Krankheitsmodelle und Therapiepraxis – Störungsspezifisch und schulenübergreifend. Georg Thieme Verlag 2006
  2. Sack M: Schonende Traumatherapie: Ressourcenorientierte Behandlung von Traumafolgestörungen. Schattauer Verlag 2020
  3. Wöller W:Trauma und Persönlichkeitsstörungen: Ressourcenbasierte Psychodynamische Therapie (RPT) traumabedingter Persönlichkeitsstörungen. Schattauer Verlag 2013
  4. Rudolf G: Psychodynamische Psychotherapie: Die Arbeit an Konflikt, Struktur und Trauma. Schattauer Verlag 2014
  5. Rudolf G, Henningsen P: Psychotherapeutische Medizin und Psychosomatik: Ein einführendes Lehrbuch auf psychodynamischer Grundlage. Georg Thieme Verlag 2013
  6. Sachsse U, Dulz B: Traumazentrierte Psychotherapie: Theorie, Klinik und Praxis. Schattauer Verlag 2009