Präoperative Evaluation Erwachsener vor elektiven, nicht herz-thoraxchirurgischen Eingriffen

Eine gemeinsame Empfehlung der Deutschen Gesellschaft für Anästhesiologie und Intensivmedizin, der Deutschen Gesellschaft für Chirurgie und der Deutschen Gesellschaft für Innere Medizin

Ziel und Empfehlungen

Die Empfehlungen richten sich an alle Berufsgruppen in der präoperativen Betreuung und zielen darauf ab, die standardisierte und evidenzbasierte präoperative Evaluation zu vereinfachen und perioperative Morbidität und Mortalität zu senken. Sie umfassen allgemeine Prinzipien (Teil A), erweiterte Diagnostik (Teil B) und den Umgang mit Dauermedikationen (Teil C). Diese Empfehlungen wurden überarbeitet und aktualisiert, um die neuesten europäischen Leitlinien zu berücksichtigen.

Konsensuseinstufung

Die Empfehlungen basieren auf Expertenkonsens, klassifiziert nach "soll", "sollte" und "kann". Diese Einstufungen helfen, ein zielgerichtetes präoperatives Management zu erleichtern.

Allgemeine Prinzipien der Präoperativen Evaluation

  • Operative Statistik: Von 2005 bis 2021 stieg die Zahl der stationären Operationen in Deutschland von 12,1 Mio. auf 15,8 Mio. Dabei entfallen 85 % der großen Operationen auf elektive, nicht herz-thoraxchirurgische Eingriffe.
  • Risikoevaluation: Bezieht sich auf das operationsbedingte Risiko und das patientenspezifische Risiko, beeinflusst von Alter und Komorbiditäten.
  • Aufklärung und Einwilligung: Rechtzeitig vor dem Eingriff, um eine fundierte Entscheidungsfindung zu ermöglichen.

Präoperative Evaluation

  • Anamnese und Untersuchung:
    • Wichtig für die Risikoabschätzung und Entscheidung für das Anästhesieverfahren.
    • Inkludiert Blutungsanamnese und Einschätzung der körperlichen Belastbarkeit.
  • Patienten ohne kardiovaskuläre Erkrankungen:
    • Bei niedrigem/mittlerem Risiko: keine erweiterte Evaluation nötig.
    • Bei hohem Risiko: EKG und Biomarker bei Patienten über 45 Jahren erwägen.
  • Patienten mit kardiovaskulären Risikofaktoren:
    • Erweiterte Evaluation bei mittlerem/hohem Risiko (EKG, Biomarker).
  • Patienten mit kardiovaskulären Erkrankungen:
    • Differenzierte Risikoabklärung erforderlich.
  • Frailty:
    • Höchstes Risiko für postoperative Komplikationen.
    • Frailty-Screening bei älteren Patienten vor mittleren/hohen Risiken empfohlen.

Multimodales Perioperatives Management (mPOM)

  • Prähabilitation:
    • Umfasst Interventionen zur Optimierung des Patientenstatus vor der Operation (z. B. Ernährung, körperliches Training).
  • Fast Track Chirurgie:
    • Maßnahmen zur Reduktion von Morbidität und Krankenhausaufenthaltsdauer.

Patienteninformation und Aufklärung

  • Umfassende Aufklärung: In mündlicher und schriftlicher Form, um Ängste zu reduzieren und Zufriedenheit zu erhöhen.
  • Fernaufklärung: Kann bei einfachen Eingriffen erwogen werden, insbesondere zur Patientenzufriedenheit und Reduktion des Aufwands.

Einschätzung des perioperativen Risikos

  1. Kardiovaskuläres Risiko:
    • Berücksichtigung von akuten Herzerkrankungen, Risikoprofil, Belastbarkeit und Risikoeinstufung des Eingriffs.
  2. Pulmonales Risiko:
    • Anamnese, Untersuchung und klinische Scores im Vordergrund; apparative Diagnostik nur bei spezifischen Indikationen.
  3. Zerebrales Risiko:
    • Einschätzung des Schlaganfall- und Delir-Risikos bei gefährdeten Patienten.
  4. Schmerzmanagement:
    • Berücksichtigung chronischer Schmerzen und bestehender Opioidtherapie.

Erweiterte Diagnostik

  • Blutuntersuchungen: Nur bei spezifischen Indikationen empfohlen.
  • Kardiale Biomarker: Bestimmung bei Patienten mit kardiovaskulären Risiken vor Operationen mit mittlerem/hohem Risiko.
  • Kardiologische Abklärungen: EKG und Echokardiographie bei spezifischen Indikationen, nicht routinemäßig.

Umgang mit Dauermedikationen

  1. Kreislaufwirksame Pharmaka:
    • Fortführung bestehender Therapien (z. B. Betablocker) empfohlen, Neubeginn bei spezifischen Indikationen.
  2. Antidiabetika:
    • Anpassung der Therapie je nach Eingriffsrisiko und Medikation (z. B. SGLT-2-Inhibitoren vor OP pausieren).
  3. Antikoagulantien (Blutverdünner):
    • Fortführung oder Anpassung je nach Risikoprofil und Eingriff (z. B. Vitamin-K-Antagonisten bei hohem Risiko pausieren).
  4. Psychopharmaka und Anti-Parkinson Medikamente:
    • Fortführung empfohlen, besondere Vorsicht bei Nebenwirkungen und Wechselwirkungen.

Diese Empfehlungen bieten eine umfassende Grundlage für die präoperative Evaluation und das Management erwachsener Patienten vor elektiven, nicht herz-thoraxchirurgischen Eingriffen, basierend auf aktuellen wissenschaftlichen Erkenntnissen und Konsens der Experten.

Leitlinie

  1. Empfehlung der Deutschen Gesellschaft für Anästhesiologie und Intensivmedizin, der Deutschen Gesellschaft für Chirurgie und der Deutschen Gesellschaft für Innere Medizin Anaesthesiologie 2024;73:294-323 https://doi.org/10.1007/s00101-024-01408-2