Manuelle Therapien: Eine Übersicht

Manuelle Therapien, auch bekannt als manuelle Medizin oder Manualtherapie, sind eine Behandlungsform, die hauptsächlich manuelle Techniken verwenden, um Schmerzen zu lindern und die Beweglichkeit im Bewegungsapparat zu verbessern. Der Begriff "manuell" leitet sich vom lateinischen Wort "manus" für Hand ab, was auf die zentrale Rolle der Hände des Therapeuten in der Behandlung hinweist. Diese Form der Therapie umfasst das Manipulieren und Mobilisieren von Gelenken, Muskeln und Bindegeweben und wird hauptsächlich zur Behandlung von Funktionsstörungen des Bewegungsapparats eingesetzt.

Historisch hat die manuelle Therapie ihre Wurzeln in traditionellen Heilmethoden und wurde seit dem 19. Jahrhundert kontinuierlich weiterentwickelt. Sie integriert Elemente aus verschiedenen medizinischen Disziplinen, darunter Osteopathie, Chiropraktik und Physiotherapie. Ihre moderne Form etablierte sich im Laufe des 20. Jahrhunderts und wird stetig durch aktuelle medizinische Forschung und Praktiken bereichert.

Neben den Behandlungstechniken beinhalten die manuelle Therapie auch spezielle Untersuchungsverfahren zur Diagnose der zugrundeliegenden Ursachen von Schmerzen, insbesondere bei Rücken-, Gelenk- oder Muskelschmerzen, die häufig auf Blockierungen zurückzuführen sind.

Die Durchführung der manuellen Therapien erfordert spezielle Fertigkeiten und Kenntnisse und wird daher von Ärzten oder Physiotherapeuten mit entsprechender Weiterbildung ausgeführt. Sie sind ein essentieller Bestandteil der modernen Medizin und bieten eine effektive Behandlungsoption für eine Vielzahl von Beschwerden des Bewegungsapparats, wobei der Fokus auf einer ganzheitlichen Herangehensweise und der Aktivierung der körpereigenen Heilungskräfte liegt.

Innerhalb der manuellen Therapie gibt es verschiedene spezialisierte Verfahren, die jeweils eigene Techniken und Ansätze verwenden. Zu den wichtigsten Formen gehören:

  • Atlastherapie: Eine spezielle Form der manuellen Therapie, die sich auf die Korrektur von Fehlstellungen des ersten Halswirbels (Atlas) konzentriert. Sie wird oft bei Kopfschmerzen, Schwindel und anderen Beschwerden eingesetzt, die mit der Halswirbelsäule in Verbindung stehen.
  • Chiropraktik: Konzentriert sich auf die Diagnose, Behandlung und Prävention von Funktionsstörungen des Bewegungsapparats, insbesondere der Wirbelsäule. Chiropraktiker verwenden spezielle Techniken zur Manipulation und Einstellung von Wirbeln.
  • Fazientherapie: Eine therapeutische Methode, die auf die Behandlung des Bindegewebes (Faszien) abzielt. Durch gezielte manuelle Techniken werden Verklebungen und Verhärtungen gelöst, was zu einer verbesserten Beweglichkeit und Schmerzlinderung führen kann.
  • Fußreflexzonentherapie: Eine Therapieform, die Druck auf spezifische Punkte an den Füßen ausübt, von denen angenommen wird, dass sie mit anderen Körperteilen korrespondieren. Ziel ist es, die Selbstheilungskräfte des Körpers zu aktivieren.
  • Kraniosakraltherapie: Eine sanfte Form der Körperarbeit, die sich auf den Schädel (Cranium), die Wirbelsäule und das Kreuzbein (Sacrum) konzentriert. Sie wird häufig zur Behandlung von Kopfschmerzen, chronischen Schmerzen und Stress verwendet.
  • Manuelle Lymphdrainage: Diese sanfte Massageform fördert den Abfluss von Lymphflüssigkeit und unterstützt so die Entgiftung und Entstauung des Gewebes.
  • Massagetherapie: Verschiedene Massagetechniken, die zur Entspannung der Muskeln, zur Schmerzlinderung und zur Förderung der Durchblutung eingesetzt werden.
  • Myofascial Release: Eine spezielle Form der Faszientherapie, bei der durch langsame, tiefe Druckanwendungen und Dehntechniken Verklebungen im Bindegewebe gelöst werden, um Schmerzen zu lindern und die Beweglichkeit zu verbessern.
  • Osteopathie: Eine ganzheitliche Behandlungsform, die sich auf die Stärkung des Muskel-Skelett-Systems konzentriert. Osteopathen verwenden manuelle Techniken zur Verbesserung der Mobilität, zur Verringerung von Schmerzen und zur Unterstützung der allgemeinen Gesundheit.
  • Ozillierende Massageliege: Die oszillierende Massageliege ist ein medizinisches Gerät, das über mehrere Schwingungsaggregate eine tiefenwirksame Massage ermöglicht, die vor allem Verspannungen löst und Entspannung bei negativem Stress (sogenannter Disstress) bietet.
  • Schröpfkopfmassage: Durch das Aufsetzen von Schröpfgläsern und anschließende Bewegungen wird die Durchblutung gefördert und Verspannungen können gelöst werden.

Zielsetzung

Die Hauptziele der manuellen Therapie sind:

  • Schmerzlinderung
  • Verbesserung der Beweglichkeit und Funktion
  • Förderung der körperlichen Heilung und Regeneration
  • Verbesserung der Körperwahrnehmung und -haltung

Indikationen (Anwendungsgebiete)

  • Arthralgien (Gelenkschmerzen): Behandlung von Schmerzen und Bewegungseinschränkungen in Gelenken.
  • Bewegungseinschränkungen: Wiederherstellung und Verbesserung der Beweglichkeit, besonders bei eingeschränkten Gelenk- und Muskelfunktionen.
  • Kopfschmerzen und Migräne: Linderung von Spannungskopfschmerzen und Migräne, oft verbunden mit der Behandlung von Verspannungen im Nackenbereich.
  • Muskel- und Skelettschmerzen: Behandlung von Schmerzen und Dysfunktionen im muskuloskelettalen System, einschließlich chronischer Schmerzzustände.
  • Rücken- und Nackenschmerzen: Einsatz bei akuten und chronischen Schmerzen in der Wirbelsäule sowie bei Haltungsproblemen.
  • Postoperative Rehabilitation: Unterstützung der Genesung und Wiederherstellung der Funktion nach chirurgischen Eingriffen.
  • Sportverletzungen: Unterstützung der Heilung von Verletzungen, die durch sportliche Aktivitäten entstanden sind.
  • Schleudertrauma und Verletzungen der Halswirbelsäule: Behandlung von Beschwerden, die durch Verkehrsunfälle oder andere Traumata entstanden sind.
  • Tinnitus und bestimmte Arten von Schwindel: Unterstützende Behandlung bei Ohrgeräuschen und Schwindel, insbesondere wenn diese mit Verspannungen im Nacken- und Schulterbereich zusammenhängen.
  • Präventive Anwendungen: Vorbeugung von Beschwerden, insbesondere bei Personen mit sitzender Lebensweise oder geringer körperlicher Aktivität.

Kontraindikationen (Gegenanzeigen)

  • Akute Entzündungen oder Infektionen: Eine manuelle Therapie sollte vermieden werden, wenn akute entzündliche Prozesse oder Infektionen im Körper vorliegen, besonders in den zu behandelnden Bereichen.
  • Frische Frakturen: Bei kürzlich erlittenen Frakturen ist die manuelle Therapie kontraindiziert, bis eine angemessene Heilung erfolgt ist.
  • Schwere neurologische Störungen: Bei Patienten mit schweren neurologischen Erkrankungen, die mit signifikanten motorischen oder sensorischen Defiziten einhergehen, sollte die manuelle Therapie mit Vorsicht angewendet werden.
  • Bestimmte Herz-Kreislauf-Erkrankungen: Patienten mit schweren Herz-Kreislauf-Erkrankungen, wie instabiler Angina pectoris oder kurz nach einem Myokardinfarkt, sollten keine manuelle Therapie erhalten.
  • Fortgeschrittene Osteoporose: Bei Patienten mit fortgeschrittener Osteoporose besteht ein erhöhtes Risiko für Frakturen (Knochenbrüche), daher sollte die manuelle Therapie hier nur mit äußerster Vorsicht durchgeführt werden.
  • Schwere rheumatische Erkrankungen: Bei bestimmten schweren rheumatischen Zuständen, die mit erheblichen Entzündungen oder Gelenkdestruktionen (Gelenkzerstörungen) einhergehen, kann die manuelle Therapie kontraindiziert sein. Hier beispielhafte Erkrankungen: 
    • Aktive Phasen der rheumatoiden Arthritis: Während akuter Schübe mit ausgeprägten Entzündungen und Schwellungen in den Gelenken kann die manuelle Therapie die Symptome verschlimmern und sollte daher vermieden werden.
    • Ankylosierende Spondylitis (Morbus Bechterew) in fortgeschrittenen Stadien: Bei dieser Erkrankung kann es zu einer erheblichen Versteifung und Deformierung der Wirbelsäule kommen, was den Einsatz manueller Techniken einschränkt oder riskant macht.
    • Psoriasis-Arthritis mit schweren Gelenkzerstörungen: Wenn diese Erkrankung zu schweren Schädigungen und Deformierungen der Gelenke führt, kann die manuelle Therapie kontraproduktiv sein.
    • Systemischer Lupus erythematodes (SLE) mit schwerem Gelenkbefall: Bei schweren Gelenkentzündungen im Rahmen von SLE ist Vorsicht geboten, da die manuelle Therapie die Symptome verschlechtern kann.
    • Gichtarthritis während eines akuten Anfalls: Während eines Gichtanfalls können die betroffenen Gelenke extrem schmerzempfindlich sein, was die Anwendung manueller Techniken erschwert und potenziell schädlich macht.
  • Bestimmte Krebsarten: Bei Krebserkrankungen, insbesondere wenn diese den Bewegungsapparat betreffen oder wenn eine Metastasierung vorliegt, ist die manuelle Therapie kontraindiziert.

Das Verfahren

Die manuellen Therapien sind eine differenzierte Form der körperlichen Behandlung, die sowohl spezialisierte Techniken als auch ganzheitliche Behandlungsansätze umfassen, um Schmerzen zu lindern, die Beweglichkeit zu verbessern und das Wohlbefinden zu steigern. Sie basieren auf der Erkenntnis, dass Fehlstellungen und Funktionsstörungen des Bewegungsapparats, insbesondere der Wirbelsäule und Gelenke, zu Schmerzen und weiteren Symptomen führen können.

Kernmethoden der manuellen Therapie

  • Gelenkmanipulation: Diese Technik beinhaltet das gezielte Bewegen von Gelenken, um Blockierungen zu lösen und die Beweglichkeit zu verbessern. Häufig wird sie bei Wirbelverschiebungen eingesetzt, wobei der Therapeut mit präzisen Handgriffen und minimaler Kraft das Gelenk in seine ursprüngliche Position zurückführt. Ein charakteristisches Knackgeräusch kann dabei auftreten, was auf das Zurückgleiten des Gelenks in die korrekte Lage hindeutet.
  • Mobilisation: Sanfte Bewegungen und Dehnungen werden angewendet, um eingeschränkte Gelenkfunktionen zu verbessern. Diese Methode fördert die Flexibilität und verringert Schmerzen.
  • Myofasziale Techniken: Diese zielen auf die Entspannung und Dehnung von Muskeln und Bindegeweben ab, um Spannungen zu reduzieren und die Muskelkoordination zu verbessern.
  • Neuromuskuläre Techniken: Durch diese Methode wird die Muskelkoordination und -funktion verbessert, was besonders bei Muskelschmerzen (Myalgie) und Bewegungseinschränkungen hilfreich ist.
  • Craniosacrale Therapie: Eine sanfte Manipulation des Schädels und der Wirbelsäule wird hier durchgeführt, um Entspannung zu fördern und Schmerzen zu lindern.

Zusätzliche Behandlungsansätze

  • Weichteiltechniken: Gezielte Techniken zur Lösung von Muskelschmerzen.
  • Medizinische Kräftigungstherapie (MKT): Stärkung der Rückenmuskulatur zur Stabilisierung der Wirbelsäule.
  • Physiotherapie und Krankengymnastik: Ergänzende Maßnahmen zur Unterstützung der manuellen Therapie.

Ablauf der Behandlung

Zu Beginn erfolgt eine umfassende Untersuchung, um die Ursachen der Schmerzen zu identifizieren. Je nach Befund setzt der Therapeut eine Kombination aus verschiedenen manuellen Techniken ein. Die Behandlung erfolgt in einer speziell für das jeweilige Gelenk oder Wirbelsegment ausgerichteten Position. Die manuellen Therapien sind in der Regel schmerzfrei und werden von qualifizierten Therapeuten durchgeführt.

Beispiel für die manuelle Therapie

Ein Beispiel für die manuelle Therapie ist die Manipulation eines blockierten Gelenks. Je nach Lage des blockierten Gelenks wird der Therapeut den Patienten in eine spezielle Position bringen. Mit gezielten Handgriffen bringt der Behandler mit wenig Kraftaufwand das Gelenk zurück in seine ursprüngliche Position. Somit ist wieder eine gesunde, schmerzfreie Gelenkfunktion möglich. Mitunter hören Sie ein Knackgeräusch, wenn das Gelenk zurück in die physiologische Position gleitet.

Nach der Therapie

Nach der manuellen Therapie ist ein individuelles Aufbauprogramm entscheidend, um die langfristige Gesundheit des Bewegungsapparats zu gewährleisten und zukünftige Beschwerden zu vermeiden. Dies kann ergänzende Therapiemaßnahmen wie Physiotherapie, spezielle Übungsprogramme oder die Teilnahme an einer Rückenschule beinhalten.

Mögliche Komplikationen

  • Verstärkung von Schmerzen: Insbesondere bei zu intensiver Anwendung.
  • Verletzungen: Selten, aber möglich bei unsachgemäßer Anwendung.
  • Kreislaufreaktionen: Schwindel oder Kreislaufbeschwerden, besonders bei empfindlichen Personen.
  • Gelenk- oder Muskelreaktionen: Überbeanspruchung oder Überdehnung von Muskeln und Gelenken.

Unerwünschte Wirkungen der manuellen Medizin an der Lendenwirbelsäule und den Sakroiliakalgelenken (Kreuzbein-Darmbein-Gelenk) kommen selten vor.

Die manuelle Therapie bietet einen umfassenden, auf die individuellen Bedürfnisse des Patienten abgestimmten Behandlungsansatz, der sowohl akute als auch chronische Beschwerden des Bewegungsapparats effektiv adressiert.

Beachte: Die manuelle Therapie sollten ausschließlich weitergebildete Fachärztinnen/Fachärzte mit Zusatzweiterbildung (ZWB) Manuelle Medizin oder entsprechend weitergebildete zertifizierte Therapeuten/Therapeutinnen ausführen.

Ihr Nutzen

Ist die Ursache Ihres Schmerzes eine Blockierung, so kann die Lösung dieser durch einen ausgebildeten Manualtherapeuten Ihre Beschwerden dauerhaft beseitigen. Dazu ist es notwendig, im Anschluss an die Behandlung weitere individuelle Therapiemaßnahmen durchzuführen, um Blockierungen zukünftig zu vermeiden.

Die manuellen Therapien bieten Ihnen durch Beseitigung der Schmerzursache, dass Sie sich zukünftig wohler und vitaler fühlen.

Literatur

  1. Fünfgeld L et al.: Manuelle Medizin in der begleitenden Behandlung von Kindern mit infantiler Zerebralparese. European Journal of Manual Medicine Ausgabe 3/2020 Print ISSN: 0025-2514 Elektronische ISSN: 1433-0466 doi: https://doi.org/10.1007/s00337-020-00666-6
  2. Jiménez-del-Barrio S et al.: The effectiveness of manual therapy on pain, physical function, and nerve conduction studies in carpal tunnel syndrome patients: a systematic review and meta-analysis. Int Orthop. 2022 Feb;46(2):301-312. doi: 10.1007/s00264-021-05272-2.