Riechtraining
Riechstörungen wie Hyposmie (vermindertes Riechvermögen), Anosmie (Riechverlust) und Parosmie (Fehlwahrnehmungen von Gerüchen) treten häufig im Zusammenhang mit viralen Infektionen, Traumata oder neurologischen Erkrankungen wie Parkinson und Alzheimer auf. Insbesondere nach einer COVID-19-Infektion zeigen viele Patienten persistierende Einschränkungen des Geruchssinns. Das Riechtraining, entwickelt von Prof. Dr. Thomas Hummel (TU Dresden), bietet eine effektive Methode zur Rehabilitation der Riechfunktion durch gezielte neuronale Stimulation [2].
Hintergrund und Wirkungsweise des Riechtrainings
Das Riechtraining basiert auf der gezielten Stimulation der Riechrezeptoren und einer verbesserten zentralnervösen Verarbeitung im Gehirn. Studien zeigen, dass regelmäßiges Training die Neubildung von Riechrezeptoren in der Riechschleimhaut fördert und neuroplastische Prozesse unterstützt, wodurch die Verarbeitung der Duftinformationen verbessert wird [1]. Diese Mechanismen tragen zur langfristigen Wiederherstellung des Geruchssinns bei.
Durchführung des Riechtrainings
Grundprinzipien
Das Training wird zweimal täglich mit vier ausgewählten Duftstoffen durchgeführt, die jeweils unterschiedliche Duftrichtungen repräsentieren:
- Frisch/klärend – Eukalyptus oder Pfefferminze
- Lieblich – Rose
- Sauer – Zitrone oder Limette
- Bitter – Gewürznelke
Beachte: Keine intensiven Düfte (z. B. Alkohol, Essig) – Starke Reize könnten die Phantosmie verstärken.
Falls der Patient mehr Zeit investieren möchte, kann die Sitzung durch mehr Duftquellen oder eine Verlängerung der Schnupperzeit auf 45 Sekunden pro Nasenloch erweitert werden.
Die Duftstoffe können auf Wattestäbchen, Watte oder Vlies aufgetragen und in einem luftdichten Behältnis aufbewahrt werden.
Empfohlene Entfernung der Riechquelle:
- 3-5 cm Abstand vom Nasenloch
Ein Abstand von 3-5 cm wird empfohlen, um eine direkte Irritation der Nasenschleimhaut zu vermeiden. Dieser Abstand ermöglicht eine moderate, aber deutliche Reizintensität, die das zentrale olfaktorische System trainieren kann, ohne eine Überstimulation auszulösen.
Warum 3-5 cm?
- Zu nah (< 3 cm): Kann irritieren und eine Abwehrreaktion hervorrufen.
- Zu weit (> 5 cm): Reizintensität möglicherweise zu schwach, um eine gezielte neuronale Aktivierung zu erreichen.
Praktische Anleitung
1. Position
- Sitzen oder Stehen – In einer entspannten, aufrechten Haltung.
- Atmung – Ruhig und gleichmäßig durch die Nase atmen, um eine Überreizung der Nasenschleimhaut zu vermeiden.
2. Anwendung
- Wählen Sie vier verschiedene Düfte (z. B. Zitrone, Rose, Nelke, Eukalyptus).
- Halten Sie die Riechquelle in einem Abstand von 3-5 cm vom Nasenloch.
👉 Vorgehen für jedes Nasenloch:
- Linkes Nasenloch schließen – Mit dem rechten Nasenloch 30 Sekunden lang am Duft schnuppern.
- Rechtes Nasenloch schließen – Mit dem linken Nasenloch 30 Sekunden lang am gleichen Duft schnuppern.
Eine Pause von 20-30 Sekunden zwischen den Düften ist ideal, um:
- die Nasenschleimhaut nicht zu überreizen,
- den Geruchseindruck vollständig abklingen zu lassen,
- das Gehirn auf den nächsten Duftreiz vorzubereiten.
Falls es zu einer Überreizung kommt (z. B. Niesen oder unangenehme Geruchswahrnehmung), kann die Pause auf 30 Sekunden verlängert werden.
🔄 Wiederholen Sie diesen Ablauf für jeden der vier Düfte.
3. Kognitive Verknüpfung
- Während des Riechens den jeweiligen Duft laut benennen (z. B. „Zitrone“, „Rose“).
- Versuchen Sie, sich den Duft intensiv vorzustellen. Diese bewusste Verknüpfung hilft, das Gehirn neu zu trainieren.
4. Häufigkeit
- 2-mal täglich (morgens und abends).
- Dauer pro Sitzung: etwa 6 Minuten.
5. Regelmäßigkeit
- Das Training sollte täglich über mindestens 3-4 Monate durchgeführt werden, auch wenn anfänglich keine Veränderung spürbar ist.
Anpassungen bei Überempfindlichkeit
Sollten die Düfte zu intensiv wahrgenommen werden, können sie mit geruchsneutralem Öl oder Wasser verdünnt werden. Dies ermöglicht eine schrittweise Anpassung.
Klinische Evidenz und Erfolgsaussichten
Untersuchungen zeigen, dass Patienten, die konsequent ein Riechtraining durchführen, ihre Riechfunktion deutlich schneller verbessern können. Erste Erfolge sind meist nach drei bis vier Monaten sichtbar. Ergänzend hierzu zeigt eine Studie von D’Ascanio et al. (2021), dass die Kombination von Riechtraining mit oraler Supplementierung von Palmitoylethanolamid (PEA) und Luteolin zu einer verbesserten Wiederherstellung der Geruchsfunktion führte. Insbesondere Patienten mit lang anhaltenden Geruchsstörungen profitierten von dieser kombinierten Therapie. Frühzeitige Interventionen, bestehend aus Riechtraining und der Ergänzung mit PEA und Luteolin, könnten zudem helfen, SARS-CoV-2-assoziierten Geruchsverlust vorzubeugen. Weitere Studien sind jedoch notwendig, um diese Ergebnisse zu bestätigen [3].
Sicherheitshinweise
- Asthma-Patienten: Bei der Verwendung ätherischer Öle ist Vorsicht geboten, da sie Asthmaanfälle auslösen können. Alternativen wie natürliche Duftquellen (z. B. Früchte, Blumen) sind hier vorzuziehen.
- Allergiker: Bei Pollen- oder Duftstoffallergien sollten hypoallergene Alternativen genutzt werden.
Riechtraining in der HNO-Praxis
Die Implementierung des Riechtrainings in die HNO-Praxis erfordert eine fundierte Aufklärung der Patienten. Hierbei sollten folgende Punkte berücksichtigt werden:
- Diagnostik: Abklärung möglicher organischer, infektiöser oder neurologischer Ursachen der Riechstörung.
- Patientenschulung: Bereitstellung von schriftlichen Anleitungen und Riechsets.
- Kontrolluntersuchungen: Überprüfung des Fortschritts nach drei bis vier Monaten Training.
Fakten zum Geruchs- und Geschmackssinn
- Erneuerung der Riechzellen: Die Riechzellen in der Nasenschleimhaut regenerieren sich alle vier bis sechs Wochen.
- Anzahl der unterscheidbaren Gerüche: Menschen können mindestens eine Billion verschiedene Gerüche unterscheiden.
- Grundgeschmacksrichtungen: Die Zunge erkennt fünf Grundgeschmacksrichtungen: süß, sauer, salzig, bitter und umami.
- Zusammenspiel von Geruch und Geschmack: Ein vollständiges Geschmackserlebnis entsteht durch die Kombination von Geruchs- und Geschmackssinn.
- Entwicklung des Geruchsgedächtnisses: Das Geruchsgedächtnis bildet sich hauptsächlich in den ersten Lebensjahren und verbindet Düfte mit Emotionen und Erinnerungen.
Fazit
Das Riechtraining ist eine evidenzbasierte Methode zur Rehabilitation von Geruchsstörungen, die leicht in den Alltag integriert werden kann. Es erfordert Geduld und Kontinuität, bietet jedoch hohe Erfolgsaussichten durch neuroplastische Effekte und eine verbesserte zentrale Verarbeitung.
Ergänzend zeigt die Kombination mit Palmitoylethanolamid und Luteolin vielversprechende Ergebnisse, insbesondere bei lang anhaltenden Geruchsstörungen. HNO-Ärzte sollten Patienten aktiv zur Durchführung des Trainings anleiten und dessen Bedeutung im Rahmen der Therapie betonen.
Literatur
- Pieniak M, Oleszkiewicz A, Avaro V, Calegari F. & Hummel T: Olfactory training – Thirteen years of research reviewed. Neuroscience and Biobehavioral Reviews 2022;141, 104853. doi: 10.1016/j.neubiorev.2022.104853.
- Hummel T, Rissom K, RedenJ, Hähner A, Weidenbecher M, & Hüttenbrink KB: Effects of olfactory training in patients with olfactory loss. Laryngoscope 2009;119(3), 496-499. doi:10.1002/lary.20101.
- D’Ascanio L, Vitelli F, Cingolani C, Maranzano M, Brenner MJ & Di Stadio A: Randomized clinical trial “olfactory training” vs “olfactory training with palmitoylethanolamide and luteolin”: an efficacy study. Ear, Nose & Throat Journal 2021;100(2),140-144.