Physiotherapeutische Methoden des Beckenbodentrainings

Der Beckenboden ist eine oft unterschätzte Muskelgruppe, die wesentliche Funktionen im menschlichen Körper erfüllt. Er unterstützt die Organe im Unterbauch, trägt zur Kontinenz bei und ist essenziell für die Stabilisierung der Körpermitte. Physiotherapeutisches Beckenbodentraining hat sich als effektive Methode etabliert, um Funktionsstörungen vorzubeugen und zu behandeln.

In diesem Artikel beleuchten wir die Wichtigkeit der Methode, ihre Zielsetzung und Wirkungsweise sowie praktische Aspekte, von der Vorbereitung bis zur Nachsorge.

Warum ist die Methode wichtig?

Ein gut trainierter Beckenboden beugt gesundheitlichen Problemen vor und fördert die Lebensqualität. Er spielt eine zentrale Rolle für die Kontinenzkontrolle, die  Unterstützung von Schwangerschaften und Geburten sowie bei der Rehabilitation nach Operationen im Unterleib. Dysfunktionen können zu Inkontinenz, Schmerzen oder sexuellen Problemen führen, was Betroffene stark belastet. Ein gezieltes Beckenbodentraining hilft, die Muskeln zu stärken, die Wahrnehmung zu schulen und die Lebensqualität nachhaltig zu verbessern.

Was unterscheidet physiotherapeutische Methoden des Beckenbodens-Trainings von anderen Therapieformen

Die Physiotherapie des Beckenbodens ist eine Spezialdisziplin der Physiotherapie und an eine spezielle Zusatzausbildung gekoppelt. Es unterscheidet sich in Diagnostik und entsprechend gezielten therapeutischen Interventionen vom allgemeinen Beckenbodentraining. Physiotherapeutisch ausgebildete Beckenbodenspezialisten haben eine spezifische Weiterbildung in Urogynäkologie, Proktologie oder Beckenbodenrehabilitation absolviert. Dies geht über die allgemeine physiotherapeutische Ausbildung weit hinaus.

Zielsetzung und Wirkungsweise

Diagnostik und individuelle Analyse

  • In der spezialisierten Physiotherapie erfolgt eine gezielte Untersuchung des Beckenbodens. Dabei werden Faktoren wie die Muskelspannung (Hypertonie (erhöhter Blutdruck) oder Hypotonie (niedriger Blutdruck)), Fehlhaltungen, Atmung und mögliche Schmerzen berücksichtigt.
  • Je nach Problematik wird der Fokus entweder auf Kräftigung, Entspannung oder eine Verbesserung der Koordination gelegt.

Spezifische Techniken

  • Einsatz von biofeedbackgesteuerten Geräten, die helfen, die Aktivität der Beckenbodenmuskulatur sichtbar zu machen
  • Manuelle Therapie: Dazu gehören Techniken, die direkt am Beckenboden oder umliegenden Strukturen ansetzen.
  • Training von Alltagsbewegungen mit Beckenbodenintegration, z. B. beim Heben, Gehen oder Husten
  • Verhaltenstherapeutische Ansätze: Unterstützung bei der Integration der Übungen in den Alltag

Zielgruppe

  • Patienten mit spezifischen Diagnosen wie Inkontinenz (Stress-, Drang-, Mischinkontinenz), Prolaps (Organsenkung), Schmerzen (z. B. bei Endometriose, nach Geburten, Operationen oder bei Prostatabeschwerden)
  • Patienten nach Operationen (z. B. Prostataentfernung oder Gebärmutterentfernung)

Wirkungsweise

Durch spezifische Übungen wird die Muskulatur des Beckenbodens gezielt aktiviert und trainiert. Regelmäßige Kontraktionen stärken die Muskeln, verbessern die Durchblutung und fördern die neuronale Anbindung. Über biofeedbackbasierte oder manuelle Techniken wird die Körperwahrnehmung geschärft, wodurch die Betroffenen lernen, die Muskeln effektiver einzusetzen.

Indikationen (Anwendungsgebiete)

Physiotherapeutische Methoden des Beckenbodentrainings werden empfohlen bei:

  • Harn- oder Stuhlinkontinenz (Frauen/Männer)
  • Prolaps (Senkung von Blase, Gebärmutter oder Darm)
  • Schwangerschaft und Rückbildung
  • Schmerzen im Beckenbereich, dem sog. Pelvic Pain Syndrom (Frauen/Männer)
  • Nach Operationen im Beckenraum (Frauen/Männer)
  • Verbesserung der sexuellen Funktion
  • Bach Operationen oder Bestrahlungen der Prostata
  • Bei erektile Dysfunktion (Erektionsstörungen)

Vorteile

  • Nicht-invasiv – keine chirurgischen Eingriffe erforderlich
  • Breites Anwendungsspektrum – effektiv bei Prävention und Therapie
  • Verbesserte Lebensqualität – bessere Kontrolle und Stabilität
  • Förderung der Eigenkompetenz – Patienten lernen, selbst aktiv zu werden

Nachteile

  • Erfordert Geduld und Disziplin – Fortschritte sind meist erst nach Wochen spürbar
  • Erhalt der Wirksamkeit – gekoppelt an eine kontinuierliche Fortsetzung des Trainings, weil nach Unterbrechung schon nach wenigen Wochen die erreichten Fortschritte rückgängig werden
  • Begrenzte Wirksamkeit bei anatomischen Defekten – In solchen Fällen sind oft zusätzliche Maßnahmen notwendig.
  • Kosten – nicht alle Methoden werden von der Krankenkasse übernommen

Kontraindikationen (Gegenanzeigen)

  • Akute Infektionen im Beckenbereich
  • Ungeklärte Schmerzen
  • Frische Operationen ohne ärztliche Freigabe
  • Bestimmte neurologische Erkrankungen

Vor der Therapie

Ärztliche Beratung

Eine gründliche medizinische Abklärung ist essenziell. Der Arzt klärt über die Ursachen der Beschwerden auf und prüft, ob Beckenbodentraining durch physiotherapeutische Maßnahmen geeignet ist. Falls sie sinnvoll erscheint, erfolgt eine Überweisung an eine physiotherapeutische Praxis, die auf Beckenbodenproblematik spezialisiert ist.

Aufklärung über den Prozess

Nach physiotherapeutischer Untersuchung und Diagnostik wird ein spezieller Therapieplan erstellt.

Vorbereitung

Lockere Kleidung und die Möglichkeit, die Übungen in einer ruhigen Umgebung durchzuführen, sind hilfreich. Manchmal kommen Hilfsmittel wie Biofeedbackgeräte, Elektrostimulationsgeräte oder Vaginal-/Analkonen zum Einsatz. Auch Verhaltenstherapie zur Integration neuer Gewohnheiten kann hilfreich sein.

Das Verfahren

Das Training umfasst Übungen in unterschiedlichen Positionen (Liegen, Sitzen, Stehen), kombiniert mit Atemtechniken und manchmal unterstützenden Geräten. Die Übungen zielen darauf ab, die Muskeln bewusst anzuspannen und zu entspannen.

Welche Mechanismen haben Einfluss auf den Therapieerfolg?

  • Regelmäßigkeit – möglichst regelmäßiges Training mehrmals die Woche nach Beendigung der Physiotherapie
  • Motivation und Geduld – Die Erfolge der Physiotherapie des Beckenbodens bleiben nur bei regelmäßigem Erhaltungstraining konstant.
  • Unterstützung des Therapieerfolges durch Hilfsmittel, z. B. Vaginalkronen, Yoni-Eier, Liebeskugeln, Beckenbodentrainer mit App, Elektrostimulation, Lasertherapie, Radiofrequenztherapie, Beckenboden Magnetfeldtherapie

Ihr Nutzen

Ein gestärkter Beckenboden wirkt präventiv und therapeutisch. Viele Betroffene berichten von einer verbesserten Kontrolle, weniger Schmerzen und einem gestärkten Selbstbewusstsein. Das Training kann langfristig in den Alltag integriert werden, um die Muskulatur dauerhaft zu erhalten.

Mit der richtigen Anleitung und Geduld ist das physiotherapeutische Beckenbodentraining ein effektives Werkzeug zur Verbesserung der Lebensqualität und ein wichtiger Bestandteil moderner Präventions- und Therapiemethoden.

Autoren: Prof. Dr. med. G. Grospietsch, Dr. med. W. G. Gehring

Literatur

  1. AG GGUP – Gynäkologie Geburtshilfe Urologie Proktologie. Deutscher Verband für Physiotherapie ZVK e.V.
  2. S2k-Leitlinie: Harninkontinenz der Frau. (AWMF-Registernummer: 015-091), Januar 2022 Langfassung
  3. Soeder S: Beckenbodentraining – Welche Methoden sind sinnvoll? Gezielte Diagnostik und Therapie der Beckenbodenmuskulatur aus physiotherapeutischer Sicht. gynäkologie + geburtshilfe 2024,29 (5), 32-39