Ergotherapie

Die Ergotherapie ist ein eigenständiges anerkanntes Berufsgebiet in Deutschland und wird als medizinisches Heilmittel durch ärztliches Fachpersonal verordnet (griech.: ἔργον; altgriechische Aussprache érgon: "Werk; Arbeit"; therapeía: "Dienst; Behandlung"). Übersetzt bedeutet Ergotherapie "Arbeits- bzw. Beschäftigungstherapie", sie geht davon aus, dass das "Tätigsein" zu den Grundbedürfnissen des Menschen zählt.

Der Deutsche Verband der Ergotherapeuten (DVE) definiert die Ergotherapie folgendermaßen: "Ergotherapie unterstützt und begleitet Menschen jeden Alters, die in ihrer Handlungsfähigkeit eingeschränkt oder von Einschränkung bedroht sind. Ziel ist, sie bei der Durchführung für sie bedeutungsvoller Betätigungen in den Bereichen Selbstversorgung, Produktivität und Freizeit in ihrer persönlichen Umwelt zu stärken. Hierbei dienen spezifische Aktivitäten, Umweltanpassung und Beratung dazu, dem Menschen Handlungsfähigkeit im Alltag, gesellschaftliche Teilhabe und eine Verbesserung seiner Lebensqualität zu ermöglichen."

Beeinträchtigte Menschen erwerben mithilfe der Ergotherapie Handlungskompetenzen, sodass sie am Leben in einer individuell angepassten Weise wieder teilhaben können. Die Grundlage dieser Therapieform bilden sozialwissenschaftliche, medizinische sowie handlungsorientierte Aspekte. Dabei nimmt sich der Ergotherapeut des Bedürfnisses des Patienten an, trotz Krankheit oder Behinderung den Alltag sowohl im Beruf, als auch familiär und privat zu bewältigen. Dies wird durch Verbesserung der funktionellen Fähigkeiten sowie durch Erlernen von Kompensationsfähigkeiten z. B. mithilfe von Hilfsmitteln und Adaption der Umwelt erreicht. Ein weiterer sehr wichtiger Aspekt ist die Partizipation (Teilnahme) an der Gesellschaft. Im Ausland (z. B. USA) wird die Ergotherapie unter dem Begriff "occupational science" (Betätigungswissenschaften) geführt.

Zielsetzung und Wirkungsweise der Ergotherapie

Zielsetzung 

  • Förderung der Handlungsfähigkeit: Die Ergotherapie zielt darauf ab, Menschen jeden Alters zu unterstützen, deren Handlungsfähigkeit eingeschränkt oder bedroht ist. Durch gezielte Interventionen sollen sie in die Lage versetzt werden, bedeutungsvolle Aktivitäten in den Bereichen Selbstversorgung, Produktivität und Freizeit durchzuführen.
  • Verbesserung der Lebensqualität: Ein wichtiges Ziel der Ergotherapie ist es, die Lebensqualität der Patienten zu verbessern, indem sie befähigt werden, ihre täglichen Aktivitäten selbstständig und effektiv zu bewältigen.

Wirkungsweise 

  • Funktionsverbesserung: Durch gezielte Übungen und Aktivitäten werden motorische, sensorische, psychische und kognitive Fähigkeiten verbessert oder wiederhergestellt. Dies kann die Patienten dabei unterstützen, ihre Selbstständigkeit im Alltag zurückzugewinnen.
  • Kompensationsstrategien: Neben der Funktionsverbesserung werden auch Kompensationsstrategien erlernt, um mit dauerhaften Einschränkungen umzugehen. Dies kann die Nutzung von Hilfsmitteln, die Anpassung der Umgebung oder das Erlernen alternativer Handlungsweisen umfassen.
  • Teilhabe am Leben: Ein zentraler Aspekt der Ergotherapie ist es, den Patienten zu ermöglichen, aktiv am gesellschaftlichen Leben teilzunehmen. Dies kann durch die Förderung von sozialen Fähigkeiten, die Wiedereingliederung in den Arbeitsmarkt oder die Teilnahme an Freizeitaktivitäten erreicht werden.

Indikationen (Anwendungsgebiete)

  • Die Indikation zur Verordnung von Ergotherapie ergibt sich nicht aus der Diagnose einer bestimmten Erkrankung. Führt eine Störung oder ein Fähigkeitsverlust zu einer individuellen Notwendigkeit bzw. Therapiebedürftigkeit, so kann die Ergotherapie als Heilmittel verordnet werden. Einige medizinische Fachgebiete, wie z. B. die Geriatrie profitieren besonders von der Möglichkeit der Ergotherapie.

 

Medizinische Einsatzgebiete/ Arbeitsfelder

  • Geriatrie (Medizin des Alterns)
  • Neurologie (Nervenheilkunde)
  • Orthopädie/ Traumatologie
  • Pädiatrie (Kinderheilkunde)
  • Palliativmedizin (Sterbemedizin)
  • Psychiatrie
  • Rheumatologie (Fachrichtung der Medizin, die sich mit der Diagnose und Therapie von meist chronisch entzündlichen Erkrankungen, die zum rheumatischen Formenkreis zählen, beschäftigt)

Das Verfahren

Die Gestaltung der Ergotherapie ist unter anderem durch die Heilmittel-Richtlinien im Sozialgesetzbuch (SGB) näher bestimmt. Demnach dienen die Maßnahmen der Ergotherapie der Wiederherstellung, Entwicklung, Verbesserung, Erhaltung oder Kompensation von krankheitsbedingten gestörten motorischen, sensorischen, psychischen und kognitiven Fähigkeiten und Funktionen. Inhaltlichen stehen nach diesen Richtlinien vor allem komplexe aktivierende und handlungsorientierte Methoden bzw. Verfahren, unter Einsatz von adaptiertem Übungsmaterial, spielerischen, funktionellen, handwerklichen bzw. gestalterischen Techniken sowie lebenspraktische Übungen im Vordergrund. Das Erlernen von Ersatzfunktionen und die Verbesserung der eigenständigen Lebensführung, auch unter Einbeziehung technischer Hilfen, ist ein zentraler Bestandteil der Ergotherapie (Heilmittel-Richtlinien § 92 SGB V). Ergotherapeutische Maßnahmen laut Heilmittel-Richtlinien (§ 92 SGB V) sind:

  • Motorisch-funktionelle Behandlung – Gezielte Behandlung krankheitsbedingter motorischer Störungen mit und ohne Beteiligung des peripheren Nervensystems bzw. der daraus entstehenden Fähigkeitsstörungen. Zum Beispiel Aufbau und Erhalt physiologischer Funktionen und Verbesserung der Fein- und Grobmotorik.
  • Sensomotorisch-perzeptive Behandlung – Gezielte Behandlung krankheitsbedingter sensomotorischer Störungen (z. B. bei Erkrankungen des Zentralen Nervensystems) sowie der bedingten Fähigkeitsstörungen. Zum Beispiel Koordination, Umsetzung und Integration von Sinneswahrnehmungen, Verbesserung der Gleichgewichtsfunktion und Verbesserung der Mund- und Essmotorik.
  • Hirnleistungstraining/ neuropsychologisch orientierte Behandlung – Gezielte Therapie krankheitsbedingter Störungen der neuropsychologischen Hirnfunktion, insbesondere bei kognitiven Einschränkungen. Zum Beispiel Verbesserung und Erhalt von Aufmerksamkeit, Konzentration, Orientierung, Merkfähigkeit, Gedächtnis und Handlungsplanung bzw. Problemlösung.
  • Psychisch-funktionelle Behandlung – Gezielte Behandlung zur psychischen Stabilisierung. Zum Beispiel Stabilisierung von psychischen Grundleistungsfunktionen wie Antrieb, Ausdauer, Belastbarkeit, Flexibilität, Motivation und selbstständige Tagesstrukturierung.
  • Therapieergänzende Maßnahmen – Z. B. ergotherapeutische Schienen.
  • Ärztliche Diagnostik bei Maßnahmen der Ergotherapie – Z. B. Eingangsdiagnostik bei Erstverordnung der Ergotherapie sowie weitere Diagnostik bei Nichterreichen des Therapieziels.

Die Durchführung einer Ergotherapie ist leicht in drei Hauptphasen einzuteilen:

  1. Evaluation – Diagnostik und Befunderhebung ermöglichen das Festlegen von therapeutischen Zielen, dieser Prozess dauert auch während der Therapie an.
  2. Intervention – Planung der Therapie und Durchführung der ergotherapeutischen Maßnahmen.
  3. Outcome – Bewertung und kritische Betrachtung der Therapieergebnisse.

Dabei stehen unterschiedlichste Behandlungskonzepte zur Verfügung, um die Ziele der Ergotherapie zu erreichen. Die kompetenzzentrierte Methode nimmt sich der Wiederherstellung bzw. Verbesserung von (Grund-) Arbeitsfähigkeiten wie z. B. der Arbeitsrehabilitation an. Dabei werden Handlungsfähigkeiten für den gezielten Einsatz von Tätigkeiten und der Realitätsbezug gestärkt. Die interaktionelle Methode konzentriert sich auf die prozessorientierte Auseinandersetzung innerhalb einer Gruppe, sodass die Mitglieder einer Gruppentherapie sich untereinander verständigen und hier rüber ihre Erfahrungen austauschen können. Die ausdruckszentrierte Methode hingegen ermöglicht über kreativ-gestalterische Angebote eine Beschäftigung mit den eigenen Gefühlen und Wünschen. Der arbeitstherapeutische Ansatz dient (anders als der kompetenzzentrierte Ansatz) der primären Erlangung der Grundarbeitsfähigkeit, dies beinhaltet das Trainieren von Konzentration, Koordination, technischen Fähigkeiten oder Selbständigkeit.

Ergotherapeuten arbeiten hauptsächlich in Praxen für Ergotherapie, in Vorsorge-, Rehabilitations- und Fachkliniken oder in Gesundheitszentren. Weiterer Plattformen der Ergotherapie finden sich in Pflegeheimen, Wohnheimen für Menschen mit Behinderung, Sonderschulen, Frühförderzentren oder bei ambulanten sozialen Diensten.

Literatur

  1. Steding-Albrecht U, Scheepers C: Ergotherapie: Vom Behandeln zum Handeln: Lehrbuch für die theoretische und praktische Ausbildung. Georg Thieme Verlag 2011
  2. Ferber R: Indikationskatalog für die ambulante Ergotherapie: Die Darstellung des derzeitigen Spektrums der Ergotherapie in der Sozialversicherung.  Verlag Reinhild Ferber 2004
  3. Aulbert E, Nauck F, Radbruch L: Lehrbuch der Palliativmedizin. Schattauer Verlag 2011
  4. Website des Deutschen Verbandes der Ergotherapeuten (DVE)

Leitlinien

  1. S3-Leitlinie: Psychosoziale Therapien bei schweren psychischen Erkrankungen. (AWMF-Registernummer: 038 - 020), Oktober 2018 Kurzfassung Langfassung