Intracytoplasmatische Spermieninjektion (ICSI)

Die intrazytoplasmatische Spermieninjektion (ICSI) ist eine Methode der künstlichen Befruchtung. Dabei wird ein einzelnes Spermium mithilfe einer Mikrokapillare direkt in das Zytoplasma (Ooplasma) einer Eizelle injiziert. Das Verfahren wird stets kombiniert mit einer In-vitro-Fertilisation (IVF).

Das erste ICSI-Baby wurde am 14. Januar 1992 in Brüssel geboren.

Indikationen (Anwendungsgebiete)

  • Ausbleibende Fertilisierungen (fehlgeschlagene In-vitro-Fertilisationen) beispielsweise wegen male factor (Beeinträchtigung der Spermaqualität), Zona pellucida Defekt (Defekt der Gashaut, das heißt der Umhüllung der Eizelle), Spermatozoen-Antikörper (Antikörper gegen Spermien) etc.
  • Bei hochgradiger Einschränkung der Spermaqualität (OAT III – Oligo-Astheno-Teratozoospermie; Kryptozoospermie – siehe dazu Spermiogramm)
  • Verschlussazoospermie (= Fehlen reifer sowie unreifer Spermien im Ejakulat) – in solchen Fällen werden die Spermatozoen (Spermien) beispielsweise durch MESA (mikrochirurgische epididymale Spermienaspiration) aus dem Nebenhoden gewonnen
  • Testikuläre Azoospermie – z. B. wegen Hodenatrophie, Sertoli-cell-only-Syndrom etc. – in solchen Fällen werden beispielsweise die Spermatozoen durch mikrochirurgische Maßnahmen aus dem Hoden "TESE" (testikuläre Spermienextraktion) gewonnen
  • Fertilisierung von zuvor kryokonservierten Oozyten (Befruchtung von aufgetauten Eizellen). 
    Betrifft Frauen, die aufgrund einer keimzellschädigenden Therapie Eizellen kryokonservieren lassen und bei denen die künstliche Befruchtung mitunter erst mehrere Jahre danach erfolgt.

Vor der Behandlung

Einer intrazytoplasmatischen Spermieninjektion muss eine Untersuchung des Mannes durch Ärzte mit der Zusatzbezeichnung "Andrologie" vorausgehen. Diese umfasst eine Eigen‑, Familien- und Paaranamnese inkl. einer Sexualanamnese, eine körperliche Untersuchung sowie eine Ejakulatanalyse (u. a. Spermiogramm). Des Weiteren wird dieses bei sich ergebener Indikation ergänzt durch eine Skrotalsonographie sowie ggf. eine Hormondiagnostik und zyto- bzw. molekulargenetische Diagnostik.
Soweit sexuell übertragbare Erkrankungen (engl: sexually transmitted disease, STD) und andere urogenitale Infektion vorliegen, die die Frau bzw. das Kind gefährden können, müssen diese therapiert werden [Leitlinien: Diagnostik und Therapie vor einer assistierten reproduktionsmedizinischen Behandlung (ART)].

Das Verfahren

Bei der intrazytoplasmatischen Spermieninjektion wird ein einzelnes Spermium (Samenzelle) mithilfe einer Mikrokapillare direkt in das Zytoplasma (Ooplasma) einer Eizelle injiziert. Das Verfahren wird stets mit einer In-vitro-Fertilisation (IVF) kombiniert.

Neben dem ICSI-Verfahren gibt es das sogenannte PICSI-Verfahren (physiologische intrazytoplasmatische Spermieninjektion), bei dem die für die intrazytoplasmatische Injektion benötigten Spermien nicht nach morphologischen, sondern nach biochemischen Kriterien ausgewählt werden. Verwendet wird zur Selektion Hyaluronsäure. Hyaluronsäure ist ein wichtiger Bestandteil der Zona pellucida (Glashaut; Schutzhülle um die Eizelle). Reife Spermien binden sich darüber an der Zona pellucida. Die Hyaluronsäureselektion senkt den der Anteil der Spermien mit DNA-Schäden (Erbgutschäden) oder Aneuploidie (Auftreten anormaler Chromosomenzahlen im Zellkern). Gemäß einer Studie mit 2.752 Paaren war im Vergleich ICSI versus PICSI die Rate der gesund und reif geborenen Kinder gleich, ebenso der Anteil der Frühgeburten, jedoch endeten nach PICSI deutlich weniger Schwangerschaften in einer Frühgeburt als nach ICSI (4 % versus 7 %) [4].
Fazit: Da die Lebendgeburtenrate mittels PICSI vergleichbar mit dem ICSI-Verfahren ist, ist nach aktuellem Wissen von der Anwendung des Verfahrens abzuraten.

Schwangerschaftsraten

  • Die Schwangerschaftsrate in Deutschland lag 2016 pro Embryotransfer (ET) bei 33,8 % nach IVF und bei 31,8 % nach ICSI [6].
  • Erfolgsaussichten, nach Geburt eines ersten Kindes mithilfe der assistierten Reproduktionstechnik (ART; hier intrazytoplasmatische Spermieninjektion (ICSI) und IVF) ein weiteres Kind auf diesem Weg zu bekommen (Beachte: Bei drei Viertel der Frauen konnte auf überzählige gefrorene Embryonen vom ersten Mal zurückgegriffen werden), sind wie folgt [7]:
    • Bei 43,4 % der Fälle führte schon der erste Behandlungszyklus inklusive der Übertragung von gefrorenen Embryonen zur Geburt eines Kindes
    • Nach maximal drei kompletten Behandlungszyklen lag die kumulative Lebendgeburtenrate konservativ geschätzt bei 60,1 % und im besten Fall bei 81,4 %.
    • Kumulative Lebendgeburtenrate nach bis zu sechs Zyklen bewegt sich zwischen 50 % und 88 %.
  • Fertilitätsrate bei Männern mit Normozoospermie: frische Spermien versus Kryo-Spermien: 74,7 % Fertilitätsrate für frische gegenüber 73,7 % für kryokonservierte Spermien; Schwangerschafts- (41,6 % vs. 37,8 %) und Lebendgeburtenraten (35,8 % vs. 33,3 %) [8].
    Fazit: Kryokonservierte Spermien führen nicht zu schlechteren Schwangerschafts- und Lebendgeburtenraten.
  • Fehlbildungsrisiko: Bei Paaren mit männlicher Infertilität und Behandlung mit ICSI war mit einem erhöhten Risiko für größere urogenitale Fehlbildungen beim Kind verbunden (47,8 Fälle pro 10.000 Einlingsgeburten) [9].

Weitere Hinweise

  • Ergebnisse einer retrospektiven Studie mit Männern, bei denen eine Kryptozoospermie (< 1 Million Spermatozoen/ml) diagnostiziert worden war und ICSI durchgeführt wurde (Spermatozoen aus dem Ejakulat versus Spermatozoen, die durch testikuläre Spermienaspiration (TESA) oder konventionelle testikuläre Spermienextraktion (TESE) gewonnen worden waren) [3]:
    • Fertilisationsrate (Befruchtungsrate): 59,6 % versus 60,6 %
    • Embryonen mit guter Qualität: 36,8 % versus 46,1 %
    • Implantationsrate: 30,7 % versus 52,1 %
    • Schwangerschaftsrate: 33,3 % versus 53,6 %
    • Geburtenrate: 27,1 % versus 44,6 %
  • Nachteil der Spermatozoengewinnung per TESE/TESA: erhöhte Rate an Komplikationen durch:
    • Blutungen
    • Infektionen
    • testikuläre Atrophie
  • Kinder, die mithilfe einer intracytoplasmatischen Spermieninjektion gezeugt wurden, haben eine um ca. 57 % erhöhte Fehlbildungsrate. Dieses wird allerdings nicht auf die Technik zurückgeführt, sondern auf die Tatsache, dass diese Form der Infertilität Ausdruck einer genetischen Prädisposition ist [1].
  • Jungen, die mit einer intrazytoplasmatischen Spermieninjektion gezeugt werden, erben offenbar die Infertilität ihrer Väter. Dieses zeigen Ergebnisse von Spermiogramm-Untersuchungen: Spermiendichte im Ejakulat (7,7 versus Kontrollgruppe: 37,0 Millionen/ml), Gesamtzahl der Spermien (31,9 versus 86,8 Millionen) und die Zahl der motilen Spermien (12,7 versus 38,6 Millionen) [2].
  • Männer, die eine Fertilitätsbehandlung mit der Mikroinjektionstechnik ICSI (intrazytoplasmatische Spermieninjektion) durchführen lassen, haben ein signifikant höheres Risiko für ein Prostatakarzinom (47 % versus Männer der Kontrollgruppe) [5].

Intrazytoplasmatische Spermieninjektion (ICSI) versus konventionelle In-vitro-Fertilisation (IVF)

  • ICSI in einer randomisierten Studie führte zu keinen besseren Ergebnissen als eine konventio­nelle In-​vitro-Fertilisation (IVF), die Spermien und Eizellen ohne weitere Unterstützung in einer Nährlösung zusammen führt. In einer Studie dazu wurden zwischen April 2018 und November 2021 1.105 Paare auf eine ICSI-Gruppe und 1.175 Paare auf eine konventionelle IVF-Gruppe randomisiert. 
    Einschlusskriterium war eine mittelschwere männliche Unfruchtbarkeit mit einer Spermienkonzentration von 5 Mio. bis 15 Millionen pro Milliliter oder eine Motilität vom Typ A (schnell) oder B (langsam vorwärts beweglich). 
    Primärer Endpunkt war eine anhaltende Schwangerschaft, die nach dem ersten Zyklus zur Lebendgeburt führt:
    Diesen Endpunkt erreichten in der ICSI-Gruppe 390 Paare (33,8 %) und in der konventionellen IVF-Gruppe 430 Paare (36,6 %).
    Weitere Versuche führten in der ICSI-Gruppe für 45 % der Paare zu einem Erfolg gegenüber 51 % in der konventionellen IVF-Gruppe [10].

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Literatur

  1. Davies MJ. Moore VM, Willson KJ et al.: Reproductive Technologies and the Risk of Birth Defects. N Engl J Med 2012; 366:1803-1813 May 10, 2012
  2. Belva F et al.: Semen quality of young adult ICSI offspring: the first results. Hum. Reprod. Volume 31, Issue 12, 1 December 2016, Pages 2811–2820. doi: 10.1093/humrep/dew245.
  3. Cui X et al.: Comparison of the Clinical Outcomes of Intracytoplasmic Sperm Injection between Spermatozoa Retrieved From Testicular Biopsy and From Ejaculate in Cryptozoospermia Patients. Urology 2016; online 25. November. doi: 10.1016/j.urology.2016.08.071
  4. Miller D et al.: Physiological, hyaluronan-selected intracytoplasmic sperm injection for infertility treatment (HABSelect): a parallel, two-group, randomised trial. Lancet 2019; 393: 416-22 doi:https://doi.org/10.1016/S0140-6736(18)32989-1
  5. Al-Jebari et al.: Sub-fertility in men treated with ICSI associated with an increased risk of prostate cancer. ESHRE 2018, 2018-03-07T00: 00: 00-0500
  6. Deutsches IVF Register (2017) Jahrbuch 2016. J Reproduktionsmed Endokrinol 14:275-305
  7. Repon CP et al.: Cumulative live birth rates for women returning to ART treatment for a second ART-conceived child, Human Reproduction 2020 https://doi.org/10.1093/humrep/deaa030
  8. Torra-Massana M et al.: Sperm cryopreservation does not affect live birth rate in normozoospermic men: analysis of 7969 oocyte donation cycles. Human Reprod 2023; https://doi.org/10.1093/humrep/dead005
  9. Venetis C et al.: Risk for Congenital Anomalies in Children Conceived With Medically Assisted Fertility Treatment A Population-Based Cohort Study Annals of Internal Medicine 10 Oct. 2023 https://doi.org/10.7326/M23-0872
  10. Wang Y et al.: Intracytoplasmic sperm injection versus conventional in-vitro fertilisation for couples with infertility with non-severe male factor: a multicentre, open-label, randomised controlled trial Lancet February 05, 2024 doi:https://doi.org/10.1016/S0140-6736(23)02416-9

Leitlinien

  1. S2k-Leitlinie: Diagnostik und Therapie vor einer assistierten reproduktionsmedizinischen Behandlung (ART). (AWMF-Registernummer: 015-085), Februar 2019 Kurzfassung