Autogenes Training

Beim autogenen Training (aus dem altgriechischen autos: selbst; genos: entstehen) handelt es sich um ein Entspannungsverfahren der psychotherapeutischen Behandlung, welches unter anderem zur Stressreduktion dient, indem der Patient die kognitive Kontrolle über sein körperliches Empfinden erhalten soll. Das Verfahren zur Selbstentspannung, das mit weiteren imaginativen Entspannungsmethoden (Verfahren, mit denen die geistige Kontrolle über den Körper erweitert werden soll) kombiniert werden kann, ist leicht zu erlernen und dient daher einer Vielzahl von Personen als Methode zur Leistungssteigerung durch Stressreduktion. Zusätzlich wird eine Verbesserung des Wohlbefindens durch eine Verminderung von Schlafstörungen erreicht.

Entwickelt wurde das autogene Training vom Berliner Psychiater Johannes Heinrich Schultz in den 20er-Jahren des vergangenen Jahrhunderts, welches unter dem Namen "konzentrative Selbstentspannung" im Jahre 1932 veröffentlicht wurde und auf seinen Beobachtungen aus der Hypnoseforschung basiert.

Indikationen (Anwendungsgebiete)

  • Asthma bronchiale
  • Essstörungen – sowohl bei einer vorliegenden Adipositas als auch bei einer Anorexia nervosa 
  • Herzkreislauferkrankungen – Hypertonus, Angina pectoris und Herzrhythmusstörungen
  • Insomnie – Ein- und Durchschlafstörungen
  • Libidostörungen 
  • Schmerzbehandlung – Kopfschmerzen, Migräneattacken, chronische Schmerzen
  • Stressabbau bei einem möglichen Vorliegen einer stressassoziierten Erkrankung wie einem Magenulkus 
  • Suchtbehandlung – Nikotinsucht, Alkoholabusus, Medikamentenabusus, Drogenabusus
  • Konzentrationsdefizite
  • etc.

Kontraindikationen (Gegenanzeigen)

  • Erkrankungen des zentralen Nervensystems wie beispielsweise Hirntumoren
  • Hypochondrische Persönlichkeitsstörung
  • Geistige Behinderung
  • Psychiatrische Erkrankungen (abhängig von der Einschätzung des behandelnden Therapeuten)

Das Verfahren

Das Prinzip des autogenen Trainings beruht auf der Autosuggestion ("Selbsthypnose"), durch welche ein hypnotischer Ruhezustand hervorgerufen wird. In diesem Ruhezustand kann durch das Durchführen spezieller Übungen ein Umschalten des Empfindens auf körperlicher und geistiger Ebene erfolgen, sodass der Patient einen gesundheitsförderlichen Zustand erreicht. Dieser Ruhezustand soll parasympathische Körperreaktionen (Zustand des Nervensystems bei Ruhe und Entspannung) fördern und so zum schnellen Stressabbau führen. Als Besonderheit des Verfahrens ist anzuführen, dass bei der Ausübung des autogenen Trainings das Ausführen sonst "automatischer" Prozesse wie beispielsweise Körperbewegungen bewusst und kontrolliert geschieht.

Das autogene Training nach Schultz wird in mehrere Stufen eingeteilt. Die in der Psychotherapie häufig verwendete Stufe ist die Grundstufe, welche zwar bewiesenermaßen psychotherapeutisch wirksam ist, jedoch nicht das gesamte Spektrum der Wirkung des autogenen Trainings entfalten kann.

  • In der Grundstufe soll das vegetative Nervensystem positiv beeinflusst werden, um in einen parasympathischen Zustand zu gelangen. Zum Erlangen, des Ruhezustandes in der Grundstufe, werden sechs Übungen durchgeführt. Als Beispiel für die Übungen der Grundstufe kann die Schwere-Übung genannt werden, bei der der Patient ein Gefühl der Schwere und Entspannung in einem Körperareal spürt, welches sich im Verlauf der Übung auf den gesamten Körper ausbreitet.
  • In der Mittelstufe kann der Patient durch das Anwenden einer formelhaften Vorsatzbildung sein eigenes Verhalten beeinflussen.
  • In der Oberstufe soll es dem Patienten gelingen, durch das autogene Training eine Beeinflussung des Unterbewusstseins zu erreichen. Als Ziele der Oberstufe werden eine vertiefte Selbsterkenntnis und eine veränderte Charakterbildung genannt.

Zum Ablauf des autogenen Trainings:

  • Als Grundposition des autogenen Trainings ist eine entspannte sitzende oder liegende Haltung einzunehmen.
  • Ist dies erfolgt, so führt der Patient Selbstinstruktionen zur Entspannung mehrmals hintereinander aus.
  • Abhängig von der Stufe des autogenen Trainings werden beispielsweise Schwere-Übungen, Wärme- und Organübungen durchgeführt. Die Durchführung muss in monotonem Rhythmus mehrfach hintereinander erfolgen. Zusätzlich zur Selbstinstruktion wird der Patient vom Therapeuten angewiesen, sich die Übungen zu verbildlichen, sodass bei der Schwere-Übung neben dem Gefühl der Schwere in der Extremität noch zusätzlich ein Gefühl der Entspannung auftritt. Bei den Organ- und Wärmeübungen sind die Wahrnehmung der Atmung und des Herzschlages, das Wärmeempfinden im Bauchbereich und das Kälteempfinden im Stirnbereich anzuführen.
  • Durch die Konzentration des Bewusstseins auf die Entspannungszeichen des Körpers stellt sich ein Zustand der vegetativen Ruhe ein, der als hypnoseähnlicher Zustand gesehen werden kann.
  • Die so erreichte körperliche Entspannung geht auf das kognitive Empfinden des Patienten über und verstärkt den erreichten Ruhezustand weiter.
  • Das Erreichen dieses hypnoseähnlichen Stadiums bedarf der vollen Konzentration auf die körperlichen Entspannungsvorgänge, um ein komplettes Umschalten in einen parasympathischen Zustand zu ermöglichen.
  • Durch die volle Konzentration entsteht laut Schultz eine Distanz zum Empfinden äußerer Reize, die durch die Wiederholung der Übungen des autogenen Trainings verstärkt werden kann.
  • Um von den positiven Effekten des autogenen Trainings dauerhaft profitieren zu können, bedarf es einer mehrfachen Wiederholung der Übungen am Tag. Jede Übung sollte ungefähr zehn Minuten dauern.

Das Ausüben des autogenen Trainings kann den Patienten in einen Ruhezustand bringen, in dem er sich selbst stark körperlich und geistig beeinflussen kann, welches zur Beendigung eines Suchtverhaltens, aber auch einfach zum Stressabbau führen kann, um die täglichen Aufgaben im Beruf und darüber hinaus besser meistern zu können.

Praktische Anwendungen zur Ausübung des autogenen Trainings:

  • Die Formeln des autogenen Trainings sind relativ leicht zu erlernen. Am effektivsten ist das autogene Training, wenn Sie dreimal am Tag trainieren. Schaffen Sie sich eine entspannte Umgebung ohne Nebengeräusche bei einer angenehmen Raumtemperatur. Die Durchführung einer jeden Übung sollte bei entspannter Sitz- oder Liegeposition erfolgen.
  • Hat der Stuhl, in dem Sie es sich bequem machen, Armlehnen, so können Sie sich dort leicht abstützen. Die Füße sollten einen festen Stand auf dem Boden haben. Oberschenkel und Unterschenkel sollten einen rechten Winkel bilden.
  • Das Training beginnt, nachdem Sie Ihre Augen schließen und sich die Worte vorstellen "Ich bin ganz ruhig". Diese Formel ist kein eigentlicher Bestandteil einer Übung, sondern vielmehr eine Einstimmung auf die folgenden Ausführungen.
  • Sie können sich aussuchen, ob Sie das Wort geschrieben vor sich sehen oder es in Gedanken hören.
  • Anschließend stellen Sie sich vor, wie ein Pendel, welches sich einen Meter vor Ihnen befindet, schwingt und Sie sich auf die Bewegung des Pendels einstellen. Sie betrachten in Gedanken eine Position (auf der Uhr beispielsweise zwölf Uhr), an der das Pendel vorbei schwingt. Sie konzentrieren sich auf die Bewegung des Pendels und spüren, dass Sie entspannter werden.
  • Als erste Muskelentspannungsübung wird die Schwere-Übung durchgeführt:
  1. Sie erinnern sich wieder an den Grundgedanken und denken "Ich bin ganz ruhig".
  2. Nun stellen Sie sich vor, dass Ihr rechter Arm schwer ist und konzentrieren sich etwa dreimal auf die gedachte Formel.
  3. Anschließend wiederholen Sie dies mit dem linken Arm in Gedanken.
  4. Nun stellen Sie sich vor, dass beide Arme schwer sind und konzentrieren sich etwa dreimal auf das Gedachte.
  5. Jetzt sind beide Beine schwer. Die Konzentration auf die schwer werdenden Beine sollte dreimal erfolgen.
  6. Nun fällt Ihre Konzentration dreimal auf das Schwerwerden aller Glieder.
  7. Nach der Übung führen Sie das "Zurücknehmen" aus und zählen in Gedanken von sechs bis eins und wenn Sie sechs sagen, fühlen Sie sich wach und wohl. Alle Sinne von Ihnen nehmen die Wirklichkeit wahr, wie sie ist. Bei der Zahl fünf werden die Arme leicht. Bei den Zahlen vier und drei beruhigen sich Ihr Herzschlag und Ihre Atmung. Bei zwei spüren Sie eine normale Temperatur auf der Stirn und bei eins holen Sie tief Luft und öffnen die Augen.
  8. Bei jeder Übung ist es wichtig, dass Sie sich in Gedanken sagen, dass Ihre Extremitäten schwer sind und nicht werden, da dies eine Erwartungshaltung auslösen kann.
  9. Neben der Schwere-Übung können Sie noch weitere Übungen durchführen. Der Ablauf weiterer Übungen ist dem der Schwere-Übung ähnlich.

Literatur

  1. Wöller W: Tiefenpsychologisch fundierte Psychotherapie: Basisbuch und Praxisleitfaden. Schattauer Verlag 2005
  2. Krapf G: Autogenes Training: Ein Gruppenkurs. Springer Verlag 2004
  3. Schultz J: Das Original-Übungsheft für das Autogene Training Anleitung vom Begründer der Selbstentspannung. Trias Verlag 2004
  4. Hoffmann B: Handbuch des autogenen Trainings. Grundlagen, Technik, Anwendung. dtv 1996
  5. Pfeifer B: Onkologie integrativ: Konventionelle und komplementäre Therapie. Elsevier Verlag 2006