Thromboembolierisiko bei Einnahme kombinierter hormoneller Kontrazeptiva

Nachfolgend sind die wichtigsten Daten zum Thromboembolierisiko (Verschluss eines Blutgefäßes durch einen losgelösten Thrombus (Blutpfropf )) unter einer hormonellen Kontrazeption (Empfängnisverhütung mit Hormonen) zusammengestellt. Sie beziehen sich auf einen „Rote- Hand-Brief“ zu kombinierten hormonellen Kontrazeptiva der Arzneimittelkommission der deutschen Ärzteschaft [1]. Abgestimmt wurde das Schreiben mit der Europäischen Arzneimittel-Agentur (EMA), den Inhabern der Zulassung und dem Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte (BfArM), ergänzt durch jüngere Literatur [2,3] und die S3-Leitlinie hormonelle Empfängnisverhütung.

Die WHO hat zur Erleichterung der Problematik vier Kategorien von Risikokonstellationen angegeben, die regelmäßig überarbeitet und gegebenenfalls ergänzt werden.

WHO: Medical eligibility criteria for contraceptive use. 5th ed, Geneva, WHO, 2015

Kategorien Beschreibung
1 uneingeschränkte Anwendung von KOK (kombinierte orale Kontrazeptiva);
Nutzen überwiegt Risiko uneingeschränkt
2 Nutzen > Risiko
3 Risiko ≥ Nutzen (relative Kontraindikationen); nur nach ausführlicher Aufklärung und Fehlen von Alternativen 
4 Kontraindikation (Gegenanzeigen) wegen hoher Gesundheitsrisiken


Venöses Thromboembolie-Risiko unter KOK (oral, nicht oral (Vaginalring, Pflaster)

  • Die jüngeren Bewertungen bestätigen die bisherige Einschätzung, dass das Risiko für das Auftreten venöser Thromboembolien (VTE; (Verschluss einer Vene durch einen losgelösten Blutpfropf)) unter allen niedrig dosierten KHK (Ethinylestradiol-Gehalt < 50 μg) gering ist.
  • Es gibt klare Belege dafür, dass, in Abhängigkeit vom enthaltenen Gestagen, Unterschiede hinsichtlich des VTE-Risikos zwischen KHK bestehen. Aktuell verfügbare Daten deuten darauf hin, dass kombinierte hormonelle Kontrazeptiva (KHK; Empfängnisverhütung mit kombinierten Hormonen), die die Gestagene Levonorgestrel, Norethisteron oder Norgestimat enthalten, das niedrigste VTE-Risiko unter den kombinierten hormonalen Kontrazeptiva aufweisen (siehe Tabelle 1 unten).
  • Bei der Verordnung von KHK sind die Risikofaktoren jeder einzelnen Frau/Anwenderin – insbesondere jene für VTE – sowie die Unterschiede, die zwischen den einzelnen Präparaten hinsichtlich des VTE-Risikos bestehen, zu berücksichtigen.
  • Es besteht keine Notwendigkeit, das Präparat abzusetzen, wenn bisher keine Probleme bei der Anwendung des kombinierten hormonalen Kontrazeptivums aufgetreten sind.
  • Es gibt keine Belege dafür, dass bei niedrig dosierten KHK (Ethinylestradiol-Gehalt < 50 μg) Unterschiede hinsichtlich des Risikos für eine arterielle Thromboembolie (ATE) bestehen.
  • Bei den meisten Frauen überwiegt der mit der Anwendung von KHK verbundene Nutzen das Risiko für das Auftreten schwerwiegender Nebenwirkungen bei Weitem. Der Fokus liegt nun auf der Bedeutung der individuellen Risikofaktoren der einzelnen Frau/Anwenderin sowie der Notwendigkeit, Risikofaktoren regelmäßig neu zu beurteilen. Zudem soll das Bewusstsein für die Anzeichen und Symptome einer VTE bzw. ATE geschärft werden. Diese Anzeichen und Symptome sind den Anwenderinnen, denen KHK verordnet werden, zu beschreiben.
  • Die Möglichkeit einer KHK-bedingten Thromboembolie ist stets in Erwägung zu ziehen, wenn sich eine Anwenderin mit entsprechenden Symptomen vorstellt.

1 KHK, die Ethinylestradiol oder Estradiol plus Chlormadinon, Desogestrel, Dienogest, Drospirenon, Etonogestrel, Gestoden, Nomegestrol, Norelgestromin oder Norgestimat enthalten.

VTE-Risiko bei kombinierten hormonellen Kontrazeptiva

Gestagen, welches im KHK enthalten ist
(kombiniert mit Ethinylestradiol, sofern nicht anders angegeben)
Relatives Risiko im Vergleich zu Levonorgestrel
Geschätzte Inzidenz
(pro 10 000 Frauen und Anwendungsjahr)
Nichschwangere Nichtanwenderinnen - 2
Levonorgestrel Referenz 5-7
Norgestimat/Norethisteron 1,0 5-7
Dienogest 1,6 8-11
Gestoden/Desogrestrel/Drospirenon 1,5-2,0 9-12
Etonogestrel/Norelgestromin 1,0-2,0 6-12
Chlormadinonacetat/Nomegestrolacetat (Estradiol) Noch zu bestätigen1 Noch zu bestätigen1

1Um aussagekräftige Daten für das Risiko dieser Präparate erheben zu können, werden weitere Studien durchgeführt oder sind geplant.
Kombinierte hormonale Kontrazeptiva, die Chlormadinon und Ethinylestradiol enthalten, sind einer Studie zufolge mit einem höheren Risiko für venöse Thromboembolien (VTE) assoziiert als Levonorgestrel/Ethinylestradiol-haltige kombinierte hormonale Kontrazeptiva bei Anwendung im 28-Tage-Zyklus [8].

Weitere Hinweise

  • Nicht-orale kombinierte hormonelle Kontrazeptiva, z. B. Kontrazeptionspflaster, Vaginalring haben, wie orale kombinierte Kontrazeptiva, im Vergleich zu Levonorgestrel ein zum Teil deutlich erhöhtes Thromboserisiko zwischen (2-7-fach) [S3-Leitlinie].
  • Thromboembolierisiko unter Gestagen-Monotherapie (oral, intrauterin, intramuskulär): orale und intrauterine Gestagen-Monotherapie führt nicht zu einem erhöhten Risiko für thromboembolische Ereignisse [4, Leitlinie]. Dies gilt nicht für die intramuskuläre Dreimonatsspritze mit Depot Medroxyprogesteronacetat. Sie hat einen 6,5-fach erhöhtes Thromboserisiko [S3-Leitlinie].
  • Die Kombination von hormoneller Kontrazeption und NSAR-Einnahme erhöht das Thromboembolierisiko auf das bis zu 45-Fache [7].

Thromboembolisches Rezidivrisiko unter Antikoagulation (Gerinnungshemmung)

Obwohl von den meisten Fachgesellschaften nach einem Thromboembolieereignis orale Kontrazeptiva automatisch abgesetzt werden sollen, wird dies heute zunehmend kontrovers diskutiert, da die prothrombotischen Hormoneffekte (gerinnungsfördernde Hormoneffekte) durch die Antikoagulation kompensiert werden.
Bisher gibt es dazu nur eine Studie [6]. Die Autoren fanden bei 18 88 Frauen keine Unterschiede in der Rate rezidivierender VTE unter Antikoagulation und unterschiedlichen Hormongaben.

Das Risiko thromboembolische Komplikationen und war unter einer Therapie mit Rivaroxaban oder Warfarin bei Patientinnen

  • ohne Hormonexposition 4,7 %/Jahr (N = 1413)
  • östrogenhaltige Präparate 3,7 %/Jahr (N = 306)
  • Gestagen-Monopräparate 3,8 %/Jahr (N = 217)

Obwohl weitere valide Daten nicht existieren, kann entsprechend Expertenmeinungen folgendes Prozedere (Verfahrensweise) diskutiert werden:

  • kombinierte Kontrazeptiva sollten wegen eines bisher nicht klaren Gesundheitsrisikos abgesetzt werden
  • Gestagen-Monopräparate werden überwiegend als unproblematisch angesehen, da der zu erwartende Nutzen das potentielle Risiko übersteigt, Ausnahme: Dreimonatsspritze: Depot Medroxyprogesteronacetat)
  • Gestagen-Monopräparate sind auch nach Beendigung der Antikoagulation Mittel der Wahl zur Antikonzeption (Ausnahme: Dreimonatsspritze: Depot-Medroxyprogesteronacetat)
  • eine ungeplante Schwangerschaft stellt unter Antikoagulantien ein hohes Risiko für die Patientinnen dar, durch
    • erneute thromboembolische Komplikationen infolge der schwangerschaftsbedingten erhöhten Gerinnungsaktivität
    • sowohl Warfarin als auch NOAKs (neue orale Antikoagulantien) haben ein erhöhtes Embryotoxizitätsrisiko

Thromboembolisches Rezidivrisiko ohne Antikoagulation

  • Der Einsatz von hormonellen kombinierten Kontrazeptiva (oral, transdermal ("durch die Haut"), vaginal) bei Patienten nach einem akuten oder früheren Thromboembolieereignis ist kontraindiziert (nicht angezeigt).
  • Zur Antikonzeption (Empfängnisverhütung) sollte eine Gestagen Monotherapie (oral, intrauterin) durchgeführt werden, da der Nutzen eine mögliche bisher nicht nachgewiesene Gefährdung überwiegt
  • Von der Anwendung von Depot-Medroxyprogesteronacetat (Dreimonatsspritze) wird abgeraten, da es keine Daten dazu gibt.

Thromboembolierisiko bei prädisponierender Faktoren (Adipositas, Hyperlipidämie/Fettstoffwechselstörung, Hypertonie/Bluthochdruck, Nikotin) (Leitlinie)

Die Studienlage für die genannten Risikofaktoren ist schlecht und wenig aussagekräftig. Wenn überhaupt, scheinen diese Risikokonstellationen nur einen geringen Einfluss auf das Thromboembolierisiko zu haben. Unter Gestagen-Monotherapie scheint es kein Risiko zu geben, bei ebenfalls schlechter Studienlage.

Arterielles Thromboembolierisiko (ATE) (Leitlinie)

Das arterielle Thromboembolierisiko bezieht sich auf den Myokardinfarkt (Herzinfarkt) und den ischämischen Hirninfarkt, zwei Faktoren, die mit einer hohen Mortalität (Sterberate) verbunden sind. Wichtigster Risikofaktor, der allerdings nicht beeinflussbar ist, ist die altersabhängige Zunahmehäufigkeit. Daneben gibt es angeborene und erworbene Risikofaktoren, die das Risiko erhöhen, z. B. Angina pectoris ("Brustenge"; plötzlich auftretender Schmerz in der Herzgegend), Diabetes mellitus, Fettstoffwechselstörungen, Hypertonus (Bluthochdruck, Rauchen und Migräne. Die Datenlage ist wegen der Seltenheit der Ereignisse in der Altersgruppen von Frauen, die Verhütungsmaßnahmen anwenden, ungenügend
Folgende Empfehlungen werden gegeben:

  • kombinierte hormonelle Kontrazeptiva (KHK) sollten vermieden werden, da das Risiko für einen Myokardinfarkt und ischämische Hirninfarkte durch die Einnahme der Östrogene auf das Gerinnungssystem zunimmt. Das Risiko ist abhängig von der Ethinylestradiol-Dosis. Das relative Risiko für einen Myokardinfarkt beträgt unter KOK 1,6, für einen Schlaganfall 1,7.
  • orale Gestagen-Monopräparate haben keinen Einfluss auf das ATE.
  • Gestagen-Implantate und gestagenenhaltige Intrauterinpessare haben keinen Einfluss auf das ATE.
  • die Dreimonatsspritze sollte vermieden werden, da hoch dosierte Gestagene einen negativen Einfluss auf die Blutlipide (Blutfettwerte) haben.

Literatur

  1. Wichtige Mitteilung über ein Arzneimittel: Rote-Hand-Brief zu kombinierten hormonalen Kontrazeptiva: Unterschiede hinsichtlich des Thromboembolie-Risikos bei unterschiedlichen Präparaten. Arzneimittelkommission der deutschen Ärzteschaft. AkdÄ Drug Safety Mail 04-2014,Schreiben vom 30. Januar, 2014
  2. Vinogradova Y et al.: Use of combined oral contraceptives and risk of venous thromboembolism: nested case-control studies using the QResearch and CPRD databases. BMJ 2015;350:h2135
  3. O’Brien SH, Koch T, Vesely SK, Schwarz EB: Hormonal contraception and risk of thromboembolism in women with diabetes. Diabetes Care. 2017 Feb;40(2):233-238. doi: 10.2337/dc16-1534. Epub 2016 Nov 29.
  4. Tepper NK, Whiteman MK, Marchbanks PA, James AH, Curtis KM: Progestin-only contraception and thromboembolism: A systematic review. Contraception. 2016 Dec;94(6):678-700. doi: 10.1016/j.contraception.2016.04.014. Epub 2016 May 3.
  5. van Hylckama Vlieg A, Helmerhorst FM, Rosendaal FR: The risk of deep venous thrombosis associated with injectable depot-medroxyprogesterone acetate contraceptives or a levonorgestrel intrauterine device. Arterioscler Thromb Vasc Biol. 2010 Nov;30(11):2297-300. doi: 10.1161/ATVBAHA.110.211482. Epub 2010 Aug 26.   
  6. Martinelli I, Lensing AW, Middeldorp S, Levi M, Beyer-Westendorf J, van Bellen B, Bounameaux H, Brighton TA, Cohen AT, Trajanovic M, Gebel M, Lam P, Wells PS, Prins MH: Recurrent venous thromboembolism and abnormal uterine bleeding with anticoagulant and hormone therapy use. Blood. 2016 Mar 17;127(11):1417-25. doi: 10.1182/blood-2015-08-665927. Epub 2015 Dec 22.
  7. Meaidi A et al.: Venous thromboembolism with use of hormonal contraception and non-steroidal anti-inflammatory drugs: nationwide cohort study. BMJ 2023;382:e074450; https://doi.org/10.1136/bmj-2022-074450
  8. Rote-Hand-Brief zu Chlormadinon/Ethinylestradiol-haltigen kombinierten hormonalen Kontrazeptiva: Leicht erhöhtes Risiko für venöse Thromboembolien AkdÄ Drug Safety Mail | 2024–08 | 23.02.2024

Leitlinien

  1. S3-Leitlinie: Hormonelle Empfängnisverhütung. (AWMF-Registernummer: 015 - 015), September 2020 Langfassung