Detoxikationsverfahren in einer Übersicht
Bei den Detoxikationsverfahren handelt es sich um therapeutische Methoden verschiedener medizinischer Fachrichtungen, insbesondere der Toxikologie und Nephrologie, welche dem Entzug von toxischen Substanzen (Giftstoffe) aus dem Blutkreislauf beziehungsweise dem gesamten Organismus des Patienten dienen. Das Einsatzgebiet der Detoxikationsverfahren erstreckt sich über diverse Bereiche wie beispielsweise von einer akuten Intoxikation (Vergiftung) bis hin zur dauerhaften Therapie bei chronischen Nierenschäden bzw. chronischer Niereninsuffizienz. Gerade bei einer akuten Intoxikation mit Arzneimitteln, die in Deutschland die häufigste Intoxikationsform darstellt, dienen die verschiedenen Detoxikationsverfahren als Mittel der Wahl. Handelt es sich bei den zu eliminierenden Substanzen um Auslöser einer akuten Intoxikation, so sind primär die Vitalfunktionen zu sichern. Im Anschluss hieran erfolgt der Gebrauch der Detoxikationsverfahren.
Die Detoxikationsverfahren lassen sich in zwei Hauptgruppen einteilen: die primären und die sekundären Detoxikationsverfahren. Ein primäres Detoxikationsverfahren zeichnet sich dadurch aus, dass es alle Maßnahmen zur Resorptionsverminderung (Aufnahmeminderung) der aufgenommenen Toxine und Schadstoffe umfasst. Die Wahl des Verfahrens ist sowohl abhängig vom Ort der Toxinaufnahme, den Eigenschaften des Toxins, dem Zeitintervall zwischen Giftaufnahme und Behandlungsbeginn als auch von der aufgenommenen Menge und dem klinischen Zustand des Patienten. Somit lässt sich hieraus schließen, dass die Indikation (Anzeige zur Anwendung) zur primären und sekundären Giftelimination oder der Einsatz von Antidoten eine genaue Bewertung der substanzspezifischen Toxikokinetik (Giftverhalten im Körper) und der Patientendaten voraussetzt.
Indikationen (Anwendungsgebiete)
- Aufnahme einer potentiell letalen Toxindosis zu Therapiebeginn
- Niedrigere endogene Toxinclearance (körpereigene Toxinentfernung) als durch exogene Entfernung (körperfremde Entfernung) möglich wäre
- Vorliegen von Leber- oder Niereninsuffizienz
Die Verfahren
Primäre Detoxikationsverfahren
- Aktivkohlegabe – diese Form der Detoxikation spielt heute immer noch eine wichtige Rolle in der Behandlung von akuten Intoxikationen, da die verwendete Kohle über eine hohe Adsorptionsleistung (Aufnahmefähigkeit) aufgrund der großen Oberfläche verfügt. Die zu applizierende Dosis ist direkt abhängig vom Körpergewicht. Somit kann eine unspezifische Bindung diverser Substanzen gewährleistet werden. Zu beachten ist jedoch, dass die Gabe von Aktivkohle bei organischen Lösungsmitteln, Säuren, Laugen und Salzen unwirksam ist. Des Weiteren sollte vermieden werden, dass Aktivkohle nach einer Ingestion (Aufnahme über den Mund) von ätzenden Substanzen benutzt wird, da dies eine vielleicht notwendige Folgeendoskopie zur Ermittlung eventueller Schleimhautschäden unmöglich machen könnte.
- Magenspülung – dieses Detoxikationsverfahren gilt heute in den meisten Fällen nicht mehr als Mittel der Wahl bei einer akuten Intoxikation, da es mit massiven Risiken wie beispielsweise einer Aspirationspneumonie (Lungenentzündung durch Nahrungsbestandteile im Respirationstrakt), Herzrhythmusstörungen oder einer Wasserintoxikation bei Kindern assoziiert ist. Besonders die Beeinflussung des kardiovaskulären Systems (Herzkreislaufsystems) beruht auf der Spülung des Magens mit 10 bis 20 Litern Wasser. Angezeigt ist diese Therapiemaßnahme somit nur bei der Aufnahme großer Toxinmengen und bei einer Unwirksamkeit von Aktivkohle. Durchschnittlich werden jedoch nur 30 % des aufgenommenen Toxins adäquat entfernt. Überdies ist bei einem drohenden Bewusstseinsverlust zu beachten, dass eine Intubation (künstliche Beatmung) erfolgt. Auch nicht kooperative Patienten sollten intubiert werden, um hierdurch bedingte Folgeschäden zu verhindern.
- Induziertes Erbrechen – durch eine mechanische Reizung des Rachens oder die Aufnahme von Ipecacuanha-Sirup kann der Brechreiz ausgelöst werden. Sollte es sich jedoch bei der aufgenommenen schädlichen Substanz um eine ätzende Substanz handeln, so darf kein Erbrechen induziert werden. Problematisch ist jedoch, dass der Brechreiz viele Stunden anhalten kann.
Sekundäre Detoxikationsverfahren
Unter sekundärer Detoxikation werden die Maßnahmen zur Eliminierung von schädlichen Substanzen aus dem Blutkreislauf zusammengefasst. Das Grundprinzip der sekundären Detoxikationsverfahren ist die Beschleunigung der Giftelimination aus dem Organismus. Zur Auswahl des sekundären Detoxikationsverfahrens ist das Vorhandensein von detaillierten Kenntnissen zur Resorptionskinetik (Wirkstoffaufnahme), Elimination, Metabolismus (Wirkstoffabbau) und Verteilungsvolumen der zu entfernenden Substanz notwendig. Die Indikation zu extrakorporalen Eliminationsverfahren sollte sich dabei stets auf das klinische Bild, auf neurologische Zusatzuntersuchungen und das Vorliegen von gefährlichen Blutkonzentrationen stützen.
- Hämoperfusion – dieses sekundäre Detoxikationsverfahren stellt ein extrakorporales (außerhalb des Körpers) Eliminationsverfahren dar, welches auf dem Prinzip der Entfernung von toxischen Substanzen aus dem Blut unter Verwendung eines spezifischen Adsorptionssystems (Toxinanreicherung an einem Feststoff) beruht. Zum Einsatz kommt die Hämoperfusion bei der Entfernung exogener (von außen zugeführter) Giftstoffe, die nicht mittels Hämodialyse oder Hämofiltration adäquat aus dem Körper eliminiert werden können. Beispielsubstanzen, die mittels Hämoperfusion aus dem Blutkreislauf entfernt werden können, sind Theophyllin (in der Asthmatherapie eingesetzte Wirksubstanz) und die schmerzlindernde Substanz Paracetamol.
- Plasmaseparation – mittels Plasmaseparation können Substanzen filtriert werden, die über eine definierte Größe verfügen. Des Weiteren müssen die Substanzen durch eine gute Eiweißbindung gekennzeichnet sein und ein geringes Verteilungsvolumen aufweisen. Als wichtigste Beispielsubstanz kann das Digitoxin (Giftstoff aus der Pflanze "Fingerhut") genannt werden. Auch bei der Plasmaseparation handelt es sich um ein extrakorporales Verfahren, sodass die gegebene Substanz im Plasma in großen Mengen gelöst sein muss. Wie bei allen extrakorporalen Detoxikationsverfahren wird die Entfernung der schädlichen Substanz durch eine hohe Eiweißbindung limitiert.
- Hämodialyse – das Prinzip der Hämodialyse, die primär bei Niereninsuffizienten (Nierenschaden) eingesetzt wird, beruht auf dem Austausch von Stoffen, die in Flüssigkeit gelöst sind und sich in einem Kompartiment (abgegrenzter Raum) befinden, mit einem weiteren Kompartiment. Zwischen diesen Kompartimenten befindet sich eine semipermeable Membran, sodass nur bestimmt Substanzen diese Membran überwinden können. Für die Anwendung der Hämodialyse ist es notwendig zu wissen, dass die Elimination der Substanzen abhängig von der Wasserlöslichkeit der Schadstoffe ist. Eine Hämodialyse kann mit verschiedenen Verfahren durchgeführt werden. Am häufigsten erfolgt diese Dialyseform unter Verwendung der Bicarbonatdialyse, aber auch Acetatpufferdialyse, Hämofiltration und Hämodiafiltration kommen zum Einsatz.*
- Antidotgabe – ein sogenanntes "Gegengift" ist nur für ungefähr zwei Prozent der toxischen Substanzen bekannt, sodass diese Therapie nur bei wenigen Intoxikationen von Bedeutung ist. Es handelt sich beim Antidot um einen spezifischen toxikologischen Antagonisten (Gegenspieler) des Schadstoffes, der bei korrekter Gabe zur Inaktivierung der schädlichen Substanz führen soll.
*Die einzelnen Dialyseverfahren sind in einem gesonderten Kapitel aufgeführt.
Literatur
- Mach MA, Weilemann LS: Aktuelle Therapie von Intoxikationen. Deutsche Medizinische Wochenschrift. 2003. 128:1779-1781
- Hörl W: Dialyseverfahren in Klinik und Praxis: Technik und Klinik. Georg Thieme Verlag 2003
- Klinkmann H: Detoxikationsverfahren des Blutes in Forschung und Praxis. Akademie-Verlag 1986
- Keller C: Praxis der Nephrologie. Springer Verlag 2010
- Purschke R: Refresher Course 27. Aktuelles Wissen für Anästhesisten. Springer Verlag 2001
- Dittrich E, Schmaldienst S, Derfler K: Plasmaaustausch und Immunadsorption. Wiener klinische Wochenschrift Education. 2007. 2:39-54