Kegelübungen: Effektives Beckenbodentraining
Das Beckenbodentraining nach dem Erfinder Arnold Kegel ("Kegelübungen") zielt speziell auf die Stärkung der Beckenbodenmuskulatur ab. Es ist ein wesentlicher Bestandteil der Therapie und wird allgemein als Goldstandard bzw. primäre Therapie empfohlen. Durch die Integration von Biofeedback kann die Effektivität des Trainings weiter gesteigert werden.
Warum ist eine gute Beckenbodenfunktion so wichtig?
Der Beckenboden ist ein komplexes System aus Muskeln, Sehnen und Faszien, das in seiner Struktur einem umgekehrten Regenschirm ähnelt, der zwischen dem Schambein und dem Steißbein aufgespannt ist. Diese Muskulatur spielt eine zentrale Rolle für die Stabilität des Rumpfes, die Kontrolle über die Blase, den Darm, das sexuelle Wohlbefinden und schützt die inneren Organe vor einer Senkung. Durch Schwangerschaft, Geburt, Alter, Operationen oder Bewegungsmangel kann diese Muskulatur geschwächt werden, was zu Inkontinenz, Gebärmutterprolaps (Gebärmuttersenkung) oder Schmerzen führen kann. Kegelübungen bieten eine gezielte Möglichkeit, den Beckenboden zu stärken, ohne invasive Maßnahmen wie Operationen in Betracht ziehen zu müssen. Ihre einfache Durchführbarkeit und Effektivität heben sie von anderen Therapiemethoden ab.
Abgrenzung zur Physiotherapie
Im Vergleich zur Physiotherapie, die häufig ein breiteres Spektrum an Übungen und Geräten umfasst und gezielt gesundheitliche Probleme im Beckenbereich behandelt, fokussieren sich Kegelübungen spezifisch auf die bewusste Anspannung und Entspannung des Beckenbodens. Sie können unabhängig von professioneller Anleitung durchgeführt werden, bieten jedoch oft bessere Resultate, wenn sie unter physiotherapeutischer Begleitung erlernt werden. Das ist besonders dann wichtig, wenn z. B. Frauen ihren Beckenboden nicht gezielt ansteuern können, was relativ häufig vorkommt.
Zielsetzung und Wirkungsweise
Das Hauptziel von Kegelübungen ist die Stärkung der Beckenbodenmuskulatur, um Funktionsstörungen zu beheben oder vorzubeugen. Durch regelmäßige Übungen verbessert sich die Durchblutung des Gewebes, die Nervenversorgung wird optimiert und die Muskeln gewinnen an Spannkraft. Dies trägt dazu bei, die Kontrolle über Blase und Darm zu verbessern bzw. wiederzuerlangen, sexuelle und allgemeine Lebensqualität zu steigern und Schmerzen im Beckenbereich, das sog. "Pelvic Pain Syndrom" bei Verspannungen zu lindern.
Indikationen (Anwendungsgebiete)
- Belastungs-, Drang- und Mischinkontinenz
- Vorbeugung oder Behandlung eines Beckenorganprolaps
- Rückbildung nach Schwangerschaft
- Verbesserung der sexuellen Funktion
- Verbesserung von Schmerzen im Beckenbereich durch Verspannungen (Pelvic Pain Syndrom)
- Unterstützung der Heilung nach Operationen im Beckenbereich
- Verbesserung erektiler Dysfunktion (Erektionsstörungen)
Vorteile von Kegelübungen
- Nicht-invasiv und einfach durchführbar
- Kann in den Alltag integriert werden
- Fördert Selbstwahrnehmung und Körperbewusstsein
- Keine zusätzlichen Kosten
Nachteile
- Fortschritte erfordern Geduld und Konsequenz
- Fehlerhafte Ausführung kann zu keiner oder sogar negativen Wirkung führen
- Nicht für alle Formen von Beckenbodenschwäche ausreichend
Kontraindikationen (Gegenanzeigen)
- Akute Infektionen im Beckenbereich
- Schwere Verletzungen oder Operationen, die Ruhe erfordern
- Unklare Schmerzen, die nicht diagnostiziert wurden
Vor der Therapie: Aufklärung und Vorbereitung
Vor Beginn der Kegelübungen ist eine umfassende Aufklärung entscheidend. Patienten sollten verstehen, wie der Beckenboden funktioniert und welche Rolle er für die Gesundheit spielt. Eine initiale Anleitung durch Physiotherapie hilft, die richtige Technik zu erlernen und typische Fehler zu vermeiden, insbesondere wenn es nicht gelingt, die Beckenbodenmuskulatur gezielt zu aktivieren.
Das Verfahren
Kegelübungen können im Sitzen, Stehen oder Liegen durchgeführt werden. Es wird empfohlen, die Übungen mehrmals täglich über mehrere Monate hinweg durchzuführen. Unterstützende Technologien wie Biofeedback-Geräte oder Apps können dabei helfen, den Fortschritt zu überwachen.
Einflussfaktoren auf den Therapieerfolg
- Regelmäßigkeit und Disziplin
- Richtiges Erlernen der Technik
- Unterstützung durch Fachkräfte
- Positive Einstellung und Geduld
Kombination mit Biofeedback
Biofeedback verstärkt die Effizienz von Kegelübungen, indem es eine sofortige und präzise Rückmeldung über die Muskelkontraktionen gibt. Dies hilft Patienten, die Übungen korrekt und effektiv durchzuführen und fördert ein besseres Verständnis für die Funktionsweise des Beckenbodens.
Nach der Therapie
Nach Beendigung der aktiven Therapiephase sollten Patienten weiterhin regelmäßig Beckenbodenübungen durchführen, um die erzielten Ergebnisse zu erhalten. Wie bei jedem Muskeltraining ist auch für die Beckenbodenmuskulatur ein regelmäßiges Training wichtig, denn schon nach wenigen Monaten lässt der Therapieerfolg deutlich nach.
Literatur
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Autoren: Prof. Dr. med. G. Grospietsch, Dr. med. W. G. Gehring
Leitlinien
- S2k-Leitlinie: Harninkontinenz der Frau. (AWMF-Registernummer: 015 - 091), Januar 2022 Langfassung