Nicht-Vitamin-K-abhängige orale Antikoagulantien (NOAC)
Nicht-Vitamin-K-abhängige orale Antikoagulantien (NOAC) haben sich in den letzten Jahren als etablierter Standard in der Thromboseprophylaxe und der Behandlung von thromboembolischen Erkrankungen durchgesetzt. Sie bieten eine effektive Alternative zu Vitamin-K-Antagonisten (z. B. Warfarin) und zeigen eine bessere Sicherheitsbilanz hinsichtlich intrakranieller Blutungen und hämorrhagischer Komplikationen. NOAC wirken gezielt auf bestimmte Gerinnungsfaktoren und zeichnen sich durch eine vorhersehbare Pharmakokinetik sowie ein günstiges Wechselwirkungsprofil aus.
Zielsetzung und Wirkung
- Wirkmechanismus:
NOAC hemmen direkt spezifische Gerinnungsfaktoren:- Direkte Hemmung von Faktor Xa – Rivaroxaban, Apixaban, Edoxaban
- Direkte Hemmung von Thrombin (Faktor IIa) – Dabigatran
- Therapeutische Zielsetzung:
- Verhinderung von venösen Thrombosen und Lungenembolien
- Verhinderung von Schlaganfällen bei Vorhofflimmern
- Schutz vor rezidivierenden tiefen Venenthrombosen (TVT)
- Erwartete Effekte:
- Reduktion des Thromboserisikos um ca. 50-70 %
- Senkung der Schlaganfallrate bei Vorhofflimmern um ca. 60 %
- Geringeres Risiko für intrakranielle Blutungen im Vergleich zu Vitamin-K-Antagonisten
Indikationen (Anwendungsgebiete)
- Vorhofflimmern – Schlaganfallprävention bei nicht-valvulärem Vorhofflimmern
- Venöse Thromboembolie (VTE) – Behandlung und Prophylaxe von tiefen Venenthrombosen und Lungenembolien
- Postoperative Thromboseprophylaxe – nach orthopädischen Eingriffen (z. B. Hüft- und Kniegelenkersatz)
- Sekundärprophylaxe – nach einem Schlaganfall oder einer Thrombose
Kontraindikationen (Gegenanzeigen)
- Absolute Kontraindikationen:
- Aktive, klinisch relevante Blutungen
- Schwere Leberinsuffizienz mit Koagulopathie
- Niereninsuffizienz mit einer Kreatinin-Clearance < 15 ml/min
- Relative Kontraindikationen:
- Erhöhtes Blutungsrisiko (z. B. zerebrale Aneurysmen)
- Gastrointestinale Blutungsanamnese
- Therapie mit starken CYP3A4-Inhibitoren oder Induktoren
- Spezielle Patientengruppen:
- Schwangere – keine ausreichenden Sicherheitsdaten vorhanden
- Patienten mit mechanischen Herzklappen – NOAC sind hier nicht zugelassen
Das Verfahren (Anwendung und Durchführung)
- Verabreichungsform:
- Oral als Tablette oder Kapsel
- Dosierung:
- Rivaroxaban:
- 20 mg einmal täglich zur Schlaganfallprävention
- 15 mg zweimal täglich bei akuter Thrombose
- Apixaban:
- 5 mg zweimal täglich bei Vorhofflimmern
- 2,5 mg zweimal täglich bei Niereninsuffizienz
- Dabigatran:
- 150 mg zweimal täglich (bei normaler Nierenfunktion)
- 110 mg zweimal täglich (bei eingeschränkter Nierenfunktion)
- Edoxaban:
- 60 mg einmal täglich bei Vorhofflimmern
- 30 mg bei eingeschränkter Nierenfunktion (Kreatinin-Clearance 15-50 ml/min)
- Rivaroxaban:
- Therapiedauer:
- Akute Thrombose: 3-6 Monate
- Langzeittherapie: je nach Risiko für rezidivierende Thrombosen
- Kombinationstherapien:
- Kombination mit Thrombozytenaggregationshemmern (z. B. ASS) nur bei speziellen Indikationen
Pharmakokinetik und Pharmakodynamik
- Resorption:
- Rivaroxaban: maximale Plasmakonzentration nach ca. 2-4 Stunden
- Apixaban: maximale Plasmakonzentration nach ca. 3 Stunden
- Dabigatran: maximale Plasmakonzentration nach ca. 2 Stunden
- Verteilung:
- Hohe Proteinbindung (> 90 %) bei Rivaroxaban und Apixaban
- Dabigatran – keine signifikante Proteinbindung
- Metabolismus:
- Rivaroxaban, Apixaban und Edoxaban – hepatische Metabolisierung (über CYP3A4)
- Dabigatran – Hydrolyse durch Esterasen
- Elimination:
- Rivaroxaban, Apixaban – renale und hepatische Elimination
- Dabigatran – überwiegend renal eliminiert
Mögliche Nebenwirkungen
- Häufige Nebenwirkungen:
- Nasenbluten
- Zahnfleischbluten
- Hämatome
- Dyspepsie
- Seltene, aber schwerwiegende Nebenwirkungen:
- Gastrointestinale Blutungen
- Intrakranielle Blutungen
- Hämaturie
- Langzeitnebenwirkungen:
- Anämie durch chronische Mikroblutungen
- Thrombozytopenie (selten)
Wechselwirkungen
- Pharmakokinetische Wechselwirkungen:
- CYP3A4-Inhibitoren (z. B. Ketoconazol, Itraconazol) → erhöhte Blutungstendenz
- CYP3A4-Induktoren (z. B. Rifampicin) → verminderte Wirksamkeit
- Pharmakodynamische Wechselwirkungen:
- Nichtsteroidale Antirheumatika (NSAR) → erhöhtes Blutungsrisiko
- Thrombozytenaggregationshemmer → erhöhtes Blutungsrisiko
Anwendungsbeschränkungen und Vorsichtsmaßnahmen
- Regelmäßige Kontrolle der Nierenfunktion (eGFR)
- Bei Anzeichen einer Blutung Therapie unterbrechen
- Dosisanpassung bei älteren Patienten mit eingeschränkter Nierenfunktion
Therapieüberwachung und Monitoring
- Laborkontrollen:
- Nierenfunktion (Kreatinin-Clearance)
- Blutbild (Hämoglobin, Hämatokrit)
- Therapiekontrolle:
- Zeichen von Blutungen überwachen
- Bei anhaltenden Blutungen → Gabe von spezifischen Antidoten (z. B. Idarucizumab für Dabigatran)
Alternative Therapieoptionen
- Vitamin-K-Antagonisten (z. B. Warfarin) – bewährte Therapieoption bei mechanischen Herzklappen
- Heparine – bei Kontraindikationen gegen NOAC
- Fondaparinux – bei Heparin-Unverträglichkeit
Besonderheiten und spezifische Empfehlungen
- NOAC erfordern keine routinemäßige Gerinnungskontrolle (im Gegensatz zu Vitamin-K-Antagonisten).
- Für Dabigatran steht ein spezifisches Antidot (Idarucizumab) zur Verfügung.
- Bei schweren Blutungen unter Faktor-Xa-Inhibitoren → Andexanet alfa als Antidot.
Literatur
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- Giugliano RP, Ruff CT, Braunwald E, Murphy SA, Wiviott SD, Halperin JL,et al.: Edoxaban versus Warfarin in Patients with Atrial Fibrillation. N Engl J Med. 2013 Nov 28;369(22):2093–2104. doi: 10.1056/NEJMoa1310907.